Read online book «Эликсиры Сатаны. Уровень 2 / Die Elixiere des Teufels» author Эрнст Гофман

Эликсиры Сатаны. Уровень 2 / Die Elixiere des Teufels
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann
Легко читаем по-немецки
Немецкий писатель Эрнст Теодор Амадей Гофман – классик мировой литературы. Его творчество всегда вызывало интерес у читателей, а произведения затягивали в свой удивительный мир завораживающим повествованием.
«Эликсиры Сатаны» – шедевр готического романа, одно из самых необычных произведений Гофмана, в котором он стремится проникнуть в глубины человеческого подсознания, найти взаимосвязи между душевной жизнью и реальностью человеческого бытия.
Молодой монах Медардус, от имени которого ведется повествование, не справляется с искушением – он пробует «дьявольский эликсир», который пробуждает в нем самые низменные желания и страсти. Подчинившись своему теневому двойнику, монах совершает преступление за преступлением. Когда же в нем зарождается покаяние, ему предлагают исполнить особое послушание – написать летопись своей жизни. Сюжет романа одновременно и пугает, и увлекает читателя чередой таинственных событий.
Текст произведения адаптирован для уровней A2-B1 (для продолжающих изучать немецкий язык нижней ступени) и снабжен комментариями. После романа предлагаются упражнения с ключами. В конце книги – словарь используемой лексики, облегчающий чтение.

Э. Т. А. Гофман
Эликсиры Сатаны. Уровень 2
Die Elixiere des Teufels
Составитель П. Д. Алешина

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann
DIE ELIXIERE DES TEUFELS

Дизайн обложки А. И. Орловой

© Алешина П. Д., адаптация текста, коммент., упражнения и словарь, 2023
© ООО «Издательство АСТ», 2023
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Vorwort des Herausgebers
Gern möchte ich dich, günstiger Leser! unter jenen dunklen Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus zum ersten Male las. Du würdest dich mit mir auf dieselbe steinerne Bank setzen. Du würdest, so wie ich, recht sehnsüchtig nach den blauen Bergen schauen.
Aber nun wendest du dich um und erblickest kaum zwanzig Schritte hinter uns ein gotisches Gebäude, dessen Portal reich mit Statuen verziert ist. – Durch die dunklen Zweige der Platanen schauen dich Heiligenbilder recht mit klaren, lebendigen Augen an. Es sind die frischen Freskogemälde. Ernste Männer wandeln schweigend durch die Laubgänge des Gartens. Sind denn die Heiligenbilder lebendig worden und herabgestiegen von den hohen Simsen?[1 - Sind denn die Heiligenbilder lebendig worden und herabgestiegen von den hohen Simsen? – Неужели изображения святых ожили и спустились с высоких сводов?] Dich umwehen die geheimnisvollen Schauer der wunderbaren Sagen und Legenden. Und willig magst du daran glauben. In dieser Stimmung liest du die Geschichte des Medardus, und wohl magst du auch dann die sonderbaren Visionen des Mönchs für mehr halten als für das regellose Spiel der erhitzten Einbildungskraft.
Da du, günstiger Leser! soeben Heiligenbilder, ein Kloster und Mönche geschaut hast, so darf ich kaum hinzufügen, dass es der herrliche Garten des Kapuzinerklosters in B. war, in den ich dich geführt habe.
Als ich mich einst in diesem Kloster einige Tage aufhielt, zeigte mir der ehrwürdige Prior die von dem Bruder Medardus nachgelassene, im Archiv aufbewahrte Papiere als eine Merkwürdigkeit. Nur mit Mühe überwand ich des Priors Bedenken, sie mir mitzuteilen. Eigentlich, meinte der Alte, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen[2 - …, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen. – …, лучше бы эти бумаги сожгли.]. Nicht ohne Furcht, du stimmst der Meinung des Priors zu, gebe ich dir, günstiger Leser! Entschließest du dich aber, mit dem Medardus, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen[3 - …, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen. – …, как будто ты его верный спутник в мрачных монастырях и кельях.] – durch die bunte Welt zu ziehen und mit ihm das Schauerliche, Entsetzliche, Tolle, Possenhafte seines Lebens zu ertragen.
Nachdem ich die Papiere des Kapuziners Medardus recht durchgelesen. Das war mir schwer genug, da der Selige eine sehr kleine, unleserliche mönchische Handschrift geschrieben hat. Es war mir auch, als das, was wir Traum und Einbildung nennen, wohl die symbolische Erkenntnis des geheimen Fadens. Er zieht sich durch unser Leben. Vielleicht geht es dir, günstiger Leser! wie mir, und das wünschte ich denn aus erheblichen Gründen echt herzlich.

