Online-Buch lesen «Schmelzendes Eis» Autor Elizabeth Johns

Schmelzendes Eis
Elizabeth Johns
Ein verbitterter Duke geht auf Brautschau, allerdings auf eine Art und Weise, wie sie vor Generationen üblich war - durch seinen Anwalt. Eine Schönheit der Londoner Gesellschaft, die bislang jeden Antrag abgelehnt hatte, hält angeblich nach einem Duke Ausschau. Sie weist seinen unpersönlichen Heiratsantrag ab und ist danach trotzdem gezwungen, seine Gesellschaft jeden Tag zu ertragen!
Wie auch ihre Drillingsschwestern ist Lady Beaujolais Winslow eine gefeierte Schönheit, aber nach fünf Ballsaisons sucht sie immer noch nach einem annehmbaren Partner. Da ihr Vater sich weigert, sie in eine Vernunftsehe zu zwingen, geht das Gerücht in der Londoner Gesellschaft um, dass sie auf einen Duke wartet. Benedict Stanton, Duke of Yardley, hatte sich geschworen nie wieder zu heiraten, nachdem seine erste Ehe mit einer skandalösen Scheidung endete Für fast zehn Jahre hat er sich auf seinen Landsitz zurückgezogen hatte und sich so den Ruf eines kaltherzigen Eigenbrötlers eingefangen. Ohne einen Erben würde sein Herzogtum an die Krone fallen, daher geht er jetzt doch auf Brautschau, allerdings auf eine Art und Weise, wie sie vor Generationen üblich war - durch seinen Anwalt. Als Lady Beaujolais einen dieser unpersönlichen Anträge des Dukes erhält, lehnt sie ihn umgehend und sehr erbost ab. Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass sie seine Gegenwart schon bald täglich ertragen muss ...


Schmelzendes Eis
Schmelzendes Eis
Copyright © Elizabeth Johns, 2016
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagsgestaltung von Wilette Youkey
Lektorat Tessa Shapcott
Historische Inhalte von Heather King
Deutsche Übersetzung: Sabine Weiten
Deutsches Lektorat: Petra Milde
Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Urheberrechtsinhabers vervielfältigt, gespeichert, kopiert oder übertragen werden.
Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Orte und Begebenheiten sind entweder das Ergebnis der Vorstellungskraft der Autorin oder sind willkürlich und ohne jeglichen besonderen Grund gewählt worden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen (tot oder lebendig), Geschäften, Vorkommnissen oder Örtlichkeiten sind rein zufällig.

Inhalt
Prolog (#u50cbcf82-17b1-56a2-b0f8-3d26329799e6)
Eins (#ua6e9f273-1770-5e5a-89f6-6c495dd0c372)
Zwei (#ubc2a62c8-1775-5a32-8367-d78f9afd78be)
Drei (#u0f608615-6efc-5f3e-b6eb-88d77abad12b)
Vier (#u6122c4ec-a1f9-50d6-bd57-27ccae2f28e3)
Fünf (#u86fd5340-5c36-53e6-8b2e-05df987e17a9)
Sechs (#u0254e38d-bddf-526d-a529-879b4c2390cd)
Sieben (#u644a0123-82c5-5049-b66c-34d65a8e0a14)
Acht (#u81d5f05e-ae31-5495-abe2-79150aeecce6)
Neun (#u520c500f-17e4-51a7-bc92-004b97e6fc9a)
Zehn (#uffb6320e-690b-50ee-8be9-85ddf3dcb418)
Elf (#uaa0fdadf-cf7b-5209-b06b-fadf25456df8)
Zwölf (#u80e1614a-571f-5706-a753-f8905c3ebd57)
Dreizehn (#u466b41ec-72bd-595b-b862-f065cfffcfaf)
Vierzehn (#ud725787a-8c91-5329-acac-54c48dc496e1)
Fünfzehn (#u05b34882-6ee4-5235-bfc5-b8f459b20a02)
Sechzehn (#u8afd0ac8-c25c-51e0-85b4-58ef86b4c579)
Siebzehn (#u5aba18b6-0399-534e-9620-f26be9af8bcb)
Achtzehn (#ude7f78ff-e7f6-5a96-ba25-04033c5b356a)
Neunzehn (#u0d58329c-6ba5-5e77-ab44-f54a6fddd042)
Zwanzig (#u2ece9cd2-081b-5dbd-85a8-8bae3d6741dc)
Einundzwanzig (#ue48f15f6-18be-59d5-aac5-ee9cec58c64d)
Zweiundzwanzig (#u1b09872e-b389-502b-a5ba-9972257d6d1e)
Epilog (#ud68b8712-3d19-5a8b-a489-5ea0f8dfa7c5)
Vorschau auf Mit dem Wind (#u6bddd89e-63f3-5486-a211-d8295bc8ce8a)
Danksagungen (#u5ae3ea23-3a8a-5479-9f91-405ea2b8748c)

