Online-Buch lesen «Der Himmel Von Nadira» Autor Giovanni Mongiovì

Der Himmel Von Nadira
Giovanni Mongiovì
Sizilien, elftes Jahrhundert. Nadira ist ein unschuldiges Mädchen berberischer Herkunft, das mit Unterwerfung den Befehlen ihres Vormunds folgt; auch als ihr gesagt wird, dass sie eine der Frauen des Emirs ihrer Stadt werden muss. Ihre Augen sind jedoch so seltsam und tief greifend, dass sie die Aufmerksamkeit von mehr als nur einem Verehrer auf sich lenkt. Bald verbreitet sich die Kunde eines Fluches: Männer, die ihren Blick kreuzen, können nicht widerstehen und fühlen sich gezwungen sie zu begehren und zu versuchen, sie zu besitzen. Genau die Augen von Nadira und dieser grenzenlose Himmel, an den sie erinnern, werden die Ursache für den Ausbruch des letzten Krieges sein, den das muslimische Sizilien erleben wird. Unterdessen warten die Brüder de Hauteville, fürchterliche normannische Krieger, darauf, jeden Vorwand zu nutzen, um das Meer passieren zu können und einen Kreuzzug gegen die Mauren zu beginnen.
Kann es wirklich etwas so außergewöhnlich Unwiderstehliches und Verfluchtes geben, dass es die Wünsche dessen, der sie betrachtet, unwiederbringlich erschüttern kann?” Die ungewöhnlichen blauen Augen von Nadira scheinen zu beweisen, dass es genauso ist. Sizilien, elftes Jahrhundert. Wir stehen vor den letzten Taten der arabischen Herrschaft: Die Emire der großen Städte der Insel befinden sich im Krieg miteinander, und die christlichen Kräfte warten auf einen Vorwand, um einzugreifen und ihren heiligen Krieg gegen den muslimischen Feind zu führen. Nadira ist ein unschuldiges Mädchen berberischer Herkunft, das mit Unterwerfung den Befehlen ihres Vormunds folgt; wie als ihr gesagt wird, dass sie eine der Frauen des Emirs ihrer Stadt werden muss. Ihre Augen sind jedoch so seltsam und tief greifend, dass sie die Aufmerksamkeit von mehr als nur einem Verehrer auf sich lenkt. Bald verbreitet sich die Kunde eines Fluches: Männer, die ihren Blick kreuzen, können nicht widerstehen und fühlen sich gezwungen sie zu begehren und zu versuchen, sie zu besitzen. Genau die Augen von Nadira und dieser grenzenlose Himmel, an den sie erinnern, werden die Ursache für den Ausbruch des letzten Krieges sein, den das muslimisches Sizilien erleben wird. Unterdessen warten die Brüder de Hauteville, fürchterliche normannische Krieger, darauf, jeden Vorwand zu nutzen, um das Meer passieren zu können und einen Kreuzzug gegen die Mauren zu beginnen. In all dem bewegt sich Conrad, auch er Normanne, aber unter den sizilianischen Christen aufgewachsen. Sein Ehrgeiz ist grenzenlos und seine Rachegefühle gegenüber den muslimischen Herrschern ist stärker als der gesunde Menschenverstand. Conrads Schicksal wird sich mit dem “Himmel von Nadira” und dem Geheimnis, das sich hinter diesen Augen verbirgt, kreuzen. Aber nur wenn er weiß zu enthüllen, was das Herz eines Mannes mit der Begierde des Bösen verbindet, kann er die Gefahr, die die Schönheit Nadiras darstellt, überwinden. Es tobt noch der Krieg, der inzwischen zu einem Konflikt zwischen Kulturen und Religionen geworden ist, als aus dem Grund des Hasses die zerbrechliche Knospe der Toleranz zu sprießen beginnt… Hoffnung, die gerade von jenen gepflegt wird, die die Sorgen ihrer eigenen Seele in Ordnung gebracht haben. Eine multikulturelle Umgebung, eine Geschichte, die aus allen Perspektiven erzählt wird, eine objektive Geschichte und mit dem aktuellen Geschmack – ein Roman, den die Liebhaber der historischen Abenteuerromane nicht ignorieren können.

Translator: Susanne Tigano-Müller


Giovanni Mongiovì

DER HIMMEL VON NADIRA

Regnum

Titelblatt: Die Augen von Luana (mit freundlicher Erlaubnis);
Normannischer Schild, Athen, Kriegsmuseum

Autor: Giovanni Mongiovì

Übersetzt von: Susanne Tigano-Müller

giovannimongiovi.com

Copyright © 2021 - Giovanni Mongiovì
Vorwort (#uffd3a7b9-a532-52ab-ba00-ad38fdd33e14)
TEIL I – DER AM PFAHL GEFESSELTE FREMDE (#ucc05a228-3890-598f-9f47-f79132c7e986)
Kapitel 1 (#u3f3d0e78-65ef-5242-9009-0fb7469ba707)
Kapitel 2 (#uaf1c6da1-790d-56bc-848c-086f2934bd36)
Kapitel 3 (#u2f7de0a5-185a-5e8d-b540-b75d42b45bc7)
Kapitel 4 (#ucccaf272-1542-530a-ab79-eb4304993097)
Kapitel 5 (#u887a945c-0f85-5476-8db8-62d582b5de94)
Kapitel 6 (#u1065009d-5a0a-58f7-9e83-93edac98c74c)
Kapitel 7 (#uc3413058-8dbf-5727-8748-9f9098ba79e4)
Kapitel 8 (#uacc18c71-19d8-52d8-8871-8890e791c7c5)
Kapitel 9 (#uf2633d1e-f478-5641-927e-bfdb0b9bb114)
Kapitel 10 (#uff4dbf11-9a2b-559d-9aa7-00fff564d435)
Kapitel 11 (#u0640c794-5e3a-5e7e-998c-a6e5a25b3e13)
Kapitel 12 (#u0f072a2e-64c5-5bbc-a827-d3a546510796)
Kapitel 13 (#u4035dec2-70d5-5acd-88cc-9dd959fe99cc)
Kapitel 14 (#uc75e8932-ab60-5498-888a-b743fda01d43)
TEIL II - DER KRIEG DER QĀ’ID (#ud523179d-2281-5b13-85b7-4d2e6c731640)
Kapitel 15 (#u3caf01bd-a768-5c35-9b07-40ab0ac6fa58)
Kapitel 16 (#u0ea5beef-eb18-5ad3-969e-466fe91878d4)
Kapitel 17 (#uf1170fce-5f19-52b1-ab9f-cc71ebfffa9e)
Kapitel 18 (#u283d9352-09af-5b04-b644-3612882724c1)
Kapitel 19 (#u85ccedbe-4fd3-55df-aff9-104b209563c1)
Kapitel 20 (#ua7190ad2-9111-5a23-b809-21ec707d3e5f)
Kapitel 21 (#u4cbd35a9-294e-5cfe-83c0-64d60798c3e6)
TEIL III – DER WAFFENSTILLSTAND DES MUḤARRAM (#u9a868909-5b4b-5711-be44-9f932c0311ba)
Kapitel 22 (#u8d823526-bbdd-51df-b871-9d1f4d7bfac5)
Kapitel 23 (#u71895ccb-fe1c-5b2c-adf4-d5e294065fff)
Kapitel 24 (#u2ebd3868-b4fc-5f56-8694-1bc37765ba00)
Kapitel 25 (#u014fba5d-22d7-57cb-bbf3-c0514d0689cd)
Kapitel 26 (#u9f228401-cf9e-57ed-bd20-2cc0be884880)
Kapitel 27 (#ucc1289be-cb8a-5f3e-ad30-83320ac85383)
Kapitel 28 (#ue7080a5c-6319-5e49-a0e9-78d72403673b)
TEIL IV - DIE RÜCKKEHR CONRADS (#u2b86a57c-c169-51c2-98dd-7c99edb922d7)
Kapitel 29 (#uc838380f-755f-54ab-8d98-870e4cc4e1ef)
Kapitel 30 (#u86fcb753-3b95-5189-8c5e-467d92aa0d33)
Kapitel 31 (#uc6498903-578b-5fb5-ad72-ece852249530)
Kapitel 32 (#u86417491-b0be-5a4c-8562-a50643b4e841)
Kapitel 33 (#u07f7e12a-0968-5ce1-ad2b-91eab12501a9)
Kapitel 34 (#ucf36f7ee-8dab-5cdd-9884-bd503351b03e)
Kapitel 35 (#u7a1eb2b4-8d46-5792-85ac-d66a1ca2758a)
TEIL V - DIE FÄDEN DER MACHT (#u0607b24e-0bf9-5263-a51f-b16b91474b07)
Kapitel 36 (#ueb93a534-629a-5ea9-a891-bfb679d53e4b)
Kapitel 37 (#uf8122203-839e-5bff-8153-f275bac38226)
Kapitel 38 (#uf4d388b8-8665-54e4-adb2-695b7795fc56)
Kapitel 39 (#u0454f574-8473-5d5d-a472-1363ea2ab4f0)
Kapitel 40 (#ub2a2ce94-ffb8-5b86-b3cd-62b0612d9fdb)
Kapitel 41 (#u24c5ce81-c4d7-5038-aa85-a54a2bb8bce7)
Kapitel 42 (#u66b5b227-79a7-529f-bf30-f3fa298e4f00)
TEIL VI - DER FLUCH VON PENTHESILEA (#u3725f572-332c-5c79-b061-5c79234de99e)
Kapitel 43 (#uc469a4f8-ac53-565b-becb-be8c700477e9)
Kapitel 44 (#ud6beb77b-66e7-5a74-b7d2-c93b747a0ffc)
Kapitel 45 (#u649047c5-1631-5e98-816a-fb11f0b190ba)
Kapitel 46 (#ud569b1a1-5525-5c44-895e-f2852414a070)
Kapitel 47 (#ucbda2a40-af9a-5006-bc34-41c1810b9376)
Kapitel 48 (#u371e82fd-c2fa-581e-89e6-525607c0d260)
Kapitel 49 (#u89511365-800a-578c-8098-69a2dbc489e9)
TEIL VII - DIE BEDINGUNGEN FÜR DIE FREIHEIT (#uef2e42f8-24b1-57f5-a10d-1891cda9f00e)
Kapitel 50 (#u91bc285c-ca6b-5a41-a2c1-38186c2221e1)
Kapitel 51 (#u1c0d59d1-d02c-5a3d-b110-bd5b46a12016)
Kapitel 52 (#u80cdd239-eae0-58f3-a864-f8bbd5c24cf2)
Kapitel 53 (#u9b985ef0-f54d-5ff0-b7ed-af7eececad6c)
Regnum - Der Korallensucher (#ubb67207d-33d5-50c1-a176-64d066e87cca)
Romane des Autors (#u5c5a26b7-b49a-5587-955d-704908bff10e)
Biografie (#u3d644be9-b3f3-51a7-8060-684d808f9f1d)

Ich muss nicht über das Unbeschreibliche schreiben,
dass ich es wage, das immens Perfekte zu beschreiben,
das Bewusstsein, zu dem ich aufsteige, ist bereits Poesie,
das Höchste und Reinste, geschrieben von immateriellen Händen,
von einem erhabenen Geist konzipiert,
inspiriert von einem grenzenlosen Herzen;
Meine Liebste, wir stehen in der Gunst Gottes:
„dass ein Wesen ein anderes mit immer unauslöschlicher Liebe liebt“.
Dass ich dich jeden Tag noch mehr liebe…

An Valentina und Tommaso… Glanz meiner Augen…

Vorwort
So viele tausend Flüsse ins Meer fließen, sie werden niemals die Namen der Wasser haben, in die sie fließen. Dies aus dem vernünftigen Grund, dass das Meer nicht der Grund für einen Fluss sein kann. Ebenso kann das Prinzip weder die Definition des Endes sein noch seine Bedeutung überschreiten. Schauen Sie sich die Quelle eines Flusses an, die hohen Klippen, aus denen er geboren wird. Trinken Sie sein Wasser und geben Sie ihm einen Namen, der auf seinem Geschmack basiert.
Es ist nicht die Handlung, die den Menschen macht, es ist nicht die Hand, die die Handlung ausführt, sondern das Herz, wo der Grund entsteht, der Grund für alles. Das Wesen der ursprünglichen Sünde war nicht, die Frucht zu ergreifen, sondern das, was diese Geste bewegte.
Und so kann sich die Gier hinter allem verstecken: im saftigen Fleisch, in der Farbe des Weins, in den Formen eines Mädchens… oder zumindest auf diese Weise denjenigen rechtfertigen, der sich ihr hingibt. Aber die Wahrheit ist, dass sich die Gier ausschließlich in den Augen und im Herzen derer verbirgt, die dieses verzehrende Feuer, diese verschlingende Flamme, die die Begierde ist, in sich spüren.
Unter den berühmten, antiken Menschen griechischer Abstammung wurde eine Geschichte erzählt, die die Taufe des Christentums und das Schwert des Islams überlebt hat. Penthesilea, die mächtige Amazone wurde gerufen, um die Trojaner zu verteidigen. Sie war eine schöne Frau und wie es in den griechischen Mythen oft vorkommt, beneideten sie die Göttinnen um ihre Schönheit. Aus diesem Grund wollte Aphrodite sie mit der schlimmsten Pein strafen: Jeder Mann, der sie erblickte, sollte den unwiderstehlichen Wunsch haben sie zu besitzen, sodass er sicher versuchen würde sie zu vergewaltigen. Penthesilea versteckte sich unter ihrer Rüstung, solange sie konnte, bis Achilles sie während einer Schlacht erschlug und ihr den Helm vom Haupt löste. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, wie sehr die von Aphrodite ausgesprochene Verurteilung selbst den Tod Penthesileas überdauerte… Achilles konnte nicht widerstehen…
Kann es jenseits des Mythos wirklich etwas so außergewöhnlich Unwiderstehliches und Verfluchtes geben, dass es die Wünsche jener, die sie betrachten, unwiederbringlich erschüttern kann? Eine Schönheit dieses Ausmaßes, die die Abgründe der Herzen hervortreten lässt, aber auch ambivalent, da sie fähig ist, die edlen Tugenden in der Seele der Verdienstvollen hervortreten zu lassen.
Die folgende Geschichte ist die erste von vielen… die erste von vielen Geschichten über Männer und Frauen, und von dem Blut, das jeden von ihnen mit der eigenen Vergangenheit und Zukunft verbindet. Es ist die Geschichte dieses Landes, seiner Völker, seiner Kriege, seiner Laster und seiner ruhenden Verdienste. Aber die folgende ist genau die erste, und somit die ursprüngliche…, und deshalb kann sie als Original nur von demselben Wunsch sprechen, der zu Anfang der Zeiten den Menschen zu seiner ersten Sünde verführte.
TEIL I – DER AM PFAHL GEFESSELTE FREMDE

Kapitel 1
Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Dort in diesem Tal, in dem die Norien
(#u97311da1-9435-5d57-bbb6-7b7e882ae7cb) nie in ihrer Bewegung still stehen… dort wo der Berg von Qasr Yanna auf seinen Wurzeln ruht… dort auf dem Plateau, wo sich der Rabad
befindet…
Das Tal am Fuße des antiken Enna verlief in Richtung Osten; Jahrhunderte arabischen Einfallsreichtums hatten es fruchtbarer gemacht als das, was es sonst gewesen wäre. Beim Blick nach Westen, lag hoch auf dem Berg Qasr Yanna
, der Nabel Siziliens. Beim Blick nach Osten, unten am Plateau, verlor sich das Auge in Dutzenden von Hügeln, Wäldern, Wiesen, Weiden und Bächen…, aber auch in den hohen hydraulischen Rädern, die das Wasser aus dem Tal heben konnten, … und in den Kanälen, die ausgegraben wurden, um es zu den Gemüsegärten zu transportieren. Das Dorf hatte nicht viele Häuser, vielleicht dreißig, und nur eine kleine Moschee, als Zeuge der geringen Bedeutung des Ortes.
Die Mittagszeit war gerade beendet und zwei Männer zogen einen fast dreißigjährigen jungen Mann über den Boden, der für den Anbau von Flaschenkürbissen bestimmt war. Es schien, als ob er mit den Füßen die Furchen ziehen wollte, für die normalerweise der Pflug sorgte, so sehr stemmte er seine nackten Füße in den Boden, um sich seiner Gefangenschaft zu entziehen. Er hielt den Blick niedrig, und diejenigen, die die Szene beobachteten, sahen nur den Kopf und sein kurzes Haar. Es war Winter, und jetzt sanken die Knöchel in den kalten Schlamm, der durch den Morgenregen entstanden war.
Der junge Mann trug eine Hose und eine zerrissene Tunika. Die anderen waren in edlere Kleider gekleidet: mit einer breiten, bunten Foggia. Einer der beiden hatte eine Art Turban auf und beide trugen einen Bart und langes Haar.
Als sie mit dem unglücklichen Gefangenen die Straßen des Rabad erreichten, wurden alle neugierig. Alle kannten sich im Dorf und alle kannten die Bewohner des letzten Hauses am Ende der Straße vor den Gemüsegärten, das Haus der einzigen Christen im Rabad.
Man arbeitete sehr hart im gesamten Gebiet, um das Land ertragreicher zu machen. Das gesamte Gebiet war landwirtschaftlich geprägt, und die Familien verteilten sich in den Dörfern, die zwischen den Hügeln verstreut lagen. Es gab keinen Adligen und keinen Krieger, sondern nur Bauern, die im eigenen Namen und im Namen des Schuldeintreibers des Qā’id
von Qasr Yanna arbeiteten.
Gerade das Haus des letzteren befand sich genau gegenüber dem Haus der Christen, am höchsten Punkt. Ein großer Innenhof, teilweise eingezäunt, öffnete sich vor dem großen Haus, und hier kamen die drei an, nachdem sie die labyrinthartigen Gassen und Innenhöfe, die typisch für die Zentren arabischer Anlagen waren, hinter sich gelassen hatten. Genau an dem Punkt, an dem der Markt aufgebaut wurde, und genau in der Mitte dieses Ortes, fesselten sie den misshandelten jungen Mann. Sie fesselten ihm die Hände an einen Pfahl. Dann zogen sie das Seil an und blockierten es an einer natürlichen Gabelung des Pfahlholzes, über dem Kopf des Verurteilten, damit sich dieser weder setzen noch verbiegen konnte.
Nun betrat ein Mann der Qā’id, der für seine Aufgabe zu jung war, ein gewisser Umar, die Bühne. Er war ein gutaussehender Mann: Von Berber-Herkunft hatte er einen leicht olivfarbenen Teint, schöne tiefe schwarze Augen und eine gerade gut proportionierte Nase. Der Bart versteckte sein Alter und ließ ihn mehr seinem Vater Fuad ähneln. Auch er war ein Schuldeintreiber des Qā’id und wurde seit fast zwei Jahren vermisst.
Aus der Abgabenstube kommend, die neben dem Haus lag, zog Umar den Kopf des Gefangenen an den kupferblonden Haaren hoch und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. So wie das Gesicht des letzteren geschwollen war, mussten sich die beiden beim Verprügeln richtig ausgelassen haben.
Sie schauten sich also gerade an, und nichts lenkte diese stolzen schwarzen Augen davon ab, in die noch stolzeren grünen Augen des Gefangenen zu starren.
„Und so hast du geglaubt, dass du mich beleidigen und damit davon kommen kannst…“, sagte Umar.
Aber der andere antwortete nicht; nicht, weil er die arabische Sprache nicht verstand, sondern weil jedes Wort vergebens gewesen wäre.
„Es lohnt sich nicht unsere Zeit zu verschwenden.“ ergänzte der Schuldeintreiber.
Dann nickte er mit dem Kopf in die Richtung von einem der beiden, die ihn gefesselt zurückgebracht hatten. Dieser riss dem Gefangenen die Tunika vom Leib und peitschte ihn daraufhin mit einem nassen Seil.
Die Dorfbewohner waren alle da, und doch hatte niemand den Mut, einen Fuß über die Abgrenzung des Hofes zu setzen. Das Stöhnen, das aus der Kehle dieses Mannes kam, machte nicht mehr Eindruck als die blutroten Striemen, die sich auf seinem Rücken bildeten.
Sie bestätigten sich untereinander, dass so etwas im Rabad noch nie geschehen war. Die Angehörigen des jungen Mannes versteckten sich indessen in der Menge und waren auf ihr eigenes Leben bedacht, klug genug, nichts zu sagen. Die einzigen abwesenden waren die aus dem Hause des Schuldeintreibers, die Mutter, die Frau und die Schwester, die es vorzogen, sich nicht in die Angelegenheiten des Familienoberhaupts einzumischen.
Als dann der Folterknecht seinen Dienst beendet hatte und den jungen Mann, der an den Mast gebunden war, zurückließ, kehrte die Menge zu seinen Aufgaben zurück. Sie ließen ihn dort, der Kälte des Abends und dem Nachtfrost ausgeliefert.
Erst gegen Mitternacht hatte jemand Mitleid und die Erlaubnis, ihm eine Decke zu bringen. Die Männer von Umar ließen es zu, da sie verstanden, dass es zu viel für jeden gewesen wäre, die Nacht im tiefsten Winter im Freien zwischen den Bergen von Qasr Yanna verbringen zu müssen.
Viele sahen den jungen Mann zittern und hüpfen, um sich über einen großen Teil der Nacht in Bewegung zu halten. Dann am Morgen, als sie den Markt um den Hof herum aufbauten, sahen sie ihn schlafend an den Handgelenken hängen; er sah aus wie ein Sack, der an einen Baumstamm gebunden war. Einige glaubten auch, dass er gar tot war, und wollten ihm eine Ohrfeige geben, um sicher zu gehen.
Es wurde wieder Nachmittag; jetzt hatte der Verurteilte seit einem ganzen Tag nichts gegessen und getrunken. Eine Herde kahler Ziegen hielt sich im Hof auf, blökte und kaute an Grashalmen. Dieser Gesang der Weidetiere und die Furcht, dass sie ihm seine Knie brechen und seine Handgelenke abreißen würden, ließen den Mann, der an dem Pfahl gefesselt war, wieder erwachen…. Dann, an einem bestimmten Punkt, als er eine Art Präsenz spürte, öffnete er die Augen; tatsächlich beobachtete ihn jemand schon seit einer ganzen Weile. Drei Schritte entfernt starrte ihn ein Mädchen mit weit geöffneten Augen an. Wunderschöne, wunderbar geformte Augen, die von den meisten Menschen nie gesehen wurden, die aber der Verurteilte und alle anderen im Rabad kannten. Türkisblaue Augen, so intensiv, dass man sich in ihnen verlieren und nie wieder finden konnte. Eine merkwürdige Farbe, die die Iris in einem dunklen Blau wie in den Tiefen des Meeres nach außen verwischte. Augen, die dazu führen können, den Verstand zu verlieren und die Herzen zu verdammen.
Das Mädchen trug ein schönes, grünes Kleid mit gelben und blauen Verzierungen, das typisch für die Menschen aus Nordafrika war. Um ihr Angesicht zu verbergen, hielt sie den Saum ihres Schleiers fest. Der physische Aspekt mit exotischem Charakter, der sich so sehr von dem der Eingeborenen der Insel unterschied, war die Grundlage für den unermesslichen Ausdruck ihrer Augen, die völlig unverwechselbar hervorstachen. Eine rebellische Locke entkam dem Zwang des roten Schleiers, und enthüllte somit den braunen Farbton des Haares.
Als der Gefangene sie sah, senkte er wieder seinen Blick, schaute sie jedoch kurz danach wieder an und sprach langsam:
„Kennst du, oh mein Herr, den Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen?”
Sie sah ihn verloren an und fragte:
„Woher kennst du diese Worte?“
„Seit dem Besuch der Qā’id haben sich die Verse dieses Gedichts über das ganze Dorf und darüber hinaus verbreitet.“
Dann flehte er sie mit besorgtem Blick an:
„Befreie mich, Nadira, meine Herrin, ich bitte dich!
Aber sie schien unbeeindruckt, verloren in dieser Bitte, die sie nicht erfüllen konnte.
„Ich kenne die Grenzen deiner Augen nicht, Nadira…, aber ich kann dir die Ursprünge erklären, wenn du es wünschst… gib mir doch wenigstens ein bisschen Wasser…“
Daraufhin ging Nadira ohne sich umzudrehen und ohne dieser Bitte Gehör zu schenken in das Haus zurück; das Klimpern Ihrer Fußkettchen hallte über den ganzen Hof, während sie, wegen der zu leichten und für das Freie ungeeigneten Kleidung, frierend zum Eingang lief.
Das Wasser erreichte den Verurteilten nie, aber als Nadira das Haus betrat und Umar, ihren Bruder, sah, wie er Geld auf einem Tisch zählte, fragte sie ihn:
„Was hat der Christ getan, dass du ihm solch eine Behandlung zukommen lässt?“
Jetzt bedeckte sie nicht mehr das Gesicht und man konnte sehen, wie ihre vollen Lippen und ihre perfekte Nase ihre Augen harmonisch unterstrichen.
„Wer?“
„Der Mann, der dort draußen am Pfahl gefesselt ist.“
„Seine Familie hat sich geweigert, die Jizya
zu bezahlen.“
Umar zählte sein Geld am Tisch weiter und glaubte, dass er sie mit einem einzigen Satz liquidiert habe.
„Er wird erfrieren! Er ist jetzt schon seit zwei Tagen an diesen Pfahl gefesselt.“
„Seit wann liegt dir das Schicksal der Ungläubigen am Herzen?“
„Heute Morgen habe ich seine Kinder gesehen, wie sie um den Mann herumspielten. Du hättest sehen müssen, wie ihn die Kleine ansah!»
„Ich werde ihn befreien, beruhige dich… aber eine weitere Nacht im Freien wird ihm nicht schaden.“
„Komm schon, Umar, heute Nacht könnte es noch kälter werden.“
„Sie werden ihm eine weitere Decke bringen. Hast du nicht gesehen, dass ich nicht verhindert habe, dass seine Schwester ihm Hilfe gewährte?“
„Umar der Großmütige! Sie fragte sarkastisch: „Wie denkst du über diesen Namen?“
Woraufhin er stöhnte und mit einer Geste einem Stapel Silberdirham
, die er mit Steuern und Handel verdient hatte, einen Schlag mit dem Arm gab.
Mit wütender Stimme fragte er: „Sollte ich mich von diesen Leuten beleidigen lassen?“
„Du hast gesagt, dass sie sich geweigert haben zu zahlen; weißt du, ob sie es vielleicht nicht konnten? Diese Familie ist die ärmste im ganzen Rabad. Ich erinnere mich daran, wie unser Vater oft auf eine Abgabe oder einen Tribut verzichtete, um die armen Menschen nicht zu unterdrücken.“
„Die Dhimmi
haben immer bezahlt, auch bei unserem Vater.“
„Besser so! Wenn die Beschützten immer bezahlt haben, was bedeutet dann ein einziges Mal?»
„Dieser Corrado, dieser rothaarige….. Ohne die Abgabe zum Schutz der Ungläubigen mit sich zu bringen, trat sein Vater hervor, sah mich herausfordernd an und sagte zu mir:
„Wir arbeiten seit zwanzig Jahren für Ihre Familie… Wenn die Jizya fällig wird, werden wir sie dir bezahlen, ansonsten begnüge dich mit der einfachen Tatsache, dass wir für dich arbeiten.“
Dann ging er zu seinen Gemüsegärten, als ob nichts gewesen wäre. Wie hätte ich ihn behandeln sollen?»
„Aber das, nachdem du seinem Vater auf die Wange geschlagen hast!“ mischte sich Jala, ihre Mutter, ein, nachdem sie die Geräusche aus dem anderen Raum gehört hatte und sich sorgte, dass die Diskussion zwischen Bruder und Schwester ausarten könnte.
Nadira sah Jala sehr ähnlich, mit Ausnahme der unüblichen azurblauen Augen und der Haut mit einem klareren Farbton. Darüber hinaus war Nadira viel größer als Jala, die gerne mit Stolz sagte, dass ihre Tochter wegen ihrer Statur und des schlanken Körpers einer Frauenhand glich.
Umar stand auf und antwortete, da er sich angegriffen fühlte:
„Du kannst diese Dinge nicht verstehen, Mutter! Wie stellt man fest, ob jemand nicht zahlen kann oder nicht zahlen will? Die Strafe dient dazu, die Lügner abzuhalten.“
„Unsere Gemeinschaft war immer eine geeinte Gemeinschaft, weit entfernt von Intrigen und Eifersucht zwischen verschiedenen Rassen und Religionen… und sogar von Kriegen. Das Haus der Christen am Ende der Straße, das einzige des Rabad, wurde immer mit Würde behandelt. Dein Vater wusste, was in dieser Hinsicht richtig war. Vielleicht hast du Recht… aber in Qasr Yanna’s Rabad haben wir uns immer gegenseitig geholfen. Gestern sahen die Leute entsetzt zu, wie du diesen Jungen behandelt hast. Unser Handwerk ist bereits verhasst… doch es ist wichtig, dass sie dich respektieren und nicht, dass sie dich fürchten.»
„Der Qā’id wird von seinem ‘āmil
Rechenschaft fordern, wenn die Kisten leer sind. Und seit wann ist es eine Straftat, einen Ungläubigen zu schlagen? Wir haben ihnen erlaubt in der Gegenwart eines Bruders sitzen zu bleiben, wir haben ihnen erlaubt das Maultier zu satteln, wir haben ihren Frauen erlaubt die Bäder zusammen mit unseren Frauen zu benutzen…, wenn das anderswo nicht geschieht, könnten sie uns fragen warum wir ihnen gegenüber so großzügig sind.»
„Aber dieser Christ, den du geschlagen hast, hat das Schwert in die Hand genommen, als die Soldaten von Jirjis Maniakis das Dorf ausplünderten, obwohl die Dhimmi vom Krieg befreit sind und keine Waffen tragen dürfen.“
„Dann wisse, dass ich das für falsch halte, und es meine Pflicht ist, die Ordnung der Dinge wiederherzustellen. Auch Sie werden sich dem Islam unterwerfen, ebenso wie viele der Christen vor ihnen, die diese Länder bewohnten, wenn sie nicht anders behandelt werden wollen.“
Nadira antwortete nun:
„Und seit wann denkst du auf diese Weise? Seit du der Schwager des Qā’id geworden bist?“
„Und du, Kind, wann hast du gelernt, dich deinem Walī
, Beschützer und Garanten, entgegenzustellen? Seit der Qā’id seine Augen auf dich gerichtet hat und du ihm als Braut versprochen wurdest? Überlege mal, wenn ich ihm erzählen würde, dass du dich mit einem Christen unterhalten hast, der an einem Pfahl gefesselt ist.“
„Mein Herr Ali hätte Mitgefühl mit diesem Mann.“
„Nun, soll er es mir vorwerfen, wenn du es ihm erzählst…, wenn ich dir nicht vorher die Zunge herausreiße, weil du diese Vertrautheiten mit einem Fremden pflegst.“
Nadira ging enttäuscht und wütend und rannte in ihr Zimmer. Beim Vorbeigehen des Mädchens wendete sich die neugierige Dienerschaft schnell ab. Sie warf sich auf ihr Bett, umarmte die vielen Kissen, die es bedeckten und begann zu weinen.
„Nadira, mein Mädchen.“ rief Jala.
Sie hob ihren Kopf, jetzt mit den unbedeckten großen, unbändigen Locken und hörte zu.
„Nadira, Tochter, es kann grausam sein, zu erkennen, dass du zu jemandem gehören wirst, den du nicht genug kennst; und du bist erst neunzehn Jahre alt… vielleicht scheint dir das viel, aber du bist in allem unerfahren!
„Könnte er mir wirklich die Zunge herausreißen?“
„Denk nicht an deinen Bruder. Aber eines ist klar: Niemals und nie wieder möchte ich dich mit diesem Mann sprechen sehen!»
„Ich habe nicht mit ihm gesprochen! Er war es, der mich um Wasser bat.“
„Und was hat er dir sonst noch gesagt?“
„Nichts!“
„Gut, du musst wissen, dass dies ein gefährlicher Mann der schlimmsten Art ist, Nadira. Und dein Bruder hat Recht, wenn er ihn bestrafen will.“
„Vorhin hast du das Gegenteil gesagt…“
„Ich habe Umar gesagt, wie sich sein Vater verhalten hätte… zu dir sage ich, was ich denke. Jetzt geh nachsehen, ob deine Schwägerin Hilfe braucht. Deshalb bist du noch nicht die Frau vom Qā’id…, um sie bei ihrer Schwangerschaft zu unterstützen.“
So vergingen die Stunden des zweiten Tages dieses Winters im Jahr 1060 - dem 452 nach dem Hegirae -
, in dem Corrado der Christ wie ein dickköpfiges Tier gefesselt und gedemütigt worden war.