Erster Teil

Erster Abschnitt
Die Jahre der Kindheit und das Klosterleben
Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein Vater in der Welt lebte. Ich rufe mir aber alles das ins Gedächtnis zurück, was sie mir schon in meiner Jugend von ihm erzählte. So muss ich wohl glauben, dass es ein mit tiefen Kenntnissen begabter, lebenskluger Mann war. Eben aus diesen Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter weiß ich, dass meine Eltern von einem bequemen Leben in die drückendste, bitterste Armut herabsanken. Mein Vater war einst durch den Satan verlockt und beging eine Todsünde. In späten Jahren hat er sie als die Gnade Gottes erleuchtet. Er wollte auf einer Pilgerreise nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten Preußen. – Auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, dass diese nicht unfruchtbar bleiben wurde, wie mein Vater befürchtet. Trotz seiner Not war er sehr froh, dass er jetzt eine Vision hatte, in der der heilige Bernhard ihm Trost und Vergebung durch die Geburt eines Sohnes zusicherte.
In der heiligen Linde erkrankte mein Vater. Er starb entsündigt und getröstet in demselben Augenblick, als ich geboren wurde. – Mit dem ersten Bewusstsein dämmern in mir die lieblichen ilder von dem Kloster und von der herrlichen Kirche in der heiligen Linde auf.
Mich umrauscht noch der dunkle Wald. Noch sehe ich mitten in der Kirche, auf welche die Engel das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau niedersetzten. Noch lächeln mich die bunten Gestalten der Engel – der Heiligen – von den Wänden, von, der Decke der Kirche an! – Die Erzählungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloster sind so in mein Innres gedrungen, dass ich glaubte, ich habe alles selbst gesehen, selbst erfahren. Unerachtet ist es unmöglich, dass meine Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Stätte verließ. – Es scheint mir, dass ich selbst einmal eine wunderbare Figur eines ernsten Mannes in einer verlassenen Kirche gesehen habe. Es ist eben der fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit erschien. Niemand konnte seine Sprache verstehen. Er malte mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das herrlichste aus. Ich erinnere mich auch an den alten, seltsam gekleideten Pilger, der mich oft an meinen Armen trug. Er suchte im Wald nach allen möglichen bunten Moosen und Steinen und spielte mit mir. Ich glaube natürlich, dass sein lebendiges Bild nur aus der Beschreibung meiner Mutter im Inneren entstand. Er brachte einmal einen fremden, wunderschönen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war. Wir saßen im Gras. Ich schenkte ihm alle meine bunten Steine. Meine Mutter saß neben uns auf einer steinernen Bank. Der Alte schaute mit mildem Ernst unseren kindischen Spielen zu. Da traten einige Jünglinge aus dem Gebüsch. Einer von ihnen rief lachend:
»Sieh da! Eine heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!«
Er zog wirklich Papier und Krayon hervor und schickte sich an, uns zu zeichnen. Da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig:
»Elender Spötter, du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe. Aber deine Werke werden tot und starr bleiben wie du selbst. Du wirst wie ein Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eignen Armseligkeit.«
Die Jünglinge waren los. – Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter:
»Euer Sohn ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet. Aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blut. Er kann sich zum wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen. Lass ihn geistlich werden!«
Meine Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht haben. Meine Erinnerungen aus selbst gemachter Erfahrung heben von dem Zeitpunkt an, als meine Mutter auf der Heimreise in das Zisterzienser-Nonnenkloster gekommen war. Die Zeit von der Begebenheit mit dem alten Pilger bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Äbtissin brachte, macht eine völlige Lücke. Ich finde mich erst wieder, als die Mutter meinen Anzug besserte und ordnete. Endlich stieg ich an der Hand meiner Mutter die breiten steinernen Treppen herauf und trat in das hohe, gewölbte, mit heiligen Bildern ausgeschmückte Zimmer. Da fanden wir die Fürstin. Es war eine große, majestätische schöne Frau. Sie sah mich mit einem ernsten, bis ins Innerste dringenden Blick an und fragte:
»Ist das Euer Sohn?«
Ihre Stimme, ihr ganzes Ansehen – alles wirkte so auf mich, dass ich, von dem Gefühl eines inneren Grauens ergriffen, bitterlich weinte. Da sprach die Fürstin:
»Was ist dir, Kleiner, fürchtest du dich vor mir? Wie heißt Euer Sohn, liebe Frau?«
»Franz.«
Da rief die Fürstin mit der tiefsten Wehmut:
»Franziskus!«
Sie hob mich auf und drückte mich heftig an sich. Aber in dem Augenblick preßte mir ein jäher Schmerz, den ich am Halse fühlte, einen starken Schrei aus, so dass die Fürstin mich losließ. Die Fürstin ließ das nicht zu. Es fand sich, dass das diamantne Kreuz, welches die Fürstin auf der Brust trug, mich am Hals so stark beschädigt hat, dass die Stelle ganz rot und mit Blut unterlaufen war.
»Armer Franz«, sprach die Fürstin, »ich habe dir weh getan, aber wir wollen doch noch gute Freunde werden.«
Eine Schwester brachte Zuckerwerk und süßen Wein. Ich naschte tapfer von den Süßigkeiten, die mir die Frau, selbst in den Mund steckte. Als ich einige Tropfen des süßen Getränks gekostet, kehrte mein munterer Sinn zurück.
Ich lachte und schwatzte zum größten Vergnügen der Äbtissin und der Schwester, die im Zimmer geblieben. Noch ist es mir unerklärlich, wie meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern, der Fürstin von den schönen, herrlichen Dingen meines Geburtsortes zu erzählen. Die Fürstin, selbst meine Mutter, blickten mich voll Erstaunen an. Aber je mehr ich sprach, desto höher stieg meine Begeisterung. Die Fürstin fragte:
»Sage mir, liebes Kind, woher weißt du denn das alles?«
Da antwortete ich, dass der schöne wunderbare Knabe, den einst ein fremder Pilgersmann mitgebracht hat mir alle Bilder in der Kirche erklärt.
Man läutete zur Vesper, die Schwester hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Tüte gepackt. Die Äbtissin stand auf und sagte zu meiner Mutter:
»Ich sehe Euern Sohn als meinen Zögling an, liebe Frau! Ich will von nun an für ihn sorgen.«
Meine Mutter konnte vor Wehmut nicht sprechen. Sie küsste die Hände der Fürstin. Die Fürstin kam uns nach, hob mich nochmals auf, sorgfältig das Kreuz beiseite schiebend.
»Franziskus! Bleib fromm und gut!«
Ich war im Innersten bewegt und musste auch weinen, ohne eigentlich zu wissen warum.
Durch die Unterstützung der Äbtissin gewann der kleine Haushalt meiner Mutter bald ein besseres Ansehen. Die Not hatte ein Ende, ich ging besser gekleidet und genoß den Unterricht des Pfarrers, dem ich zugleich als Chorknabe diente.
Der Pfarrer war die Güte selbst, er fesselte meinen lebhaften Geist. Er formte seinen Unterricht so nach meiner Sinnesart, dass ich Freude daran fand und schnelle Fortschritte machte. – Meine Mutter liebte ich über alles. Aber die Fürstin verehrte ich wie eine Heilige, und es war ein feierlicher Tag für mich, wenn ich sie sehen durfte. Jedes ihrer Worte blieb tief in meiner Seele. – Aber der herrlichste Tag, auf den ich mich wochenlang freute, an den ich niemals ohne inneres Entzücken denken konnte, war das Fest des heiligen Bernardus. Er ist der Heilige der Zisterzienser. Schon den Tag vorher strömten aus der benachbarten Stadt eine Menge Menschen herbei und lagerten sich auf der großen blumigen Wiese, so dass das frohe Getümmel Tag und Nacht nicht aufhörte. Ich erinnere mich nicht, dass die Witterung in der günstigen Jahreszeit (der Bernardustag fällt in den August) dem Fest jemals ungünstig war.
Der Bischof selbst hielt an dem Bernardustag in der Kirche des Klosters, bedient von der untern Geistlichkeit des Hochstifts, das feierliche Hochamt.
Ich gedenke lebhaft eines Gloria, da die Fürstin eben diese Komposition vor allen ändern liebte. – Wenn der Bischof das Gloria intonierte und nun die mächtigen Töne des Chors daher brausten: Gloria in excelsis deo! Ich versank in das hinbrütende Staunen der begeisterten Andacht. In dem duftenden Wald ertönten die holden Engelsstimmen. Der wunderbare Knabe trat wie aus hohen Lilienbüschen mir entgegen und fragte mich lächelnd:
»Wo warst du denn so lange, Franziskus? – ich habe viele schöne bunte Blumen. Ich will sie dir alle schenken, wenn du bei mir bleibst und mich liebst.«
Nach dem Hochamt hielten die Nonnen, unter dem Vortritt der Äbtissin eine feierliche Prozession durch die Gänge des Klosters und durch die Kirche. Es war die triumphierende Kirche selbst. Nach beendigtem Gottesdienst wurde die Geistlichkeit sowie die Kapelle des Bischofs in einem großen Saal des Klosters bewirtet. Mehrere Freunde des Klosters, Offizianten, Kaufleute aus der Stadt, nahmen an dem Mahl teil. Ich durfte, weil mich der Konzertmeister des Bischofs liebgewonnen, auch dabeisein. Allerlei lustige Erzählungen, Spaße und Schwanke wechselten unter dem lauten Gelächter der Gäste bis der Abend hereinbrach und die Wagen zur Heimfahrt bereitstanden.
Sechzehn Jahre war ich alt geworden, als der Pfarrer erklärte, dass ich nun vorbereitet genug war, die höheren theologischen Studien in dem Seminar der benachbarten Stadt zu beginnen. Ich habe mich nämlich ganz für den geistlichen Stand entschieden. Das erfüllte meine Mutter mit der innigsten Freude erfüllt sah. Durch meinen Entschluss glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt und von der Qual ewiger Verdammnis errettet[4 - Durch meinen Entschluss glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt und von der Qual ewiger Verdammnis errettet. – Только благодаря моему решению она поверила, что душа моего отца искуплена и спасена от мук вечного проклятия.].