Kapitel 2
Herbst 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Es war noch Anfang Oktober, also noch ein paar Monate hin, bevor Umar sich wegen der Unverschämtheit des Sohnes der Christen rächt, indem er ihn an den Hofpfosten fesselt und Nadira mit ihrem Bruder streiten würde.
Unter der Sonne des Nachmittags rannte Khalid, ein zwölfjähriger Junge, der Umar so nahestand, dass der Schuldeintreiber des Qā’id ihm seine persönlichen Herden anvertraute, schnell in das Dorf. Bald erreichte er Umars Haus und lief so schnell, dass er einem Windstoß im November glich. Noch außer Atem, so dass er sich auf die Knie und den Stock stützen musste, rief er:
„Umar!“
Es dauerte nicht lange, dass einige der Diener aus dem Haus kamen, da sie um diese Uhrzeit mit den Hausarbeiten beschäftigt waren. Sobald er gerufen wurde, kam der Hausherr, der in der lauwarmen Geborgenheit des Frühherbstes geschlafen hatte, verschlafen zum Eingang.
„Was willst du? Was schreist du zu dieser Stunde? Ich und meine Kinder haben geschlafen… und jetzt hast du uns alle aufgeweckt!»
„Umar, verzeih mir! Die Ziegen…» und unterbrach sich, um wieder Luft zu schnappen.
„Was ist mit meinen Ziegen passiert? Haben Sie sie dir gestohlen?» fragte er den Jungen voller Sorgen.
„Nein, ich habe sie im Stall eingeschlossen.“
„Du hast sie unbeaufsichtigt zurückgelassen?“
„Ich hätte gern eine Fartasa-Ziege
schicken wollen, aber du hättest ihr Meckern nicht verstanden.“
Khalid lachte; es war klar, dass der Junge seinen Meister auf den Arm nahm.
Umar packte ihn am Ohr und stieß ihn mit einem gezielten Fußtritt in den Hintern zu Boden.
„Ich hoffe, dass du mir etwas Wichtiges mitzuteilen hast, oder ich sperr dich im Stall ein!“
Der Junge stand auf und erwiderte:
„Der Qā’id, Herr… der Qā’id kommt in den Rabad und fragt nach dir.“
„Ali Ibn
al-Ḥawwās kommt in mein Haus?“ fragte Umar überrascht, und ordnete mit einer Hand sein Haar, als ob der Fürst von Gergent
und Qasr Yanna bereits vor ihm stünde.
„Er wird von seinen Getreuen begleitet und hat mir gesagt, dass er mit guten Absichten kommt.“
Umar schweifte mit seinen Augen und bemerkte die Karawane, die durch die gewundenen Kurven des Berges Qasr Yanna hinabstieg.
„Geh zurück zu deinen Ziegen!“ befahl er dem Jungen, bevor er schnell im Inneren des Hauses verschwand.
Im Haus entstand viel Verwirrung, und mit großer Leidenschaft versuchte man, alles so vorzubereiten, dass es für den Besuch des Qā’id würdig wäre. Auch im ganzen Dorf entstand nun Unruhe und Geschäftigkeit: Die Frauen rannten zum Eingang des Rabad, und einige der Männer, die davon informiert wurden, kehrten aus den näher gelegenen Gemüsegärten zurück.
Michele und Apollonia, Bruder und Schwester von Corrado, kamen heran, um die Szene mit Neugier zu beobachten. Sie würden dem Qā’id ebenso Tribut zollen wie alle anderen; es war nicht wichtig, wer sie befehligte, er war ebenfalls ihr Herr. Ginge es nicht um die Fetzen, die Michele trug und sein rasiertes Haar, Zeichen, die seinem christlichen Wesen auferlegt wurden, würde niemand sie als Ungläubige der Worte des Propheten bezeichnen. Mit Ausnahme der markanteren Gesichtszüge gab es keinen Unterschied zwischen Apollonia und den Sarazenischen Frauen14 des Dorfes. Der Rabad wurde schon in der frühen Zeit ausschließlich von Berbern besiedelt. Anderswo jedoch überwogen die Islamisten mit dem europäischeren Aussehen - weil sie von unterschiedlicher Herkunft waren oder weil sie konvertierte Ureinwohner waren – und so gab es keine körperlichen Unterschiede zu den Christen. Darüber hinaus haben sich seit zweihundert Jahren die Berber-, die Arabische und die indigene Abstammung regelmäßig vermischt um sich zu einem Volk mit homogeneren Merkmalen zu vereinen.
In all dem war der Rabad eine Ausnahme.
Es gab nur einen Begriff, um die Bewohner der nicht-arabischen, nicht-berberischen, nicht-indigenen Bewohner der Insel zu identifizieren… Sizilianer. Sarazenische und sizilianische Griechen, also Christen - sowie es auch jüdische Sizilianer gab - die aber dennoch alle als Sizilianer bezeichnet wurden. Aus dem Konzept der Sizilianer wurden diejenigen ausgenommen, die aus Afrika zu Zeiten der Invasion der Ziriden-Dynastie nach Sizilien kamen. Dies, bis Abd-Allah von dem anderen Teil des Mittelmeerraumes zurückkehrte. Diese, wie andere Anhänger des Islams, von berberischer Volkszugehörigkeit, wurden als Afrikaner bezeichnet, gerade weil sie aus dieser Region stammten, die die arabische Welt als Ifrīqiya bezeichnete
. Die letzten Afrikaner waren nur ein paar Jahre zuvor angekommen. Sie flohen vor den Verwüstungen, die in ihrem Heimatland wüteten. Die Schaffung eines Volkes zwischen Sizilianern und Afrikanern, obwohl alle an Allah glaubten, war ein viel komplizierteres Unterfangen - und in der Vergangenheit hatte das auch zu Unruhen geführt -, als Christen und Juden in die Gewebe der islamischen Gesellschaft zu integrieren
. Die Gesetzgebung der Scharia
über letztere war in der Tat klar, und wenig oder nichts konnte interpretiert werden; sie waren die Dhimmen, die Vasallen, die gezwungen waren, die Jizya, die Steuern zu bezahlen, hatten aber dennoch das Recht, ihrem eigenen Glauben nachzugehen. Die Afrikaner hingegen waren die wahren Antagonisten, diejenigen, mit denen die sizilianischen Sarazenen um die Vorherrschaft der Dominatoren wetteifern mussten.
Im Rabad jedoch, hatte man Afrikaner noch nie gesehen. Das wahre Problem des Tages schien, eine schöne Figur vor dem Qā’id Ibn al-Ḥawwās, dem Emir von Qasr Yanna, zu machen, der unerklärlicher Weise einen seiner Schuldeintreiber besuchte.
„Wenn nur Corrado da gewesen wäre!“ rief Apollonia aus, sobald sie die Karawane sah, die jetzt in den Weiler einbog.
Apollonia war eine schön aussehende, etwas mehr als 20-jährige Frau mit gewelltem, kastanienbraunem Haar und Haselnuss-Augen. Der reine Teint ihrer Haut machte sie nur noch attraktiver, da die Araber Mädchen mit europäischem Einschlag vorzogen. Wenn es nicht wegen ihrer Religion gewesen wäre, hätten sie sie schon umworben, und wenn es nicht um die Kleinheit des Rabad und seine familiäre Atmosphäre gegangen wäre, hätte sie sicher jemand, mit dem Versprechen, eine vorteilhafte Ehe zu erlangen, dazu veranlasst, sich zu bekehren.
Michele war etwas kleiner als Corrado und war seinem Vater sehr ähnlich. Der Junge schien zur Arbeit geboren zu sein, und obwohl er nicht sehr groß war, war er robust und unermüdlich. Es fehlten ihm auch ein paar Zähne, die abgebrochen waren, als er im Alter von zehn Jahren versuchte, einen großen Nagel aus einem Balken zu ziehen.
„Corrado hat die Nachricht sicher schon gehört und wird mit unserem Vater aus dem Gemüsegarten kommen.“ antwortete Michele.
„Was für ein Mann ist wohl der Qā’id?“ fragte Apollonia mehr sich selbst als ihren Bruder.
Michele sah sie verwirrt an und antwortete eifersüchtig:
„Vielleicht solltest du im Haus bleiben, wie es viele Mohammedanische Frauen tun.
„Ich kenne niemanden hier im Rabad, der seine Schwester einsperrt.“
„Die Schwester von Umar sieht man schon eine Weile nicht mehr und wenn, dann ist ihr Gesicht bedeckt.“
„Das bedeutet, dass es einen Bruder gibt, der eifersüchtiger ist als du. Und dann reichen ja schon Nadiras Augen aus, um die Männer anzuziehen.“
Die letzten Worte von Apollonia waren der Dreh- und Angelpunkt vieler Dinge, die von da an passieren würden, …
Der Qā’id schlängelte sich durch die engen Gassen zwischen dem allgemeinen Jubel der Menschenmenge. Ali Ibn Ni’ma, im Allgemeinen bekannt als Ibn al-Ḥawwās, war sehr beliebt bei den Menschen. Sein Name bedeutete „der Demagoge”, der die Gefälligkeiten des Volkes auf sich zieht. Andererseits hatte sein eigener Aufstieg nur dank der Unterstützung des Volkes und seiner charismatischen Gaben stattfinden können; ein befreiter Berber-Sklave, der schließlich zum Qā’id des gesamten mittleren Siziliens aufgestiegen war.
Ibn al-Ḥawwās ritt auf einem wunderschönen braunen Pferd, gespannt mit gelbem und grünem Geschirr. Apollonia war enttäuscht als sie bemerkte, dass Qasr Yanna nicht so jung und ansehnlich war, wie sie es sich vorgestellt hatte, sondern mittleren Alters, mit grauem Haar und leicht übergewichtig. Allerdings kann man nicht sagen, dass sein Aussehen unangenehm war; sicher würden viele jener Mädchen, die ihm zujubelten, alles tun, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken.
Neben den zwanzig bewaffneten Männern, die den Qā’id eskortierten, erregte eine Frau in einem schwarzen Kleid die Aufmerksamkeit. Diese ritt wie eine Amazone auf dem Pferd hinter Ihrem Herrn und wurde von einigen Dienstmädchen begleitet. Darüber hinaus gab es einen gut gekleideten Fremden, der nach Ibn al-Ḥawwās im Luxus an zweiter Stelle stand.
Umar stand am Eingang, machte ihm seine Aufwartung und lud seinen Herrn ein, seine „unwürdige Wohnung” zu betreten; so nannte er sein Haus. Und Ali, der Qā’id, stellte auch gleich, nachdem er vom Pferd gestiegen war, sein Gefolge vor.
„Meine Schwester Maimuna und Bashir, mein Wesir
.“
Umar machte daraufhin mit der Hand ein Zeichen, um seiner Familie, die sie von der Tür aus beobachteten, anzudeuten, näher zu kommen.
„Meine Mutter, Jala… meine Frau Ghadda, meine Kinder Rashid und Fatima und das ist meine Schwester, Nadira.“
Jede dieser Frauen verneigte sich mit gefalteten Händen vor dem Qā’id und dieser antwortete:
„Ich werde Geschenke schicken, um die Schönheit dieses Hauses zu belohnen.“ wobei er mehr als mit nur einem Blick auf den Augen von Nadira verweilte.
Die schönsten Teppiche und die feinsten Kissen waren schnell auf dem Boden des größten Raumes vorbereitet worden, damit sich die Männer hinsetzen konnten, um sich miteinander zu unterhalten. In den Küchen war sogar der tannūr
zum Backen von Focaccia wieder entzündet worden, während die jungen Leute zur nächsten Quelle rannten, um den Gästen frisches Quellwasser zu bringen. Sie setzten sich alle in die Mitte des Raumes, während die Hausfrauen Maimuna einluden sich auf der anderen Seite, der Rückseite, unter einer Art Vordach das durch eine Rosenhecke abgegrenzt wurde, zu ihnen zu gesellen.
Eine Reihe von weiblichen Dienstboten begann, Nahrung, Früchte, aber auch Honigsüßwaren, Brot, frisch geerntete Datteln und Granatapfelsaft zu bringen. An diesem Punkt begann der Wesir, der sich den merkwürdig spitz geformten Bart glättete, mit seinen Überlegungen und technischen Fragen über die Dorfverwaltung:
„Der Ort ist schön und die Menschen sind ihrem Qā’id treu; ist das dein Verdienst?“
„Er geht an jeden Einwohner des Rabad und an das angenehme Joch, das ihnen von unserem geliebten Qā’id vorbehalten wurde.“
„Welche ist die Anzahl des Giund
?“
„Einundvierzig Männer, die bereits bewaffnet sind.“
„Sind dir die Dhimmi untergeben?“
„Es gibt nur eine Familie von Christen… sanftmütige Bauern.“
„Nur eine? Anderswo im iqlīm
von Mazara werden Christen in Gemeinschaften zusammengefasst, wenn auch oft bescheiden.“
„Die Plünderer… habt ihr Angriffe erlitten?“ fragte an diesem Punkt Ali Ibn al-Ḥawwās.
„Wir haben seit den Zeiten meines Vaters keine Angriffe erlitten. Der letzte war, als Jirjis Maniakis vor mehr als zwanzig Jahren an der Ostküste wütete. Warum fragst du mich, mein Herr?“
„Die Untertanen von Mohammed Ibn al-Thumna, meinem Schwager, sind nicht so sanft wie die Bewohner dieses Dorfes… und der Rabad ist ein zerbrechlicher Ort am Fuße von Qasr Yanna, wo ich wohne.“
„Müssen wir uns auf etwas vorbereiten, mein Qā’id?“
„Ich sage dir nur, dass du die Wachen und ein Signalfeuer organisieren solltest, um unsere Späher alarmieren zu können.“
Unter dem Vordach unterhielt Jala unterdessen ihren berühmten Gast mit derselben Behandlung, die ihrem Bruder vorbehalten war. Auf Hockern sitzend, sprachen sie über Frivolitäten und Banalitäten.
„Wann ist die Geburt?“ fragte Maimuna und schaute auf den Bauch von Ghadda.
„In drei Monaten… Inshallah
!“
„Und du… Nadira… es ist wirklich ungewöhnlich, dich noch immer im Haus deiner Mutter anzutreffen. Ist vielleicht die Kleinheit dieses Dorfes die Ursache dafür, dass du keine Verehrer hast?»
„Ehrlich gesagt, meine Herrin, gab es viele Verehrer…, aber Umar war der Meinung, dass sie meiner nicht würdig waren.“
„Wegen deiner Schönheit? Dein Bruder hat Recht.“
„Ich habe nichts, was die Hälfte von dir nicht hat.“
Dann entblößte Maimuna ihre Handgelenke, indem sie die Ärmel aufschlug; Narben erschienen, kaum geheilt und immer noch voller Rötungen.
„Du hast diese nicht, die ich habe…“
Nadira und die anderen sahen sie verwirrt an, sie dachten sofort, dass die Schwester des Qā’id ihre Adern aufgeschnitten hatte. Aber Maimuna erklärte:
„Denkt nicht, dass ich eine Sünderin bin; es war jemand anderes, der mir die Handgelenke zeichnen ließ.“
„Wer, meine Herrin?“ fragte Nadira, die an jenem Tag ein kleines palmenförmiges Gemälde auf dem Kinn trug, eine minutiöse Arbeit, die mit Henna
gemacht wurde, fast mit Tränen in den Augen.
„Mein Mann, Mohammed Ibn Al-Thumna, Qā’id von Catania und Syrakus.“
„Warum meine Herrin? Was hast du ihm getan?» fragte Nadira, beugte sich nach vorne und packte sie an den Händen.
„Gibt es etwas, für das eine Frau so behandelt werden muss?“
Nadira löste ihren Griff und fühlte die Antwort fast wie einen Vorwurf.
„Ich gehörte zu Ibn Meklāti, Herr von Catania, mit dem ich verheiratet war, aber Mohammed nahm ihm sein Leben und stahl ihm die Stadt und die Frau. Und als ob es nicht genug wäre, dass ich mit dem Mörder meines ersten Mannes verheiratet wurde, wollte Mohammed mir dieses Geschenk machen, indem er mir die Handgelenke zum Zweck der Ausblutung aufschneiden ließ. Darüber hinaus wisst ihr, wie mein Bruder aus eigener Kraft vom Sklaven zum Qā’id aufstieg… und Mohammed hatte nichts Besseres zu tun, als mich immer wieder an meinen plebejischen Status zu erinnern.“
„Gehörst du noch immer dem Qā’id von Catania, meine Herrin?“ fragte Ghadda.
„Er bat mich um Verzeihung, als der Rausch des Weins vom Vorabend verging… Mohammed gehört zu denen, die trinken und sich Exzessen hingeben, welche sie am nächsten Tag bereuen und die ihnen dann leidtun. Ich habe ihn jedenfalls gefragt, ob ich zu meinem Bruder gehen könnte, und er erlaubte es… aber wenn der junge Mann aus der Dienerschaft nicht gewesen wäre, der mich retten wollte, dann wäre ich heute nicht hier, um mich mit Euch, liebe Schwestern, zu unterhalten.»
„Hast du keine Angst, zu ihm zurückzukehren?“
„Ich werde nicht zurückkehren, mit der Gewissheit, meine Kinder nicht mehr sehen zu können… aber ich kehre nicht zurück!“
„Du bist mutig!“ rief Ghadda aus.
„Ich bin nicht mutig, ich bin nur die Schwester des Qā’id von Qasr Yanna. Wenn ich eine der Frauen in diesem Dorf gewesen wäre, wäre ich sicher als gute Ehefrau zurückgekehrt.“
„Und dein Bruder wird dich nicht zurückschicken?“ sagte Jala, erstaunt darüber, dass Maimuna hoffte, dass ihr Bruder sie in ihrem Verhalten unterstützen könnte, das ihrer Meinung nach unanständig war.
„Ali hat es mir geschworen.“
Es gab einen Moment der Stille, als ob die Luft mit Sorge um die Worte der Frau aufgeladen wäre.
„Nadira, Schwester, euer Bruder tut gut daran, Euch nicht irgendjemandem zu gewähren. Habt ihr meine Handgelenke gesehen? Habt ihr das Ende gesehen, dem man entgegen geht, wenn man in den Armen des falschen Mannes endet? Und ja, du verdienst mehr… viel mehr als das, was du hier im Rabad erhalten könnest. Gewöhnliche Männer verdienen dich nicht, meine Tochter.»
„Wer könnte sich für ein Mädchen des Volkes interessieren?“
„Sogar ein berühmter Qā’id!“ sagte Maimuna ungewöhnlich schnell, als hätte sie von Anfang an darauf gewartet, diese Antwort zu geben.
Nadira lachte bescheiden und sagte dann:
„Es gibt nicht viele wichtige Qā’id in Sizilien, außer deinem Mann, deinem Bruder und…“
Sie hatte noch nicht aufgehört zu reden, als sie von einem seltsamen Bewusstsein übermannt wurde: Maimuna war für sie und im Auftrag ihres Bruders hier. Sie wurde von Angst, Besorgnis und einer Spannung überfallen, die ihr die Sprache verschlug.
„Nadira, Liebste, was verwirrt dich?“ fragte Maimuna, wobei sie ihre Wange streichelte.
Im Gegensatz dazu war Jala, die die Anspielung schon vor ihrer Tochter verstanden hatte, außer sich.
„Nadira, es scheint, als ob Maimuna’s Komplimente dich stören.“, schalt die Mutter.
„Warum bist du hier?“ fragte stattdessen das Mädchen ernst und schluckte.
„Um herauszufinden, ob das, was über Nadira aus dem Rabad gesagt wird, wahr ist. Tut es dir leid?“
„Nein!“ antwortete die junge Frau und lächelte nervös.
Es war zwischen Maimuna und ihrem Bruder vereinbart worden, wenn das Urteil über das Mädchen positiv ausfallen würde, dass Nadira dann die Männer im anderen Raum und vor allem den Qā’id selbst von eigener Hand bedienen sollte.
„Glaubst du, dass der Qā’id von Qasr Yanna ohne Grund zum Rabad kommt? Nadira, Ali wäre sehr glücklich, wenn du ihm das Essen persönlich servieren würdest.»
Nicht nur zögerlich in sich selbst, nicht weil sie mit dem Vorschlag nicht einverstanden war, sondern weil die Geste ernst war, bedeckte sich Nadira das Gesicht, nahm von einer Magd die Süßigkeiten aus Mus, die mit Honig und Senf vermischt waren, entgegen und brachte sie in den Raum, in dem die Männer diskutierten.
Der Qā’id unterbrach die Rede, sobald er Nadira zu sich kommen sah; es war das Signal, dass das Mädchen Maimuna’s Prüfung bestanden hatte.
Umar war verwirrt, doch jetzt verstand er sofort den Grund für den Besuch seines Herrn.
Als Nadira im Angesicht des Qā’id kniete und ihre Hand mit dem Essen seinem Mund näherte, umfasste er leicht ihr Handgelenk – so sehr, dass sie befürchtete, etwas falsch gemacht zu haben – und starrte intensiv in ihre weit geöffneten Augen und begann zu rezitieren:

„Kennst du diese Quellen von lebendigem, reinem und Saphir-farbigem Wasser?
In dem man sich spiegeln, seine eigene Seele finden kann.
Wo die Reiher landen und die Jungfrauen ihre Haare entblößen.
Kennst du, oh mein Herr, die Grenzen seines Reiches?

Kennst du das schockierend wunderbare Meer?
So tief und reich an Fischen mit geschuppten Flossen.
So türkis und blau und hellblau, wo sich die Netze vereinen.
Kennst du, Favorit des Höchsten, die Grenzen Siziliens?

Kennst du diesen Himmel von unvergleichlicher Schönheit und Unschuld?
Aus dem der Regen in der Jahreszeit der frühen Feigen und der Melonen fällt.
Durch den sich der Hibiskus, die Orangeblüte und die Rosen erfrischen.
„Kennst du, oh mein Herr, den Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen?”

Auf dem Gesicht von Nadira erschienen schnell zwei Tränen, die sich hinter dem Schleier des Niqab
versteckten. Sie konnte sich nicht erklären, wie es möglich war, dass der Ruhm ihrer Augen die Grenzen des Rabad überschritten und sogar die Ohren des Qā’id erreicht hatten.
„Hast du diese Worte jemals gehört, meine Liebe?“ fragte Ali, obwohl er bereits wusste, dass die Antwort negativ war.
„Nein, mein Herr. Aber die Nadira, der du sie gewidmet hast, muss sehr glücklich sein.“
Die Qā’id lächelte und war von der Bescheidenheit des Mädchens positiv beeindruckt.
„In diesem Sommer gab ich einem Wanderpoeten, der nach einem Hof suchte, mit dem Namen Mus’ab, eine Audienz, und dieser erfreute mich zwei Monate lang mit seinem poetischen Geschick. Eines Tages pries er eine Blume solch unermesslicher Schönheit, dass ich damit endete, ihn anzuflehen mir zu sagen, um wen es sich handelte. Diese Blume hatte einen Namen: Nadira; sie lebt im Rabad und ist die Schwester des‘āmil. Die Verse, die ich rezitiert habe, meine Liebe, habe ich nur auswendig gelernt… der Genie-Preis geht allein an den Dichter Mus’ab, aber der Preis für die Schönheit dieser Worte geht an dich. Wenn ich jedoch deine Augen gesehen hätte, bevor ich diese Worte hörte, hätte ich vielleicht Mus’ab für seine Eitelkeit bestraft, das unbeschreibliche beschreiben zu wollen. Allah hat euch zum unerreichbaren und unerklärlichen gemacht, meine Liebe! Ich habe einen Monat gewartet, die ganze Dauer des Ramadans
, bevor ich kam, um „den Himmel von Nadira, die Grenze ihrer Augen” kennenzulernen, auch wenn ich jetzt weiß, dass diese Grenze nicht existiert.“
Jetzt sah Ali Umar an und sagte zu ihm:
„Bruder, ich bitte Euch um die Hand von Nadira, um jeden Preis, den ihr mir auferlegt.“
Umar verstummte und Nadira verließ den Raum, da sie verstand, dass die Angelegenheit von den Männern besprochen werden musste.
Umar stimmte in seinem Herzen sofort zu, und er hätte ihm Nadira auch ohne Preis gewährt, da er zum Schwager des Qā’id werden würde, doch er versteckte seine Gefühle und seine Zustimmung, auf dass der andere sein Angebot erhöhen würde. Ali versicherte, dass er Nadira zu einer seiner Frauen machen wolle und dass er sie nicht wegen ihrer niedrigen Herkunft wie eine Konkubine behandeln würde. Er versprach auch Geschenke und Vorteile für die gesamte Familie. Umar sah Rashid an, seinen ältesten Sohn von nur acht Jahren, und er konnte nicht umhin zu überlegen, wie sich dank der blauen Augen seiner Schwester sein Leben ändern würde.
Unterdessen rannte Nadira an den Ort, wo sie als kleines Mädchen unter den Zweigen eines großen Maulbeerbaums auf dem Grundstück des Hauses Zuflucht gesucht hatte. Sie verstand nicht, warum gerade ihr so etwas wichtiges passieren sollte. Sie fühlte sich nicht dazu bereit, da sie glaubte, dass sie nichts getan habe, um die Aufmerksamkeit des Qā’id und einen solchen Antrag zu verdienen. Sie weinte und zitterte… Dann lehnte sie ihren Rücken an den Baumstamm und erinnerte sich mit geschlossenen Augen an die Ursachen der Ereignisse des heutigen Tages.

Kapitel 3
Sommer 1060 (452 seit Hegirae) Rabaḍ von Qasr Yanna

Es war ein Freitag und unter der Mittagssonne ging Nadira zum Brunnen südlich des Rabad, um einen Eimer Wasser zu schöpfen; Ihre Nichte Fatima begleitete sie. Diese, rot gekleidet, trug ein dekoriertes Halsband, das mit verschiedenartigen geometrischen Fantasien und vielen hängenden Ornamenten verziert war und das an der Kopfbedeckung angebracht war, so wie es bei den Berbern für die Schmückung der Mädchen Brauch war. Es gab auch andere Frauen, die zum Brunnen gingen. Sie lachten und scherzten sorglos trotz der heißen Stunde.
Nachdem sie ihre Aufgaben erfüllt hatten, gingen sie den Weg zurück nach Hause und andere übernahmen ihre Eimer. Nur Nadira und Fatima blieben zurück.
“Ich habe gehört, dass dieser Brunnen ein Wunder ist.” sagte eine männliche Stimme.
Nadira, ließ überrascht das Seil los und der Eimer fiel zum Boden des Brunnens.
Dieser Kerl, ein junger Mann, der einen seltsamen gelben Kefiah
um den Kopf gewickelt trug, kam heran, indem er seine Hände schüttelte und sie anflehte ihm für den Schreck zu vergeben.
“Ich hatte dich nicht gesehen, guter Mann.” antwortete Nadira, während sie ihr Gesicht bedeckte und die kleine Fatima an sich zog.
„Ich sagte, dass dieser Brunnen ein Wunder ist… und nun, da ich dir näher bin, überzeugt er mich noch mehr.“
Und lächelnd fuhr er fort:
“Denn wenn du kein Engel bist, dann erkläre mir welche Kreatur des Paradieses vor mir steht.”
“Nur die Schwester des Dorfleiters, ein Mann, der dem Qā’id sehr nahesteht.” erklärte Nadira, um ihn von eventuellen bösen Absichten abzubringen.
“Du musst dich nicht vor mir fürchten.”
Als er dann eine Verneigung mit den Händen auf dem Rücken andeutete, stellte er sich vor:
„Mus’ab, Dichter und Arzt.“
„Lass mich mit meinem Bruder sprechen, und dann werde ich dir die Gastfreundschaft entgegenbringen, die du verdienst, Mus’ab.“
„Du bist freundlich, aber ich glaube, dass ich alles was ich brauche, bereits gefunden habe.“
„Brauchst du Wasser? Mein Bruder wird sich nicht davon abbringen lassen, dir einen Eimer zuzugestehen.” fragte Nadira unschuldig, da sie dachte, er meine den Brunnen.
Doch der andere lächelte und erklärte:
„Ich bin trotz meines jungen Alters viel gereist: Von Bagdad nach Grenada. Ich muss sagen, dass ich viele Male türkis- und smaragdfarbene Augen gesehen habe, die den 72 Jungfrauen würdig sind, die Allah den Märtyrern versprochen hat. In Andalusien fand ich Mädchen von visigoter Abstammung mit Augen, die deinen… ähnlich sind, und zwischen den Bergen der Kabilia habe ich Frauen mit fast identischen Eigenschaften getroffen. Aber nie… nie… habe ich ein so intensives hellblau in einem Gesicht wie in deinem gefunden. Dein Aussehen verrät deine sicher berberische Abstammung, die ich von den Kleidern des kleinen Mädchens erahne… Und sogar unter den sizilianischen Ureinwohnern sah ich jemanden, der helle Augen hatte, aber nie wie die deinen. Vielleicht ist dein Vater ein Einheimischer? Oder vielleicht deine Mutter? Von wem hast du dieses Glück geerbt?»
“Du irrst dich… du warst sicher zu lange Zeit fort von dieser Erde und erliegst leicht der Täuschung. Es gibt keine Berber, Einheimische oder Araber hier, sondern nur Sizilianer, die das Wort des Propheten achten. Es stimmt, unter meinen Großeltern und unter deren Müttern gab es eingeborene Frauen, die zu den Diktaten des Korans konvertiert haben, wie es in jeder anderen Familie von Gläubigen auf dieser Insel der Fall ist. Aber das ist normal, wenn man bedenkt, dass in Sizilien in der ersten Zeit überwiegend Männer ankamen, und erst danach kamen die Familien, die vor der Verfolgung der Kalifen und der Emire von Ifrīqiya geflüchtet waren. Aber was meine Augen betrifft, warum sollte jemand jemals eine unergründliche Gabe Allahs beurteilen?”
In diesem Moment rief der Muezzin
die Gläubigen zum Mittagsgebet auf. Nadira wandte sich dem Rabad und seinem Minarett zu und beeilte sich, um zurückzukehren.
„Meine Mutter wartet schon zu lange auf dieses Wasser.“
„Sag mir nur deinen Namen.“
„Nadira.“
„Nadira, ich werde über deine Augen schreiben!“ rief der Fremde.
Bereits auf dem Weg nach Hause, Fatima an der Hand nach sich ziehend, stieg bei Nadira die Gewissheit, dass Mus’ab bei Umar vorsprechen würde, um um ihre Hand zu bitten. Doch die Tage vergingen, und die Gewissheit verschwand, bis Anfang Oktober klar wurde, welche weit wichtigeren Auswirkungen diese Begegnung bei der Entwicklung ihres Schicksals hatte.

Kapitel 4
Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Das Gesicht von Corrado strahlte im Rot des Sonnenuntergangs, das sich mit den sehr ähnlichen Farben seines Haares vereinte. Nadira war schon seit Stunden in das Haus zurückgekommen und verweigerte die Hilfe, um die er sie gebeten hatte; von diesem Moment an war niemand mehr aufgetaucht.
Dann, direkt bei Sonnenuntergang, begann Corrado im Delirium zu Schreien:
„Umar, komm raus! Komm raus und nehme es mit mir auf!»
Aber eine Stimme hinter ihm, die vom Eingang zum Hof kam, flehte ihn an:
“Bitte, hör auf!”
Und er:
“Nadira, Feigling… ist das dein Mitleid?”
Diese Stimme hinter ihm gab sich zu erkennen, als sie sich dem Pfosten näherte. Auch ein Mann des Schuldeintreibers, der für die Wache eingeteilt war, kam näher, aber dieser zeigte sich bedrohlich und wollte ihn für die Beleidigung seiner Herrin bestrafen.
„Nein, bitte! Er fiebert… er weiß nicht, was er sagt. Er glaubt sogar, dass ich dem Qā’id versprochen bin.»
Trotz der Bitten von Apollonia drohte die Wache:
„Noch ein weiteres Wort und ich hacke ihm den Kopf ab!“
Apollonia weinte, als sie ihn nur wenige Schritte entfernt besorgt anstarrte.
“Ich bin deine Schwester. Sieh mich an, Corrado, sieh mich an!»
Aber er drehte seinen Kopf krampfhaft weg und gab dann ein undefiniertes Geräusch von sich.
Apollonia warf sich ihm entgegen und umarmte ihn mitfühlend. Corrado war der größte Mann im Rabad und sie war eines der kleinsten Mädchen, daher verlor sich der Kopf der Schwester an seiner Brust, die von der zerrissenen Tunica und der Decke auf den Schultern entblößt war.
„Mut… Mut… es wird nicht so lange dauern.“
“Schwester…” antwortete er mit sehr leiser Stimme.
“Endlich erkennst du mich!”
„Wie lange bist du schon hier?“
„Seit jeher… seit jeher, mein Bruder. Ich wäre auch geblieben, nachdem ich dir letzte Nacht diese Decke gebracht habe, aber unsere Mutter zwang mich, wieder nach Hause zu gehen.“
“Und wo sind sie?”
“Unser Vater und unsere Mutter fürchten den Mann des Qā’id und hindern auch Michele daran hierher zu kommen.”
“Und du, Schwester?”
„Ich bin nichts, die Konsistenz eines Tautropfens… wer interessiert sich schon für mich?“
Corrado schloss seine Augen. Er hatte eine Art Spasmus im Gesicht und sagte dann zu ihr:
„Geh nach Hause. Merkst du denn nicht, wie stark die Sonne zu dieser Stunde ist?»
Die Wache hatte sich inzwischen wieder angenähert, um das Mädchen daran zu hindern, ihm Hilfe zu leisten.
„Bleib ihm fern!“
Apollonia löste sich aus der Umarmung und antwortete:
“Aber siehst du nicht, dass er deliriert ist? War die Lektion nicht genug?”
„Geh und rede mit Umar… Ich hätte ihn schon freigelassen, und ich wäre nach Hause, in die Wärme gegangen.“
Apollonia lief daraufhin zum Eingang des Haupthauses. Als Umar benachrichtigt worden war und zur Tür kam, warf sie sich zu seinen Füßen und flehte ihn an:
“Bitte, Herr, was auch immer… aber lass meinen Bruder frei!”
„Ich habe ihm drei Tage versprochen, ich kann das Wort nicht zurückziehen.“
„Er wird diese Nacht nicht überleben; er hat hohes Fieber! Bitte Herr, bindet mich an diesen Pfahl, aber lasst ihn gehen oder er wird sterben.“
„Er wird sterben, wenn es geschrieben steht, dass er sterben wird und er wird leben, wenn es geschrieben steht, dass er leben wird… gebe ihm noch eine andere Decke, wenn du willst. Und demütige dich nicht auf diese Weise für jemanden, der es nicht verdient.“
Dann befahl er jemandem in der Nähe, dem Mädchen, das zu seinen Füßen lag, Nahrung zu geben und sie dann weg zu schicken. Apollonia stand wieder auf und erwiderte wütend, so dass es im ganzen Haus zu hören war:
“Ich will nicht dein Essen, ich habe schon einen, der meinen Hunger stillt!”
Daraufhin wurde die Tür vor Ihren Augen zugeschlagen, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, diese Entscheidung anzufechten. Jetzt gaben ihre Beine nach und sie glitt über die Tür und weinte noch lauter als zuvor.
Als dann der Muezzin die Gläubigen für die ṣalāt
des Sonnenuntergangs aufrief, und sie beobachtete, dass sich die Wache darauf vorbereitete, sich nach Mekka zu beugen und dem Verurteilten den Rücken zu kehren, nutzte sie dies aus, um gegen das Verbot, sich ihrem Bruder nicht zu nähern, zu verstoßen.
„Corrado, mein Atem und mein Leben… Corrado!“
Aber er stöhnte nur unverständlich und mit geschlossenen Augen.
Apollonia nahm dann sein Gesicht zwischen ihre Hände und sagte zu ihm:
„Erinnere dich, wer du bist, Corrado, und erinnere dich daran, wer dein Vater ist.“
“Alfeo… aus dem Rabad.” antwortete er geschwächt.
“Corrado, Bruder, erinnere dich, wer dein Vater ist” wiederholte Apollonia verzweifelt, da sie sich mit der Antwort nicht zufriedengab.
“Alfeo… unser Vater.” sagte er, noch immer mit geschlossenen Augen.
“Erinnere dich nicht an denjenigen, der dich wie einen Sohn liebte, sondern an den, der dich gezeugt hat. Diese Geschichten, die du mir abends am Feuer erzähltest und die dir dein Vater übermittelt hat… dein wirklicher Vater. Erinnere dich daran, wie du mir von den Landen im Norden erzählt hast, die aus Eis und Schnee gemacht sind und wie sich die Menschen deiner Abstammung an die extreme Kälte gewöhnt haben. Erinnere dich Corrado und vielleicht kann dich dein Blut des Nordmannes wärmen, um zu überleben.”
„Die normannische Kompanie…“
„Richtig, Corrado, die normannische Kompanie… erinnert sich immer noch!“
„Mein Vater, Rabel… Rabel de Rougeville.“
„Ja, Corrado, man sah ihn das letzte Mal während des Sommers vor zwanzig Jahren. Ich habe es oft erzählt.“
„Ich sah die Mauern von Syrakus…“, brummte er, bevor er sein Bewusstsein in einem tiefen, fieberhaften Schlaf verlor.

Kapitel 5
Anfang Sommer 1040 (431 seit Hegirae), vor den Mauern von Syrakus

Von Sizilien war sie das “Tor zum Orient”, die Stadt, die vor der Ankunft von Rom die glorreichste im gesamten zentralen Mittelmeer war. Die Heimat der Tyrannen und des großen Archimedes, eine Perle, die von göttlichen Delfinen vom Meeresgrund hervorgezogen wurde; dies war Syrakus! Und in der Tat war die aretusische Stadt ein zu prestigeträchtiges Ziel, um ignoriert zu werden, ein Meilenstein, den der General des orientalischen Reichs, Giorgio Maniace, in seiner Mission nicht vernachlässigen konnte.
Die vollständige Rückeroberung Siziliens zugunsten von Konstantinopel war nicht einfach und wenn man erfolgreich sein wollte, musste man Syrakus den Sarazenen wegnehmen, damit es zu einem soliden Brückenkopf für die Ankunft der Verstärkung aus dem Osten wurde. Die Stadt hingegen war gut versorgt. Sie hatte Wasserquellen im Inneren und wurde von Soldaten verteidigt, die sich nach den ersten Zusammenstößen hinter den Mauern zurückgezogen hatten. Der Aufruf der Muezzins auf den Minaretten erinnerte die Belagerer daran, dass die Eroberung ein langes und mühsames Unterfangen werden würde.
Giorgio Maniace war ein rauer und despotischer Mann, und erwies sich besonders in Bezug auf seine Truppen und Offiziere, die ihm untergeben waren, oft als gewalttätig… kurz gesagt, ein perfekter Krieger. Sogar sein Aussehen bezeugte seinen brutalen Charakter: Blind auf einem Auge, war er größer als der Durchschnitt und seine Gesichtszüge waren unangenehm und roh. Alles an ihm erzeugte Angst, sowohl unter seinen eigenen Leuten als auch unter den unglücklichen sarazenischen Milizen, die mit ihm zusammengestoßen waren. Sein Wert war schon unumstritten, bevor der Kaiser des Orients ihm die Mission anvertraute, Sizilien den Arabern zu entreißen. Aber jetzt, da von Messina bis zu den Toren von Syrakus wieder Kreuze erschienen, wurde sein Ruf absolut. Im Übrigen benötigte er auch einen starken Charakter und eine unbestrittene Autorität, wenn er in einem größeren Unterfangen als demselben Krieg gegen den Islam erfolgreich sein wollte: nämlich die vielfältige, um die von ihm befohlene Armee zu kontrollieren. Giorgio Maniace hatte viele Söldner verschiedenster Abstammung unter sich versammelt: Männer aus Konstantinopel und seinen Besitztümern, Männer aus Apulien, Kalabrien, Armenien, Mazedonien, Paulicianer
…, aber auch Söldner, die Konteraten
, die ihre Lanze im Gefolge des Langobarden Arduino schwangen… die Variaga-Wache, Nordmänner, die die slavischen Steppen überquert hatten, um dem Kaiser des Orients zu dienen und von Harald Hardada angeführt wurden… und die Normannen des Unterlaufs der Seine, die zu den geschicktesten Kriegern gehörten.
Gerade einer dieser letzten - aber noch kein Soldat - sah sich um die fünfte Nachmittagsstunde das Meer an, wobei sein Blick über die Ruinen der antiken Stadt auf dem Festland schweifte. Tatsächlich war die Stadt früher viel größer gewesen und erstreckte sich auch über einen beträchtlichen Teil der gegenüberliegenden Küste auf der Insel Ortigia, wo sich der Kern des berühmten Syrakus befindet. Seit zweihundert Jahren, nach dem verheerenden Sarazenen-Angriff, bestand die Stadt jedoch nur aus dem Inselteil und einem kleinen Teil der Halbinsel, die sich bereits unter der Kontrolle von Maniace befand. Die Männer wandten ihre Gedanken und Waffen den Überresten von Syrakus zu, um die monatelange Belagerung jenseits des engen und kargen Kanals, der die Stadt teilte, erfolgreich zu überstehen.
Conrad war neun Jahre alt und hatte den Krieg früh kennen gelernt, damit er sich an das Schicksal gewöhnen konnte, das ihn sein ganzes Leben lang begleiten würde. Tatsächlich konnte jeder normannische Mann von Natur aus nichts anderes als ein Krieger sein. Aber Conrad war auch ein Träumer… Vielleicht, weil sein Vater es für richtig hielt seine Waffentaufe noch hinauszuzögern, wusste Conrad zu träumen, ohne an die Gräueltaten der Menschen beim Massaker denken zu müssen, die die Augen trüben und den Geist vernebeln. In den grünen Augen von Conrad konnte man also noch die Hoffnung und die Idee von Haus und Familie sehen, die ihm durch den vorzeitigen Tod seiner Mutter, einer fränkischen Edelfrau, teilweise vorenthalten wurde.
Rabel de Rougeville hatte seinen Sohn und dessen Kinderfrau mit nach Italien gebracht, als das Kind nur ein Jahr alt war. Nach Salerno, gezogen durch die reichen Vergütungen, die den adligen normannischen Kadetten gewährt wurden und durch die Nachrichten der Landsleute, die ihm vorausgegangen waren. Bestärkt hatte Rabel damals beschlossen, sich seinen Mitstreitern anzuschließen und sich in den Dienst des besten Bieters zu stellen. In diesen Ländern fehlten die Kriege nicht… Länder, die durch die endlosen Konflikte zwischen Konstantinopel und den letzten langobardischen Fürstentümern mit Blut durchtränkt waren. Ganz zu schweigen von den anhaltenden Überfällen arabischer Räuberbanden an der Küste Kalabriens. Und als dann Giorgio Maniace die Armee für die Invasion Siziliens zusammenstellte, hatten Rabel und seine Kommilitonen auf den Appell reagiert. Messina war sofort gefallen, aber die nachfolgenden Kämpfe waren grausam und verheerend, sowohl für die Bevölkerung als auch für beide Armeen, mit großen Verlusten innerhalb des normannischen Kontingents. In zwei Jahren Krieg war Maniace nicht mehr gelungen, als bis unter die Mauern von Syrakus zu gelangen und die Ionische Küste zu kontrollieren. Die Leute des Iqlīm von Demona, der nordöstlichen vorwiegend christlichen Spitze der Insel, hatten die Invasion unterstützt, doch der Rest von Sizilien stand in der Tat unter dem Lehen der Sarazenen und ihn zu erobern, wäre ein langes und schwieriges Unterfangen gewesen.
Mit dem Blick über den kleinen Hafen und die Stadt hinaus breitete Conrad seine Arme in dem unmöglichen Versuch aus, das Meer und den Horizont zu umarmen. Sein Vater beobachtete ihn von hinten nun schon seit Minuten und als er sich näherte und ihm durch die langen blonden Haare strich, wandte sich Conrad überrascht und fast als fürchtete er, dass ihn der andere für die banale Geste die er machte, Vorwürfe machen könnte.
“Willst du das Meer ergreifen, mein Sohn?” fragte Rabel, der eine einfache weiße Tunika trug, aber bewaffnet war.
“Es ist das Schönste, was es gibt!”
„Ich fürchte, deine Taschen sind zu klein, um es ganz aufzunehmen…”
“Gott kann es aber halten!”
“Vielleicht ist es genau das, die Erde… seine Taschen… und wir sind drin.”
“Roul sagt, dass Gott uns unter allen Menschen auserwählt hat, weil unser Blut das Beste ist, das es gibt.”
Rabel lächelte und sah auch auf das Meer.
“Jede Nation, wie jedes Volk, glaubt besser zu sein als die anderen. Schau dir dieses Land an… die Mohammedaner glauben, dass sie Gottes Gunst haben, der Kaiser von Konstantinopel glaubt, dass er sein Vikar ist und der Papst glaubt dasselbe… und versuche mal, durch das Judenviertel einer dieser Städte zu gehen und zu fragen, auf welcher Seite Gott steht. Conrad, mein Kind, versuche dich selbst zu einer besseren Person zu machen, unabhängig von deinem Blut.
Ich habe Mohammedaner gesehen, die sich mit mehr Ehre als unsere Leute schlagen… Ich bin sicher, dass Gott sie in seiner Herrlichkeit schätzt, unabhängig davon, welchem Meister sie dienen. Seit wir auf dieser Erde sind, wurden mir die Augen für viele Dinge geöffnet.”
„Und Roul?“
“Roul ist mein bester Freund, aber wir kämpfen aus unterschiedlichen Gründen.”
„Bedeutet das, dass ihr nicht für die Belohnung kämpft?“
„Ich bin als Soldat geboren, und mein Vater hat mich dazu erzogen einer zu werden. Seit unsere Sippe die kalten Länder Jyllands
verlassen hat, haben wir nie etwas anderes in die Hand genommen als ein Schwert. Das ist unser Handwerk und die Bezahlung für den Kampf ist unser Lohn. Doch mein lieber Conrad, die Bezahlung kann dir die Taschen und auch dein Herz füllen; es liegt an dir, zu entscheiden, wo du sie investieren willst.“
„Meint Ihr damit, dass die Belohnung gefährlich sein kann?“
„Alles kann gefährlich sein, wenn es uns zu einem Laster führt und für egoistische Ziele genutzt wird. Macht, Geld und Frauen… Hüte dich vor all diesem gut!»
“Aber du hast meine Mutter geliebt…”, sagte Conrad verwirrt und zweifelnd.
“Es gibt nichts Schlechtes an der Macht, wenn deine Untergebenen zu deinen Kindern werden; nichts, das am Geld schlecht ist, wenn es deinen und den Hunger derjenigen stillt, die du befehligst; und aus keinem Grund der Welt ist die Wärme der Frau, die du liebst, falsch. Aber ich, mein Sohn, liebte eine einzige Frau und keine andere konnte jemals ihren Platz einnehmen. Du siehst ihr sehr ähnlich… deine Augen, deine Haare, dein Teint… und dein Name Conrad, geerbt von ihrer Sippe… Sie haben mir bereits zwei Wochen nach ihrem Tod ein hübsches Mädchen vorgestellt, aber ich wollte nicht, dass irgendjemand ihren Platz einnimmt und dass du eines Tages eine andere “Mutter” nennen würdest; ich hätte es nicht ertragen. Wenn wir eine Mutter brauchen würden, gab es bereits die Kinderfrau.“
“Was muss ich also fürchten?”
„Den Wunsch, der zur Brutalität führt. Wenn der Wunsch, etwas zu haben, die Ehre und alle Regeln menschlichen Mitleids außer Acht lässt.“
“Und die Frauen?” fragte verwirrt Conrad, wegen der typischen Neugier seines Alters, das an dem geheimnisvollen Wesen der Frau interessiert ist, es bis jetzt aber nur in der Brust der Kinderfrau kannte.
„Die Frauen… nichts verbietet es dir sie zu lieben, aber hüte dich vor den Augen einer Frau, die dir nicht gehört!“
„Rabel!“ rief jemand, der gerade aus dem Lager zwischen den Ruinen kam.
„Roul, ist das schon der Moment?“
Diese Frage zeigte den Charakter. Roul, die harte Faust war der Waffengefährte. von dem Rabel sich nie getrennt hatte. Sie waren zusammen in Richtung Italien aufgebrochen und hatten sich im Kampf immer gegenseitig geschützt. Roul war ein Verrückter von fast zwei Metern, mit einer mächtigen Stimme und schlechtem Benehmen. Ein vollerer Bart als es normal war, zeichnete sein Gesicht und sein Haar war dunkler als der Durchschnitt, wobei ein langer Zopf an der rechten Seite des Kopfes herunterhing. Sein abnormaler fast mediterraner Teint wurde durch die blauen Augen, die nordischen Gesichtszüge und seine außergewöhnliche Statur überführt. Er war ein Gauner, das wussten alle, aber er war auch ein sehr guter Soldat, einer der besten im Umgang mit der Kampfaxt. Viele fragten sich, was Roul mit Rabels edler Gesinnung zu tun haben könnte, aber vielleicht war genau der barmherzige Charakter des Zweiten das Band dieser Freundschaft. Rabel tolerierte die Exzesse von Roul, weil sie zusammen aufgewachsen waren und weil Roul ihm im Kampf den Rücken deckte.
„Noch nicht, sie werden morgen früh darüber reden. Aber der Wein ist da und jeder wartet auf Bruder Rabel, um zu feiern.»
“Bruder Rabel”, so nannte die gesamte normannische Kompanie den edlen De Rougeville, seit sie zu dreihundert den Leuchtturm
überquert hatten. Jetzt war der Wein angekommen und sie forderten die Anwesenheit aller.
Obwohl die arabischen Reisenden, die sich der Weltlichkeit widmeten, den Wein von Sizilien gerühmt hatten, war er selten zu finden. Da die Islamisten den Anbau von Reben auf den von ihnen kontrollierten Gebieten verboten hatten, waren in diesen Gebieten nur geringe Mengen von Trauben zu sehen. Schon bei der Ankunft von Maniace im Jahre 1038 hatten die Christen bald die Rebstöcke neu gepflanzt, um die Massenproduktion wieder zu beleben, aber es waren noch nicht genügend Trauben gewachsen, und man musste große Mengen des Getränks importieren, wenn man auf ein gutes Schicksal anstoßen wollte.
“Und er bringe auch Conrad mit; Es ist an der Zeit, dass er sich so amüsiert, wie es Männer können!”
Rabel starrte seinen Sohn an und schüttelte den Kopf, wodurch er seine Ablehnung in Bezug auf die Einladung des anderen zeigte.
„Willaume und Dreu?“
„Die Brüder de Hauteville
sitzen schon seit einer Stunde am Tresen der Taverne.“
Guglielmo de Hauteville, Willaume wurde in seiner eigenen Sprache als Eiserner Arm betitelt. Man erzählte, er habe mit nur einer Hand und mit einem Speer einen sarazenischen Champion getötet, der in einem früheren Zeitraum während der Belagerung von Syrakus ein großes Massaker unter den Griechen und Nordmännern angerichtet hatte. Aber es war offensichtlich, dass die Geschichte unwahrscheinlich war, obwohl sich die Legende unter den Truppen schon verbreitet hatte. Der Name seines Hauses wurde jedoch unter den Männern des normannischen Kontingents, das bereits seinem Kommando unterstand, immer mehr verherrlicht.
“Es wäre klüger, sich im Gebet und in der Kontemplation zu versammeln. Wir benötigen vor allem die Hilfe Gottes. Abd-Allah hat die ganzen Kräfte Siziliens gesammelt, und aus Afrika sind noch andere dazugekommen. Er glaubt, dass er es schaffen wird, die Belagerung dieser Stadt zu beenden, und er wird alles tun, um uns wieder dorthin zurückzutreiben, wo wir hergekommen sind. Wir müssen den Gegenangriff zurückweisen, bevor der Emir kommt, um uns an diese Mauern zu quetschen. Diesmal fürchte ich jedoch, dass der Mut der Mutigsten nicht ausreicht, um die gesamte Armee mitzureißen.“
„Wenn du mehr trinken und dafür weniger beten würdest, wärst du optimistischer!“
Da sich Rabel bewusst war, dass er bei dem Versuch den anderen zu überzeugen, wenig erreichen würde, wandte er sich sehr ernst an seinen Sohn.
„Hast du gehört? Morgen bei Sonnenaufgang geht es los. Du weißt, was du zu tun hast.»
Dann folgte er Roul auf dem Weg zur Taverne.
Conrad wusste genau was er tun sollte. Genau das, was er schon seit zwei Jahren tat: Das Gepäck seines Vaters vorbereiten, seine Rüstung bereitlegen, das Schwert ein letztes Mal schleifen und die Standarte mit ihrem Familienwappen vorbereiten, eine dänische Axt, die von einem grünen Eichenblatt überragt wurde auf einem roten Schild… eine Standarte, die Conrad, zu Pferde, neben seinem Vater auf dem Weg zum Schlachtort tragen würde.
Diese Diskussionen über Frauen und Wein erweckten eine seltsame und neue Gier in Conrad - das Geheimnis des Verbotenen stachelt die Jungen immer an -, sodass, sobald die beiden Ritter den Ort der Ruinen verließen, auch er in die Taverne ging. Diese war eigentlich ein Treffpunkt, der von einem christlichen Bauern hergerichtet worden war, der darauf spekulierte, mit den Bedürfnissen der Truppen zu verdienen.
Es war gerade die fünfte Stunde, wie gesagt, und die Sonne schien noch stark auf Conrads Kopf. Er spazierte zwischen den mit Soldaten überfüllten Zelten, durch Gruppen auf der rechten und linken Seite, die sich alle in ihrer eigenen Sprache unterhielten, … und zwischen den Predigern, die auf Podien standen, und nach Jahrzehnten der geflüsterten Gebete, jetzt mit lauter Stimme ihre Meinung sagten. Sie segneten jeden Soldaten, der an ihren Hockern vorbeikam und auch den Jungen, als er ihnen nahekam.
Dann betrat Conrad die Taverne und sah sich dem finsteren Laster gegenüber, das die Erwachsenen beherrschte. Die Kelche voller Wein, Würfelspieler an jedem Tisch und eine Handvoll Prostituierte, die die sich selbst für Geld verkauften, und die die gezwungen wurden, weil sich die Jungfrauen des Volkes den Eroberern hingeben mussten. Conrad lief schnell wieder hinaus, da er fürchtete, dass unter diesen Männern der Blick seines Vaters auf ihn fallen könnte.