Es ist ja auch gewiss, dass dem Schmerz der Trennung jede Spanne außerhalb dem Kreise der Lieben der weitesten Entfernung gleich dünkt.
Der herrliche Klostergarten mit der Aussicht in die Gebirge hinein schien mir jedesmal, wenn ich in den langen Alleen wandelte in neuer Schönheit zu erglänzen. – Gerade in diesem Garten traf ich den Prior Leonardus, als ich zum erstenmal das Kloster besuchte, um mein Empfehlungsschreiben von der Äbtissin abzugeben. – Die dem Prior eigne Freundlichkeit wurde noch erhöht, als er den Brief las. Er wusste so viel Anziehendes von der herrlichen Frau, die er schon in frühen Jahren in Rom kennengelernt, dass er schon im ersten Augenblick mich ganz an sich zog. Er war von den Brüdern umgeben, und man durchblickte bald das ganze Verhältnis des Priors mit den Mönchen: die Ruhe und Heiterkeit des Geistes verbreitete sich über alle Brüder. Man sah nirgends eine Spur des Missmuts oder jener feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt[5 - Man sah nirgends eine Spur des Missmuts oder jener feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt. – Нигде не было видно и следа недовольства или той враждебной, проникающей внутрь замкнутости, которую обычно можно заметить на лицах монахов.].
Ohne die strengen Regeln des Ordens zu beachten, wurden religiöse Rituale dem Prior Leonard gewidmet. Man braucht mehr einen Geist als die asketische Umkehr der Sünde, die in der menschlichen Natur wohnt. Selbst eine schickliche Verbindung mit der Welt wollte der Prior Leonardus herstellen, die für die Brüder nicht anders als heilsam sein konnte. Reichliche Spenden machten es möglich, an gewissen Tagen die Freunde und Beschützer des Klosters in dem Refektorium zu bewirten. Dann wurde in der Mitte des Speisesaals eine lange Tafel gedeckt, an deren oberem Ende der Prior Leonardus bei den Gästen saß.
Dagegen gewannen die Mönche an Lebensumsicht und Weisheit, da die Kunde in ihnen Betrachtungen mancherlei Art erweckte. Ohne dem Irdischen einen falschen Wert zu verleihen, mussten sie die Notwendigkeit einer Strahlenbrechung des geistigen Prinzips anerkennen. Über alle hocherhaben rücksichts der geistigen und wissenschaftlichen Ausbildung, stand der Prior Leonardus. Er sprach mit Fertigkeit und Eleganz das Italienische und Französische, und seiner besonderen Gewandtheit wegen hat man ihn in früherer Zeit zu wichtigen Missionen gebraucht.
Mit der Welt versöhnt hat er irdischen gelebt, doch sich bald über das Irdische erhoben wurde. Diese ungewöhnlichen Tendenzen des Klosterlebens hat Leonardus in Italien aufgefasst.
Leonardus gewann mich lieb, er unterrichtete mich im Italienischen und Französischen. Beinahe die ganze Zeit verbrachte ich im Kapuzinerkloster. Und ich spürte, wie immer mehr meine Neigung zunahm, mich einkleiden zu lassen. Ich eröffnete dem Prior meinen Wunsch.
Einst hat der Prior viel Merkwürdiges mit mir gesprochen über das profane Leben. – Ich fühlte mich erglühen. – Der Konzertmeister hatte eine Schwester, nicht schön, aber doch, in der höchsten Blüte stand. Es war ein reizendes Mädchen. Sie hatte die schönsten Arme, den schönsten Busen in Form und Kolorit.
Eines Morgens, als ich zum Konzertmeister gehen wollte, überraschte ich die Schwester im leichten Morgenanzug, mit beinahe ganz entblößter Brust. Schnell warf sie zwar das Tuch über, aber doch schon zu viel hatten meine gierigen Blicke erhascht. Ich konnte kein Wort sprechen. Meine Brust war krampfhaft zusammengepresst und wollte zerspringen. Jetzt bei der verfänglichen Frage des Priors sah ich des Konzertmeisters Schwester mit entblößtem Busen vor mir stehen. Ich fühlte den warmen Hauch ihres Atems, den Druck ihrer Hand – meine innere Angst stieg mit jedem Moment. Leonardus sah mich mit einem gewissen ironischen Lächeln an, vor dem ich erbebte. Ich konnte seinen Blick nicht ertragen, ich schlug die Augen nieder, da klopfte mich der Prior auf die glühenden Wangen und sprach:
»Ich sehe, mein Sohn, dass Sie mich gefasst haben und dass es noch gut mit Ihnen steht. Der Herr bewahrt Sie vor der Verführung der Welt. Die Genüsse sind von kurzer Dauer.«
Ein Abend sollte diesen zweifelhaften Zustand entscheiden. Der Konzertmeister hat mich zu einer musikalischen Unterhaltung eingeladen. Außer seiner Schwester waren noch mehrere Frauenzimmer, und dieses steigerte die Befangenheit, die mir schon bei der Schwester allein den Atem versetzte. Sie war sehr reizend gekleidet, sie kam mir schöner als je vor. – Das sah eins von den Frauenzimmern, die ging zu des Konzertmeisters Schwester und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Nun schauten sie beide auf mich und lachten höhnisch! – Ich war wie vernichtet, ein Eisstrom goß sich durch mein Inneres. Ich war im Begriff, mich durch das Fenster zu stürzen. Zum Glück verhinderten mich die Eisenstäbe daran, mein Zustand war in der Tat entsetzlich.
Eine innere Scham, die ich nicht überwinden konnte, hielt mich zurück, ihm die Wahrheit zu sagen. Dagegen erzählte ich ihm mit dem Feuer die wunderbaren Begebenheiten meiner Kinderjahre. Leonardus hörte mich ruhig an, und ohne gerade gegen meine Visionen Zweifel vorzubringen, schien er doch sie nicht sonderlich zu beachten. Leonardus sprach sanft lächelnd:
»Mein Sohn, der Unglaube ist der ärgste Aberglaube«, und fing ein anderes Gespräch von fremden, gleichgültigen Dingen an.
Meine Mutter schrieb mir, dass der weltgeistliche Stand mir nicht genügen, sondern dass ich das Klosterleben erwählen werde. Auch die Fürstin war mit meinem Vorhaben ganz einverstanden. Beide sah ich noch einmal vor meiner Einkleidung und sehr bald erfolgte. Ich nahm auf Veranlassung der Vision meiner Mutter den Klosternamen Medardus an.
»Worüber erfreuest du dich so, mein Bruder?« fragte Cyrillus.
»Soll ich denn nicht froh sein, wenn ich der Welt und ihrem Tand entsage?« antwortete ich.
Doch dies war die letzte Anwandlung irdischer Selbstsucht.
Schon fünf Jahre war ich im Kloster, als nach der Verordnung des Priors mir der Bruder Cyrillus die Aufsicht über die reiche Reliquienkammer des Klosters übergeben sollte. Der Bruder Cyrillus machte mich mit jedem Stück sowie mit den Dokumenten bekannt. Er stand rücksichts der geistigen Ausbildung unserm Prior an der Seite.
»Sollten denn, lieber Bruder Cyrillus«, sagte ich, »alle diese Dinge wahrhaftig das sein, wofür man sie ausgibt? Sollte auch hier nicht die betrügerische Habsucht manches untergeschoben haben, was nun als wahre Reliquie dieses oder jenes Heiligen gilt?[6 - Sollte auch hier nicht die betrügerische Habsucht manches untergeschoben haben, was nun als wahre Reliquie dieses oder jenes Heiligen gilt? – Опять же, не должна ли мошенническая жадность некоторых здесь подорвать то, что теперь считается истинной реликвией того или иного святого?]«
Dem Bruder Cyrillus entging diese Wirkung seiner Rede nicht. Er fuhr nun fort, mit größerem Eifer und mit sprechender Innigkeit mir die Sammlung Stück vor Stück zu erklären. Endlich nahm er aus einem wohlverschlossenen Schranke ein Kistchen heraus und sagte:
»Hierinnen, lieber Bruder Medardus! ist die geheimnisvollste, wunderbarste Reliquie enthalten, die unser Kloster besitzt. Solange ich im Kloster bin, hat dieses Kistchen niemand in der Hand gehabt als der Prior und ich. Ich kann die Kiste nicht ohne inneren Schauer anrühren. – Das, was darinnen enthalten, stammt unmittelbar von dem Widersacher her, aus jener Zeit, als er noch sichtlich gegen das Heil der Menschen kämpfen konnte.«
Dir ist das Leben des heiligen Antonius zur Genüge bekannt. Du weißt, dass er in die Wüste zog, um sich von allem Irdischen zu entfernen, um seine Seele ganz dem Göttlichen zuzuwenden. Der Widersacher verfolgte ihn und trat ihm oft sichtlich in den Weg, um ihn in seinen frommen Betrachtungen zu stören. So kam es denn, dass der heilige Antonius einmal in der Abenddämmerung eine finstere Gestalt wahrnahm, die auf ihn zuschritt. In der Nähe erblickte er zu seinem Erstaunen, dass aus den Löchern des zerrissenen Mantels Flaschenhälse hervorguckten. Es war der Widersacher, der in diesem seltsamen Aufzug ihn höhnisch anlächelte. Er fragte, ob er nicht von den Elixieren kosten konnte. Der heilige Antonius war nicht mehr imstande, sich auf irgendeinen Kampf einzulassen. Er fragte ihn, warum er denn so viele Flaschen und auf solche besondere Weise bei sich trug. Da antwortete der Widersacher:
»Siehe, wenn mir ein Mensch begegnet, so schaut er mich verwundert an. Unter so vielen Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm recht mundet, und er säuft die ganze Flasche aus und wird trunken und ergibt sich mir[7 - Unter so vielen Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm recht mundet, und er säuft die ganze Flasche aus und wird trunken und ergibt sich mir. – Среди такого количества эликсиров он, наверное, найдет один, который подойдет ему по вкусу, и он выпьет всю бутылку, и напьется, и сдастся мне.].
So weit steht das in allen Legenden. – In diesem Kistchen befindet sich nun aus dem Nachlass des heiligen Antonius eine solche Flasche mit einem Teufelselixier. Die Dokumente sind so authentisch und genau, dass wenigstens daran, dass die Flasche wirklich nach dem Tod des heiligen Antonius unter seinen Sachen gefunden wurde, kaum zu zweifeln ist. Übrigens kann ich versichern, lieber Bruder Medardus! dass, so oft ich die Flasche berühre, mich ein unerklärliches inneres Grauen anwandelt. Ich spüre ganz seltsamen Duft, der mich betäubt und zugleich eine innere Unruhe des Geistes. Dir, lieber Bruder Medardus, der du noch so jung bist, der du noch alles in glänzenderen, lebhafteren Farben erblickst, der du noch wie ein tapferer, aber unerfahrner Krieger zwar rüstig im Kampf, aber vielleicht zu kühn, deiner Stärke zu sehr vertraust, rate ich, das Kistchen öffnete man niemals oder wenigstens erst nach Jahren.«