Kapitel 6
Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Umar schloss ungeduldig die Tür. Die Forderungen des armen Christenmädchens, das sich so gedemütigt hatte und auch noch seine Füße geküsst hatte, wurden dadurch endgültig unterbrochen.
„Ich habe keine Zeit für diese Belästigungen. Wenn sie wieder auftaucht, jagt sie fort!» befahl er der Frau seiner Dienerschaft, die dem Mädchen geöffnet hatte.
Das verzweifelte Schluchzen und Weinen von Apollonia auf der anderen Seite der Tür waren einfacher zu ignorieren als die verbalen Forderungen von kurz zuvor.
Nadira befand sich in einer dunklen Ecke des Eingangsraums und hatte versucht die Szene zu beobachten, die am Ausgang ihres Hauses ablief. Aber nun, da die Tür geschlossen war, wodurch die Stimme und die Hoffnungen des armen Mädchens abgeschnitten worden waren, näherte sie sich ihrem Bruder und sagte wütend:
“War die Schande, mit der du dich bereits besudelt hast, nicht genug?”
Und er, der durch das Urteil seiner Schwester sehr verärgert wurde und schon seit dem Nachmittag, wegen der Diskussion und der Tatsache, dass seine Mutter ihre Tochter verteidigt hatte, wütend war, drohte:
„Hüte dich, Nadira… hüte dich… hüte dich, dass ich dich nicht auf einer Liege zu deinem Qā’id schicke!“
“Ich werde mich freuen zu “meinem Qā’id” zu gehen, nur um dich nicht mehr sehen zu müssen!
„Warum bist du dann nicht mit ihm gegangen als er kam, um um deine Hand zu bitten? Ich glaube, er wollte dich schon am nächsten Tag in seinen Palast bringen.» antwortete Umar und deutete mit dem Finger nach oben in Richtung Qasr Yanna, dem Sitz des Palastes von Ibn al-Ḥawwās.
„Weil du verlangt hast, dass sie warten, bis deine Frau ihr Kind geboren hat, damit sie deinen dritten Sohn sehen.“
„Als ob Ghadda ein Mädchen mit wirrem Kopf brauchen würde, um ihr bei ihrer Schwangerschaft zu helfen…»
“Du gleichst noch nicht einmal mit einem Haar unserem Vater…” antwortete Nadira, die sich ihm noch ein wenig näherte, ihm ihren Finger vor das Gesicht hielt und fortfuhr:
“Du bist undankbar… mit mir wie mit den armen Bauern, die diesem Haus dienen, in dem sie geboren wurden. Wenn du es nicht wärst, hättest du die Unglückliche, die immer noch hinter unserer Tür weint, nicht ignoriert.“
Der Ruf des Muezzins ertönte über dem ganzen Rabad; der letzte Sonnenstrahl war hinter dem Berg Qasr Yanna verschwunden.
“Sie ist eine Unglückliche, du hast es gut gesagt, und sie wird es immer sein… Erkläre mir doch, warum du dir diese Sache so sehr zu Herzen nehmen musst.”
“Weil ich mich, wenn du an diesen Pfahl gefesselt wärest, mich mit noch weniger Würde vor deinem Peiniger zu Füßen geworfen hätte als das Christenmädchen.”
Daraufhin brach Nadira in Tränen aus, aber sie fuhr fort, während sich Umar durch diese unerwartete Erklärung ihrer Hingabe für ihn beschämt fühlte.
„Und du fragst mich, warum ich den Qā’id gebeten habe, drei Monate lang auf mich zu warten…“
Doch Umar wurde ernst und sammelte all seine Kraft die er hatte, um sich hart zu zeigen.
„Du und deine Heulerei, Nadira. Du wirst mich nicht erweichen können!”
“Ich frage mich, wie sehr es dir leidtun wird, dass wir uns von jetzt an nur noch sehen werden, wenn Allah es will.”
“Ich hoffe, dass Allah meine Bitte erhört, dich von mir fern zu halten.”
Nadira weinte noch lauter, schlug auf seine Brust ein und schrie:
“Du bist nichts, Umar… nichts… und vielleicht, wenn du endlich etwas wirst, hast du es nur mir zu verdanken!”
Umar, der diese Worte nicht ertragen konnte, weil sie seinen Stolz verletzten, versetzte ihr eine Ohrfeige und sagte:
„Hörst du nicht, dass die Stunde des ṣalāt zum Sonnenuntergang geschlagen hat? Geh und reinige dich, bevor die Nacht vollständig eintrifft.“
“Und du geh und wasche auch deine Seele!”
Hastig, verärgert und wütend aufeinander gingen sie zu ihren Räumen.
Als Umar sein Gebet beendet hatte, war er nachdenklich, setzte sich auf sein Bett und grübelte über die Ohrfeige, die er ihr im Zorn versetzt hatte.
„Was ist da an der Tür geschehen? Ich habe dich während des adhān
streiten hören.» fragte Ghadda, die sich mit ihrem großen Bauch neben ihn setzte.
“Meine Schwester bringt mich um den Verstand! Seit der Qā’id um ihre Hand angehalten hat, tut sie nichts anderes als mein Vorgehen zu kritisieren.»
”Und du Umar, tust nichts anderes als sie zu provozieren… Seit ich unter diesem Dach lebe, habe ich noch nie jemanden gesehen, der an den Hofpfosten gefesselt war. Kann es sein, dass du, seit der Qā’id um die Hand von Nadira angehalten hat, uns immer wieder daran erinnerst, wer in diesem Haus und im ganzen Dorf befiehlt? Jeder spricht über deine Schwester, viel mehr als je zuvor über dich. Aber im Grunde, mein Geliebter, seid ihr zwei gleich… stur und immer bereit, dem anderen sein eigenes Wort aufzuzwingen. Außerdem habt ihr euch von diesem Tag an beide verändert… Es ist ihr zu Kopf gestiegen, aber du bist vom Weg deines Vaters abgekommen. Ich vermisse auch den Umar, den ich kannte.“
„Willst du mir damit andeuten, dass ich auf Nadira eifersüchtig bin? Dass ich befürchte, meine Stellung als wichtigste Person in diesem Haus zu verlieren?”
“Nicht nur im Haus, sondern im ganzen Rabad.”
“Ich eifersüchtig auf Nadira; was für ein Unsinn!” schloss Umar und lachte nervös, um sein Unbehagen angesichts der Wahrheit zu verbergen, von der auch ein Teil seiner selbst wusste.
„Herr, der Wächter auf der Terrasse bittet mit Ihnen zu sprechen.“ unterbrach eine Magd hinter der Tür des Raumes.
Umar stand auf und dankte für sein Glück, das ihn von diesem unbequemen Gespräch erlöste.
Ghadda hielt ihn jedoch am Arm zurück und fragte:
„Habe ich mich respektlos verhalten?“
Aber er näherte sich ihr und küsste sie mit einem zarten Blick auf die Stirn.
Umar bedeckte seinen Kopf und die Schultern mit einem weiten Kamelhaar-Schal und verließ das Haus. Er war im Begriff, dorthin zu gehen, wo die Treppe zur Terrasse ging, als er sah, dass der für die Bewachung des Verurteilten zuständige Wachmann, das Christenmädchen beschimpfte. Diese lag auf dem Boden, und nun, mit unbedecktem Kopf, schützte sie ihr Gesicht und schrie, während der Wachmann sie mit dem gleichen Seil schlug, mit dem Corrado am Vortag geschlagen wurde. Corrado hingegen war immer noch bewusstlos.
Umar hielt inne und da die Worte seiner Frau noch immer frisch in seinem Gedächtnis nachhallten, befahl er der Wache, als ob er es sich selbst beweisen wollte, dass er auf niemanden eifersüchtig war:
„Idris, lasst diese arme Unglückliche in Ruhe!“
“Aber Umar, ich habe ihr jetzt schon dreimal gesagt, dass sie sich dem Jungen nicht nähern darf… Und gerade eben nutzte sie das ṣalāt des Sonnenuntergangs, um es wieder zu tun!»
„In Ordnung… aber rühr sie nicht an! Schick sie lieber nach Hause.“
In diesem Moment erhob sich Apollonia ein wenig, blieb aber auf ihren Knien und saß auf ihren Fersen.
„Lasst mich wenigstens im Hof bleiben. Ich werde auch brav in der Nähe der Mauer bleiben.» bat sie voller Tränen.
„Tu was du willst!“ liquidierte Umar sie ungeduldig, und verärgert, sie immer noch nicht los geworden zu sein.
Auf die Terrasse angekommen, lenkte die Wache sofort seine Aufmerksamkeit auf die letzten Kurven der Straße von Qasr Yanna, nur wenige Schritte vom Rabad entfernt.
„Da kommen drei Männer zu Pferde.“
„Zu dieser Stunde? Es werden Reisende sein, die den falschen Weg eingeschlagen haben. Sie hätten die Nacht in Qasr Yanna verbringen können… warum sollten sie sich in der Dunkelheit und bei dieser Kälte auf den Weg machen?»
„Heute Nacht ist klarer Himmel, ich fürchte, es wird Frost geben.“
Umar dachte einen Moment an den Gefangenen, wandte sich dann aber wieder den sich nähernden Fremden zu.
„Umar, den Drapierungen nach muss meines Erachtens nach mindestens einer dieser Reiter eine wichtige Person sein.“
„Es war gut, dass du mich gewarnt hast, Mezyan. Wenn es jemand wichtiges ist, ist es nur richtig, dass er meine Gastfreundschaft erfährt.“
Umar ging in den Hof hinab und schaute auf Corrado und sagte dann zur Wache:
„Idris warte noch ein paar Stunden bis nach dem adhān der Nacht und lass ihn dann gehen.“
Als Antwort verneigte dieser seinen Kopf zustimmend.
Nach den letzten Wetterüberlegungen hätte Umar Corrado schon eher befreien wollen, aber er glaubte, dass es seinem Ruf zugutekommen würde, wenn diese Fremden eine solche Machtdemonstration sehen würden.
Der Schuldeintreiber des Qā’id erwartete sie dann am Eingang und sah sie ankommen, während die letzten Lichtstrahlen im Westen verschwanden.
Wie die Wache auf der Terrasse gut gesehen hatte, war einer der drei fein gekleidet; sicher war er ein Edler. Umar stellte sofort fest, dass die drei keine Berber, sondern eher Araber waren. Auf der anderen Seite unterschied, über das Aussehen hinaus, einen Mann berberischer Herkunft wenig bis gar nichts von einem mit arabischer Abstammung, wären da nicht die berberische Sprache, die im Familienkreis neben der arabischen Sprache gesprochen wurde und die Überreste einer alten und der islamischen Welt fremde Kultur, die von den Arabern importiert worden war.
Derjenige, den er als einen Edlen ansah, trug einen Mantel mit einer weißen Kapuze aus feinem Damast; Umar hatte solch einen noch nie gesehen. Er stieg von seinem Pferd und einer der Drei, aber nicht der, auf den bisher seine Aufmerksamkeit gerichtet war, sagte:
„Wir suchen das Haus von Umar Ibn Fuad.“
„Ich bin Umar. Was kann ich für euch tun?”
„Wisst ihr, wen Ihr vor euch habt, Umar?“ fragte der Mann und bezog sich auf den Mann, den sie begleiteten.
„Sie werden es mir schon sagen.“
Dann sagte er zu seinem Mann im Hof:
„Idris, kümmere dich um die Pferde!“
Umar lud sie dann ein, nach drinnen zu kommen. Er hatte keine Ahnung, wen er vor sich hatte, aber er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass seine Gastfreundschaft auf dem äußerlichen Auftreten des Gastes beruhte. Er setzte voraus, dass er auf jeden Fall einen angenehmen ansehnlichen Mann vor sich hatte und glaubte, dass er ihn noch bevor er sich vorgestellt hatte, in sein Haus einladen müsste.
In dem üblichen gut ausgestatteten Raum mit Teppichen und Kissen, jetzt mit einem kleinen angezündeten Kohlebecken in der Mitte, erwies Umar ihm die Ehre, indem er das Beste von dem gab, was er hatte. Er dachte, er könne den drei vertrauen, da sie zusammen mit ihren Mänteln und Taschen auch die Schwerter an die Dienerschaft übergeben hatten, ohne dass dies von jemandem verlangt worden wäre.
Nun konnte Umar sie im Licht des Feuers und der Lampen besser betrachten. Der Mann, der der Herr der anderen beiden zu sein schien, war etwa vierzig Jahre alt, hatte ein gepflegtes Aussehen, ein feines Gesicht und eine feine Nase, und er hatte auch das Charisma derer, die sich ihres Platzes in der Welt bewusst waren. Er sprach auch langsam und schloss oft wissentlich die Augen. Die beiden anderen waren fast gleich gekleidet, mit langen schwarzen Tuniken und weißen Socken, aber einer von beiden trug ein großes Goldmedaillon um den Hals.
Sich gegenübersitzend vergingen einige Minuten, bevor jemand anfing zu sprechen. Umar entschied sich dann, das Eis zu brechen, um herauszufinden, ob er ein paar Geschäfte machen konnte:
„Du bist reich! Was bist du, ein Perlenhändler?”
Dieser antwortete lachend:
„Meine Agenten haben in diesem Jahr mein Einkommen durch den Handel mit Perlen deutlich gesteigert.“
“Ich hätte gesagt, dass du ein Qā’id wärst, wenn es nicht so wäre, dass ein Qā’id mit Eskorte und mit seinem Hof reisen würde.”
„Salim, Bruder… mein Name ist Salim.“
„Nun, Salim… welches Geschäft hat dich in mein Haus gebracht?“
Tatsächlich hätte Umar gerne gefragt, warum sie die Nacht nicht in Qasr Yanna verbracht hatten, anstatt sich bei Sonnenuntergang auf den Weg zu machen, um nur wenige Kilometer zurückzulegen. Er befürchtete jedoch, dass seine Frage falsch interpretiert werden könnte, fast so, als ob er sie fragte, warum sie nicht zu Hause geblieben wären.
“Steht dieser Mann, den du an diesen Pfahl gefesselt hast, … zum Verkauf? Ich hatte den Eindruck, dass er einen außergewöhnlichen Körperbau besitzt.”
“Du bist also ein Sklavenhändler!”
„Ich bin ein Mann, der nach wertvollen Perlen unter den Menschen sucht, Bruder.“
Sofort keimte in Umar der Gedanke auf Corrado an diesen Mann zu verkaufen. Dann fiel ihm ein, dass die Christen im Rabad keine Sklaven waren, obwohl sie seinem Haus dienten, und er konnte sich nicht selbst zum Herrn über ihr Leben machen. Also antwortete er:
„Ich fürchte, dass es im Rabad keine dieser Perlen gibt. Hier bestellt jeder sein eigenes Land und betet zwischen seinen eigenen Mauern… mit Ausnahme der vier, die in diesem Haus dienen.”
„Ich weiß aber, dass du eine Perle von seltener Schönheit unter diesem Dach versteckst und dass es sich dabei nicht um eine der vier Dienerinnen handelt.“
Umar wurde ernst und verstand, dass sich der andere auf Nadira bezog, und antwortete:
„Die Perle, von der du sprichst, steht und stand auch nie zum Verkauf.“
“Aber ich weiß, dass der Qā’id von Qasr Yanna sich eilte, sie zu kaufen, Bruder.”
“Deshalb wirst du verstehen, welche Art von Mensch sie schützt…”
“Ich fürchte niemanden… noch weniger den Qā’id, und das deshalb, weil ich niemandem schaden möchte… auch wenn ich dazu die Macht hätte. Trotzdem habe ich von zwei Saphiren gehört, die in einer wunderbaren Umrandung eingebettet sind; von einem Mädchen mit paradiesischem Aussehen, von einem Traum, der die Brust zerspaltet. Der Qā’id kann alles haben, was er will… und er bekommt immer das Beste. Ich bin jedoch ein Perlenhändler - wie du es gesagt hast - und ich erkenne an, dass andere Qā’id und Herren ein Vermögen für solche Perlen zahlen würden. Der Ruhm der Augen von Nadira, wenn dies ihr richtiger Name ist, hat sich über ganz Zentral-Sizilien verbreitet, aber ich bitte dich um nichts… nur darum sie sehen zu dürfen. Nun, da Ibn al-Ḥawwās sich ein so kostbares Geschenk gemacht hat, werden die anderen es ihm sicherlich nachmachen wollen, und ich werde es sein, der diese Seltenheit unter den Mädchen der Insel und der Überseegebiete finden wird.“
“Was willst du also?”
„Nur das Hellblau sehen, von dem man so viel spricht.“
Er schloss seine Augen und rezitierte mit einem halben Lächeln:
“Der Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen.”
Umar rieb sich nervös die Hände. Der Antrag war ihm verdächtig, obwohl er im Grunde nicht so schwer zu erfüllen war, da es sich um keine Verletzung der Ehre oder Moral handelte. Der Hausherr war nachdenklich, hin und her gerissen zwischen Eifersucht auf seine Schwester und der Angst, einen wichtigeren Mann als ihn zu enttäuschen. Der andere hatte von Anfang an verstanden - oder vielleicht wurde es ihm berichtet -, was Umars Schwachpunkt war. Bei einem anderen hätte dieser Mann mit guten Handelsfähigkeiten Geld angeboten, aber Umar glaubte nicht an die Reichtümer, wie ein Geizhals es tun würde; für ihn war der Stolz der wahre Schlüssel, um ihn verletzlich zu machen.
„Umar, mein Bruder, jetzt, da du der Schwager des Qā’id bist, hast du sicherlich schon darüber nachgedacht, wie du deine neue Stellung sichtbar machen und wie du als solcher deinen Respekt einfordern kannst…“
Umar sah ihn verwirrt an, im Grunde dachte er genau daran, seit Ali Ibn al-Ḥawwās den Rabad besucht hatte.
“Mein Mantel, hast du jemals einen solchen gesehen?” fragte Salim, da er bemerkt hatte, dass Umar ihn bestaunt hatte.
“Ich vermute, er kommt aus sehr weiter Ferne.”
Der andere lachte und bezog auch seine Männer in diese Geste ein.
“Das sagt viel über dich aus, Bruder. Hast du jemals den Fuß aus dem Rabad gesetzt?”
“Ich besuche ständig den Markt von Qasr Yanna. Dort gibt es eine große Anzahl von Menschen: Viele Gläubige, aber auch christliche Bauern, die das Land innerhalb der Stadtmauern bestellen und sogar Judenhandwerker aus Qa’at an-Nisā’
gibt es dort. Alles ist dort zu finden: Vom Schwefel der Bergwerke über Salz aus den Ablagerungsstätten, vom Zucker, der aus dem Zuckerrohr gewonnen wird, bis hin zum Reis der Reisfelder. Und die Gärten der Stadt und ihre Quellen… es lohnt sich, sie zu besuchen.”
“Aber Qasr Yanna ist nur eine halbe Stunde von diesem Dorf entfernt!” reflektierte der Mann mit dem Medaillon.
“Vielleicht bergauf, Bruder!” antwortete der andere in dem Versuch, Umar zu verspotten.
“Mein lieber Umar, das Tuch meines Mantels stammt aus den Fabriken in Balarm
. Warst du schon einmal in Balarm?»
Salim nutzte die Kunst des Handelns erfolgreich aus, doch Umar verkaufte keine materiellen Güter, sondern etwas, das der Schuldeintreiber des Qā’id bereits besaß: seinen Stolz. So wie ein Kaufmann in seinem Kunden das Bedürfnis erweckt, das Objekt besitzen zu müssen, das er ihm verkaufen will, demütigte Salim Umar und machte ihm klar, dass es notwendig ist, eine andere Person zu werden. Eine, die stolz ihre Verwandtschaft mit dem Qā’id zeigt und ihre neue Stellung zur Schau stellt. Er ließ ihn die Tatsache abwägen, dass er nie in Balarm gewesen war, und machte ihn so klein… klein wie jeden Bewohner eines ländlichen Dorfes, obwohl er ein Beamter des Qā’id war. Jetzt würde Salim ihm die Lösung vorschlagen, indem er sich auf den Stolz stützen würde, den er so geschickt zerschlagen hatte und der ein neues Leben brauchte.
“Der Mantel ist dein, Bruder! Du brauchst genauso eine Bekleidung, die dich nicht unbemerkt lässt.”
“Das ist zu kostbar als dass du es hergeben kannst.”
“Du scherzt, Umar? Ich habe Hunderte von Stoffen dieser Art…, die meine Schneiderinnen gut zu verarbeiten wissen. Ich, um was bitte ich denn. Nur um einen Blick auf die Augen eines Mädchens… Denk dran, das ist das Einzige, was du besitzt und was es Wert ist zu zeigen… und du hältst sie hinter verschlossenen Türen…”
Daraufhin nickte Umar der Dienerin zu, die an der Tür stand und eine große, mit Wasser gefüllte Terrakotta-Kanne trug.
“Lass Nadira herkommen.”
Die Magd verließ daraufhin den Raum.
Die vier blieben lange Minuten in der Stille zurück und warteten darauf, dass das Mädchen, das so viel Neugier in dem Fremden erweckt hatte, zu ihnen kam. Umar nahm nervös ein Stück Brot vom Teller in der Mitte, tunkte es in den Honig und führte es dann in seinen Mund.
Nach kurzer Zeit betrat Nadira, die die ganze Zeit nach dem letzten Streit mit ihrem Bruder in ihrem Zimmer geblieben war, den Raum. Sie trug noch das schöne grüne Kleid mit den gelben und blauen Verzierungen, das sie am Nachmittag getragen hatte und wie üblich bedeckte sie in Anwesenheit von fremden Männern ihr Gesicht.
Jala und Ghadda, verwirrt und neugierig, standen an der Tür.
“Ist es sie, die das Herz von Ibn al-Ḥawwās gefangen genommen hat?” fragte Salim und wandte sich Umar zu.
“In Person… meine Schwester Nadira.”
Salim stand auf, während die beiden anderen sich ansahen, verloren in der Atmosphäre, die plötzlich strahlend geworden war.
Nadira stand in der Mitte des Raumes, starrte Umar an und versuchte zu verstehen, was dieser Gast von ihr wollte und welche Rolle er dabei spielte.
“Komm, Mädchen, komm näher!” sagte Salim und unterstrich seine Einladung mit der Hand.
Umar nickte ihr zu, und sie erkannte, dass sie ihm Vertrauen konnte, und machte zwei Schritte nach vorn.
Nun verlor sich der Blick Salims in den Augen des Mädchens, aber er sah sie so intensiv an, dass sie die Augen senkte, da sie sich unwohl fühlte, als ob der Akt des Blickes eines Mannes eine echte Bedrohung darstellen könnte.
Nach ein paar Sekunden sagte Umar:
“Die ganze Nacht wird dir nicht reichen, um deine Augen zu sättigen.”
Und dann wendete er sich an Nadira:
“Das kann genügen, Schwester.”
Doch Salim unterbrach:
“Nein, Mädchen, warte einen Moment! Und du, Umar, ich würde verrückt werden, wenn ich dich nicht um noch etwas bitten würde.»
“Sag.”
“Ich sehe keine schwarzen Sklaven in diesem Haus, obwohl jeder Mann von Ansehen, mindestens einen hat. Du wirst mit mir in meine Stadt kommen, alle Männer mit dir bringen, die du willst, so viele, wie du es für nötig hältst, und ich werde die Arme jedes einzelnen füllen und ich werde den Rücken jedes Pferdes oder Dromedars, das du mit dir führst mit all dem bedecken, was in deinen Augen schön aussieht… und ich gebe dir auch eine schwarze Sklavin. Ich bin ein sehr wohlhabender Mann edlen Blutes; verzichte nicht darauf, Bruder! Sie werden über dich große Dinge sagen, und sie werden bestimmt eine Moschee nach dir benennen.»
Umars Ohren, als er dieses übertriebene Angebot hörte, rauschten und sein Kopf wurde leicht, leer, verloren in der Verwirrung dessen, was ihm da vorgeschlagen wurde. Dennoch dachte Umar gut darüber nach, jeden Handel in der Vorstellung dessen im Keim zu blockieren, was die Art der Gegenleistung sein könnte.
“Ich werde den Qā’id nicht betrügen, nur um durch jemand anderen reich zu werden.“
Nadira verließ nun endgültig den Raum, blieb aber mit den anderen Frauen an einem Punkt stehen, von dem aus sie zuhören konnte, ohne gesehen zu werden.
Salim setzte sich wieder hin, gedemütigt durch diese Ablehnung. Er strich sich über den Bart und sagte langsam:
“Eines Tages, als mein Sohn noch ein Kind war, sah ich ihn mit einigen goldenen Robā
spielen; er benutzte sie, als ob sie kleine Holzblöcke wären, stapelte sie und stieß sie dann um. Seine wütende Magd schrie ihm hinterher wie eine Irre, damit er sie wieder zurücklegte. Schließlich näherte ich mich ihm, zog einige bunte Glasmünzen aus meinen Taschen und bot sie ihm im Tausch zu denen aus Gold an. Das Kind stimmte dem Tausch sofort zu.
Siehe, mein lieber Umar, du bist wie dieses Kind, bereit auf ein goldenes Angebot zu verzichten, um dich mit einfachem, farbigem Glas zufrieden zu geben.“
“Mit farbigem Glas kaufen die Menschen ihr Brot!” rief Umar aus, der sich über dieses Wortspiel ärgerte, das der andere benutzt hatte, um ihn zu beleidigen.
“Aber du willst doch nicht ewig ein Mann mit buntem Glas bleiben… du hast im Haus etwas, das mehr Wert ist als Gold… und glaube mir, wenn ich es dir sage, dein Qā’id respektiert dich überhaupt nicht!”
„Meine Schwester gehört bereits Ali Ibn al-Ḥawwās!“ Umar wurde lauter, stand auf und zeigte mit dem Finger auf Salim.
“Der “Demagoge”, der sein Volk mit einfachen Worten krank macht… hat eine Gabe, das ist sicher…, und ich würde es nicht besser machen können. Aber verstehe, Bruder, dass Ibn al-Ḥawwās nur Worte anbieten kann? Nur farbige Glasmünzen!”
“Er wird den Preis von Nadira zahlen, wenn er sie haben kann.”
“Ich biete dir mehr und ohne dich sogar zu bitten, sie zu besitzen. Ehrlich gesagt, die fleischliche Liebe befriedigt mich weniger als Gold und das Vergnügen, es auszugeben.“
Umar war verwirrt; könnte es wirklich sein, dass er nicht an das gedacht hatte, was er von Anfang an für den zweiten Vorschlag hielt?
“Wie ausgeben in diesem Fall?“ fragte er.
“Du wirst doch wohl nicht denken, dass ich glaube, dass die Schönheit von Nadira bei ihren Augen aufhört? Und das muss auch dein Qā’id verstanden haben, sonst hätte er sich darauf beschränkt, sie anzusehen. Was deine Schwester unter dem Schleier verbirgt, muss sicher ihren Augen würdig sein. Ich bitte dich nur, dass sie heute Abend in diesem Zimmer für mich tanzt.”
Umar spürte, wie ein Feuer zu seinen Ohren loderte. Der Mann forderte seine Eifersucht heraus, als ob seine Rolle als Beschützer des Mädchens nichts wert wäre.
“Jamal, schenke ihm das Medaillon, das du am Hals trägst!“ befahl Salim einem seiner Männer, da er noch immer glaubte, dass er Umar kaufen könnte.
Der Mann erhob sich und hängte dem Hausherrn das große Medaillon um den Hals.
Umar schaute es sich genauer an: Es war ein sehr teures, gut geschnitztes, gut graviertes und sehr schweres Objekt.
“Jetzt werden dich alle bemerken, Bruder!” kommentierte Salim, lächelnd.
Umar nahm jedoch das Schmuckstück ab und ließ es auf den Brotteller fallen.
“In diesem Haus hat man nie gespielt oder getanzt!” schloss er streng.
“Jamal hat in seinem Gepäck einen Mizud
und weiß es gut zu spielen.“
Nadira, jenseits der Tür, war von diesen Forderungen verblüfft und stellte sich vor, wie auch Jala und Ghadda, dass Umar bald explodieren würde.
“Jamal wird dann gerne in Anwesenheit deiner Konkubinen spielen.”, antwortete der letztere.
Salim wurde jetzt ernst und stand auf.
“Ich bin viel gereist… Ich habe viele Menschen kennengelernt… und sogar die Qā’id haben mir nie etwas verweigert!“
Umar tat es dem anderen gleich und stand auf.
“Du glaubst, dass du alles kaufen kannst… Aber Ehre kann nicht gekauft oder verkauft werden! Ich bin der Garant für alle Frauen in diesem Haus, und ich erlaube keinem auch nur zu glauben, dass er meine Schwester wie eine Prostituierte behandeln kann!”
Der andere antwortete grinsend:
“Wenn der Qā’id nichts von Nadira gehört hätte, wäre sie früher oder später an den erstbesten Bieter verkauft worden… vielleicht sogar an jemanden, der sie als solche behandelt hätte. Vertrau dem Wort eines Menschen, der die Welt kennt.”
„Und du vertraue mir, dass ich mich selbst kenne. Du hast meine Gastfreundschaft beleidigt, so dass ich deine Anwesenheit in diesem Haus nicht mehr tolerieren kann.“
Er schaute zur Magd, die die Kanne hielt und fuhr fort:
“Gebt diesen Männern ihre Sachen und ihre Pferde.“
Umar starrte sie so lange an, wie sie gedemütigt ihre eigenen Sachen zusammensammelten und das Haus verließen. Salims Lächeln verschwand jedoch nie aus seinem Gesicht; nervös schien er seine Verlegenheit verbergen zu wollen.
Dann, als er die Tür erreicht hatte, sagte er:
„Höre meine Warnung, Umar: Du hast Nadira dem Qā’id versprochen, und direkt vor dem Qā’id und vor seinen Gästen wird sie ohne Scham tanzen!“ Und er ging hin und verschwand zusammen mit den beiden anderen in der Dunkelheit der Nacht.
“Wer war der Mann, den du da verärgert hast?” fragte Jala fast in Panik.
“Er war derjenige, der ich nicht werden will!” sagte Umar knapp, zog sich in sein Zimmer zurück und lud die anderen ein, dasselbe zu tun.