Der Bruder Cyrillus verschloß die geheimnisvolle Kiste wieder in den Schrank und übergab mir den Schlüsselbund. Als Cyrillus mich verlassen hat, übersah ich noch einmal die mir anvertrauten Heiligtümer, dann löste ich aber das Schlüsselchen ab und versteckte es tief unter meinen Skripturen im Schreibpulte.
Der Heiligentag kam heran, die Kirche war besetzter als gewöhnlich. – Am Anfang blieb ich meiner Handschrift getreu. Leonardus sagte mir nachher, dass ich mit zitternder Stimme gesprochen habe. Bald aber war es, als strahle der glühende Funke himmlischer Begeisterung durch mein Inneres. Ein religiöser Wahn hat die Stadt ergriffen, alles strömte bei irgendeinem Anlass, auch an gewöhnlichen Wochentagen, nach dem Kloster, um den Bruder Medardus zu sehen, zu sprechen.
Da keimte in mir der Gedanke auf, ich bin ein besonders Erkorner des Himmels.
Es war mir nun gewiss, dass der alte Pilgram in der heiligen Linde der heilige Joseph, der wunderbare Knabe aber das Jesuskind selbst gewesen, das in mir den Heiligen begrüßt hat. Leonardus wurde sichtlich kälter gegen mich. Er vermied, mit mir ohne Zeugen zu sprechen, aber endlich brach er los:
»Nicht verhehlen kann ich es dir, lieber Bruder Medardus, dass du seit einiger Zeit durch dein ganzes Betragen mir Mißfallen erregst. – Es ist etwas in deine Seele gekommen, das dich dem Leben in frommer Einfalt abwendig macht. In deinen Reden herrscht ein feindliches Dunkel. – Lass mich offenherzig sein! – Du trägst in diesem Augenblick die Schuld unseres sündigen Ursprungs! – Der Beifall nach jeder Anreizung lüsterne Welt gezollt, hat dich geblendet. Du siehst dich selbst in einer Gestalt, die nicht dein eigen, sondern ein Trugbild ist, welches dich in den verderblichen Abgrund lockt. Gehe in dich, Medardus! – entsage dem Wahn, der dich betört – ich glaube ihn zu kennen! – schon jetzt ist dir die Ruhe des Gemüts entflohen. – Lass dich warnen, weiche aus dem Feinde, der dir nachstellt. – Sei wieder der gutmütige Jüngling, den ich mit ganzer Seele liebte.«
Tränen quollen aus den Augen des Priors, als er dies sprach. – Aber nur feindselig waren seine Worte in mein Innres gedrungen. Stumm blieb ich vom innern Groll ergriffen bei den Zusammenkünften der Mönche. Je mehr ich mich nun von Leonardus und den Brüdern entfernte, mit desto stärkeren Banden wusste ich die Menge an mich zu ziehen. Am Tage des heiligen Antonius war die Kirche so gedrängt voll, dass man die Türen weit öffnen musste. Nie habe ich kräftiger, feuriger, eindringender gesprochen. Da fiel in der Kirche mein umherschweifender Blick auf einen langen, hageren Mann, der sich an einen Eckpfeiler lehnte. Er hat auf seltsame, fremde Weise einen dunkelvioletten Mantel umgeworfen. Sein Gesicht war leichenblass, aber der Blick der großen, schwarzen, stieren Augen fuhr wie ein glühender Dolchstich durch meine Brust. Mich durchbebte ein unheimliches, grauenhaftes Gefühl. Die ganze Gestalt hatte etwas Furchtbares – Entsetzliches! – Ja! – Es war der unbekannte Maler aus der heiligen Linde. Ich fühlte mich wie von eiskalten, grausigen Fäusten gepackt. Da schrie ich auf in der Höllenangst wahnsinniger Verzweiflung:
»Ha Verruchter! hebe dich weg! – hebe dich weg – denn ich bin es selbst! – ich bin der heilige Antonius!«
Als ich aus dem bewußtlosen Zustand wieder erwachte, befand ich mich auf meinem Lager. Der Bruder Cyrillus saß neben mir. Das schreckliche Bild des Unbekannten stand mir noch lebhaft vor Augen. Aber je mehr der Bruder Cyrillus, dem ich alles erzählte. Er wollte mich überzeugen, dass es nur ein Gaukelbild meiner erhitzten Phantasie war. Ich fühlte bittre Reue und Scham über mein Betragen auf der Kanzel. Niemand erblickte übrigens den Mann im violetten Mantel. Der Prior Leonardus verbreitete nach seiner anerkannten Gutmütigkeit auf das eifrigste überall, wie es nur der Anfall einer hitzigen Krankheit war. Wirklich war ich auch noch krank, als ich nach mehreren Wochen wieder in das gewöhnliche klösterliche Leben eintrat. Dennoch unternahm ich es, wieder die Kanzel zu besteigen. Aber ich war von der entsetzlichen bleichen Gestalt verfolgt. Meine Predigten waren gewöhnlich – steif – zerstückelt.
Nach einiger Zeit begab es sich, dass ein junger Graf und seine Hofmeister unser Kloster besuchte und die vielfachen Merkwürdigkeiten sehen wollte. Ich musste die Reliquienkammer aufschließen. Wir traten hinein, als der Prior abgerufen wurde. Ich blieb mit den Fremden allein. Der Graf ergoss sich in allerlei witzigen Anmerkungen und Einfällen über den komischen Teufel.
»Haben Sie an leichtsinnigen Weltmenschen kein Ärgernis, ehrwürdiger Herr! – Sein Sie überzeugt, dass wir beide, ich und mein Graf, die Heiligen als herrliche, von der Religion hoch begeisterte Menschen verehren.«
Unter diesen Worten hat der Hofmeister den Schieber des Kistchens schnell aufgeschoben und die schwarze, sonderbar geformte Flasche herausgenommen. Es verbreitete sich wirklich, wie der Bruder Cyrillus es mir gesagt, ein starker Duft.
»Ei«, rief der Graf, »ich wette, dass das Elixier des Teufels weiter nichts ist als herrlicher echter Syrakuser.«
»Ganz gewiss«, erwiderte der Hofmeister, »und stammt die Flasche wirklich aus dem Nachlass des heiligen Antonius, so geht es Ihnen, ehrwürdiger Herr!«
Stärker stieg der Duft aus der Flasche und wallte durch das Zimmer. Der Hofmeister kostete zuerst und rief begeistert:
»Herrlicher – herrlicher Syrakuser! In der Tat, der Weinkeller des heiligen Antonius war nicht übel, und machte der Teufel seinen Kellermeister, so meinte er es mit dem heiligen Mann nicht so böse. Kosten Sie, Graf!«
Der Graf tat es. Ich verweigerte es standhaft und verschloß die Flasche wieder in ihr Behältnis.
Die Fremden verließen das Kloster. Aber als ich einsam in meiner Zelle saß, konnte ich mir selbst ein gewisses innres Wohlbehagen nicht ableugnen.
»Wie«, dachte ich, »wenn das wunderbare Getränk mit geistiger Kraft dein Inneres stärkte, ja die erloschene Flamme entzünden konnte?«
Ich stand vom Lager auf und schlich wie ein Gespenst mit der Lampe durch die Kirche nach der Reliquienkammer. Ich schloß den Schrank auf, ich ergriff das Kistchen, die Flasche, bald habe ich einen kräftigen Zug getan! Glut strömte durch meine Adern und erfüllte mich mit dem Gefühl unbeschreiblichen Wohlseins – ich trank noch einmal, und die Lust eines neuen, herrlichen Lebens ging mir auf! – Schnell verschloß ich das leere Kistchen in den Schrank, eilte rasch mit der wohltätigen Flasche nach meiner Zelle und stellte sie in mein Schreibepult.
Ich erbebte unwillkürlich. Ich hatte keine Ruhe bis der Morgen heiter anbrach. Leonardus, die Brüder bemerkten meine Veränderung. Statt dass ich sonst, in mich verschlossen, kein Wort sprach, war ich heiter und lebendig. Ich bestand darauf, am nächsten heiligen Tag wieder zu predigen, und es wurde mir vergönnt. Kurz vorher genoß ich von dem wunderbaren Wein. Nie habe ich darauf feuriger, salbungsreicher, eindringender gesprochen.
Meine Mutter schien einen heimlichen Gram in sich zu tragen. Sie gab mir ein kleines Billett von der Fürstin, das ich erst im Kloster öffnen sollte. Kaum war ich in meiner Zelle, als ich zu meinem Erstaunen folgendes las:
»Du hast mich, mein lieber Sohn (denn noch will ich Dich so nennen), durch die Rede, die Du in der Kirche unseres Klosters hieltest, in die tiefste Betrübnis gesetzt.«
Das Morgenlicht brach in farbechten Strahlen durch die bunten Fenster der Klosterkirche. Einsam und in tiefe Gedanken versunken, saß ich im Beichtstuhl. Da rauschte es in meiner Nähe, und ich erblickte ein großes, schlankes Frauenzimmer, auf fremdartige Weise gekleidet, einen Schleier über das Gesicht gehängt. Ich fühlte ihren glühenden Atem, noch ehe sie sprach! Jedes ihrer Worte griff in meine Brust. Diese Liebe war um so sündlicher, als den Geliebten heilige Bande auf ewig fesselten.
Ein Altar in unserer Kirche war der heiligen Rosalia geweiht und ihr herrliches Bild in dem Moment gemalt, als sie den Märtyrertod erleidet.
Ich beschloß, in die Stadt umzuziehen, bis ich sie gefunden habe. Ich dachte nicht daran, wie schwer, ja wie unmöglich dies vielleicht sein werde, ja, wie ich vielleicht nicht einen einzigen Tag außerhalb der Mauern leben kann. Der letzte Tag, den ich noch im Kloster zubringen wollte, war endlich herangekommen.
Schon war es Abend, als der Prior mich ganz unerwartet zu sich rief. Ich erbebte, denn nichts glaubte ich, als dass er von meinem heimlichen Anschlage etwas bemerkt hat. Leonardus empfing mich mit ungewöhnlichem Ernst, ja mit einer imponierenden Würde.
»Bruder Medardus«, fing er an, »dein unsinniges Betragen zerreißt unser ruhiges Beisammensein. Ja es wirkt zerstörend auf die Heiterkeit und Gemütlichkeit. – Vielleicht ist aber auch irgendein feindliches Ereignis, das dich betroffen, daran schuld. Du kannst mich jetzt dein Geheimnis um einen Teil meiner Ruhe bringen, die ich im heitern Alter über alles schätze. Du hast oftmals, vorzüglich bei dem Altar der heiligen Rosalia, durch entsetzliche Reden, nicht nur den Brüdern, sondern auch Fremden, die sich zufällig in der Kirche befanden. Ich kann dich daher nach der Klosterzucht hart strafen, doch will ich dies nicht tun, da vielleicht irgendeine böse Macht – der Widersacher selbst, dem du nicht genugsam widerstanden, an deiner Verirrung schuld ist. – Ich schaue tief in deine Seele! – Du willst ins Freie!«
Wie ein Strahl des Himmels erleuchteten mich die Worte des ehrwürdigen Leonardus. Ich habe ihn gehasst, aber jetzt durchdrang mich wie ein Schmerz die Liebe. Nicht wenig verwundert war ich, als ich aus den Instruktionen des Priors wahrnahm, dass es mit meiner Sendung nach Rom nun wohl seine Richtigkeit hat. Die Brüder versammelten sich, und der Abschied von ihnen, vorzüglich von dem Vater Leonardus, erfüllte mich mit der tiefsten Wehmut. – Endlich schloß sich die Klosterpforte hinter mir, und ich war im Freien.

Zweiter Abschnitt
Der Eintritt in die Welt
In blauen Duft gehüllt lag das Kloster unter mir im Tal. Schon mehrere Tage war ich durch das Gebirge gewandelt. Ganz entkräftet setzte ich mich auf ein Felsstück und konnte nicht widerstehen, einen Zug aus der Korbflasche zu tun. Ich wollte aber das seltsame Getränk soviel nur möglich aufsparen. Neue Kraft durchglühte meine Adern, und erfrischt und gestärkt schritt ich weiter, um mein Ziel zu erreichen. Immer dichter und dichter wurde der Tannenwald. Dicht, dicht an dem Sturz saß auf einem über die Tiefe hervorragenden Felsenstück ein junger Mann in Uniform, der Hut mit dem hohen Federbusch. Ich wagte mich heran, so wollte ich ihn mit der Hand ergreifen und zurückhalten. Ich schrie laut:
»Um Jesus willen! Herr! – erwacht! – Um Jesus willen!«
Sowie ich ihn berührte, fuhr er aus tiefem Schlafe, aber in demselben Augenblick stürzte er hinab in den Abgrund. Sein schneidendes Jammergeschrei verhallte in der unermeßlichen Tiefe, aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauftönte, das endlich auch erstarb[8 - Sein schneidendes Jammergeschrei verhallte in der unermeßlichen Tiefe, aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauftönte, das endlich auch erstarb. – Его пронзительный вопль эхом отдавался в безмерной глубине, из которой доносился только глухой рокот, который, наконец, тоже затих.]. Leblos vor Schreck und Entsetzen stand ich da, endlich ergriff ich den Hut, den Degen, das Portefeuille und wollte mich schnell von dem Unglücksort entfernen. Da trat mir ein junger Mensch aus dem Tannenwald entgegen.
»Nun, gnädiger Herr Graf«, sprach endlich der junge Mensch, »die Maskerade ist in der Tat vollständig und herrlich, und wäre die gnädige Frau nicht schon vorher davon unterrichtet, wahrhaftig, sie würde den Herzensgeliebten nicht wiederkennen. Wo haben Sie aber die Uniform hingetan, gnädiger Herr?«
»Die schleuderte ich hinab in den Abgrund«, antwortete es aus mir hohl und dumpf.
Da fuhr der junge Mensch fort:
»Nun, gnädiger Herr, reite ich den Fahrweg herab nach dem Städtchen. Sie werden wohl gleich herab nach dem Schloss wandeln, man wird Sie wohl schon erwarten, Hut und Degen nehme ich mit mir.«
Ich reichte ihm beides hin.
»Nun leben Sie wohl, Herr Graf! recht viel Glück im Schloss.«
Ich eröffnete das Portefeuille, welches ich behalten; Briefe, beträchtliche Wechsel fielen mir in die Hand. – Das war der Ort des Abenteuers und ich ging ihm mutig entgegen. In einer dunklen Seitenallee des Gartens sah ich zwei Männer, von denen der eine wie ein Weltgeistlicher gekleidet war. Sie kamen mir näher. Der Weltgeistliche war ein Jüngling, der andere schlicht gekleidet, schien ein schon bejahrter Mann. Sie setzten sich auf eine steinerne Bank, ich konnte jedes Wort verstehen, was sie sprachen.
»Hermogen!« sagte der Alte, »Sie bringen durch Ihr starrsinniges Schweigen Ihre Familie zur Verzweiflung, Ihre düstre Schwermut steigt mit jedem Tag, Ihr Entschluss, den geistlichen Stand zu wählen, zerstört alle Hoffnungen, alle Wünsche Ihres Vaters! – Sie waren sonst ein froher, unbefangener, lebenslustiger Jüngling! – Was konnte Sie denn dem Menschlichen so entfremden, dass Sie daran verzweifeln, in eines Menschen Brust kannTrost für Ihre kranke Seele finden? Sie schweigen? Sie starren vor sich hin? – Sie seufzen?«
Der Alte stand auf und wollte fortgehen, der Jüngling fiel ihm in die Arme.
»Ach, Sie quälen mich, guter Reinhold!« rief er mit matter Stimme, »Sie quälen mich unaussprechlich! – Ach, je mehr Sie sich bemühen, die Saiten in meinem Innern anzuschlagen, desto mehr fühle ich, wie das Schicksal mich ergrifft. Sie sind in einer Stimmung, die nur dem gänzlich zerrütteten Gemüte eigen. Sie sollen nicht fort, Sie dürfen durchaus nicht fort. In diesen Tagen kommt die Baronesse mit Aurelien, die müssen Sie sehen.«
Da lachte der Jüngling wie in furchtbarem Hohn und rief mit einer Stimme, die durch mein Innres dröhnte:
»Muss ich? – muss ich bleiben? – Ja, wahrhaftig, Alter, du hast recht, ich muss bleiben, und meine Buße wird hier schrecklicher sein als in den dumpfen Mauern.«
Damit sprang er fort durch das Gebüsch und ließ den Alten stehen.
Er fuhr auf, er sah mich ganz verwundert an, doch sprach er:
»Ach gewiss sind Sie es, ehrwürdiger Herr! dessen Ankunft uns die Frau Baronesse zum Trost der in Trauer versunkenen Familie schon vor einiger Zeit ankündigte?«
Ich bejahte das, Reinhold ging bald ganz in die Heiterkeit über, wir durchwanderten den schönen Park und kamen endlich in ein Boskett.
»Mein Gott, ehrwürdiger Herr! Alles müsste mich trügen, wenn Sie nicht der Pater Medardus aus dem Kapuzinerkloster in …r – wären, aber wie sollte das möglich sein? – und doch! Sie sind es – Sie sind es gewiss – sprechen Sie doch nur!«
Als hätte ein Blitz aus heitrer Luft mich getroffen, bebte es bei Reinholds Worten mir durch alle Glieder. Ich sah mich entlarvt. Die Verzweiflung Medardus aus dem Kapuzinerkloster in …r – und mit Auftrag und Vollmacht des Klosters auf einer Reise nach Rom begriffen.
»So ist es denn vielleicht nur Zufall«, sagte Reinhold, »dass Sie auf der Reise, vielleicht von der Heerstraße verirrt. Wie kam es, dass die Frau Baronesse mit Ihnen bekannt wurde und Sie herschickte?«
Ich sagte:
»Auf der Reise machte ich die Bekanntschaft des Beichtvaters der Baronesse, und dieser empfahl mich, den Auftrag hier im Haus zu vollbringen.«
»Es ist wahr«, fiel Reinhold ein, »so schrieb es ja die Frau Baronesse. Ich war zufällig vor einigen Jahren in …r. Es ist mir lieb, dass ich Sie traf. Ich will dies dazu benutzen, Sie mit den Verhältnissen der Familie bekannt zu machen.«
Hermogen und Aurelie waren die Frucht der glücklichen Ehe. Mehrenteils brachten wir den Winter in der benachbarten Hauptstadt zu, als aber bald nach Aureliens Geburt die Baronesse zu kränkeln anfing, blieben wir auch den Sommer über in der Stadt.
Sie starb, als eben im Frühling ihre scheinbare Besserung den Baron mit den frohsten Hoffnungen erfüllte. Hermogen wuchs zum herrlichen Jüngling heran, Aurelie wurde immer mehr das Ebenbild ihrer Mutter. Die sorgfältige Erziehung der Kinder war unser Tagewerk und unsere Freude. Hermogen zeigte entschiedenen Hang zum Militär. Dies zwang den Baron, ihn nach der Hauptstadt zu schicken, um dort unter den Augen seines alten Freundes, des Gouverneurs, die Laufbahn zu beginnen.
Auf den Baron hat diese Circe einen wunderbaren Eindruck gemacht.
Gewöhnlich machte ich in jeder Gesellschaft mehr den stillen aufmerksamen Beobachter. So hatte ich auch Euphemien nach ihrer Gewohnheit ein paar freundliche Worte mit mir gewechselt. Ich musste gestehen, dass sie das schönste, herrlichste Weib von allen war. In ihren Augen brannte oft eine ganz eigne Glut. Nächstdem schwebte oft um ihren sonst weich geformten Mund eine gehässige Ironie. Dass sie oft den Hermogen, der sich wenig oder gar nicht um sie bemühte, in dieser Art anblickte, machte es mir gewiss, dass manches hinter der schönen Maske verborgen, was wohl niemand ahne. Ich konnte dem Lob des Barons freilich nichts entgegensetzen als meine physiognomischen Bemerkungen, die er nicht im mindesten gelten ließ. Er vertraute mir, dass Euphemie wahrscheinlich in die Familie treten werde.
Hermogen hörte alles ruhig an, was der Baron darüber und zum Lobe Euphemiens mit dem größten Enthusiasmus sprach. Als die Lobrede endete, antwortete er, wie er sie niemals lieben kann und daher recht herzlich bitte, den Plan jeder näheren Verbindung mit ihr aufzugeben. Euphemie meinte, dass es auch wohl noch darauf angekommen ist, und dass ihr zwar jedes nähere Verhältnis mit dem Baron wünschenswert seid, aber nicht durch Hermogen, der ihr viel zu ernst und launisch war. Kräftiger, lebensvoller Natur, wie er war, fühlte er sich bald von der glühenden Leidenschaft des Jünglings ergriffen.
Vor der Verbindung mit dem Baron war der Graf Viktorin, ein junger, schöner Mann, Major bei der Ehrengarde und nur abwechselnd in der Hauptstadt, einer der eifrigsten Verehrer Euphemiens. Man sprach einmal sogar davon, dass wohl ein näheres Verhältnis zwischen ihm und Euphemien stattfinden kann. Graf Viktorin war eben den Winter wieder in der Hauptstadt und natürlicherweise in Euphemiens Zirkeln. Da streifte Euphemie in voller Schönheit an ihm vorüber; er fasste, so dass es niemand als gerade ich bemerken konnte, mit leidenschaftlicher Heftigkeit ihren Arm. – Sie erbebte sichtlich; ihr ganz unbeschreiblicher Blick. Es war die glutvollste Liebe, die nach Genuss dürstende Wollust selbst fiel auf ihn. Sie lispelten einige Worte, die ich nicht verstand. Euphemie konnte mich erblicken; sie wandte sich schnell um, aber ich vernahm deutlich die Worte:
»Wir werden bemerkt!«
Der Schnee lag noch auf den Bergen, als wir im vergangenen Frühling hier einzogen. Im nächsten Dorf begegne ich einem Bauer, der in Gang und Stellung etwas Fremdartiges hat. Als er den Kopf umwendet, erkenne ich den Grafen Viktorin, aber in demselben Augenblick verschwindet er hinter den Häusern und ist nicht mehr zu finden. – Vor drei Monaten begab es sich, dass der Gouverneur heftig erkrankte und Euphemien zu sehen wünschte. Sie reiste mit Aurelien dahin, und nur eine Unpässlichkeit hielt den Baron ab, sie zu begleiten. Nun brach aber das Unglück und die Trauer ein in unser Haus, denn bald schrieb Euphemie dem Baron, wie Hermogen plötzlich von einer oft in wahnsinnige Wut ausbrechenden Melancholie befallen.
Vor einiger Zeit schrieb die Baronesse, wie sie auf Anraten ihres Beichtvaters einen Ordensgeistlichen senden werde.
»Es freut mich recht innig, dass die Wahl Sie, ehrwürdiger Herr! den ein glücklicher Zufall in die Hauptstadt führte, traf. Sie können einer gebeugten Familie die verlorene Ruhe wiedergeben. Erforschen Sie Hermogens entsetzliches Geheimnis, seine Brust wird erleichtert sein. – Aber treten Sie auch der Baronesse näher. – Sie wissen alles. Ganz meiner Meinung werden Sie sein, wenn Sie Euphemien sehen und kennenlernen. Euphemie ist religiös schon aus Temperament, vielleicht gelingt es Ihrer besonderen Rednergabe, tief in ihr Herz zu dringen, sie zu erschüttern und zu bessern. Auch meinen Herzensfreund, den Baron, empfehle ich, ehrwürdiger Herr! Ihrer geistlichen Sorge.«
Reinhold kennt den Pater Medardus, den Prediger im Kapuzinerkloster in …r, und so bin ich ihm das wirklich, was ich bin! – Aber das Verhältnis mit der Baronesse, welches Viktorin unterhält, kommt auf mein Haupt, denn ich bin selbst Viktorin. Reinhold erzählte, wie er mich schon vor mehreren Jahren im Kapuzinerkloster zur predigen gehört. Der Baron reichte mir die Hand und sprach:
»Ich weiß nicht, lieber Reinhold! wie so sonderbar mich die Gesichtszüge des ehrwürdigen Herrn bei dem ersten Anblick ansprachen.«
»Es ist ja Graf Viktorin«, denn auf wunderbare Weise glaubte ich nun wirklich Viktorin zu sein. Ich fühlte mein Blut heftiger wallen und aufsteigend meine Wangen röter färben.
Nach dem Willen des Barons sollte ich sogleich Hermogens Bekanntschaft machen, er war aber nirgends zu finden. Den ganzen Tag über blieb ich in Reinholds und des Barons Gesellschaft, und nach und nach fasste ich mich so im Innern, dass ich mich am Abend voll Mut und Kraft fühlte. In der einsamen Nacht öffnete ich das Portefeuille und überzeugte mich ganz davon, dass es eben Graf Viktorin war, der zerschmettert im Abgrunde lag. Ohne mich darum weiter zu kümmern, beschloss ich, dem mich ganz zu fügen, wenn die Baronesse angekommen und mich gesehen.
Schon den ändern Morgen traf die Baronesse mit Aurelien ganz unerwartet ein – Die Baronesse trat mir entgegen – ein schönes, herrliches Weib, noch in voller Blüte. – Reinhold sah mich an, ganz froh und zufrieden lächelnd. In dem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Baron trat mit Aurelien herein.
Sowie ich Aurelien erblickte, fuhr ein Strahl in meine Brust und entzündete all die geheimsten Regungen, die wonnevollste Sehnsucht. Der schwermütige, kindlich fromme Blick des dunkelblauen Auges, die weichgeformten Lippen, der wie in betender Andacht sanft vorgebeugte Nacken, die hohe, schlanke Gestalt, nicht Aurelie, die heilige Rosalie selbst war es.
»Wünschen Sie sich Glück, Herr Baron!« rief ich, »wünschen Sie sich Glück! – Eine Heilige wandelt unter uns in diesen Mauern. Ich sehe ihr Haupt strahlend in der Glorie himmlischer Verklärung! – Sancta Rosalia, ora pro nobis!«