Kapitel 7
Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Als Idris schließlich das ṣalāt des Sonnenuntergangs beendete, konnte er sehen, dass Apollonia, entgegen dem Verbot, ihren Bruder umarmte. Ohne dass das Mädchen es bemerkt hatte, zog er plötzlich an ihrem Schleier, entblößte ihr Haar, und zog sie dann am losen Haar auf dem Boden zurück, während sie sich mit ihren Beinen wehrte. Idris hatte genug von ihrer Anwesenheit, die seine bereits unangenehme Aufgabe noch verschlimmerte und deshalb wollte er ihr ein für alle Mal eine Lektion erteilen und entschied, dass er sie mit dem Seil in der Art und Weise schlagen würde, wie er es am Tag zuvor mit Corrado getan hatte. Er schlug blind auf sie ein, wobei er vor allem auf ihr Gesicht zielte. Apollonia versuchte sich zunächst schreiend mit ihren Armen zu schützen.
Weiter weg zitterte Corrado, öffnete leicht seine Augen, um sie wieder vor Fieberschmerz zusammen zu kneifen. Plötzlich sah er das Bild eines Mannes… ein erwachsener Mann, der von Kopf bis Fuß an einem Fahnenmast gefesselt war. Dieser Mann schrie jedoch nicht bei den Schlägen, die sein Folterer ihm verpasste, sondern er ertrug sie stolz mit geballten Fäusten.
“Roul, was tun sie diesem Mann an?” fragte Corrado niemandem.
Die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte, wurde durch ein Kindheitstrauma wieder erweckt. Doch wenn Corrado bei Bewusstsein gewesen wäre, hätte er sicherlich versucht, den Pfahl, an dem er gefesselt war, auszureißen, um es demjenigen heimzuzahlen, der sich im Moment an seiner Schwester ausließ.
Zufällig war es Umar, der ihm Einhalt gebot, gerade in dem Moment, in dem dieser auf die Terrasse gehen wollte.
Apollonia, die jetzt die Erlaubnis hatte, sich in einer Ecke aufzuhalten, kauerte sich mit den Schultern zur Wand und weinte ihre Tränen zwischen ihre Knie.
Als Umar die Zeit für die Freilassung des Gefangenen festsetzte, weinte Apollonia noch lauter und fühlte Erleichterung für etwas, das anscheinend kein Ende mehr finden wollte.
Später übernahm Idris die Pferde der drei Gäste und führte sie in die Stallungen zum Haus.
“Ich will nicht bereuen, dass ich aufgehört habe, als Umar mich vorhin darum gebeten hat,” warnte die Wache und starrte Apollonia an.
Das Mädchen konnte nicht riskieren, ein weiteres Mal gegen das Verbot zu verstoßen. Nicht aus Angst, ein weiteres Mal geschlagen zu werden, sondern aus Angst, dass es gezwungen wäre, nach Hause zurückzukehren.
“Bruder, Bruder! Ich bin hier, ich werde nicht gehen.”
Dann näherte sie sich doch noch ein wenig und zog sich mit Beinen und Händen auf dem Boden lang; immerhin war sie noch mindestens vier Schritte entfernt.
“Corrado, mein Atem und mein Leben, du musst nur noch ein wenig ausharren. Bruder, antworte mit, lass mich sehen, dass deine Seele noch immer in deiner Brust schlägt.”
Dann näherte sie sich einen halben Schritt weiter und sagte:
“Ich weiß, dass deine Eifersucht auf mich die eines Bruders für eine Schwester ist… aber dasselbe kann ich nicht über meine Hingabe für dich sagen…”
Obwohl der Geist des anderen vernebelt und sein Verständnis der Dinge fast nicht existent war, war es schwer für Apollonia, zu sagen, was sie seit Jahren im Herzen verborgen hielt. Jenes Gefühl, für das sie sich vor der Ikone der Jungfrau immer wieder schämte.
“Beurteile mich nicht als treue Schwester, denn für Michele hätte ich vielleicht nicht dieses Opfer gebracht und wäre hier geblieben… beurteile diese Taten überhaupt nicht, Corrado, denn was du entdecken würdest, könnte dich von mir entfernen… und für mich wäre das schlimmer als dich sterben zu sehen.”
Als Idris in den Hof zurückkehrte, hörte sie auf zu gestehen, da es dazu geführt hätte, dass sie aus dem Dorf verbannt worden wäre. Dies wäre eine noch größere Schande gewesen, als die eine Christin zu sein.
Bei absoluter Dunkelheit rief der Muezzin zum adhān der Nacht. Idris setzte sich daraufhin auf die Mauer, weit genug entfernt, um das Mädchen nicht zu hören, aber nahe genug, um einzugreifen, wenn sie sich wie zuvor näherte.
“Noch ein paar Stunden und dann bringe ich dich nach Hause.” sagte Apollonia lächelnd.
Dann wurde sie wieder ernst, als sie bemerkte, dass sie ihre Zehen nicht mehr fühlte und als sie sich die noch schlimmere Wirkung vorstellte, die diese Kälte bei ihrem Bruder auslösen könnte. Sie fing an vor Kälte zu zittern und versuchte sich die Hände zu wärmen, indem sie in die Fäuste atmete.
“Mädchen, geh nach Hause! Siehst du nicht, dass du zitterst?” ermutigte Idris sie, als er Ihren Zustand sah.
“Ich werde nicht gehen… es dauert ja nicht mehr lange.” antwortete sie mehr an Corrado gerichtet.
Ihre Haselnussaugen schauten nach oben, auf das Gesicht ihres Bruders, während die Tränen gerade so unter den Augenlidern hervortraten, da sie wegen der fehlenden Neigung nicht herunterlaufen konnten.
“Wie sehr es dir jetzt nützen würde, wenn du etwas an Gott glauben würdest…”, fragte sich Apollonia in Bezug auf Corrado, da sie seine Apathie in religiösen Fragen kannte.
“Ich weiß, mein Bruder, dass du nicht daran glauben willst, dass es einen Gott gibt, der fähig ist, alles Böse zu erlauben, das dir zugestoßen ist. Ich weiß, dass Christus und alle Heiligen dich schon einmal enttäuscht haben, als deine Gebete nicht erhört wurden, während du auf die Rückkehr deines Vaters hofftest.»
„Rabel de Rougeville.” murmelte Corrado.
Apollonia verstummte plötzlich; ihr Bruder war immer noch bei Bewusstsein. Wenn er nun ihre Liebeserklärung vor Kurzem gehört hatte…?
“Corrado, Bruder, du bist am Leben!”
“Rabel de Rougeville!” wiederholte er etwas lauter und in einem Atemzug, fast weinend und fast schreiend.
“Erinnere dich an den Heiligen, der deinen Vater beschützt, wende dich an ihn!” lud ihn Apollonia ein, um ihn wach und beschäftigt zu halten.
„Sant’Andrea…“
“‘Agjaou Andréas
.” wiederholte Apollonia auf Griechisch, das heißt in der Sprache der christlichen Liturgie in Sizilien.
In der Familie Apollonias sprach man in einer Art lateinischer Sprache und dasselbe taten sowohl die Christen von Qasr Yanna als auch die vielen Einheimischen, die sich zum Islamismus bekehrt hatten. Wenn es jedoch darum ging, zu beten, wurde die alte griechische Sprache benutzt… Die aber nicht ganz verstanden wurde. Im Gegensatz dazu sprachen Apollonia und die Familie im Rabad
, der ein enger und überwiegend von Beschnittenen bewohnter Ort war, Arabisch; diese Sprache wurde in Sizilien, im Vergleich zur Sprache des Propheten, inzwischen vorwiegend gesprochen. Manchmal benutzten sie auch einige Berber-Wörter, die sie bei den Frauen am Brunnen und den Männern auf dem Feld mit dieser Abstammung gelernt hatten.
Apollonia schloss ihre Augen und begann mit gefalteten Händen ihre Gebete zu rezitieren, wobei sie Maria die Mutter Gottes, die Jungfrau, zugunsten von Corrado anrief. Offensichtlich betete dieser leise, denn einem Ungläubigen war es nicht erlaubt seine Gebete laut zu spreche, damit sie den Gläubigen nicht zu Ohren kamen… und Idris hielt sich auch viel zu nahe auf.
“Mariám Theotókos, ‘und Parthénos
…” begann sie.
Corrado hörte die Stimme Apollonias genauso, wie er in diesem Moment die Stimme seiner Erinnerungen hörte, die von diesem Bild der Madonna und der Heiligen, an die sich seine Schwester wandte, wieder erweckt wurde.

Kapitel 8
Anfang Sommer 1040 (431 seit Hegirae), Täler östlich von Tragina

Die Fahnen wehten unbezähmbar im Wind; ein unsicherer Wind an diesem Tag, vielleicht wusste auch Gott nicht, auf welcher Seite er stehen sollte… und Gott war verwirrt darüber, wer vor dem Gericht der ungläubigen Nachwelt in diesem Kampf unterstützt werden sollte. Auf der einen Seite der Schrei “Allahu Akbar
”, die Sarazenen von Sizilien und Afrika, die zur Unterstützung der ersten gekommen sind, bereit, die Eindringlinge zu vertreiben. Auf der anderen Seite, die Lobpreisung “Christus gewinnt”, die Menschen im Sold von Konstantinopel, für die die Invasoren die anderen waren.
Aufgefordert von ihrem Befehlshaber, im Schutz zwischen dem Jebel
und den Karonien, wandten sich die Männer von Abd-Allah nach Mekka und unfreiwillig in Richtung der feindlichen Armee. Im Gebet versammelt waren aber auch die anderen, nicht in einem einzigen harmonischen Gebet, sondern die einen auf Latein und die anderen auf Griechisch.
Das Lager war etwa 20 Meilen vom Berg entfernt, auf dem die Stadt Tragina
thronte, aufgeschlagen worden. Hier, zwischen den Zelten, hatte Conrad nur wenige Stunden vorher beobachtet, wie der Vater mit der ganzen Armee wegging.
Abgesehen von einem bescheidenen Dorf von Kaufleuten und Bauern, war es ein weit abgelegenes Gebiet von den bewohnten Zentren, reich an Wäldern auf der einen Seite, auf den Hängen der höchsten Berge und an begrasten Hügeln, geeignet als Weideland auf der anderen Seite. Ein Fluss floss am tiefsten Punkt des Tals und von diesem war trotz des Sommers noch ein Rinnsal vorhanden, das den Soldaten die Wasserversorgung sicherte.
Nun starrte Conrad auf den Punkt unten auf der Straße, an dem er seinen Vater zum letzten Mal gesehen hatte. Am Morgen hatte er ihm geholfen, über die lange weiße Tunika das schwere Kettenhemd anzulegen, das auf seiner Brust ein rotes Kreuz zeigte. Es war bereits in den ersten Stunden nach Sonnenaufgang heiß, so dass er den Helm vor der Sonne geschützt hatte, damit er etwas kühler war, wenn Vater ihn aufsetzen würde. Als letzte Geste hatte Rabel, bevor er auf den Rücken seines Pferdes stieg, das Haar seines Sohnes gestreift und Conrad hatte ihm die Standarte und den Helm übergeben. Dann ein Blick und schon war er weg, untergetaucht in einer menschlichen Flut aus Soldaten, die zum Sammelpunkt außerhalb des Lagers gingen; hier hatte Giorgio Maniace seine Truppen versammelt. Conrad war auf den Hocker gestiegen, der gerade von einem segnenden Prediger verlassen worden war und hatte versucht Rabel unter den Männern zu finden, die dort unten versammelt waren. Er sah Roul, Kopf und Schultern aufrecht über den anderen und stellte sich vor, dass sein Vater in seiner Nähe war.
Sie wussten alle, dass dies der wichtigste Kampf des gesamten sizilianischen Krieges sein würde. Doch Rabel hatte versucht seine Anspannung darüber zu verbergen. Er wollte nicht, dass sie die Zeit trübte, die er an diesem Tag mit seinem Sohn verbrachte.
“Sind die anderen sehr viele?” hatte Conrad gefragt.
“Die Späher sprechen in erster Linie von Infanterie. Wir haben ein Pferd!”
“Darf ich dieses Mal dabei sein…“
“Conrad, mein Sohn, ich habe es dir jetzt schon hundertmal gesagt: Du bleibst hier bei den Frauen, der Dienerschaft und den Mönchen…“ kommentierte Rabel, und fuhr fort:
“Aber wenn wir die ersten Kämpfe nicht für uns entscheiden können, fliehe auf die Hügel und verstecke dich.“
“Ist das denn möglich? Tancred und Roul sagen, dass die Dinge so laufen werden wie bisher… wir werden gewinnen und werden reichen Lohn nach Hause bringen.”
“Und sie haben Recht… es gibt nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Unser Handwerk ist schwierig, das stimmt, aber wir wissen, was wir tun. Und dann wehe, wenn die Soldaten entmutigt werden!”
Auf diese Weise ermutigte Rabel seinen Sohn.
Es war bereits Mittag und im Lager spürte man förmlich die Besorgnis wegen dieser nervenaufreibenden Wartezeit. Immer wieder kam jemand aus dem Feld, um über den Verlauf des Kampfes zu berichten. Eine unter den Mädchen der Dienerschaft weinte, mit Sicherheit aus Zuneigung zu einem Soldaten, mit dem es eine Liebschaft hatte. Dann kam ein Feldprediger zu Conrad, der noch immer auf dem Hocker unter der Sonne saß und sagte:
“Sohn, dein Vater wird nicht früher zurückkehren, wenn du hierbleibst und das Ende der Straße anstarrst.“
Conrad sah ihn von unten nach oben an.
“Hier, ein Stück Brot!“ endete der Prediger.
Der Junge nahm es und biss hinein.
“Wenn du etwas brauchst, um nicht nur deinen Bauch, sondern auch deinen Kopf zu beschäftigen, dann komm mit mir.“
Er brachte ihn auf einen kahlen Hügel mit goldenen Farbtönen, da die Vegetation von der Sonne verbrannt worden war. Auf dem Gipfel gab es keine Erde und ein großer zerklüfteter Schieferfelsen ragte hervor. Ein Olivenbaum, der einzig vorhandene, seitlich der Felsformation verwurzelt, war von einer kleinen Herde von Ziegen und einem alten Hirten besetzt, dessen Gesicht aussah, als hätte er mehr Falten als Jahre auf dem Buckel. Der Priester drehte sich um und fädelte sich durch einen Spalt im Felsen. Conrad war verblüfft, dass das Innere des Spaltes groß genug war, um die Anwesenheit von mindestens zwanzig Männern zu ermöglichen. Er war vollständig mit leuchtenden Farben bemalt, wobei auf allen Wänden Bilder von biblischen Geschichten und das Leben von Heiligen gezeigt wurden; Der Stil war typisch für die heiligen Bildnisse des Orients. Ein kleiner Knieschoner am Ende und ein Kreuz an der Wand zeigten den Ort, an dem man sich verbeugte.
“Vater, ihr seid ein Fremder, der der Armee gefolgt ist. Woher kennt ihr diesen Ort?”
“Die Brüder des griechischen Ritus treffen sich hier seit Jahrhunderten, um zu beten. Sie waren es, die es mir erzählten. Aber jetzt bete zum Herrn und der Jungfrau, damit dein Vater gesund und heil zurückkehrt.» beendete der Prediger, bevor er ihn allein ließ.
Auf diese Weise fand sich Conrad allein, auf Knien, mit geschlossenen Augen, das Kreuz an seiner Brust umklammert, um zu beten, dass Gott seinen Vater zurückbringen würde.
Als er zum Lager zurückkam, war es schon Abend. Er lief, sobald er sah, dass einige Männer zu Pferd aus der Schlacht zurückgekehrt waren. Er rannte schneller, als er bemerkte, dass einer von ihnen der große Raul war; das Blut auf seiner dänischen Axt und seinem Kettenhemd war noch frisch.
“Junge, wo warst du?” fragte der Krieger, sobald Conrad bei ihnen war.
“Ein Priester hat mich auf den Hügel geführt…” erklärte er, aber er wollte nicht verraten, was er dort getan hatte, aus Angst, dass seine Intimität verspottet würde.
Dann verzog er das Gesicht…, wenn sein Vater unverletzt zurückgekommen wäre, wäre er in der ersten Reihe unter diesen Männern gewesen. Plötzlich erschien ihm das Gesicht von Roul traurig, als ob seine Wut durch ein schändliches Ereignis gedemütigt worden wäre. Erst jetzt begann er zu erkennen, was sich hinter dieser menschlichen Decke von Soldaten aus dem Norden verbarg, von denen Roul der Anführer war.
“Wo ist mein Vater?” fragte er, während er sich die Antwort bereits vorstellte.
“Wir haben gewonnen, Kind.” sagte Tancred, ein anderer, der Rabel am nächsten stand, vielleicht um das Unbehagen des kleinen Jungen auszugleichen; dieser trug noch immer seinen langen Speer und seinen roten Mantel.
“Ja, die, die übrig geblieben sind, haben wir in die Flucht geschlagen.” mischte sich ein anderer ein.
“Es war ein großer Sieg!” rief jemand in der Gruppe.
“Auch der Wind war uns heute wohl gesonnen… aber den schlimmsten Wind haben wieder einmal wir von der normannischen Kompanie gemacht.” fügte Tancred hinzu.
Doch Conrad, noch während der letzte sprach, öffnete sich einen Weg durch die Männer.
Rabel lag ausgestreckt auf dem Boden. Seine Kehle war von einem großen Blutfleck gekennzeichnet, vermutlich dort, wo ihn der tödliche Schlag getroffen hatte; ein Schlag, der mit unglaublicher Kraft durchgeführt worden war, da er das Kettenhemd durchbohrt hatte. Die blonde Mähne war entblößt, da ihn offenbar jemand von seinem Helm und der Kapuze befreit hatte.
Conrad starrte ihn unbeweglich an, ohne den Mut zu haben, sich ihm zu nähern. Sein Verstand hatte nie daran gedacht, dass all dies wirklich passieren könnte.
An diesem Punkt legte ihm Roul eine Hand auf seine Schulter und sagte zu ihm:
“Die Armee verfolgt sie… andere von uns sind auf dem Feld gefallen und warten darauf, dass wir sie holen… aber wir… wir, mein lieber Conrad, konnten uns nicht den Plünderungen hingeben oder uns über die anderen Toten Gedanken machen, wenn der Sohn von einem von uns ängstlich auf seinen Vater wartet.”
“Ihr hättet ihn nicht so schnell gebracht, wenn sein Atem auf dem Schlachtfeld bereits ausgesetzt hätte.” sagte Conrad, während die ersten beiden Tränen seine Wangen zeichneten.
Roul kniete sich zu ihm hin und versuchte ihn zu trösten.
“Nein, Conrad, nein… dein Vater ist wirklich im Kampf gefallen!”
Er log, damit sich das Kind keine Schuld geben würde, aber Conrad war nicht so dumm, ihm zu glauben. Rabel hatte den letzten Atemzug dort im Lager ausgeatmet, in der Hoffnung, das Gesicht seines Jungen zum letzten Mal zu sehen; das mit Blut getränkte Tuch am Hals wies darauf hin, dass sie versucht hatten, seine Qual zu verlängern, bis Conrad wieder zurückkommen würde.
“Es liegt an dir, seine Augen zu schließen.” sagte Roul und schob ihn an der Schulter vor.
In die blauen Augen schauend konnte Conrad seine Verzweiflung nicht mehr zurückhalten. Unterdessen bildeten die Frauen, die Mönche und die Reserve, die Lager und Dienerschaft verteidigte, einen Kreis um die Szene. Conrad sah eine Art Enttäuschung in den Augen seines Vaters, aber offensichtlich war es nur die Stimme in seinem Kopf, die ihm sein Schuldgefühl vorgab, dass er nicht da gewesen war.
“Vater!” schrie er, bevor er sich an dessen Brust warf.
“Es gibt nichts zu sehen!“ schrie Roul noch lauter und wandte sich der Menge zu.
„Verdammte Griechen!“ sagte er dann leise.
Mit diesem Satz betonte Roul seine ganze Verachtung für die Menschen des Ortes, offensichtlich die Christen, die wegen der Religion des Orientalischen Ritus für “Griechen” gehalten wurden. Doch mit dieser Aussage der Intoleranz waren auch Giorgio Maniace und die regulären Truppen in seinem Gefolge, wegen dem schlechten Verhältnis des Generals mit den Männern der Hilfskontingente gemeint.
Die Menschen fürchteten sich vor Rouls Reaktion. Conrad lief stattdessen weg, um den Priester zu finden, der ihn von seinem hoffnungsvollen Warten abgehalten hatte.
Roul folgte dem Jungen, während dieser wie ein Verrückter den Prediger zwischen den Zelten suchte.
„Mein Sohn, bleib stehen! Wen zum Teufel suchst du denn?“
“Den Priester, der mich davon überzeugt hat, auf die Hügel zu steigen.“
“Wer ist das?”
“Er sprach unsere Sprache.”
Dann dachte er, er würde ihn direkt in der Felsenkirche suchen und rannte den Hügel hinauf. Als er den Gipfel erreichte, hörte er das Meckern der Ziegen, sah aber den Hirten nicht… dann trat er ein. Da das Licht in der Dämmerung kurz davorstand, zu verschwinden, waren die lebendigen Farben, die ihn am Mittag beeindruckt hatten, verschwunden und in der Höhle konnte man kaum eine Art Schatten erkennen. Raul folgte ihm jedoch mit einer Fackel und als er seinen Fuß in die Höhle setzte, wurde alles erhellt. Conrad bewarf in diesem Moment das Gemälde von Christus und der Jungfrau mit Erdballen, da er nichts anderes hatte, mit dem er diese Steinmauern beleidigen konnte. Er weinte ununterbrochen und jetzt hatte der Zorn gegen die wohlgemeinte Geste des Priesters dem Zorn gegen Gott und den unerhörten Gebeten Platz gegeben.
Roul war ein brutaler Mann, sicherlich profan in seiner Art, aber als er Conrads Sakrileg sah, entweder aus wirklicher Angst oder aus Aberglauben, hielt er ihn von hinten fest, indem er ihn mit einem Arm anhob.
“Nein Conrad, sie haben damit gar nichts zu tun.“
“Sie haben mir nicht zugehört!” schrie der kleine Junge mit seinem ganzen Atem, aber die geschlossene Umgebung brach seine Stimme.
“Hast du Wunder erwartet?”
“Das hat mir dieser Priester gesagt!”
Daraufhin ließ er ihn los und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen.
„Hör mir jetzt zu, Kind… ich habe deinem Vater versprochen, dass ich für dich sorgen werde, und meine Ehre verbietet es mir, das Versprechen an einen sterbenden Freund nicht zu halten. “Bis ich dich zu deinen Verwandten nach Rougeville gebracht habe”… das musste ich ihm schwören.»
“Ich kenne meine Verwandten nicht.” antwortete Conrad, schluchzend und weinend, jetzt mit geschlossenen Augen, da der Rauch der Fackel in ihnen brannte.
“Das interessiert mich nicht. Ich werde diesen Eid nicht brechen und meine Ehre und das Blut deines Vaters nur deshalb veruntreuen, weil du etwas dagegen hast.”
“Was hat er euch sonst noch gesagt?”
“Dass du stark sein sollst, Sohn. Also gehst du jetzt ins Lager und wirst den Mut haben, ihm ins Gesicht zu sehen. Die Männer unserer Abstammung sind in der Regel ungezähmte Krieger, die den Tod nicht fürchten. Und wenn du wütend bist, ist das eine gute Sache… Dadurch wird deine Leidenschaft im Kampf brennender sein. Aber gib nicht den Heiligen die Schuld… räche dich an den Lebenden!»
„Deswegen habe ich diesen Priester gesucht.“
“Lass auch den Priester aus dem Spiel… Es sind diejenigen, die deinen Vater getötet haben, die du hassen musst und an diesen Bestien musst du deine Rache üben.”
„Wer?“
“Wir sind seit zwei Jahren in diesem Land und du fragst mich “Wer”? Hast du nicht die Augen dieser Menschen aus Afrika gesehen? Hast du nicht gesehen, wie ihr Blick dir Bosheit entgegenbringt? Sogar die Menschen in Akḥal, die sich mit uns verbündet haben, sehen uns mit Hass an. Sie haben gemordet, die Frauen der Menschen vergewaltigt, die vor ihnen da waren und sie gezwungen, sich ihrem Gott zu beugen. Sie beschmutzten das Blut dieser Leute und machten es verabscheuungswürdig, als sie diese Mädchen schwängerten. Sie, diese mohammedanischen Barbaren, haben deinen Vater getötet!”
„Ihr habt gesagt, dass ihr nur für die Entschädigung kämpft und dass euch die Gründe für diesen Krieg nicht interessieren.“
„Sohn, wenn du deinen Feind nicht hasst, kannst du im Kampf nicht überleben.“
“Bedeutet das, dass mein Vater nicht genug gehasst hat?”
“Dein Vater hatte die Seele eines Königs… es wäre richtig gewesen, dass er kommandierte und nicht, dass er in den Kampf zieht. Aber du, junger Conrad, dieser Hass, den du verspürst, wenn du an sein Opfer denkst, wird dir helfen. Du wirst ein sehr guter Krieger sein, dessen bin ich sicher. Doch denke heute Abend nicht an Rache, sondern denke nur daran, deinen Vater zu ehren. Wirst du zum Lager gehen, um ihm die Augen zu schließen?»
Conrad trocknete sich mit einer Hand sein Gesicht und antwortete:
„Ich werde gehen.“
Daraufhin schaute sich Roul um und sagte:
“Wir werden deinen Vater hier im Inneren unter den wachsamen Augen des Herrn und all dieser Heiligen begraben. Ich sehe hier keinen besseren Orte im Umkreis.“
“Die Brüder des griechischen Ritus kommen hier her, um zu beten.”
“Das bedeutet, dass sie sich freuen werden, über diesen Märtyrer des Christentums zu wachen.”
Sie gingen zum Lager hinunter und als sie die Augen des armen Rabel geschlossen und die Leiche vorbereitet hatten, zogen sie in einer feierlichen Prozession zur Felsenkirche hinauf. Sie legten den Körper unter das Kreuz des Knieschoners. Die Ordensleute, die Frauen und die edlen Soldaten umringten den kleinen Jungen und wachten die ganze Nacht hindurch mit ihm.
Am nächsten Morgen hielt der Priester, der sich Jacob nannte und den Conrad gehasst hatte, die Beerdigung ab und dann begruben sie Rabel in einem Grab, das sie in der Höhle und inmitten einer Einfriedung aus Schieferplatten ausgehoben hatten. Sie bedeckten die Leiche mit seinem Schild. Das lange Ende mit der Spitze nach unten, wie es bei den Normannen üblich war und dann versiegelten sie das Grab mit Erde.
Conrad wachte auch nach dem Begräbnis noch einen vollen Tag an diesem Ort. Er schlief zusammengesackt in der Nähe des Knieschoners, aß nichts und weinte mehrmals. Außerhalb dieser Höhle wartete auf ihn das Leben; das Leben ohne seinen Vater und er war sich sicher, dass er es nie und niemals allein schaffen könnte. Rabel lag unter seinen Füßen begraben und er wünschte, er hätte treu auf ihn gewartet, ohne sich von irgendjemandem ablenken zu lassen. Seine Seele starb jedes Mal, wenn er daran dachte, dass sein Vater, die letzten Worte, die er ihm sagen wollte, mit in sein Grab genommen hatte. Dann starrte er die Heiligen an der Felswand an und konnte sie im Gegensatz zu dem, was ihm Roul gesagt hatte, nicht hassen.

Kapitel 9
Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna und Umgebung

Umar befahl allen Frauen des Hauses, sich in ihre eigenen Zimmer zurückzuziehen. Er drückte Ghadda sanft an den Schultern damit sie in sein Zimmer gehen würde, und streichelte liebevoll das Gesicht von Jala.
Nur Nadira stand noch am Eingang und sehnte sich nach Erklärungen.
“Umar, sag mir, wer war dieser Mann.”
“Nur ein reicher Händler auf der Durchreise, der mich provozieren wollte.”
“Kommt es dir nicht seltsam vor, dass er sich gerade zu dieser Stunde von Qasr Yanna auf die Reise gemacht hat und dass er die Nacht nicht dort verbracht hat?”
“Offensichtlich kann man nicht bis Sonnenaufgang warten, um “den Himmel von Nadira” zu sehen.” antwortete Umar sarkastisch und voller Eifersucht.
„Du würdest gut daran tun, den Qā’id bei Sonnenaufgang zu informieren! Ich hatte den Eindruck, als ob er etwas gegen meinen Herrn Ali hätte.“
Umar sah sie überheblich an und sagte ihr:
„Jetzt mischst du dich auch noch in Sicherheitsangelegenheiten des Rabad
ein. Das adhān der Nacht ist schon seit einer Weile vorbei… geh in dein Zimmer, Schwester!»
An diesem Punkt starrte Nadira, während der andere genervt wegging, auf den gebrannten Lehm der Fliesen.
Langsam wurden jedes Kohlebecken und jede Kerze im Haus gelöscht, wodurch dieser lange Tag endete.
Corrado, der immer noch an den Pfahl gefesselt war, hatte schon seit einiger Zeit keine Lebenszeichen mehr von sich gegeben und Apollonia, die auf die Knie gesunken war, war eingedöst; sie hatte sogar noch weniger geschlafen als ihr Bruder.
Idris, weiter entfernt, betrachtete den Sternenhimmel und wartete auf den Moment, in dem er den Gefangenen befreien und nach Hause zurückkehren konnte.
Eine Art Knall ertönte im Hof; das Knistern von, was wie ein Feuer schien, folgte dem ersten Geräusch. Apollonia öffnete ihre Augen und sah in den Ställen ein ungewöhnliches Leuchten. Idris begann zu schreien und sich wie ein Verrückter aufzuführen, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. Mezyan rannte Hals über Kopf die Terrassentreppe herunter und verkündete dem Diener unten:
„Die Ställe haben Feuer gefangen!“
„Ruf Umar!“
„Ruf die anderen!“
Mezyan schlug wie außer sich an die Tür, während Idris weglief, um die Männer zu rufen, die am Eingang des Dorfes Wache standen; es war tatsächlich der Qā’id gewesen, der Umar geraten hatte, die Wachen an den strategischen Punkten des Rabad
aufzustellen.
Apollonia stand auf und wie in der Ruhe vor dem Sturm schaute sie sich um, während Mezyan an der Tür hämmerte. Dunkle Schatten, wie die Dämonen des Averno bewegten sich um das Haus und auf den Straßen des Dorfes. Sie schaute genauer hin, um sicher zu gehen, dass es sich um die Bewohner des Rabad handelte, die für den Notfall herbeigeeilt waren, kam jedoch zu dem Schluss, dass die Dorfbewohner nicht so still und vorsichtig sein würden, um sich zu nähern. Sie schmiegte sich daher an Corrado und er, der die Berührung auf seiner Haut spürte, öffnete seine Augen.
Umar ging zu diesem Zeitpunkt auf den Hof, noch rechtzeitig, um die zweite Explosion zu beobachten, die durch das plötzliche Ausströmen einer brennbaren Substanz verursacht wurde. Die Flammen stiegen noch schneller aus dem Dach des Kornlagers. Unterdessen begannen die Menschen, aus ihren eigenen Häusern zu kommen.
Mezyan und ein weiteres Dutzend Männer bildeten bereits eine Reihe zwischen dem nächsten Brunnen und den Ställen. Nun begannen sie, einige Schreie zu hören, während von anderen Seiten, sogar aus einigen Häusern, weitere Flammen aufstiegen; der ganze Rabad
brannte. Das eindeutige Geräusch von Eisen machte auch deutlich, was los war: Sie griffen das Dorf an.
Apollonia ergriff die Hüften von Corrado und sammelte alle Kräfte, um ihn anzuheben, so dass das Seil an seinen Handgelenken über die Verzweigung rutschte, an die er gefesselt war. Sie schrie wegen der intensiven Anstrengung und landete dann durch das Gewicht ihres Bruders auf dem Boden. Sie löste ihm die Fesseln und half ihm sich zu setzen, indem sie seinen Rücken an den Pfosten anlehnte. Dann schlang sie einen Arm um seinen Nacken und versuchte ihn aufzurichten… aber er konnte nicht laufen und fiel wie eine tote Last. Corrado schrie auf, da er starke Schmerzen in den Armen und Knien verspürte. Apollonia fühlte sich so hilflos; sie wollte ihn auf ihren Schultern tragen, aber sie, klein und zerbrechlich, konnte das nicht. Sie nahm schließlich sein Gesicht zwischen ihre Hände und versprach ihm unter Tränen:
“Ich lasse dich nicht hier.”
„Geh und versteck dich!“ antwortete Corrado keuchend.
“Ich rufe Michele; er wird dich nach Hause bringen!”
Apollonia rannte so schnell wie es ihr Schuhwerk erlaubte und verschwand in den engen Gassen des Rabad.
Corrado, blieb allein, mit dem Rücken an den Pfahl gelehnt und schaute zu seiner Linken zum Haus von Umar. Eine Vielzahl von Menschen lief zu diesem Zeitpunkt über den Hof, und das Geräusch von Eisen, das kurz vorher aus der Richtung der ersten Häuser des Dorfes kam, schien zu verschwinden. Corrado dachte daran, was seine Schwester während dieses Angriffs auf der Straße riskieren würde… und hatte Angst, dass sie nicht zurückkehren würde.
Umar, der sich in diesem Augenblick verwirrt, hilflos und unbewaffnet in der Nähe des Stalls aufhielt, kehrte in den Hof zurück, als er die Bedrohung erkannte. Doch ein plötzlicher Schlag auf den Kopf betäubte ihn, so dass er zu Boden sackte. Jetzt wurden die Schreie der Frauen im Haus, vielleicht die der Dienerschaft, vielleicht die der Herrinnen, lauter und nach kurzer Zeit stieg auch aus Umars Wohnung schwarzer Rauch auf. Corrado schaute sich in Panik um und bemerkte, dass sich auf den Straßen kein einziger Mann des Rabad
aufhielt.
Als die Angreifer aus dem Haus kamen, zogen zwei von ihnen Nadira an den Armen mit sich. Corrado, der die Schreie hörte, erkannte sie noch bevor er sie sah.
In der Dunkelheit, die vom Feuer erhellt wurde, näherten sich die unbekannten Feinde jetzt dem Gefangenen, der mit dem Nacken am Pfahl gelehnt im Fieber und vor Angst keuchte. Corrado stellte sich vor, dass sie ihn jetzt töten würden, genauso wie sie es mit Umar und so vielen anderen im Dorf getan hatten.
„Hey, Ungläubiger, steh auf!“ befahl einer dieser Männer, der sich den Streifen seines Turbans abnahm, der sein Gesicht verbarg.
Nadira riss die Augen auf: Dieser Kerl war der reiche Händler, der kurz zuvor ihr Haus besucht hatte.
„Ich kann nicht, tötet mich im Sitzen!“ bat Corrado entmutigt.
Dieser Mann packte stattdessen Nadira am Nacken und zwang sie, vor Corrado in die Knie zu gehen.
„Kennst du dieses Mädchen?“
Er schaute sie aufmerksam an; sie war nicht einmal drei Handflächen von seinem Gesicht entfernt. Er wusste sehr gut, wer sie war, Nadiras Augen waren unverwechselbar, aber er hatte ihr ganzes Gesicht und ihr unbedecktes Haar nicht mehr gesehen, seit sie als junges Mädchen sorglos durch den Rabad
streifte. Darüber hinaus hatte Corrado die Schwester des Mannes des Qā’id noch nie in diesem Zustand gesehen: Nadira, nur mit der Kleidung für die Nacht angezogen, war eine Maske von Tränen.
Corrado nickte. Dann sagte der Mann, der sich als Salim vorgestellt hatte:
“Geh zu deinem Qā’id und sage ihm, dass er, wenn er sein neuestes Juwel wiedersehen will, mir meine Frau zurückgeben muss!”
Nadira erkannte nun sofort die wahre Identität des reichen Kaufmanns… es war Mohammed Ibn al-Thumna, Qā’id von Catania und Syrakus, der zum mächtigsten Emir von ganz Sizilien aufgestiegen war, als die Qā’id Jahre zuvor, ohne zentrale Macht, miteinander kämpften. Sie erkannte sofort, wie weit dieser Mann gehen würde: Sie stellte sich ihre eigenen aufgeschlitzten Handgelenke vor, so wie er die von Maimuna aufschlitzen ließ.
Der Qā’id packte Nadira noch immer am Nacken, zwang sie wieder aufzustehen und übergab sie seinen Männern. Dann zwang er Corrado seinen Kopf zu heben, indem er ihm die Klinge seines Krummsäbels unter das Kinn hielt.
„Wenn du dich an denjenigen rächen möchtest, die dich so behandelt haben, dann komm und such mich, wenn es dir besser geht… du und deine unbeschnittenen Freunde.“
Danach verließ Mohammed Ibn al-Thumna den Hof und den Rabad
, wissend, dass die Brände im Dorf zu diesem Zeitpunkt bereits die Wächter in Qasr Yanna alarmiert hatten und dass sein Schwager bald eingreifen würde.
Nadira waren inzwischen die Hände mit einem langen Seil gefesselt worden und am anderen Ende desselben zogen sie sie wie ein Maultier die Straße entlang, die vom Plateau herabführte. Der Qā’id und seine Gefolgsleute erleuchteten den Weg mit ein paar Fackeln und Nadiras nackte Füße wurden von Steinen und Dornen verletzt. Als sie dann unter dem Rabad
den Bachlauf erreichten, genau unter einer der großen Norien, befahl Mohammed, die Fesseln des Mädchens zu lösen, gab ihr ein feines Frauengewand und bat sie, sich selbst zu bedecken, wie es für Frauen angemessen ist. Als er dann die vielen Männer seines Gefolges ansah, sagte er:
„Wenn jemand es wagt, das Mädchen nicht zu respektieren, bekommt er es mit mir zu tun… es handelt sich immer noch um die Versprochene eines Qā’id, und als solche muss sie behandelt werden!“
Dann stiegen sie alle auf ihre Pferde und ritten nach Osten. Nadira musste sich an Jamals Hüften klammern, dem Mann mit dem großen Medaillon.
Überwiegend schwarze Pferde galoppierten alle in die gleiche Richtung. Es waren etwa fünfzig Reiter, alle mit einem schwarzen Burnus
und mit Hosen der gleichen Farbe gekleidet. Sie hatten düstere Gesichter und sprachen die Sprache, die unter den Mauren Afrikas am geläufigsten war. Nadira kannte diese Sprache, da sie oft in der Familie gesprochen wurde, aber sie hatte sie nie so fließend und mit diesem typischen Akzent gehört.
Die Reiter bremsten sanft ihre Rosse und diese rückten langsam vor, in einer langen Prozession unter dem Mond.
“Herr, wer sind diese Männer? Und wo bringt ihr mich hin?» fragte Nadira zur Rechten des Qā’id, sobald sich ihr Schluchzen beruhigt hatte.
„Sie sind die Halsabschneider aus Afrika von Ibn al-Menkūt. Sie haben ihren eigenen Qā’id verraten, um einem Besseren zu dienen. Ihr jetziger Herr ist ein Freund meines Herrn und er hat ihm seine Söldner gegeben, damit er sich ihrer dieser Tage bedient.” antwortete Jamaal.
“Und werden diese Fremden auch mir die Kehle durchschneiden?” fragte das Mädchen mit der typischen Unschuld derer, die die Welt nicht kennen und bei allem, was neu ist, zittern.
Jamal lächelte und antwortete:
“Fürchte dich nicht, mein Herr braucht dich lebend.”
Es verging nicht viel Zeit, bis sie in die Nähe eines Weilers an der Grenze zwischen den von Ibn al-Ḥawwās kontrollierten und den von Ibn al-Thumna dominierten Ländern anhielten. Andere hässliche Gestalten waren bereits in der Nähe des Dorfes stationiert. Es gab eine Gruppe von Häusern, die denen des Rabad
von Qasr Yannas sehr ähnlich sahen. Diese anderen, Halsabschneider derselben Sorte wie die die den Rabad verwüstet hatten, zollten Mohammed ihre Ehrerbietung, indem sie sich verbeugten als er vom Pferd abstieg.
“Übergib das Mädchen den Frauen des Dorfes und schicke sie wieder zu mir, wenn die Frauen sie wieder in Ordnung gebracht haben.” befahl der Qā’id Jamal, und dieser antwortete mit einer leichten Verbeugung.
Nadira wurde im Licht der Fackeln in ein bescheidenes Haus geführt, und hier kümmerten sich Frauen mit traurigen Gesichtern um sie. Sie wuschen ihre Füße, kämmten ihr Haar und gaben ihr zu essen. Nadira fragte, wer sie waren, und eine davon antwortete, dass die Halsabschneider von Ibn al-Menkūt vor drei Tagen das Dorf gefangen genommen hatten, alle Männer töteten und jede Frau in einem Initiationsritus vergewaltigt worden war, um sie ihrem neuen Schicksal in der Sklaverei zuzuführen.
Schließlich wurde Nadira vor den Qā’id geführt, der sich in einem prächtigen, seitlich der Moschee aufgebautem Zelt aufhielt.
Die Ankunft des Mädchens wurde durch den Klang der zahlreichen Armbänder, Fußkettchen und Glöckchen angekündigt, die man ihr angelegt hatte. Die Augen waren auch mit dem Kajal
gefärbt worden, aber als sie vor Mohammed erschien, verblasste dieser bereits durch den Kontakt mit den Tränen und rann ihr schwarz die Wangenknochen bis zum Kinn herunter.
„Komm Nadira, komm näher! In meinem Zelt ist es wärmer und bequemer. Die Winternächte können sehr lang sein, wenn man nicht schlafen kann.» lud Mohammed sie ein, der mit gekreuzten Beinen auf den Kissen saß.
Nadira trat in das luxuriöse Zelt ein und als sie sich dem Feuer des Kohlebeckens näherte, begann sie:
„Ich weiß, wer Ihr seid.“
„Daher überrascht es mich nicht, dass mein Schwager sich in dich verliebt hat… Es wäre seltsam gewesen, wenn er eine dumme Frau zu seiner Frau erwählt hätte!”
„Ihr könnt mich nicht in Eure Familienangelegenheiten hineinziehen.“
„Du meinst wohl in “unsere” Familienangelegenheiten… Schwägerin! Weißt du, was dein Qā’id mir angetan hat?»
„Eure Frau fürchtet Euch… nach dem, was Ihr ihr angetan hast.“
“Liegen das Leben und der Tod meines Hauses und meiner Untertanen nicht in meiner Hand?”
“Das Leben eines jeden liegt in der Hand Allahs, nicht in Eurer”.
“Aber Allah hat seine Pläne, und diese können nicht verändert werden. Wenn mit Maimuna passiert ist, was passiert ist, ist das dann vielleicht nicht auch sein Wille?»
“Also ist auch die Tatsache, dass sie nicht zu Euch zurückkehren will, sein Wille…, akzeptiert es und lasst mich gehen.”
Mohammed lachte und erklärte:
„Es gibt verschiedene Arten von Menschen auf der Welt: Es gibt Menschen, die ihr Schicksal ertragen und es gibt Menschen, die vom Schicksal dazu benutzt werden, die Zeiten, Jahreszeiten und Völker zu verändern. Ich wurde als Adliger geboren und konnte in meinem Syrakus aufwachsen und dann die Hälfte von Sizilien einnehmen. Ich tue Allah und seinem unergründlichen Schicksal einen Dienst, indem ich auf der Welt bin, um Zeiten, Jahreszeiten und Völker zu verändern. Es gibt kein Übel… es existiert nichts Gutes, sondern nur der Wille Allahs.»
Nadira fiel auf ihre Knie und mit ihrem Gesicht am Boden flehte sie ihn an:
“Bitte, mein Herr, meine Mutter schrie, als Ihr mich aus ihren Armen gerissen habt und das Haus vom Rauch durchdrungen war… lasst mich gehen, um mich ihrer Gesundheit zu versichern und dann werde ich zu euch zurückkehren.”
„Ob du deine Mutter wieder siehst, hängt nur von Ali ab, deinem Qā’id.“
Nadira hob den Blick, kniete jedoch immer noch vor ihm.
„Bitte haltet mich nicht hier fest; die Männer, von denen Ihr umgeben seid, sind heimtückische Verbrecher… sie haben den Menschen, die in diesem Dorf leben, sehr weh getan.“
„Sie werden dir kein Leid antun, keine Angst. Das Schicksal einer illustren Braut kann nicht mit dem der gewöhnlichen Dorfbewohner verglichen werden, die für den Trost der Soldaten gegeben werden.“
“Aber Ihr macht sogar aus unseren Schwestern Sklaven und diese Soldaten haben alle Männer massakriert!”
“Nicht alle… Ich ließ die christlichen Bauern am Leben. Sich mit Ungläubigen zu umgeben ist sehr lohnend, da sie meine Taschen mit der Jizya Besteuerung füllen. Die östlichen Iqlīm, voll von Unbeschnittenen und Juden, sind eine Goldmine für die Taschen jener, die sie befehlen.”
„Und zahlt Ihr mit dem Geld der Jizya diese Armee von Söldnern?“ fragte Nadira mit der gleichen Respektlosigkeit, die sie bei Umar zeigte. Jetzt hatte sie verstanden, dass das Flehen im felsigen Herzen Mohammeds nicht aufgenommen werden konnte.
Aufmerksam und ernst starrte er sie an und antwortete:
“Wenn es nicht für den Zweck wäre, für den ich dich bewahre, wenn es nicht um deine Augen und deine Schönheit ginge, meine liebe Nadira, würde ich dir auch die Handgelenke aufschlitzen lassen… und noch schlimmer, ich würde dir deine unverschämte Zunge abschneiden lassen. Du bist meine Gefangene, erinnere dich daran! Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, dessen Leben so gebrochen werden kann wie deines… wie ein vom Feuer angesengter Baumwollfaden, der sich bei der Berührung mit meiner Hand auflöst.» sagte und demonstrierte Mohammed, indem er Zeigefinger und Daumen aneinander rieb.
“Du wirst dich immer vor mir und zum Vergnügen meiner Augen von deiner besten Seite zeigen. Ich erlaube dir nicht zu weinen, wenn du so dein Gesicht ruinierst. Ich erlaube dir nicht, zu fasten, wenn du dadurch deine Formen schmälerst. Ob du den Jilbāb
in meiner Gegenwart tragen wirst oder nicht, unterliegt nur meinem Willen. Aber fürchte dich nicht, ich werde deine Ehre vor mir und jedem anderen schützen, damit Ali dich nicht verachtet und ablehnt, weil du keine Jungfrau mehr bist. Dein Qā’id ist ein Bettler, ein Sklave, der sich mit Schmeichelei und den Versprechungen seinen Weg gebahnt hat, aber er könnte auf seine Verlobte verzichten, wenn sie ihm das, was er hofft sich in der ersten Nacht zu nehmen, nicht geben könnte. Du und deine Jungfräulichkeit sind als Gegenleistung mehr wert als meine Frau. Aber wenn Ali sich weigert, dann werde ich die Mächte der Hölle gegen ihn richten, sein Land verwüsten, seine Untertanen töten, die Frauen aus seinen Städten wegbringen und versklaven, und vor allem werde ich mit euch das tun, was mir gefällt. Der Angriff auf dein Dorf war für viele Menschen schmerzlos, denn er war schnell und hatte nur den einzigen Zweck, das Mädchen mit den Saphir-Augen zu entführen. Aber wenn Ali mir nicht zuhören wird, dann werden viele leiden und müssen vor ihrem neuen Qā’id knien…, wenn sie weiterleben wollen.»
„Ibn al-Ḥawwās wird mich aus Euren Händen befreien, da bin ich sicher. Und mein Bruder…”
„Dein Bruder ist tot! Ich sah ihn selbst fallen. Er hat bekommen, was er verdient hatte, dieser Fußlecker!»
Nadira warf sich auf die Kissen und weinte noch lauter.
„Umar… Umar!“ rief sie verzweifelt, voller Schmerz und Trauer, weil sie einen ganzen Tag mit ihm gestritten hatte, ohne ihm jemals sagen zu können, wie sehr sie ihn liebte.
“Dein Bruder war ein guter Mann. Ich bin mir sicher, dass er im Paradies wie ein Märtyrer behandelt wird. Aber weine nicht, Nadira.» ermunterte sie Mohammed zynisch.
“Weine nicht!” schrie er dann und zeigte somit, dass es ihm nur darum ging, dass Sie aufhörte zu wimmern.
“Ich dulde dieses Gewimmere nicht in meiner Anwesenheit.” schloss er.
„Ihr kümmert Euch um mich und ladet mich in Euer Zelt ein. Aber wie könnt Ihr verlangen, dass ich ruhig bleiben soll, wenn ich diese Worte höre? Ihr bittet mich sogar, nicht zu weinen…“
„Ich will deine Gelassenheit nicht, ich erwarte nur, dass du in meiner Gegenwart so tust. Das nächste Mal, wenn ich dich rufe, lächelst du. Das ist ein Befehl! Geh jetzt. Du wirst bei den Frauen bleiben, aber Jamal wird dich im Auge behalten.“
Nadira wurde von den Frauen begleitet, die sie zuvor geschminkt hatten, und diese, die wie sie in diesen vier Wänden eingeschlossen waren, begannen sie zu hassen, da sie glaubten, sie wäre der Grund für diesen Krieg und ihr Unglück.

Kapitel 10
Herbst 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Als Ali Ibn al-Ḥawwās den Rabad verließ, um nach Qasr Yanna zurückzukehren, wollte Nadira keine Gabe für sich, obwohl ihr der Qā’id den Mond versprochen hatte. Schließlich forderte Nadira nach tausend Beharrungen, ihr eine Kopie des Textes des Dichters Mus’ab zu geben, da er mehr zu ihr gehörte als zu den anderen. Baschir, der Wesir, schrieb dann eilig diese Worte auf ein Blatt von edlem Papier, das aus den Fabriken von Balarm kam.
Nadira hatte nicht viel Übung im Schreiben und musste sich an den Imam
des Rabad wenden, der das ungeduldige Mädchen nach drei Tagen Lesen und Wiederlesen der Poesie, wegjagte. Sie hatte in der Zwischenzeit alle diese Verse auswendig gelernt, und infolgedessen erlernte auch die Dienerschaft bald viele der Worte, die ihre Herrin in ihrer Gegenwart rezitierte. “Kennst du, oh mein Herr, den Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen?”, das war der Vers an den man sich am häufigsten erinnerte.
Wie man sich vorstellen konnte, verstreuten sich die Nachrichten über die bevorstehende Hochzeit zwischen Nadira und dem Qā’id mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit auch außerhalb Umars Haus. Unter den Menschen im Rabad entstand darüber eine so große Begeisterung, dass das Mädchen nicht selten mit der Verlegenheit konfrontiert war, den Verneigungen und Unterwerfungen von Menschen, mit denen sie sogar aufgewachsen war, beizuwohnen. Und schließlich erreichte die Nachricht vom “Himmel von Nadira” und der Hochzeit des Mädchens mit dem Qā’id auch das Haus, in dem die Christen des Rabad lebten.
Eines Tages rief das Familienoberhaupt Alfeo, ein armer Mann, der zwanzig Jahre älter aussah als er war, alle seine Kinder an den Tisch. Es war Mittagspause und an diesem Tag waren auch Apollonia und ihre Mutter Katharina den Männern in den Gemüsegarten gefolgt, um zu helfen und um mit der Familie zu essen, ohne auf den Abend warten zu müssen. Alfeo und Michele waren gerade damit fertig, den Gemüsegarten mit den Brokkoli zu bewässern. Beim Schließen der Schotte des Saqija
, das durch das Land ging, legten sie die Hacke beiseite, um zu essen. Michele pfiff Corrado zu, der seit dem Morgen im Shaduf
war, um Wasser aus dem Gabiya
zu schöpfen; um die kleinen Kanäle und Gemüsegärten zu versorgen.
Katharina kochte Ziegenmilch in einem großen Topf und Apollonia warf Holz in das Feuer, als Alfeo alle zusammenrief und bat sich an den Tisch unter dem Dach des ländlichen Treffpunkts zu setzen. Zahlreich und oft nicht weit voneinander entfernt, waren die über die Bezirke der Insel verstreuten Bauernhöfe und die einfachen Unterkünfte für die Bauern, da die Sarazenen von Anfang an den intensiven Anbau von den Kleinbauern gefordert hatten.
Jetzt hatte er sie alle vor sich, Corrado, Michele und Apollonia, während seine Frau noch mit der Zubereitung des Essens beschäftigt war. Alfeo hatte erst vor einem Tag die Neuigkeit über Nadira erfahren. Er hatte gehört, wie seine Jungen darüber sprachen und dass Apollonia das blauäugige Mädchen bewunderte. Deshalb konnte er als Vater nicht anders, als darüber nachzudenken, wie die Zukunft seiner drei Kinder aussehen würde.
“Umars Schwester wurde dem Qā’id als Frau versprochen.” er zögerte und überbrachte ihnen die Nachricht, die sie alle schon kannten.
“Vater, man spricht überall darüber!” antwortete Corrado.
“Der Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen.”” fügte Apollonia hinzu, während sie ihre Hände rieb, um den Schmutz der Kohle zu entfernen, der sich auch in ihrem Gesicht befand. Es war noch schwärzer, ohne dass sie es gemerkt hatte.
„Tochter, es müsste auch einen Qā’id für dich geben.“
“Vater, was sagt Ihr da?” fragte Apollonia verwirrt, verlegen und überrascht.
“Einen christlichen Qā’id natürlich.” setzte Alfeo seine Überlegungen fort.
“Es gibt keinen christlichen Qā’id.” sagte Katharina, die so viel von ihrem Aussehen und ihrem Charakter an die Tochter vererbt hatte, nun aber leider deutlich von Alter und Armut gezeichnet war.
“Natürlich keinen Qā’id, aber ich möchte trotzdem eine gute Partie für Apollonia finden.”
“Vater, für mich ist es in Ordnung, so wie es ist!” erklärte das Mädchen und sah einen Moment Corrado an.
Die Angst, sich von der Familie und damit von ihrem Bruder trennen zu müssen, quälte sie seit Jahren. Doch nun, da sich diese Vorstellung im Willen ihres Vaters zeigte, fühlte sie sich unfähig, sich selbst zu verteidigen. Ihre einzige Waffe wäre es gewesen, ihre Gefühle zu Corrado zu offenbaren… eine Möglichkeit, vor der sie noch mehr Angst hatte.
„Rede keinen Unsinn! Für niemanden ist es in deinem Alter “so in Ordnung”. Corrado und Michele werden für dich einen Ehemann finden… einer, der auf dem Markt verfügbar ist, natürlich… keinen Qā’id…, sondern den Besten von denen, die Sie finden. Ich habe eine einzige Tochter, und ich möchte das Beste aus dieser Situation herausholen.“
“Aber Vater, was denkt Ihr, wie könntet Ihr Euch das leisten? Habt Ihr bemerkt, welche Kleidung wir tragen?” sagte Michele polemisch, während er sich erhob und die Risse und Flicken auf seiner Tunica zeigte.
„Apollonia ist eine schöne Frau und es gibt nichts, worum sie Umars Schwester beneiden müsste. Wenn es nicht um die Fetzen ginge, die wir uns leisten können, hätte sie auch einen Qā’id gefunden.” endete Alfeo zornig.
“Ihr sprecht mit dem Herzen eines Vaters, aber alles, was ich für mich wünsche, liegt wirklich zwischen diesen vier Wänden.” erklärte Apollonia, streichelte die Hand ihres Vaters und veranlasste ihn, sich zu beruhigen.
Dann versuchte sie, Corrado nicht anzusehen, aus Furcht, er könnte verstehen, auf was und wen sich ihr letzter Satz bezog.
“Okay, Vater, sagt uns, wenn Ihr jemanden im Kopf habt, und ich und Michele werden das schon schaukeln.”
Diese Worte aus Corrados Mund zu hören, war für Apollonia ein Stich ins Herz. Sie hatte jahrelang gehofft, dass ihr Bruder für sie etwas empfinden könnte, das über die in zwanzig Jahren des Zusammenlebens gewachsene Zuneigung hinausgeht. Sie hatte gehofft, dass er sie verstehen würde, ohne dass sie sich ihm offenbaren müsste. Sie hatte sich ein Traumbild geschaffen und jetzt stürzte das ganze Schloss in sich zusammen. Von nun an verlor sich ihr Blick ins Leere und sie starrte auf einen unbestimmten Punkt an der Tür.
“Ich habe unter den Christen von Qasr Yanna niemanden gefunden, der unsere Situation durch die Hochzeit mit Apollonia verbessern könnte.“
“Alessandro! Ich habe selbst gesehen, wie er sie umwarb.» schlug Michele vor.
“Er ist ein Frauenheld.”, erklärte Corrado.
“Und was interessiert uns das?” fragte Michele.
“Das ist wichtig, weil Laster teuer sind.“
“Gut gesagt, Corrado. Und dann hat er bereits dreimal versucht, mich auf dem Markt zu betrügen. Nein, keiner aus Qasr Yanna. Ich möchte, dass ihr nach dem Christoúgenna
, wenn die Erde nicht bearbeitet wird, in den Iqlīm von Demona geht, wo die Menschen immer noch Griechisch kennen und in den meisten Fällen Christen sind. Geht dorthin und findet einen Mann für Eure Schwester… und denkt dann auch an Euch.”
Corrado und Michele sahen sich an und lachten einen Moment später bei dem Gedanken, sich eine Frau suchen zu müssen.
“Corrado, du warst schon mal dort; was weißt du über die Mädchen?“ fragte Michele enthusiastisch.
“Ich war erst neun Jahre alt.”
“Aber du wirst dich doch an die Frauen erinnern…”
“Ich erinnere mich an die Bewohner von Rametta
… helle Haut und Haselnuss-Augen!”
“Genug!” schalt Alfeo und sagte:
„Wie oft habe ich euch gesagt, dass ihr nicht über diese Jahre sprechen sollt? Corrado ist es, als wäre er in diesem Haus geboren worden!”
Dann tauschten die beiden Jungen einen wissenden Blick aus: Auf Michelles Geste, die auf seine Brust zeigte, antwortete Corrado, indem er mit beiden Händen gestikulierte, um darauf hinzuweisen, dass die Brüste der Mädchen des Iqlīm von Demona üppig waren. Apollonia hatte es bemerkt; es war zu viel! Sie lief ohne Erklärungen und in Tränen aufgelöst hinaus. Sie versteckte sich hinter den Gemüsegärten auf einer Sumach Plantage. An diesem Tag aß sie nicht und als Corrado nahe an ihr vorbei ging, weil er sie suchte, duckte sie sich vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden.