Ja! Nur Aurelie lebte in mir, mein ganzer Sinn war von ihr erfüllt. Es war mir, als mich ihr frommer Blick heilloser Sünde zeiht. Ebenso konnte ich mich nicht entschließen, die Baronesse gleich nach jenen Momenten wiederzusehen, und alles dieses bestimmte mich in meinem Zimmer zu bleiben.
Mittlerweile war sich Viktorins Jäger, als Bauer verkleidet, am Ende des Parks. Ich versäumte nicht, mit ihm zu sprechen. Der Baron und Reinhold schienen höchlich mit mir zufrieden.
Ich sah Euphemien aus dem Schloss kommen mit Hut und Shawl. Bei ihr nur war Trost und Hilfe zu finden, ich warf mich ihr entgegen, sie erschrak über mein zerstörtes Wesen, sie fragte nach der Ursache, und ich erzählte ihr getreulich den ganzen Auftritt, den ich eben mit dem wahnsinnigen Hermogen gehabt habe, indem ich noch meine Angst, meine Besorgnis, dass Hermogen vielleicht durch einen unerklärlichen Zufall unser Geheimnis verraten, hinzusetzte.
Euphemie schien über alles nicht einmal betroffen, sie lächelte und sagte:
»Gehen wir tiefer in den Park. Es kann auffallen, dass der ehrwürdige Pater Medardus so heftig mit mir spricht.«
Wir waren in ein ganz entlegenes Boskett, da umschlang mich Euphemie mit leidenschaftlicher Heftigkeit. Ihre heißen, glühenden Küsse brannten auf meinen Lippen.
»Ruhig, Viktorin«, sprach Euphemie.
Es ist mir sogar lieb, dass es so mit Hermogen gekommen ist. Denn nun darf und muss ich mit dir über manches sprechen, wovon ich so lange schwieg. Freilich gehört nichts Geringeres dazu, als dass außer jenem unnennbaren, unwiderstehlichen Reiz der äußern Gestalt, den die Natur dem Weib zu spenden vermag, dasjenige höhere Prinzip in ihr wohne, welches eben jenen Reiz mit dem geistigen Vermögen in eins verschmilzt und nun nach Willkür beherrscht[9 - Freilich gehört nichts Geringeres dazu, als dass außer jenem unnennbaren, unwiderstehlichen Reiz der äußern Gestalt, den die Natur dem Weib zu spenden vermag, dasjenige höhere Prinzip in ihr wohne, welches eben jenen Reiz mit dem geistigen Vermögen in eins verschmilzt und nun nach Willkür beherrscht. – Разумеется, это не что иное, как то, что, помимо той не поддающейся описанию, непреодолимой привлекательности внешнего облика, которую природа способна подарить женщине, в ней живет то высшее начало, которое объединяет эту привлекательность с духовными способностями в одно целое и теперь по своему произволу управляет ею.].
Gibt es etwas Höheres, als das Leben im Leben zu beherrschen? – Du, Viktorin, gehörst von jeher zu den wenigen, die mich ganz verstehen. Das Geheimnis erhöhte den Reiz dieses Bundes. Unsere scheinbare Trennung diente nur dazu, unserer phantastischen Laune Raum zu geben. Ist nicht unser jetziges Beisammensein das kühnste Wagestück, das, im höheren Geist gedacht, der Ohnmacht konventioneller Beschränktheit spottet?
Wie herzlich ich nun bei dieser tief aus meinem Wesen entspringenden Ansicht der Dinge alle konventionelle Beschränktheit verachte, indem ich mit ihr spiele, weißt du. – Der Baron ist mir eine bis zum höchsten Überdruss ekelhaft gewordene Maschine, die, zu meinem Zweck verbraucht, tot daliegt. – Reinhold ist zu beschränkt, um von mir beachtet zu werden. Aurelie ein gutes Kind, wir haben es nur mit Hermogen zu tun. – Ich gestand dir schon, dass Hermogen, als ich ihn zum ersten Mal sah, einen wunderbaren Eindruck auf mich machte. – Ich hielt ihn für fähig. – Es war etwas mir Feindliches in ihm. Er blieb kalt, düster verschlossen und reizte meine Lust, den Kampf zu beginnen, in dem er unterliegen sollte. – Diesen Kampf habe ich beschlossen, als der Baron mir sagte, wie er Hermogen eine Verbindung mit mir vorgeschlagen, dieser sie aber unter jeder Bedingung abgelehnt hat. Doch ich habe ja selbst mit dir, Viktorin, oft genug über jene Vermählung gesprochen. Ich widerlegte deine Zweifel mit der Tat. Es gelang mir, den Alten in wenigen Tagen zum albernen zärtlichen Liebhaber zu machen. Aber tief im Hintergrund lag noch in mir der Gedanke der Rache an Hermogen. – Kennte ich weniger dein Inneres, wusste ich nicht, dass du dich zu der Höhe meiner Ansichten erheben kannst.
Ich erschien in der Hauptstadt, düster, in mich gekehrt und bildete so den Kontrast mit Hermogen.
Hermogen kam zu mir, vielleicht nur um die Pflicht der Mutter zu erfüllen. Er fand mich in düstres Nachdenken versunken. Als er, befremdet von meiner auffallenden Änderung, dringend nach der Ursache fragte, gestand ich ihm unter Tränen, wie des Barons mißliche Gesundheitsumstände, mich befürchteten.
Er war erschüttert. Als ich nun mit dem Ausdruck des tiefsten Gefühls das Glück meiner Ehe mit dem Baron schilderte, so dass sein Erstaunen zu steigen. – Er kämpfte sichtlich mit sich selbst, aber die Macht, die jetzt wie mein Ich selbst in sein Inneres gedrungen, siegte über das feindliche Prinzip. Mein Triumph war mir gewiss.
Er fand mich einsam, noch düstrer, noch aufgeregter als gestern. Ich sprach vondem Baron und von meiner unaussprechlichen Sehnsucht, ihn wiederzusehen.
Hermogen war bald nicht mehr derselbe, er hing an meinen Blicken. Wenn meine Hand in der seinigen ruhte, zuckte diese oft krampfhaft, tiefe Seufzer entflohen seiner Brust. Es gelang! – Die Folgen waren entsetzlicher, als ich sie mir gedacht habe. Die Gewalt, mit der ich das feindliche Prinzip bekämpfte, hat seinen Geist gebrochen. Er verfiel in Wahnsinn, wie du weißt, ohne dass du jedoch bis jetzt die eigentliche Ursache kennen solltest. Es mag daher wohl sein, dass, zumal in der eignen Beziehung, in der du, Hermogen und ich stehen, er auf geheimnisvolle Weise dich durchschaut. Bedenke, selbst wenn er mit seiner Feindschaft gegen dich offen ins Feld rückt, wenn er es ausspricht:
»Raut nicht dem verkappten Priester.«
Wer hält das für was anderes, für eine Idee? – Indessen bleibt es gewiss, dass du nicht mehr, wie ich gewollt und gedacht habe, auf Hermogen wirken kannst. Meine Rache ist erfüllt und Hermogen mir nun wie ein weggeworfenes Spielzeug unbrauchbar. Er muss fort, und ich kann dich dazu benutzen, ihn in der Idee, ins Kloster zu gehen, zu bestärken und den Baron sowie den Freund Reinhold zu gleicher Zeit durch die dringendsten Vorstellungen geschmeidiger zu machen. – Hermogen ist mir in der Tat höchst zuwider, sein Anblick erschüttert mich oft. Er muss fort! – Die einzige Person, der er ganz anders erscheint, ist Aurelie, das fromme, kindische Kind.
Nun weißt du alles, Viktorin, handle und bleibe mein. Herrsche mit mir über die läppische Puppenwelt, wie sie sich um uns dreht.
Das Verhältnis mit ihr lebte um so widriger, als Aurelie in meinem Innern. Ich beschloß, von der Macht den vollsten Gebrauch zu machen und so selbst den Zauberstab zu ergreifen. Der Baron und Reinhold wetteiferten miteinander, mir das Leben im Schloss recht angenehm zu machen. Nicht die leiseste Ahnung von meinem Verhältnis mit Euphemien stieg in ihnen auf. Vielmehr äußerte der Baron oft, dass erst durch mich ihm Euphemie ganz wiedergegeben ist. Hermogen sah ich selten, er vermied mich mit sichtlicher Angst und Beklemmung. Auch Aurelie schien sich absichtlich meinem Blick zu entziehen. Sie wich mir aus Aureliens Anblick, ihre Nähe, ja die Berührung ihres Kleides setzte mich in Flammen. Ich bereitete mich auf die sogenannten Lehrstunden bei Aurelien sorgsam vor. Ich wusste den Ausdruck meiner Rede zu steigern. Statt in Aurelien das verderbliche Feuer zu entzünden, wurde nur qualvoller und verzehrender die Glut, die in meinem Innern brannte. Oft kam es mir in den Sinn, durch einen wohlberechneten Gewaltstreich, Aurelie zu töten, meine Qual zu enden. Aber sowie ich Aurelien erblickte, war es mir, als steht ein Engel neben ihr.
Endlich fiel ich darauf, mit ihr zu beten. – Da nahm ich wie im Eifer des Gebets ihre Hände und drückte sie an meine Brust. Ich war ihr so nahe, dass ich die Wärme ihres Körpers fühlte, ihre losgelösten Locken hingen über meine Schulter. Ich war außer mir. Sie entfloh rasch in das Nebenzimmer.
Die Türe öffnete sich, und Hermogen zeigte sich in derselben. Er blieb stehen. Da raffte ich alle meine Kraft zusammen, ich trat auf ihn zu und rief mit trotziger, gebietender Stimme:
»Was willst du hier? Hebe dich weg, Wahnsinniger!«
Euphemie hat einige Minuten geschwiegen.
»Solltest du nicht, Viktorin!« sprach sie endlich, »erraten, welche herrliche Gedanken mich durchströmen? – Ich hasse sie nicht, diese Aurelie, aber ihre Anspruchslosigkeit, ihr stilles Frommtun ärgert mich. Nie konnte ich ihr Zutrauen gewinnen. Sie blieb scheu und verschlossen. Diese stolze Art erregt in mir die widrigsten Gefühle. – Auf Hermogens Haupt soll die Schuld fallen und ihn vernichten!«
Euphemie sprach noch mehr über ihren Plan und wurde mir mit jedem Worte verhasster.
Euphemiens Blick, die ich immer richtig zu deuten wusste, sagten mir, dass irgend etwas vorgegangen ist, wovon sie sich besonders aufgeregt fühlte. Doch war es den ganzen Tag unmöglich, uns unbemerkt zu sprechen.
In tiefer Nacht öffnete sich eine Tapetentür in meinem Zimmer, und Euphemie trat herein.
»Viktorin«, sprach sie, »es droht uns Verrat, Hermogen, der wahnsinnige Hermogen ist es. In allerlei Andeutungen hat er dem Baron einen Verdacht eingeflößt, der, mich doch auf quälende Weise verfolgt. – Wer du bist, dass unter diesem heiligen Kleid Graf Viktorin verborgen hast. – Es kann so nicht bleiben. Ich bin müde, diesen Zwang zu tragen. Du, Viktorin, wirst dich um so williger meinem Begehren fügen, als du auf einmal selbst der Gefahr entgehst!«
»Nein, nimmermehr«, schrie ich heftig, »fort mit dir und dem Frevel, den du mir zumutest!«
Da sprang Euphemie auf:
»Elender Schwächling«, rief sie, »du wagst es in dumpfer Feigheit, dem zu widerstreben, was ich beschloss? Aber du bist in meiner Hand!«
Ich fasste sie und drückte sie durch die Tapetentür den Gang hinab. – Der Gedanke stieg in mir auf, sie zu töten. – Euphemiens Untergang war beschlossen. Ich erstaunte über Euphemiens innere Kraft.
Der Baron schien sehr teilnehmend, Reinholds Blicke waren zweifelhaft und misstrauisch. Aurelie blieb auf ihrem Zimmer. Je weniger es mir gelang, sie zu sehen, desto rasander tobte die Wut in meinem Inneren. Euphemie lud mich ein, wenn alles im Schloss ruhig war. – Mit Entzücken vernahm ich das, denn der Augenblick der Erfüllung ihres bösen Verhängnisses war gekommen. – Ein kleines, spitzes Messer, das ich schon von Jugend auf bei mir trug, verbarg ich in meiner Kutte. Zum Mord entschlossen, ging ich zu ihr.
»Ich glaube«, fing sie an, »wir haben beide gestern schwere ängstliche Träume gehabt.«
Sie gab sich darauf wie gewöhnlich meinen frevelnden Liebkosungen hin, ich war erfüllt von entsetzlichem, teuflischen Hohn. – Euphemie hat italienischen Wein und eingemachte Früchte auf den Tisch stellen lassen. – Ich hatte zwei, drei Gläser von dem Wein aus de Euphemies Glas getrunken. – Nach ihrer Absicht sollte ich auf meinem Zimmer enden! Ich schlich durch die langen, schwach erhellten Korridore. Ich kam bei Aureliens Zimmer vorüber, wie festgebannt blieb ich stehen. – Ich sah sie.
Die Tür wich durch den Druck meiner Hand. Aus dem Kabinett quollen die tiefen angstvollen Seufzer. Ich hörte sie im Schlaf beten! Schon habe ich einen Schritt ins Kabinett getan, da schrie es hinter mir:
»Verruchter, Mordbruder! nun gehörst du mein!«
Ich fühlte mich mit Riesenkraft von hinten festgepacktAls er von neuem über mich herfiel, da zog ich mein Messer. Zwei Stiche, und er sank röchelnd zu Boden. Bis heraus aus dem Zimmer haben wir uns gedrängt im Kampf der Verzweiflung.
Sowie Hermogen gefallen, rannte ich in wilder Wut die Treppe herab, da riefen gellende Stimmen durch das ganze Schloß:
»Mord! Mord!«
»Sie ist tot, gemordet durch das Gift, das sie mir bereitet.«
Aber nun strömte es wieder hell aus Euphemiens Zimmern. Aurelie schrie angstvoll um Hilfe.
»Mord, Mord.«
Vor mir! – vor mir stand Viktorins blutige Gestalt, nicht ich, er hat die Worte gesprochen. – Das Entsetzen sträubte mein Haar, ich stürzte in wahnsinniger Angst heraus, durch den Park! – Bald war ich im Freien. Bald standen die Pferde bei mir. Es war Viktorins Jäger.
»Um Jesus willen, gnädiger Herr«, fing er an, »was ist im Schloss vorgefallen, man schreit Mord! Schon ist das Dorf im Aufruhr.«