Kapitel 11
Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Bevor Corrado wieder sein Bewusstsein verlor, sah er rechtzeitig die Ikone der Madonna, die in einer Nische in der Hausfassade eingesetzt war und ein obligatorisches Zeichen für Christen war. Michele hatte ihn auf der Schulter getragen, während Apollonia den Weg zwischen den Menschen in Panik frei machte, die versuchten die Flammen zu löschen, die sich kurz zuvor ausgebreitet hatten. Umars Haus wurde von den Flammen verzehrt, während im Kornspeicher dutzende Männer hin und her eilten, um so viel Saatgut wie möglich zu retten; unter befand sich auch Alfeo.
Caterina weinte an der Tür, als ihre beiden eigenen Kinder den anderen nach Hause brachten, der fast gestorben war, um die Ehre der Familie zu verteidigen, die ihn aufgenommen hatte.
Michele legte Corrado auf das Bett und rannte weg, um seinen Vater und seine Mitbürger beim Kampf gegen die Flammen des Lagers zu unterstützen.
Apollonia brachte die Laterne, hielt aber an der Tür an, als sie bemerkte, dass ihre Mutter Corrado von seiner mit Schweiß und dem Tau der Nacht durchtränkten Kleidung entledigt hatte, um ihn mit trockenen Decken zu bedecken. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals nackt gesehen zu haben, und deshalb errötete sie und hatte Angst, sich ihm zu nähern. Dann, in den dunkelsten Stunden der Nacht, fand sie sich wieder allein, um über ihn zu wachen, so wie sie es in den letzten zwei Tagen getan hatte. Jetzt benetzte sie mit einem nassem Stück seine Stirn, um sein Fieber zu senken.
Als Corrado die Augen öffnete, drangen die ersten Strahlen, die die Aurora ankündigten, bereits durch das Fenster und der adhān der Dämmerung ertönte im ganzen Rabaḍ, Zeichen, dass die Spiritualität immer über das Unglück siegen musste. Das Fieber war gesunken und Corrado begann, die Kontrolle über seine Muskeln wieder zu erlangen. Die dunklen Striemen an den Handgelenken erinnerten ihn an die Ursache seiner Schwäche und an den Hass auf den, der ihm diese Demütigung verursacht hatte… genau auf den, einen Edlen, den Nachkommen einer rühmlichen, stolzen Abstammung.
Corrado hatte in zwanzig Jahren des Familienalltags seine Kriegerseele unterdrückt. Diese Realität, die aus Zuneigung, einem Zuhause, liebevollen Eltern, einem vertrauten Bruder und einer geliebten Schwester bestand, hatte das Unbehagen, seinen Leuten fern zu sein, verloren in der Mitte eines Volkes, das ihm als kleiner Junge gelehrt hatte, zu verachten, wieder ausgeglichen. In jenen Jahren wurde die Demütigung, dem Schuldeintreiber des Qā’id, Fuad zuerst und Umar danach, unterworfen zu sein, von Catherina, der Mutter, die er nie hatte, wieder gut gemacht.
Jetzt lag das schlafende Haupt von Apollonia auf Corrados Brust. Obwohl er ab und zu bewußtlos gewesen war, wusste er genau, wie viel dieses Mädchen für ihn getan hatte. Er fuhr ihr mit einer Hand durch die Haare und streichelte ihre Wange und ihr Ohr.
Apollonia öffnete seine Augen, aber er konnte sie nicht sehen. Das war alles, was Sie von dieser Nähe erwarten konnte: So tun, als ob Sie schlafen würde, um die Zärtlichkeiten des anderen zu genießen. Sie lächelte bei der Vorstellung, dass diese Hände von anderen Gefühlen motiviert waren, aber diese Krümel waren alles, was sie haben konnte.
“Ich habe Durst.”, dachte Corrado laut.
Apollonia konnte an diesem Punkt nicht mehr so tun, als ob sie schlafen würde, und sie erhob sich von dem Stuhl, auf dem sie saß.
“Ich gehe und hole dir Wasser.” antwortete sie etwas zu schnell, was in ihrem Bruder den Verdacht erweckte, dass sie nicht wirklich geschlafen hatte.
„Nein, lass es unsere Mutter holen. Bleib du hier.“
Corrados Blick verweilte auf Apollonia’s Gesicht: Eine große, noch gerötete Prellung breitete sich von ihrem Mundwinkel bis zur Hälfte ihrer Wange aus.
„Was ist dir hier passiert?“ fragte er sie und berührte leicht ihr Gesicht.
Apollonia zog sich zurück und antwortete:
„Erinnerst du dich an gar nichts?“
Tatsächlich hoffte Apollonia, dass Corrado sich nicht an dieses Detail erinnern würde…, dass er nicht bemerkt hatte, dass Idris sie geschlagen hatte, damit ihm sein Blut nicht zu Kopf stieg und er ihn zu Rechenschaft ziehen wollte.
„Wer hat dir das angetan?“ fragte Corrado erneut und lehnte sich an das Rückenteil des Bettes an.
Apollonia kämpfte mit sich: Einerseits wollte sie Corrado vor seinem eigenen Temperament schützen, andererseits wollte sie ihn niemals anlügen.
„Nach dem, was heute Nacht passiert ist, ist es da so wichtig, wer das war?“
Corrado wurden plötzlich die Ereignisse bewusst, die er in der Nacht zuvor erlebt hatte; jetzt kam ihm alles wieder in Erinnerung.
„Sie haben Nadira entführt!“ Sagte er in einem Zug, als ob ihm diese Wahrheit in diesem Moment erst bewusst würde.
“Ich weiß, Corrado…, ich weiß…, dieses arme Mädchen! Bruder, Schönheit ist ein Fluch Gottes, und der Mann ist Mann! Jala hat alles gesehen, sie haben an den Armen weggerissen. Im Dorf wird über nichts anderes geredet und Michele erzählte mir alles, auch was ich nicht wusste.”
„Umar… dieser Hund von Umar! Ich sah ihn mit meinen Augen tot umfallen.”
„Umar lebt… und auch seine Familie. Sie flohen rechtzeitig, bevor das Haus in sich selbst zusammenstürzte. Aber zwölf Dorfbewohner, Corrado… zwölf Dorfbewohner…, starben, um den Rabaḍ zu verteidigen!”
Corrado trauerte um die zwölf Dorfbewohner, aber dann übernahm der Zorn auf Umar die Oberhand.
“Dieser verfluchte Umar wäre besser gestorben!”
“Dann ist es besser, wenn ich dir nicht sage, wer ihn von den Flammen weggebracht hat, während er ohnmächtig war und seine Mutter ihn wie von Sinnen im Rauch suchte.”
„Bist du das gewesen?“ fragte er wütend und zeigte mit einem Finger auf ihr Gesicht.
„Nein, ich war nicht einmal in der Lage, dich zu ziehen. Es war Michele, als er kam, um dich nach Hause zu bringen.”
„Michele!“ schrie Corrado, der seinen Bruder zur Rechenschaft ziehen wollte.
„Bleib ruhig, bitte! Die Menschen sind alle sehr traurig und selbst unsere Familie trauert. Ich sah, wie unser Vater in Tränen nach Hause zurückkam. Wir haben die Ernte eines Jahres verloren, und viele dieser zwölf waren auch seine Freunde.“
„Michele!“ rief Corrado erneut.
“Es wird schlecht enden, wenn ihr euch streitet… tue unserem Vater dieses Unrecht nicht an. Bitte, Corrado!» bat sie und nahm ihn bei den Händen.
“Was für ein Unrecht hätte ich ihm angetan?”
An diesem Punkt betraten Alfeo und Michele, die den Ruf Corrados gehört hatten, den Raum.
Apollonia ließ die Hände ihres Bruders los und stand sofort auf, als ob jene anderen diese Geste der Zuneigung mit Argwohn interpretieren könnten, als wüssten sie von ihren Gefühlen.
“Niemand hatte uns jemals bemerkt, Corrado, und jetzt sind wir dank dir für alle Mohammedaner des Rabad zu einem Schandfleck geworden, vor allem auch für das Haus von Umar.” erklärte Alfeo mit vom Rauch geschwärzten Gesicht.
“Ist dies der Grund, warum Michele unseren Feind noch vor mir in Sicherheit gebracht hat? Um das Unrecht auszugleichen, das ich diesem Mistkerl von Mann angetan habe?” sagte Corrado wütend.
“Genauso… beten wir zu Gott, dass mit Micheles Geste alles wieder so wird, wie es vorher war.”
“Bevor ich dich verteidigte, Vater?”
„Ich habe dich nicht darum gebeten.“
“Aber dieser Mann hat euch gedemütigt!”
“Sie befehlen; was ist daran so seltsam?”
“Deshalb bist du nicht gekommen, während ich dort war?”
„Umar muss verstehen, dass wir mit deiner Geste nichts zu tun hatten.“
Corrados Wut ließ Raum für Enttäuschung.
Apollonia bemerkte dann das geneigte Gesicht ihres Bruders und versuchte, ihn zu trösten:
„Los, komm schon… im Grunde hat unser Vater Recht. Was dachtest du zu erreichen, indem du den Mann des Qā’id beleidigst?»
Aber Corrado, anstatt auf sie zu hören, betonte:
“Mein Vater, mein wahrer Vater, wäre stolz auf mich gewesen, und er wäre es gewesen, selbst wenn ich an diesem Pfahl gestorben wäre. Und ihr schimpft auch noch mit mir!»
Jetzt überhitze sich die Stimmung ernsthaft. Alfeo empörte sich ernsthaft über diese Worte, während Michele nichts sagte, da er wusste, dass er das Vertrauen der Person, die er am meisten bewunderte, verraten hatte.
Caterina kam durch die Tür, als ihr Mann einen Schritt nach vorn machte und schimpfte:
“Wo ist dein wahrer Vater heute? Er hat es vorgezogen, sich ermorden und dich allein zu lassen! Für was, Corrado, für Ehre? Um nicht gedemütigt zu werden? Ich bin mir sicher, dass dies für Menschen wie deinen Vater mehr als genug Gründe sein würden, sich ermorden zu lassen und den eigenen Sohn seinem Schicksal zu überlassen. Aber das sind nicht die Gründe, warum dein wahrer Vater dich nicht aufgezogen hat… dein Vater hat sich für Geld ermorden lassen!”
Corrado erhob sich daraufhin aus dem Bett, aber als er merkte, dass er nackt war, bedeckte er sich mit der Decke; Apollonia hatte sich inzwischen sofort umgedreht.
“Er war ein Soldat!” rechtfertigte Corrado.
“Und ich bin ein Bauer… mit einem Herrn, dem er dienen muss!”
Corrado machte einen weiteren Schritt in Richtung Alfeo und antwortete:
„Deswegen leckt ihr seit zweihundert Jahren die Füße der Heiden. Ich fange an zu denken, dass ihr den Geschmack des Staubes zwischen den Zähnen mögt. Aus diesem Grund haben meine Leute die andere Seite der Meerenge in der Hand, während ihr euch für eine unbezahlte Gebühr ohrfeigen lasst. Roul sagte schon immer: “Verfluchte Griechen!”.“
Nachdem er dies gesagt hatte, ging er weiter und verließ das Haus.
Vor allem für den letzten Satz fühlte er sich wie ein Wurm. Dieser Mann, mit dem er sich stritt, war derjenige, der ihn aufgenommen und wie die anderen Kinder erzogen hatte, und er zeigte sich jetzt undankbar und untergrub ihn im Vergleich zu seinem Vater, der ihn im Alter von neun Jahren verlassen hatte. Was erwartete er andererseits von dieser Familie, deren Überleben von der Unterwerfung dieses Herrn abhing? Das Herz von Corrado war von Geburt an ungezähmt, das ist wahr, aber auch völlig unvereinbar mit der sanften Natur von Alfeo. Irgendwann, als er unter dem Feigenbaum auf der Rückseite des Hauses saß, noch in die Decke gehüllt, kam er zu dem Schluss, dass er der Untaugliche war und dass er wegen seines Charakters nur Probleme für jene Menschen verursachen würde, die er mehr als alles andere liebte. Es war kalt, und er war nicht ganz geheilt, aber es war zu diesem Zeitpunkt, als in ihm die Entscheidung seiner Abreise fiel. Sein Herz schlug hart in seiner Brust und er atmete tief. Nun verschwanden die letzten Jahrzehnte; Corrado fühlte seine neunundzwanzig Jahre, als ob sie neun waren, als ob die Zeit im Rabaḍ nie vergangen war.
Apollonia kam weinend heraus, während er in diese Gedanken vertieft war.
“Du hast dich noch nicht erholt… komm bitte herein.” bat sie ihn.
Corrado lächelte jedoch zufrieden über die Entscheidung, die er einige Minuten zuvor getroffen hatte.
“Ich bin froh, dass Michele Umar das Leben gerettet hat.” antwortete er und ließ sie völlig verdutzt.
“Und was hat das jetzt damit zu tun?”
“Es ist wichtig, weil der Moment gekommen ist, mich so zu verhalten, wie es bei meinen Leuten üblich ist. Ich werde Umar zur Rechenschaft ziehen über das, was er mir angetan hat, und ich werde Idris dafür bezahlen lassen, was er dir angetan hat. Glaube nicht, dass ich es nicht gesehen habe!»
“Sie werden dich umbringen!”
“Das ist nicht wichtig, denn das ist kein Leben… sondern Kriechen!”
„Denk nach, es geht uns doch nicht so schlecht… Bevor Umar unseren Vater geschlagen hat, hatten sie uns nie etwas getan.”
„Wenn sich Umar plötzlich verändert hat, dann habe ich das auch.“
“Und wenn sie es dann an uns auslassen?”
„Unser Vater und Michele werden sich entschuldigen, indem sie mich verleugnen, so wie sie es in diesen Tagen taten.“
Apollonia warf sich zu seinen Füßen und umarmte ihn.
„Das erlaube ich dir nicht, selbst wenn ich unserem Vater alles erzählen muss.“
“Das wirst du nicht tun, Schwester, nicht du, die mich noch nie verraten hat.”
Apollonia hob den Blick auf und starrte ihn an… Daraufhin streichelte er mit einem Finger über das Jochbein.
„Die Rache ist eine der Ruinen des Menschen. Du hast mir erzählt, wie der Krieg vor zwanzig Jahren für Christen aufgrund der Rache dieses Mannes nicht erfolgreich war.“
“Arduino der Langobarde… aber es war nicht seine Rache, der Grund daß christliche Armeen über das Meer hinaus zurückkehrten; es war, weil sein General ihn öffentlich demütigen wollte… genauso wie Umar es mit mir tat.”