Dritter Abschnitt
Die Abenteuer der Reise
Als die ersten Strahlen der Sonne durch den finstern Tannenwald brachen, befand ich mich an einem frisch und hell über glatte Kieselsteine Bach. Ich warf die Kutte ab, in welcher ich noch das kleine verhängnisvolle Messer, Viktorins Portefeuille sowie die Korbflasche mit dem Rest des Teufels-elixiers vorfand. Bald stand ich da, in weltlicher Kleidung mit der Reisemütze auf dem Kopf. – Doch war es mir, als ich sie vielleicht in fernen Landen wiedersehen muss.
Ich bemerkte, dass die Leute, welche mir begegneten, stillstanden und mir verwundert nachsahen. Der Wirt im Dorf fand vor Erstaunen über meinen Anblick kaum Worte. Das hat mich nicht wenig geängstigt. Er fasste mich scharf ins Auge. Ich erwiderte den Blick. Ich stand auf und stellte mich dicht vor ihn.
»Nun, was ist es«, rief ich, »Ihr scheint mir etwas sagen zu wollen.«
Da sprach der Mann:
»Herr! Ihr kommt nicht eher von hinnen, bis Ihr Uns, dem Richter hier am Ort gesagt, wer Ihr sei. Nach allen Qualitäten, der Lage des Ortes, des Namens, Provinz und Stadt, und über das alles müsst Ihr Uns, dem Richter, einen Pass vorzeigen und unterschreiben.«
Die Frage des Dorfrichters kam mir daher so unerwartet. Ich entschloß mich, zu versuchen, und sagte:
»Wer ich bin, habe ich Ursache zu verschweigen, und deshalb trachtet Ihr vergeblich, meinen Pass zu sehen.«
Ich sah, dass mit dem Mann so nichts auszurichten war. Ich versuchte nochmal.
»Gestrenger Herr Richter«, sprach ich, »wenn Ihr mir die Gnade erzeigen wollt, dass ich mit Euch allein sprechen darf, so möchte ich alle Eure Zweifel leicht aufklären.«
»Ha, ha! Geheimnisse offenbaren«, sprach der Richter, »ich merke schon, was das sein wird. Nun, ihr Leute, bewacht die Türe und die Fenster und lasst niemanden hinein und heraus!«
Als wir allein waren, fing ich an:
»Ihr seht in mir, Herr Richter, einen unglücklichen Flüchtling. Erlasst mir die näheren Umstände meiner Geschichte. Die Liebe zu einem Mädchen niederen Standes war die Ursache meiner Leiden. In dem langen Gefängnis ist mir der Bart gewachsen. Man hat mir schon die Tonsur geben lassen. Wie Ihr’s bemerken könnt, so wie ich auch in dem Gefängnis, in eine Mönchskutte gekleidet gehen musste. Erst nach meiner Flucht, hier im Wald, durfte ich mich umkleiden. Einen Pass kann ich Euch, wie Ihr seht, nun nicht vorzeigen, aber für die Wahrheit meiner Behauptungen habe ich gewisse Gründe.«
Mit diesen Worten zog ich den Geldbeutel hervor, legte drei blanke Dukaten auf den Tisch. Und der gravitätische Ernst des Herrn Richters verzog sich zum schmunzelnden Lächeln[10 - Und der gravitätische Ernst des Herrn Richters verzog sich zum schmunzelnden Lächeln. – И суровая серьезность господина судьи сменилась вымученной улыбкой.].
»Eure Gründe, mein Herr«, sagte er, »sind gewiss genug. Nun, glückliche Reise, gnädiger Herr!«
Immer lebendiger und lebendiger wurde die Heerstraße. Ein großes Haus mit hellen Spiegelfenstern fiel mir in die Augen. Aus den unteren Zimmern schallte mir Gelächter und Gläserklang entgegen. Kaum hielt ich an der Tür, als der Hausknecht herbeisprang, mein Pferd bei dem Zügel ergriff und es hineinführte. Der Kellner kam mit dem Schlüsselbund und schritt mir voran die Treppe herauf. Als wir uns im zweiten Stock befanden, sah er mich noch einmal flüchtig an. Er führte mich dann noch eine Treppe höher und mich dann höflich sagte, dass um zwei Uhr im Saal No. 10 gespeist wird, erster Stock usw.
»Bringen Sie mir eine Flasche Wein!«
Das war in der Tat das erste Wort.
Kaum war ich allein, als es klopfte. Es war ein Gesicht, das einer komischen Maske glich, wie ich sie wohl ehemals gesehen. Eine spitze rote Nase, ein paar kleine funkelnde Augen, ein langes Kinn und dazu ein gepudertes Toupet, ein großes Jabot, ein brennendrotes Gilet, unter dem zwei starke Uhrketten, Pantalons, ein Frack, der kurz mit Konsequenz überall nicht passte! – So schritt die Figur und sagte:
»Ich bin der Friseur des Hauses und biete meine Dienste, meine unmaßgeblichen Dienste gehorsamst an.«
Die kleine Figur hatte so etwas Possierliches, dass ich das Lachen kaum unterdrücken konnte. Doch war mir der Mann willkommen. Ich stand nicht an, ihn zu fragen, ob er meine Haare in Ordnung bringt! Er sah meinen Kopf mit kunstrichterlichen Augen an und sprach, indem er die rechte Hand, graziös gekrümmt, legte:
»In Ordnung bringen? – O Gott! Pietro Belcampo, du, den die schnöden Neider schlechtweg Peter Schönfeld nennen, wie den göttlichen Regimentspfeifer und Hornisten Giacomo Punto Jakob Stich, du wirst verkannt. Wenn Sie es wünschen, so will ich, Ihre Züge, Ihre Gestalt, Ihre Sinnesart beobachten, etwas Caracalla, Abälard und Boccaz zusammengießen und so in der Glut, Form und Gestalt bilden, den wunderbaren antik-romantischen Bau ätherischer Locken und Löckchen beginnen.«
Endlich war er fertig. Da lächelte er ganz seltsam und sprach:
»Goldene Zeit, als noch Bart und Haupthaar in einer Lockenfülle sich zum Schmuck des Mannes ergoß und die süße Sorge eines Künstlers war. – Es gibt Pietros, die euerem schnöden Gewerbe entgegenarbeiten.«
Der Kleine ergoß sich noch in allerlei sonderbaren, grotesken Redensarten.
Alles war mir neu und ganz dazu geeignet, die heitre Stimmung zu erhalten. In meiner neuen Kleidung ging ich in die zahlreiche Wirtstafel. Jede Scheu verschwand, als ich wahrnahm, dass mich niemand bemerkte. Es war mir ein eignes Vergnügen, die Straßen zu durchstreichen. Abends besuchte ich die öffentlichen Spaziergänge, wo mich oft meine Abgeschiedenheit mitten im lebhaftesten Gewühl der Menschen mit bittern Empfindungen erfüllte. – Von niemanden war ich gekannt, in niemandes Brust konnte ich die leiseste Ahnung vermuten. Dachte ich daran, wie ehemals den berühmten Kanzelredner alles freundlich und ehrfurchtsvoll grüßte, wie alles nach seiner Unterhaltung, so ergriff mich bittrer Unmut. – Aber jener Kanzelredner war der Mönch Medardus, der gestorben und begraben in den Abgründen des Gebirges ist. Ich bin es nicht, denn ich lebe.
Ich besuchte sowieso die vielen öffentlichen Häuser, in denen man trank, spielte u.d.m., und vorzüglich war mir in dieser Art ein Hotel in der Stadt lieb. Jeden Abend versammelte eine zahlreiche Gesellschaft. – An einem Tisch im Nebenzimmer sah ich immer dieselben Personen, ihre Unterhaltung war lebhaft und geistreich. Es gelang mir, den Männern näherzutreten, endlich irgendeine interessante, literarische Notiz, nach der sie vergebens suchten, mitteilte und so einen Platz am Tische erhielt. So hat ich eine Bekanntschaft mir wohltat, und meine Stimmung wurde täglich unbefangener und heitrer.
Seit mehreren Abenden sprach man in der Gesellschaft, die ich besuchte, viel von einem fremden Maler, der angekommen und eine Ausstellung seiner Gemälde veranstaltet hat. Alle außer mir haben die Gemälde schon gesehen. So beschloss ich auch hinzugehen. Der Maler war nicht da, als ich in den Saal trat. Doch machte ein alter Mann den Cicerone und nannte die Meister der fremden Gemälde, die der Maler zugleich mit den seinigen ausgestellt. – Es waren herrliche Stücke, Originale berühmter Meister. Aber mein Blick fiel auf ein lebensgroßes Porträt, in dem ich die Fürstin, meine Pflegemutter, erkannte. Sie war herrlich und mit jener im höchsten Sinn aufgefaßten Ähnlichkeit, wie Van Dyck seine Porträts malte. Darin war Tracht, wie sie in der Prozession am Bernardustage vor den Nonnen einherzuschreiten pflegte, gemalt. Der Maler hat gerade den Moment ergriffen, als sie nach vollendetem Gebet sich anschickt, aus ihrem Zimmer zu treten, um die Prozession zu beginnen. In dem Blick der herrlichen Frau lag ganz der Ausdruck des zum Himmlischen erhobenen Gemüts. Ach, es war, als schien sie Vergebung für den frechen Sünder zu erflehen, der sich gewaltsam von ihrem Mutterherzen losgerissen, und dieser Sünder war ja ich selbst![11 - Ach, es war, als schien sie Vergebung für den frechen Sünder zu erflehen, der sich gewaltsam von ihrem Mutterherzen losgerissen, und dieser Sünder war ja ich selbst! – Увы, казалось, будто она молила о прощении у дерзкого грешника, который насильно вырвал себя из сердца ее матери, и этим грешником был я сам!] Gefühle durchströmten meine Brust. Eine unaussprechliche Sehnsucht riß mich fort. Ich war wieder bei dem guten Pfarrer im Dorf des Zisterzienserklosters, ein muntrer, unbefangener, froher Knabe, weil der Bernardustag gekommen. Ich sah sie!
»Bist du recht fromm und gut gewesen, Franziskus?« frug sie mit der Stimme, deren vollen Klang die Liebe dämpfte.
»Bist du recht fromm und gut gewesen?«
Ach, was konnte ich ihr antworten? – Frevel auf Frevel habe ich gehäuft. Dem Bruch des Gelübdes folgte der Mord! – Von Gram und Reue zerfleischt, sank ich halb ohnmächtig auf die Knie, Tränen entstürzten meinen Augen. – Erschrocken sprang der Alte auf mich zu und fragte:
»Was ist Ihnen, was ist Ihnen, mein Herr?«
»Das Bild der Äbtissin ist meiner gestorbenen Mutter so ähnlich«, sagte ich dumpf.
»Kommen Sie, mein Herr!« sagte der Alte, »solche Erinnerungen sind zu schmerzhaft. Man darf sie vermeiden. Es ist noch ein Porträt hier, welches mein Herr für sein bestes hält. Das Bild ist nach dem Leben gemalt und vollendet. Wir haben es verhängt, damit die Sonne nicht die noch nicht einmal ganz eingetrockneten Farben verderbe.«
Der Alte stellte mich sorglich in das gehörige Licht und zog dann schnell den Vorhang weg. – Es war Aurelie! – Mich ergriff ein Entsetzen, das ich kaum bekämpfen konnte. – Aber ich erkannte die Nähe des Feindes, der mich vernichten wollte. Mir kam der Mut wieder. Mit gierigen Blicken verschlang ich Aureliens Reize.
Von dem fremden Maler wollte ich etwas erfahren. Ich hatte nämlich nichts Geringeres im Sinn, als in meiner jetzigen neuen Gestalt auf das Schloß zurückzukehren. Und das schien mir nicht einmal ein sonderlich kühnes Wagstück zu sein. – Am Abend ging ich in jene Gesellschaft. Man sprach viel von den Gemälden des fremden Malers und vorzüglich von dem seltnen Ausdruck, den er seinen Porträts gab.
Von seltsamen Gefühlen, von unbekannten Ahnungen bestürmt, ging ich den ändern Abend später als gewöhnlich in die Gesellschaft. Der Fremde saß mit mir zugekehrtem Rücken am Tisch. Als ich mich setzte, als ich ihn erblickte, da starrten mir die Züge jenes fürchterlichen Unbekannten entgegen, der am Antoniustag an den Eckpfeiler gelehnt stand und mich mit Angst und Entsetzen erfüllte. Der Feind war nun sichtlich ins Leben getreten. Es galt, den Kampf auf den Tod mit ihm zu beginnen. – Ich beschloß, den Angriff abzuwarten. Der Fremde schien mich nicht sonderlich zu beachten, sondern setzte das Kunstgespräch fort. Man kam auf seine Gemälde und lobte Aureliens Porträt. – Man fragte nach meinem Urteil, da ich eben jenes Bild so herrlich mit allen seinen Vorzügen in Worten dargestellt habe. Unwillkürlich fuhr es mir heraus, dass ich die heilige Rosalia mir nicht wohl anders denken konnte, als ebenso wie das Porträt der Unbekannten. Der Maler schien meine Worte kaum zu bemerken, aber sagte:
»In der Tat ist jenes Frauenzimmer, die das Porträt getreulich darstellt. Es ist eine fromme Heilige, die im Kampf sich zum Himmlischen erhebt. Ich habe sie gemalt, als sie, von dem entsetzlichsten Jammer ergriffen, doch in der Religion Trost und von dem ewigen Verhängnis, Hilfe hofft.«
Man verlor sich in andere Gespräche.
Als das Lachen endlich zu verstummen anfing, fragte der Fremde plötzlich:
»Haben Sie schon den Teufel gesehen, meine Herren?«
Man hielt die Frage für die Einleitung zu irgendeinem Schwank und versicherte allgemein, dass man noch nicht die Ehre gehabt hat. Da fuhr der Fremde fort:
»Nun, es hätte wenig gefehlt, so wäre ich zu der Ehre gekommen, und zwar auf dem Schloss des Barons F. im Gebirge.«
Ich erbebte, aber die ändern lachten:
»Nur weiter, weiter!«
»Sie kennen wohl alle wahrscheinlich, wenn Sie die Reise durch das Gebirge machen, jene wilde, schauerliche Gegend. – Man spricht davon, dass der Graf Viktorin, mit bösen Anschlägen im Kopf auf diesem Felsen saß. Plötzlich erschien der Teufel und den Grafen in den Abgrund schleuderte. Der Teufel erschien sodann als Kapuziner auf dem Schloss des Barons. Nachdem er seine Lust mit der Baronesse gehabt hat, schickte er sie zur Hölle, so wie er auch den wahnsinnigen Sohn des Barons. Er wollte durchaus Teufels Inkognito nicht dulden, sondern laut verkündete: »Es ist der Teufel!« Nachher verschwand der Kapuziner. Es wird gesagt, dass er feige vor dem Viktorin geflohen ist, der aus dem Grab aufstand. So kann ich Sie doch davon versichern, dass die Baronesse an Gift umkam, Hermogen meuchlings ermordet wurde, der Baron kurz darauf vor Gram starb und Aurelie, eben die fromme Heilige, in ein Zisterzienserkloster, flüchtete. Äbtissin war ihrem Vater befreundet. Sie haben das Bild dieser herrlichen Frau in meiner Galerie gesehen.«
Die Wirkung der geheimnisvollen Reden des Malers sowie meine leidenschaftliche Unruhe war nur zu sichtlich. Die heitre Stimmung verschwand.
Der fremde Maler stand auf und durchbohrte mich mit den stieren, lebendigtoten Augen wie damals in der Kapuzinerkirche. – Er sprach kein Wort, er schien starr und leblos, aber sein gespenstischer Anblick sträubte mein Haar, kalte Tropfen standen auf der Stirn, und von Entsetzen gewaltig erfaßt, erbebten alle Fibern.
»Hebe dich weg«, schrie ich außer mir, »du bist selbst der Satan, du bist der frevelnde Mord, aber über mich hast du keine Macht!«
Der Maler lachte im fürchterlichen Hohn:
»Bruder Medardus, Bruder Medardus, falsch ist dein Spiel, geh und verzweifle in Reue und Scham.«
Als der Morgen dämmerte, lag die Stadt schon weit hinter mir. – Die Frage der Postmeister: wohin? rückte es immer wieder aufs Neue mir vor. Aber hat nicht eine unwiderstehliche Macht mich gewaltsam herausgerissen aus allem, was mir sonst befreundet? Rastlos durchstrich ich das herrliche Land, nirgends fand ich Ruhe, es trieb mich unaufhaltsam fort, immer weiter hinab in den Süden. In einer finstern Nacht fuhr ich durch einen dichten Wald, wie mir der Postmeister gesagt und deshalb geraten hat, bei ihm der Morgen abzuwarten. Schon als ich abfuhr, leuchteten Blitze in der Ferne. Aber bald zogen schwärzer und schwärzer die Wolken herauf, der Donner hallte furchtbar im tausendstimmigen Echo wider.