Kapitel 12
Anfang Sommer 1040 (431 seit Hegirae), Täler östlich von Tragina

Es vergingen einige Tage, vielleicht eine Woche oder mehr. Während dieser Zeit besuchte Conrad ständig die kleine Kapelle. Er schlief dort, aß dort, betete und begann langsam, ein paar Worte mit denen zu wechseln, die sich dort befanden, vor allem mit den wenigen Priestern griechischen Ritus, die die Sprache von oïl kannten, aber auch mit einigen der Diener und Wachsoldaten des Lagers. Conrad verbrachte hier so viele Stunden, dass seine Augen in den wenigen Augenblicken, in denen er seine Nase nach draußen streckte, durch das intensive Sonnenlicht schmerzten. Er lernte, wer die einzelnen Figuren auf der Wand waren, den Namen aller Heiligen und er mochte das Bild des Heiligen Andreas, der mit offenem Mund betete und der das trinitarische Symbol in der Hand hielt; genau dieser heilige Apostel stand über dem Grab seines Vaters.
Roul und die anderen hatten sich tagelang in den Ländereien umgesehen, und nun, von der Jagd zurück, vereinten sie sich im Lager mit dem größten Teil der Armee. Es waren die frühen Stunden des Nachmittags, als Conrad den großen Lärm hörte, der von unten kam, und schwor, dass in den Zelten gefeiert wurde.
Es dauerte nicht lange, bis sein Pflegevater auftauchte.
„Sohn, komm raus!“
Conrad kam dann heraus, blieb aber vor dem Eingang stehen.
„Die gesamte Armee kehrt zurück.“
“Feiert ihr euren Sieg… Ich trage den Schmerz um meinen Vater in mir”.
“Viele der Soldaten haben einen Verwandten in der Schlacht verloren, einen Bruder und sogar einen Vater… Vor wenigen Tagen haben sie auch ihre eigenen Toten begraben, nicht in einem schönen Mausoleum wie diesem, sondern mitten auf dem Feld. Aber jetzt ist es richtig, unsere Opfer zu genießen… sie sind auch dafür gestorben.”
“Ich will meinen Vater nicht verlassen.” sagte Conrad.
“Und wenn irgendein Ungläubiger diesen Ort schändet?” bestärkte er seine These.
“Er wird dann vom guten Gott bestraft, aber deinem Vater können sie ihn nicht zweimal umbringen. Heute feiern wir gemeinsam, und dann kehren wir mit der Belohnung in der Tasche zurück nach Syrakus, um denen zu helfen, die noch geblieben sind, um die Belagerung zu beenden. Wir haben in diesen Tagen eine große Beute gemacht… Nur Gott weiß, wie viele Dörfer bei der Jagd und auf dem Rückweg geplündert wurden! Jeder wird seinen Teil erhalten und du bekommst den deines Vaters.“
„Ich habe sie nicht verdient.“
„Was hast du von alldem verdient, was dein Vater für dich getan hat? Junge, deine Launen fangen an, mich zu langweilen! Heute habe ich fast kaum glauben können, dass du mehr als eine Woche lang hier oben gewesen bist. Aber ich bin nicht dein Vater, und wenn ich das Versprechen, das ich ihm gegeben habe, nicht erfüllen kann, dann ist es umso besser, dass ich dir deinen Kopf mit zwei Fingern abreiße, anstatt dich zwischen den Beinen zu haben!”
„Was wollt ihr von mir?“ fragte Conrad mit erhobener Stimme.
„Dass du akzeptierst, dass dein Vater tot ist und dass du aufhören musst, zu heulen. Und dass du weißt, dass ich ein Freund von Rabel war, nicht von dir, und deshalb werde ich nicht zögern, dich an der Standarte aufzuhängen, wenn du nicht tust, was ich sage.”
„Nehmt den Teil der Beute meines Vaters und lasst mich in Frieden.“
Als sich Conrad nach diesem Satz umdrehte, um sich in die Höhle zu flüchten, ergriff Roul ihn am Nacken und hob ihn mehr als zwei Meter hoch. Die Hand des Kriegers umfasste fast den ganzen Hals des kleinen Jungen und drückte so zu dass die Augen des Jungen aus den Höhlen zu treten schienen.
“Sie nennen mich Harte Faust und ich soll mich von dir beleidigen lassen du ungezogener Bengel? Es ist mir keine Mühe, dich auf diesen Felsen zu zerschmettern!” schrie er, wie vom Teufel besessen.
Dann löste er den Griff und ließ ihn fallen.
„Wenn jemand sehen würde, wie du versuchst, mich mit Füßen zu treten, wäre mein Ruf gefährdet. Ich habe schon Männer für viel weniger getötet! Danke deinem Vater und meiner Ehre, wenn ich dich heute nicht erwürge. Jetzt steh auf und komm ins Lager!”
Conrad war verletzt, mehr als sein Körper in seiner Seele, und er vermied es, dem anderen in die Augen zu schauen und kauerte noch immer auf dem trockenen Gras. Nicht einmal sein Vater hatte ihn jemals so diszipliniert.
An einem bestimmten Punkt sah er die riesige Hand Rouls, sich seinem Gesicht zu nähern; er drückte also seine Augen zusammen, als er sich vorstellte, dass diese Drohung wahr werden könnte.
„Steh auf und komm mit mir. Ich werde dir zeigen, wie dein Vater lebte, ich werde dir seine Freunde vorstellen, ich werde dich trinken lassen, was er getrunken hat, und ich werde dich mit den Frauen gehen lassen, die er bevorzugt hat.” lud Roul ihn mit einem ungewöhnlich freundlichen Ton ein, während er ihm die Hand reichte.
Conrad ergriff sie und stand wieder auf, trocknete sich die Tränen, die seine Wangen benetzten und zwang sich, einen Ausdruck der Härte zu zeigen.
“So mag ich dich!” beglückwünschte ihn der riesige Mann, bevor er ihm den Rücken zukehrte und den Hang hinabstieg.
„Roul!“ rief stattdessen Conrad.
„Was gibt es sonst noch?“ antwortete der Erwachsene ungeduldig.
“Ich möchte, dass ihr mich in den nächsten Kampf mit euch nehmt.”
Roul lachte, er war froh, dass seine Mittel Ergebnisse brachten, und er lachte gerne.
„Was willst du, Bengel?“
“Ihr wollt mir beibringen, wie mein Vater lebte… nun, nehmt mich auch zum Kampf mit. Mein Vater hat mich den Umgang mit dem Schwert gelehrt, seit ich laufen kann. Ich kann es!”
„Du wirst es mit beweisen, sobald dies möglich ist. Was den Krieg betrifft… nun, Sohn, zuerst musst du dein Herz vorbereiten… du musst lernen zu hassen!”
“Ich weiß schon, wie man hasst! Bringt mir einen Ungläubigen und ihr werden sehen, wie ich ihn in Fetzen schlage.“
„Das genügt nicht, du bist nicht stark genug.“
„Gebt mir eure Axt und ich fälle diesen Olivenbaum mit drei Schlägen.“
Raul lachte noch lauter und antwortete:
“Du könntest meine Axt nicht einmal anheben! Du wirst mit mir in den Kampf gehen, aber nicht jetzt. Die reguläre Armee von Konstantinopel besteht aus Männern, die mindestens achtzehn Jahre alt sind. Wir sind sicher nicht auf ihrem schlechten Niveau, aber lass dir erst einmal einige Haare sprießen, bevor du mitkommst.»
„Nächstes Jahr?“ fragte Conrad unschuldig.
“Nächstes Jahr ist… in Ordnung.”, bemerkte Roul, um seine Ruhe zu haben.
“Ich werde meinen Vater rächen!”
Raul antwortete diesmal nicht, sondern legte eine Hand auf die Schulter des anderen und stieg weiter bergab.
Das Lager war eine Masse von Menschen; früher war es Conrad nicht so groß vorgekommen. Die Luft war die des Festes, und alle um die Soldaten lachten und scherzten, diesmal, ohne das Misstrauen zu zeigen, das zwischen verschiedenen Abstammungen herrschte. An den großen Zelten stand ein Mann an der Straßenseite mit einer Kiste voller merkwürdiger Metallgegenstände mit Spitzen an mehreren Seiten. Roul nahm einen, zeigte ihn Conrad und erklärte ihm:
„Siehst du diese Waffe, Junge? So wollte Abd-Allah uns besiegen, indem er den Boden mit hunderten dieser Gegenstände übersäte. Aber unsere Pferde sind mit breiten Hufeisen beschlagen und die Stacheln haben uns nichts getan. Beginne etwas über Krieg zu lernen.“
Wagen, die mit der Beute beladen waren, kamen weiterhin von regulären Soldaten begleitet an und erreichten die große Lichtung vor dem Kommandozelt, das von Giorgio Maniace; offensichtlich waren auch die Karren und Ochsen Teil der Beute. Auf einigen dieser Wagen befanden sich auch Männer und Frauen, die bei den Beutezügen gefangen genommen waren: Es waren die zivilen Mauren, die sich nicht verstecken konnten. Viele dieser Frauen würden als erstes Zeichen der Knechtschaft an den Feierlichkeiten beteiligt sein, bevor sie als Beute auf das Festland geschickt wurden, um sie zu den Familien der neuen Herren zu bringen. Die Frauen wären Teil der Höfe in den Adelspalästen geworden, und die Männer wären zu Knechten der Bauern geworden, oder Männer und Frauen würden den jüdischen Sklavenhändlern in die Hand gehen, die sie auf den Märkten des gesamten Mittelmeers verstreut hätten. Den Christen war es theoretisch verboten, direkt mit in Sklaverei geendeten Menschen zu handeln, aber die Wahrheit war, dass der Handel mit Gefangenen für alle, Christen und nicht, sehr einträglich war.
Eine Delegation der Bewohner von Rametta kam mit einer Menge Vorräte an, die für die Truppen bestimmt waren. Rametta, hoch oben in einer beeindruckenden Lage auf den Karonien, war erst 965 den Sarazenen in die Hände gefallen, die letzte aller Städte Siziliens, und galt als Bollwerk des sizilianischen Christentums und des Heldentums, das dort für die Verteidigung des Glaubens gezeigt wurde. Giorgio Maniace hatte die Stadt kurz nach seiner Passage über die Meerenge zurückerobert und einen blutigen Kampf geführt, in dem die normannischen Krieger den größten Blutbeitrag bezahlt hatten. Jetzt unterstützten seine Bewohner die christliche Wiedereroberung in jeder ihnen möglichen Weise, indem sie Menschen und Nachschub aller Art schickten. Das gleiche taten die Bürger von Rinacium
- der Name der Stadt in den amtlichen Unterlagen - einige Meilen westlich von dort, das bewohnte größere Zentrum in der Nähe des Lagers.
Nach kurzer Zeit stellte sich Tancred vor, der eine Karaffe Wein trug.
„Einige haben bereits drei davon ausgetrocknet!“ sagte dieser und gab seinem Kommilitonen das Objekt, auf das er sich bezog.
„Komm, trink einen Schluck!“ lud er Roul ein, wobei er den Wein Conrad übergab.
Der kleine Junge ergriff die Karaffe und trank einen Schluck, verzog aber sein Gesicht und schluckte ihn mühevoll herunter. Die anderen beiden lachten amüsiert als sie sahen, wie Rabels Sohn versuchte, sich wie ein Erwachsener zu benehmen.
“Ich denke, dass er für Frauen noch Zeit hat!” rief Roul aus, wobei er unterstrich, dass Conrad ja noch Schwierigkeiten mit Wein habe, geschweige denn mit Frauen.
„Was erwartest du? Er ist nur neun Jahre alt.” bemerkte Tancred.
“Ich ging mit neun Jahren mit meiner ersten Hure!” antwortete Roul, obwohl das absurd erschien.
Das war der letzte Satz, den Conrad noch mit klarem Kopf hörte. Beim zweiten Schluck Wein begann er, verschwommen zu sehen und die einzelnen Stimmen nicht mehr vom riesigen, nebulösen Stimmengewirr Tausender sprechender Münder in Dutzenden verschiedener Sprachen zu unterscheiden.
“Harte Faust, du denke, dass wir deinen Stiefsohn verloren haben…”, kommentierte Geuffroi, ein edler Normanne, ihr Freund.
“Er ist der Sohn von Bruder Rabel, nicht meiner… der Sohn von der Harten Faust würde das Feuer dieses Berges trinken.” prahlte Roul und spekulierte auf einen Erben, den er nie gehabt hatte, und zeigte auf Jebel.
„Frauen, Würfel und Wein… vor dem Zelt der Varangianischen Wache lassen sie es sich gut gehen!“ mischte sich ein anderer ein, der erregt und außer Atem hereinkam.
Sie gingen zu dem fraglichen Ort, aber als sie die Lichtung vor dem Kommandozelt erreicht hatten, nahmen sie von all ihre Absichten wieder Abstand. Conrad war noch immer benebelt war und folgte den alten Freunden seines Vaters, ohne etwas zu verstehen. Dutzende und Dutzende von Menschen, Soldaten aller Art, Religiöse und sogar einige Frauen, die sich noch nicht ganz ihre Entblößungen bedeckt hatten, waren alle um die Mitte des Platzes herum verteilt und wollten etwas erleben. Es herrschte Stille, und die Spannung war typisch für die Momente, in denen Schreckliches passieren sollte. Auch die Varangianische Wache, diejenigen, die sich vergnügen sollten, starrten auf das Zentrum des Geschehens. Roul machte sich den Weg frei, indem er die Leute vor sich zur Seite schob; Tancred, Geuffroi und Conrad nutzten den Durchgang, um vorwärtszukommen.
Aus dem Zelt von Giorgio Maniace kamen vier Männer heraus, vier Stratioten
aus Konstantinopel, erkennbar durch die Rüstung und das mediterrane Aussehen. Um die Szene herum, die sich gerade aufbaute, stellten sich andere römische Soldaten
…, Kalabresen, Mazedonier und Apulier zum Schutz auf, da sie die Reaktion eines Menschen in der Menge fürchteten.
An diesem Punkt wandte sich Tancred an einen Nahen Waffengefährten, der die Szene vermutlich von Anfang an beobachtet hatte.
„Freund, was zum Teufel geht hier vor?“
Dieser antwortete leise und mit einer Hand vor dem Mund:
„Maniakes
und Arduin… es scheint, dass zwischen den beiden ein Disput entstanden ist.“
„Warum?“
“Sie sprachen auf Griechisch, ich habe nicht alles verstanden… aber…”
“Aber was?”
„Offenbar hat der Streit wegen einem Pferd angefangen.“
Die Wagen mit der Beute waren teilweise geleert worden, und vertrauenswürdige Männer sortierten das Material nach seiner Art aus. Tatsächlich stand ein wunderschönes arabisches Vollblut, schwarz wie Pech mit glänzendem Fell, vor den Wagen. An diesem Punkt zogen die vier Stratioten das Tier zu dem Ort, den sie gerade verlassen hatten. Einige Longobarden
machten sich ebenfalls auf den Weg, aber die Speere der Schutzsoldaten geboten ihnen Einhalt.
Dann kam Giorgio Maniace aus dem Zelt, mit den Händen an den Hüften und wütend. Mit seinem guten Auge begann er, jeden der Anwesenden zu fixieren. Dann schrie er in seiner Sprache, aber alle verstanden es:
„Hat noch jemand anderes die Absicht, den Strategos
herauszufordern?“
Diese Frage leitete das ein, was sich abzeichnete.
Die vier, die das Pferd nach drinnen gebracht hatten, zogen Arduino, den Anführer des Kontingents der Longobarden, schlimmer als eine Bestie aus dem Zelt. Sie packten ihn am Bart, damit er sich dem nächsten Willen von Maniace unterwerfen konnte, und banden ihn an den Fahnenmast an der Ecke des Kommandozeltes, den mit der gehissten Flagge mit dem Doppeladler von Konstantinopel. Schließlich riss Giorgio Maniace einem seiner Diener in der Nähe eine Peitsche aus den Händen und nachdem er den Rücken und das Gesäß des unglücklichen Arduino entblößt hatte, begann er ihn persönlich auszupeitschen. Stur und hart wie der andere war, gab er natürlich keinen Laut von sich.
Andere Leute zu befehlen war nie einfach. Man riskiert, einen anderen glücklich zu machen und unzufrieden den andere. Aber Giorgio Maniace machte niemanden glücklich, und außer den Menschen des Volkes, die ihn als den Befreier des Christentums sahen, haßten ihn alle.
Was unter den Augen der gesamten Armee geschehen war, war etwas Unglaubliches: Ein Anführer…, ein Anführer der Hilfstruppen, war wie ein Sklave gedemütigt worden. Maniace zählte auf den größten Teil der Armee, den regulären Teil, der seinem direkten Kommando anvertraut wurde, so dass es ihm leichtfiel, seine Ansprüche geltend zu machen. Arduino kontrollierte stattdessen die Konteraten, die Männer, die mit Schild und Speer bewaffnet waren und die in Apulien mit Gewalt rekrutiert wurden; es ist klar, dass ihn außer einigen treuen longobardischen Adligen niemand verteidigen würde.
Der Kern der Frage war dann absurd:
Um es kurz zu machen, hatte Arduino sich geweigert, dieses wunderschöne arabische Vollblut an seinen General, den Strategos, zu übergeben, und es entstand eine Diskussion, in der keiner von beiden nachgeben wollte. Aufgrund Arduins weiterer Ablehnung hatte Maniace entschieden, ihm eine beispielhafte Lektion zu erteilen, die ihm seine fehlende Disziplin einbläuen sollte.
Doch nicht immer löst die Gewalt die Streitfragen, vielmehr sind die Folgen, die sich aus ihrer Anwendung und ihrem Missbrauch ergeben, unangenehmer als die Ursache, aus der sie hervorgerufen wurde. Was diese Geste ausgelöst hat, konnte sich nicht einmal Maniace vorstellen, der, um die Wahrheit zu sagen, von einem sehr schlechten Charakter getrieben wurde, der oft impulsiv handelte und nicht auf die Konsequenzen seiner Handlungen geachtet hatte. Und, während die Armee dem Sieg auf dem Feld große Bedeutung beitrug und sich vergnügen wollte, schätzte er die erfolgreiche Flucht Abd-Allahs als einen Misserfolg ein. Die ganze Schuld lag bei der Flotte, die dem sarazenenischen Emir erlaubt hatte, auf der anderen Seite der Berge an Land zu gehen und die Hauptstadt Balarm zu erreichen. Derjenige, der die Marine befehligte, die den Truppen von Maniace hätte helfen sollen, war Stefano der Calafato, doch die militärische Fähigkeit des letzteren konnte nicht mit der Fähigkeit des Generals verglichen werden. Stefano befehligte die Flotte nur, weil er der Schwager des Kaisers war, und wegen dieser Überlegung, die den Verdienst nicht berücksichtigte, ertrug ihn Giorgio Maniace nicht.
“So enden diejenigen, die Geórgios Maniákis herausfordern!” schloss der General, betrachtete die Umstehenden in ihrer Gesamtheit und streckte seinen Arm mit der Peitsche in ihre Richtung.
Die Menge begann sich zu diesem Zeitpunkt aufzulösen, aber es war klar, dass die Feier dort vorbei war, beim Anblick von Arduins blutigem Rücken. Der Longobard wurde von seinen Getreuen aufgesammelt und in sein Zelt zurückgebracht. Dass es hier nicht vorbei war, wusste jeder…
Roul und seine Waffengefährten zogen sich in den Lagerbereich zurück, in dem sie untergebracht waren; sogar Wein und Frauen verloren ihren Reiz an diesem Abend.
Nachdem sie sich zurückgezogen hatten, und es war schon an Sonnenaufgang, sagte Roul, der sich an den Pfahl lehnte, an den sein Pferd festgebunden war:
“Was wir heute gesehen haben, ist absurd!”
“Ich sage, wir hätten eingreifen müssen.” sagte Tancred.
„Wir antworten Guaimar von Salerno, nicht auf Arduin.“, antwortete Roul.
„Auch Arduin antwortet Guaimar. Der gleiche Herr hat uns eingestellt.”
“Dann möge er die Ehre seines Herrn wieder herstellen! Ist Guaimar nicht auch ein Longobard?» bemerkte Geuffroi, in Übereinstimmung mit Roul.
„Es geht nicht um Blut oder Brüderlichkeit, es ist eine Frage, dass kein edler, der auch noch guter Abstammung ist, diese Behandlung verdient. Hätten wir nicht eingegriffen, wenn es statt Arduin um Willaume de Hauteville gegangen wäre?“
„Willaume hätte ihm das Herz mit einem Biss herausgerissen!“ rief Roul aus.
“Aber Willaume hütet sich davor, dem verfluchten, zornigen Hund eines Mazedoniers zu widersprechen!” sagte jemand…, aber es war nicht klar, wer gesprochen hatte.
Die Tatsache, dass die drei Soldaten eine Geste der Ehrfurcht machten, sagt viel darüber aus, wer der Typ war.
“Willaume, wir sprechen nur, weil der Atem Teil der Entschädigung ist.” rechtfertifte sich Tancred mit etwas Ironie, genau jener unter ihnen, der die Nichtintervention in Frage stellte.
“Tancred Langhaar, eines Tages werdet ihr mir erklären, warum sie euch so nennen.” antwortete Willaume, Wilhelm von Hauteville.
„Langhaar war mein Großvater… Ich habe nur den Namen geerbt.“
Dann sah er den größten unter allen an und unmittelbar danach Conrad daneben.
„Roul die Harte Faust, es ist sehr ehrbar, was ihr für dieses Kind tut.“
„Willaume, etwas stärkeres als Blut bindet mich an meinen Bruder Rabel.“
„Das zeigt, dass hinter dieser Axt ein Herz schlägt…“
Dann atmete er tief ein und sagte:
“Auf jeden Fall möchte ich, dass ihr wisst, dass ich aus den Zelten der Varangianischen Wache komme… und dass diese Sache auch Harald gar nicht gefallen hat.”
„Ich glaube, das hat niemandem gefallen. Man kann einen Kapitän nicht auf diese Weise demütigen!” wiederholte Tancred.
„Ich bin mir sicher, dass ihr, wenn ich an der Stelle von Arduin gewesen wäre, nicht zugesehen hättet.“
“Das kannst du laut sagen, Willaume!” behauptete Geuffroi.
“Aber es wäre ein Selbstmord gewesen! Auch Arduin wusste das heute.“
“Für Arduin wird es auch ein Selbstmord sein, wenn er morgen eingreift… oder übermorgen… oder in einem Monat.” bestärkte ein anderer, der soeben hinzugekommen war.
Es war Drogone, für alle Dreu, jüngerer Bruder von Wilhelm. Im Halbschatten des Sonnenuntergangs, da er dem Licht der Dämmerung den Rücken zuwandte, erkannten sie ihn sofort aufgrund des auf der Tunika aufgenähten Symbols der normannischen Adelsfamilie des Unterlaufs der Seine; mindestens fünfzig folgtem ihm und die Sache begann, wie der Auftakt einer Revolte auszusehen.
“Tja, Arduins Conterate sind nicht einmal gut als Dünger für das Feld, wenn sie einmal tot sind.” antwortete Wilhelm.
“Aber sicher wird Guaimar nicht nur zusehen, wenn ihn die Nachricht in Salerno erreicht. Ich bin sicher, dass das, was er wegen Arduin entscheidet, auch für uns entscheiden wird. Und dann hat Maniakes es nicht nur mit den Konteraten Arduins und seinen wenigen Getreuen zu tun, sondern auch mit dem gefürchteten normannischen Kontingent… und nur Gott weiß, wie sehr wir gefürchtet werden!” erklärte Drogone.
„Und die Variangianische Wache? Die persönlichen Wachen von Kaiser Michele, auf welcher Seite werden sie stehen?» fragte Geuffroi.
“Harald Hardada und seine Männer unterscheiden sich nicht sehr von uns und den Gründen, die uns zum Krieg zwingen. Und ich sage das nicht nur, weil wir die gleiche Herkunft aus den Nordländern haben. Ich sage das, weil ich sie gehört habe. Gott bestrafe mich, wenn ich mich irre! Wenn Harald seine Vergütung bedroht sieht, wird es Maniakes auch mit aufnehmen müssen.” erklärte Wilhelm.
„Was müssen wir also tun?“ fragte Geuffroi verwirrt.
„Vorläufig nichts. Maniakes wird bereits über diese improvisierte Versammlung Bescheid wissen - seine Informanten befinden sich überall in der Armee und auch unter den unseren - und er wird sicherlich die schlimmste der Annahmen, nämlich den Boykott dieses Krieges durch alle Hilfskontingente, in Betracht ziehen. Wir warten mit Vorsicht auf das, was geschieht. Wir warten darauf, Arduins Reaktion zu sehen. Wir können jedoch nicht riskieren, von diesem griechischen Fuchs überrascht zu werden… also, Brüder, legt eure Rüstungen nicht ab und bleibt immer vereint. Vergesst den Wein für diese Nacht, und nur diejenigen, die nüchterner als betrunken taumeln, werden sich daranhalten. Zieht euch nicht aus, um zu den Frauen zu gehen. Schlaft in Schichten und bleibt immer über meine Anordnungen auf dem neuesten Stand.” unterbreitete er seine Richtlinien an Wilhelm, aber so wie er sie sagte, schien es fast wie ein Rat unter Freunden.
Dann begann er erneut und sagte:
„Diese Nacht wird eine lange Nacht sein, aber wir werden die Regeln unseres Auftrages nicht verletzen, solange uns von der anderen Seite deerselbe Respekt zugesichert wird. Jemand von uns hat schon in der Vergangenheit gegen die Römer gekämpft… er weiß, wovon ich rede, wenn ich sage, dass man im Freiden wie im Krieg nichts als selbstverständlich annehmen sollte. Jeder zu seinem Zelt, Brüder, aber schlaft nicht zu tief!”
Die improvisierte Versammlung, wie sie von Wilhelm definiert wurde, löste sich nach seinen Worten auf. Es würde eine lange Nacht werden, eine von denen, die Entscheidungen mit sich bringt, eine jener schlaflosen Nächte für Krieger, die immer bereit sind. Jeder packte seine Kriegswaffe und legte sie neben sein Kissen, sowie den üblichen Dolch, der zwischen seinen Kleidern versteckt war.
In all dem schien Conrad am meisten besorgt zu sein, und nicht, weil er noch keine Waffe besaß, und auch nicht, weil in seinem jungen Alter alles größer und furchteinflößender erscheint, sondern weil er fürchtete, er müsse abreisen, ohne sich von seinem Vater ein letztes Mal verabschieden zu können.

Kapitel 13
Winter 1060 (452 seit Hegirae), hinter den Mauern von Qasr Yanna

Es war nur ein Tag und eine Nacht vergangen, seit Mohammed Ibn al-Thumna den Rabaḍ verwüstet und Nadira entführt hatte. Die Boten von Ali ibn al-Ḥawwās waren vom Berg gestiegen, um die Ursache der Brände zu überprüfen, die während der Nacht entdeckt wurden, aber sie hatten nichts ausrichten können. Auch die zehn Männer des Qā’id, die unmittelbar danach auf der Suche nach Nadira und ihren Entführern losgezogen waren, konnten nichts tun.
Als diese armen Zwölf von den Halsabschneidern der Qā’id von Catania, hauptsächlich Späher und Wachmänner, mit dem Schwert getötet wurden, begann die gesamte Bevölkerung, in der allgemeinen Psychose ihre Koffer zu packen. Eine lange Prozession von Männern, Frauen und Kindern, aber auch von Tieren und von Hand oder Maultieren gezogene Karren, stieg zu den Mauern von Qasr Yanna an, wo sie den Schutz finden konnten, den sie im Rabaḍ nicht gehabt hatten. Innerhalb der Mauern begannen sie, sich so gut wie möglich einzurichten: Wer einen Verwandten hatte, bat um Asyl im Haus, wer keinen hatte, ließ sich an der Häusergrenze nieder und baute sich einen Schutz, mit dem was er fand. Auch Alfeo folgte der Masse und zog es vor, die Hacke liegen zu lassen, um Zuflucht in Qasr Yanna zu finden.
Corrado, der geschwächt war und sich noch nicht vollständig erholt hatte, sah sich den Folgen des Fiebers gegenüber. Nun hatte er, überzeugt von Apollonia, seinen Wunsch nach Rache beiseitegelegt, um allem, was für die neue Unterkunft zu tun war, Vorrang zu geben. Alfeo und seine Kinder, wie die geschickten Beduinen, bauten die Zelte neben den Gemüsegärten auf, die innerhalb der Mauern angebaut wurden, und auf der Rückseite von einem der berühmten Gärten von Qasr Yanna. Genau hier erhielt Corrado am Nachmittag einen Besuch.
Umar trat arrogant und überheblich vor, und als er sich dem Zelt der Christen des Rabaḍ näherte, zerstörte er einen Teil davon, um es zu betreten, ohne sich die Mühe zu machen, um Erlaubnis zu bitten.
“Corrado, komm raus!” schrie er.
Der andere wollte das Feuer entzünden, während die Familie ihn umgab und darauf wartete, endlich die einigen Hände wärmen zu können.
Corrado hob die Augen, sah ihn an und antwortete ruhig:
„Die Zeit, die ich brauche das Feuer anzuzünden.“
“Komm raus… sofort!” befahl Umar wieder, diesmal fasste er sich am Kopf dort, wo er zwei Tage zuvor geschlagen worden war.
„Warte auf mich an den Gärten.“
Umar stapfte wütend davon.
“Was will er noch von uns?” fragte Caterina verängstigt.
“Das ist der Grund, warum ich dir sagte, dass du mit deiner Geste unsere Ruhe zerstört hast.” wiederholte Alfeo.
“Offensichtlich war die Tatsache, dass Michele ihm das Leben gerettet hat, für ein solches Tier nicht ausreichend!” antwortete Corrado.
„Pass auf was du sagst und zeige dich unterwürfig!“ sagte Alfeo.
Corrado ergriff jedoch das Messer, mit dem seine Mutter eine bittere Orange aus den unteren Tälern schälte, steckte es in den Hosenbund und befreite sich von Apollonia, die ihn besorgt am Arm festhielt.
“Bleibt hier!” befahl er der ganzen Familie, bevor er das Zelt verließ.
Umar wartete in der Nähe einer Mandel auf ihn, während ein Dutzend Schritte hinter ihm der Rest seiner Familie stand.
“Hat es dir nicht gereicht, dass mein Bruder dir das Leben gerettet hat? Was willst du noch von mir?”
„Michele hat deine vergangenen Verbrechen bezahlt, aber seine Geste kann deine heutigen nicht zurückzahlen.“
“Und die zwei Tage, die du mich an einem Pfahl gefesselt hast sterben lassen, haben sie sich bezahlt gemacht?”
“Das diente nur dazu, dir klarzumachen, welchen Platz ungläubige Schweine wie du einnehmen sollen!”
Corrado führte instinktiv seine Hand an den Hosenbund, aber sobald er den Griff unter den Fingern verspürte, ließ er es sein.
„Sag mir, warum du mich gesucht hast.“
„Die Männer eines gewissen Salim haben meine Schwester entführt.“
„Das wissen alle, Umar. Denk mal nach… du, der auf Nadira so eifersüchtig war, hast sie dir unter der Nase wegschnappen lassen… gerade du, der nur erlaubt hat, dass man ihre Augen sieht… Was hast du dir dabei gedacht, als du diesen Schurken im Haus aufgenommen hast? Dachtest du, mit Nadira bei einem Fremden anzugeben, ohne Konsequenzen tragen zu müssen? Sogar ich würde meine Schwester vor dem Blick eines Fremden verstecken. Du legst die Beute vor das Maul des Wolfes und dann beschwerst du dich, dass er sie sich wegnimmt? Umar… Umar… großer und dummer Umar!”
Umar zog den Krummsäbel, der an seiner Gürtelschlaufe hing, heraus und war hin und her gerissen, auf die Provokation zu reagieren.
„Machs doch, Umar… machs! Und dann fragst du die Füchse, die sich letzte Nacht im Rabaḍ herumtrieben, was mir dieser Mann sagte. Ich bin mit nämlich sicher, dass du heute deswegen nach mir gesucht hast.»
Umar steckte seine Waffe wieder ein und antwortete:
„Warum bist du dann nicht gestern schon zu mir gekommen, um es mitzusagen?“
„Ich glaubte, dass dein Qā’id dir bereits gesagt hat, was du wissen willst. Oder ich muss glauben, dass er dich nicht einmal empfangen hat…”
„Ich habe mit dem Qā’id gesprochen und er wird alles tun, um Nadira nach Hause zu bringen. Er wird das Lösegeld bezahlen und dann den Männern, die diesen Affront gewagt haben, die Jagd geben!»
„Hat er Sie das so gesagt? Hat er von Lösegeld gesprochen?» fragte Corrado verdutzt.
„Das, was ich mit dem Qā’id besprochen habe, geht dich nichts an. Sag mir nur, was dieser verdammte Salim zu dir gesagt hat.»
„Ich schude dir nichts… das weißt du.“
“Du schuldest mir dein Leben, denn wenn du noch atmest, ist es Dank meiner Gnade.”
„Wenn du willst, dass ich dir sage, was ich weiß, möchte ich etwas dafür.“
Umar, legte seine Hand ungeduldig wieder an seinen Krummsäbel, aber Corrado ergriff den Griff zusammen mit ihm und verhinderte, dass er reagieren konnte. Umar packte daraufhin mit seiner anderen Hand den Hals Corrados und versuchte ihn zu erdrosseln, ließ aber wieder los, als er das Messer bemerkte, das an seinen Bauch drückte.
„Ich sollte dich aufschlitzen, Umar…, aber ich möchte das Haus meines Vaters nicht in den Ruin treiben.“
Jala, die die ganze Szene gesehen hatte, rannte ihnen entgegen.
„Nein, Umar, nicht so!“
Corrado versteckte das Messer wieder und Umar machte zwei Schritte zurück, wobei er sich bewusst war, dass es wirklich knapp gewesen war.
„Lass mich mit dem Christen sprechen, allein.“ bat Jala.
„Bist du verrückt?“
„Bitte, Umar. Corrado wird sich nicht weigern, das Wort einer Mutter anzuhören.“
„Er ist bewaffnet!“
Aber Corrado griff ein:
“Und glaubst du, dass ich deiner Mutter Schaden zufügen könnte? Würde ich Umar heißen, oder würde ich den Namen eines deiner Schergen tragen, vielleicht hätte ich auch eine Frau schlagen können; Apollonia trägt noch die Prellungen!»
„Umar, geh bitte zu deiner Frau.“
Der Schuldeintreiber des Qā’id ging weg und ließ seine Mutter, wenn auch mit Enttäuschung, allein.
„Junge, es tut mir leid für deine Schwester… Ich weiß, dass ein Feigling gemeint hat, er müsse sie züchtigen. Umar hat damit aber nichts zu tun… er war es nicht. Und dann, du kannst die Prellungen deiner Schwester noch sehen… wenn wir doch nur noch ein gezüchtigtes Mädchen heilen können!»
„Es tut mir leid für deine Tochter.“
„Die Leute beginnen zu sagen, dass die Toten des Rabaḍ die Folge der Augen von Nadira sind und dass die Kuriosität dieser ungewöhnlichen Augen in dieser Nacht ihre Früchte geerntet hat; dass Sheitan
die Augen von Nadira mit dem Tor zur Hölle verbunden hat! Jetzt sehen sie uns alle mit Misstrauen an.“
„Um was machst du dir Sorgen? Wir leben seit jeher mit dem Misstrauen der Leute.“
„Corrado, bitte! Ich habe mit meinen Augen gesehen, wie dieser Fremde mit dir sprach, bevor er in der Nacht verschwand.”
Corrado hätte diese Wahrheit nicht einer verzweifelten Mutter vorenthalten, doch angesichts der Tatsache, dass seine Familie seit jeher sozial bestraft worden war, war er sicher darüber, im Gegenzug etwas verlangen zu können.
„Wo seid ihr untergebracht?“
„Der Qā’id hat uns erlaubt, uns in einem kleinen, möblierten Haus einzurichten. Warum fragst du?»
„Für das, was ich dir sagen werde, verlange ich, dass meine Familie Unterkunft in einem Haus wie eures findet. Die Nächte sind kalt, und wir haben nicht genug Holz und Decken, um uns zu wärmen.“
„Das, worum du mich bittest, ist unmöglich. Was gehört uns zwischen diesen Mauern, dass wir jemandem so etwas gewähren könnten?”
„Dort, wo euch der Qā’id aufgenommen hat, habt ihr sicher genug Platz.“
“Das Gesetz des Propheten verbietet es, das gleiche Dach länger als drei Tage mit den Dhimmis zu teilen.”
„Also dann drei Tage… und dann wirst du den Qā’id, deinen zukünftigen Schwiegersohn, bitten, dir einen anderen Ort zu suchen, an dem du bleiben kannst.“
„Wären die Ställe auch in Ordnung?“ fragte Jala und wollte wissen, ob es für Christen annehmbar wäre, eine solche Unterkunft zu finden.
„Wenn euer Gesetz nichts über die gemeinsame Nutzung desselben Dachs mit den Maultieren sagt, sind auch die Ställe gut.“
Jala blieb sprachlos und nahm zur Kenntnis, dass Corrados Arroganz keine Grenzen kannte.
“Willst du uns demütigen? Warum? Reicht dir nicht, was du mir angetan hast?”
Die Frau hatte jetzt glänzende Augen.
Corrado überkam eine merkwürdige Scham, als er diese Tränen sah und diese Worte hörte. Er drehte sich um und starrteeine andere Richtung, weit weg von von Jalas Gesicht.
“Ich habe dir nichts getan.” antwortete er, während er auf eine Gruppe von Kindern starrte, die zum Spiel hinter einer Henne herjagten.
“Ich weiß, du warst da… und du weißt auch, dass ich dich gesehen habe. Schau mir in die Augen; lüge mich nicht an! Seit ich dich das erste Mal im Rabaḍ sah, ein Jahr nach dem ersten Mal, wünschte ich mich sehr, dass du sterben würdest. Wenn ich erzählt hätte, was passiert war, dann bin ich sicher, dass meine Wünsche erfüllt worden wären, aber was wäre dann mit Nadira und aus ihrem inneren Frieden geworden? Und dann hattest du Umars Alter und schlecht von einem zehnjährigen Kind zu denken, machte mir vor Allah mehr Schande, als die Scham, dein Gesicht auf der Straße zu sehen. Ich habe dich mit der ganzen Seele gehasst, Corrado! Und auch heute noch kann ich dich nur hassen… Du repräsentierst meine Schande!”
„Es sind die Augen von Nadira, auf die du dich beziehst, und ich bin sicher, dass der Verdacht wegen dieser dieser seltsamen Farbe in allen im Rabaḍ gekeimt ist.“
“Aber dein Blut steht für den Ursprung dieser Schande… über die Verdächtigungen habe ich mich noch nie gekümmert.”
Nun fand Corrado den Mut, in ihr Gesicht zu sehen und er bemerkte, dass sie weinte und zitterte.
„Jala, meine Herrin, hör mir zu! Deine Schande ist, als hätte ich sie in diesen langen Jahren getragen. Vielleicht ist es die Strafe dafür, dass ich mich von meinen Leuten getrennt habe und ich mich in den Bergen verlaufen habe.“
„Sag mir, was ich wissen möchte, mein Kind, und reden wir nicht mehr darüber… Aber erpresse mich nicht mehr und stelle mir keine absurden Forderungen, denn mir bleibt nur noch, sich auf Knien zu bitten und ich bin sicher, dass Umar das nicht gefallen würde. Ich werde tun, was mir möglich ist, um deiner Familie zu helfen, aber bitte mich nicht als Lösegeld für die Worte darum, die du zurückhältst.”
“In diesem Moment sehe ich vor meinen Augen den guten Teil von Nadira, den reinen und unschuldigen von allem Bösen. Nun, ich sage dir alles, aber ich bitte dich, mir zu vertrauen, denn was ich dir sagen werde, mag absurd erscheinen.”
“Du weißt sicher, wo meine Tochter gelandet ist!” rief sie aus und griff nach Corrados Arm.
„Der Qā’id hat euch belogen: Niemand wird um Lösegeld für Nadira bitten.“
„Warum hätte er sie dann entführen sollen? Sie wissen, dass sie Ali Ibn al-Ḥawwās versprochen ist, und werden daran verdienen wollen.”
“Er weiß genau, wer sie entführt hat und warum… und er weiß auch, wie er sie befreien kann.”
“Und warum würde er uns anlügen?”
“Weil er nie dem Wunsch des anderen nachgehen wird; er kann nicht, weil er sein eigenes Blut verraten würde.”
Jala begann zu schluchzen und schüttelte Corrado an den Schultern.
“Bitte, was haben sie dir gesagt?”
„Wer sie entführt hat, der den ihr nicht Salim rufen wollt, ist niemand anderes als Mohammed Ibn al-Thumna, Qā’id von Catania und Syrakus, und er wird Nadira nur freilassen, wenn Ibn al-Ḥawwās ihm seine Frau zurückgibt. Ich wurde am Leben gelassen, um diese Nachricht zum Qā’id zu bringen, aber er weiß alles, und er weiß warum Ibin al-Thumna an diesem Abend aus Qasr Yanna hinabstieg, dort, wo sein Schwager seine Forderungen nach seiner Frau abgelehnt hatte.”
Jala kannte die Angelegenheit sehr gut, da es ihr Maimuna selbst erzählt hatte. Als Zeuge der Entschlossenheit der Frau, nicht zu ihrem Mann zurückzukehren, selbst wenn sie Gefahr laufen würde, ihre Kinder nicht mehr zu sehen, entglitt Jala ein verzweifelter Aufschrei.
Corrado hatte den Zweck dieses Gesprächs erfüllt, so dass er zu seinem Zelt zurückkehrte. Unterdessen erhob sich der typische Nebel, der häufig den Berg Qasr Yanna umhüllt, und verbarg die Tränen der Gegenwart und die unsagbaren Erinnerungen an die Vergangenheit.

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