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notes
Примечания

1
Sind denn die Heiligenbilder lebendig worden und herabgestiegen von den hohen Simsen? – Неужели изображения святых ожили и спустились с высоких сводов?

2
…, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen. – …, лучше бы эти бумаги сожгли.

3
…, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen. – …, как будто ты его верный спутник в мрачных монастырях и кельях.

4
Durch meinen Entschluss glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt und von der Qual ewiger Verdammnis errettet. – Только благодаря моему решению она поверила, что душа моего отца искуплена и спасена от мук вечного проклятия.

5
Man sah nirgends eine Spur des Missmuts oder jener feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt. – Нигде не было видно и следа недовольства или той враждебной, проникающей внутрь замкнутости, которую обычно можно заметить на лицах монахов.

6
Sollte auch hier nicht die betrügerische Habsucht manches untergeschoben haben, was nun als wahre Reliquie dieses oder jenes Heiligen gilt? – Опять же, не должна ли мошенническая жадность некоторых здесь подорвать то, что теперь считается истинной реликвией того или иного святого?

7
Unter so vielen Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm recht mundet, und er säuft die ganze Flasche aus und wird trunken und ergibt sich mir. – Среди такого количества эликсиров он, наверное, найдет один, который подойдет ему по вкусу, и он выпьет всю бутылку, и напьется, и сдастся мне.

8
Sein schneidendes Jammergeschrei verhallte in der unermeßlichen Tiefe, aus der nur ein dumpfes Gewimmer herauftönte, das endlich auch erstarb. – Его пронзительный вопль эхом отдавался в безмерной глубине, из которой доносился только глухой рокот, который, наконец, тоже затих.

9
Freilich gehört nichts Geringeres dazu, als dass außer jenem unnennbaren, unwiderstehlichen Reiz der äußern Gestalt, den die Natur dem Weib zu spenden vermag, dasjenige höhere Prinzip in ihr wohne, welches eben jenen Reiz mit dem geistigen Vermögen in eins verschmilzt und nun nach Willkür beherrscht. – Разумеется, это не что иное, как то, что, помимо той не поддающейся описанию, непреодолимой привлекательности внешнего облика, которую природа способна подарить женщине, в ней живет то высшее начало, которое объединяет эту привлекательность с духовными способностями в одно целое и теперь по своему произволу управляет ею.

10
Und der gravitätische Ernst des Herrn Richters verzog sich zum schmunzelnden Lächeln. – И суровая серьезность господина судьи сменилась вымученной улыбкой.

11
Ach, es war, als schien sie Vergebung für den frechen Sünder zu erflehen, der sich gewaltsam von ihrem Mutterherzen losgerissen, und dieser Sünder war ja ich selbst! – Увы, казалось, будто она молила о прощении у дерзкого грешника, который насильно вырвал себя из сердца ее матери, и этим грешником был я сам!