Prolog
„Das ist das erste Mal, dass wir getrennt sein werden“, sagte Beaujolais traurig zu ihren Drillingsschwestern, die auf dem großen Himmelbett in ihrem Londoner Stadthaus saßen. Sie liebten das abendliche Ritual, sich in Margaux‘ Zimmer zu treffen. Anjou, Beaujolais und Margaux waren die drei wunderschönen Töchter, eineiige Drillinge, des Marquess Ashbury und seiner französischen Marchioness.
„Es ist nicht für immer, meine Liebe“, sagte Margaux tröstend, als sie die langen, ebenholzfarbenen Haare ihrer Schwester bürstete und ihnen einen seidigen Glanz verlieh. „Wir werden wieder zusammen sein. Dann gibt es Hauspartys und Feiertage ...“
„Früher oder später musste es ja passieren. Ich dachte immer, dass wir jetzt schon alle verheiratet wären. Und dennoch, hier sitzen wir immer noch wie im Regal!“, rief Beaujolais.
„Ich sitze sehr gerne im Regal, wenn das bedeutet, dass ich vom Heiratsmarkt genommen werde! Du musst zugeben, dass ich es verlernt habe, meine Zunge im Zaum zu halten. Wahrscheinlich ist es besser, ich gehe, bevor ich euch alle ruiniere“, sagte Margaux lachend.
„Ja, meine Liebe, das wissen wir. Aber ein Kloster? Glaubst du wirklich, dass Maman das erlauben würde?“, fragte Anjou skeptisch, als sie ihre Schwester mit ihren strahlend blauen Augen ansah.
„Nein. Wenigstens erlauben sie mir nach Schottland zu gehen, um dort im Waisenhaus zu helfen“, antwortete Margaux, die anscheinend mit ihrem Los zufrieden war.
„Ich wette, dass dich Maman in weniger als drei Monaten wieder zurück zitiert“, neckte Anjou, während sie gedankenverloren eine Haarsträhne um ihren Finger wickelte.
„Wette angenommen.“ Margaux hielt ihr die Hand hin. Eine schwesterliche Herausforderung lehnte sie niemals ab.
„Hört auf, ihr zwei“, sagte Beaujolais angewidert. „Könntest du nicht hier glücklich sein? Könntest du nicht Maman bitten, dass du einfach zu Hause bleibst?“
Margaux schüttelte den Kopf. „Als ob unsere Maman, die aristokratischste Gastgeberin im Königreich, erlauben würde, dass ihre unverheiratete Tochter zuhause verkümmert. Davon abgesehen, wäre es mir nicht genug. Ich brauche Freiheit, meine Liebe. Kannst du das verstehen?“
Beaujolais schossen die Tränen in die Augen, was ihre violette Augenfarbe verdunkelte. „Es tut mir leid, Marg. Ich werde versuchen, mich für dich zu freuen, aber ich kann es nicht verstehen.“
Margaux seufzte. „Du bist dazu geboren, eine Duchess zu sein, Jolie. Ich überlasse euch beiden die großartigen Hochzeiten.“
„Hör auf mich damit zu necken, dass ich eine Duchess sei. Davon abgesehen, es gibt nur zwei unverheiratete Dukes im Königreich. Einer ist uralt und der andere ein Einsiedler.“
„Hast du Angst, dass wir dich verfluchen?“ Anjou fing nun ebenfalls an, ihre andere Schwester zu necken. Seit sie Kinder waren, war es immer eine Quelle der Freude gewesen, Beaujolais zu necken. Sie hatte immer getan, als sei sie eine Duchess, wenn sie als Kinder gespielt hatten und sich auch meistens so verhalten. Es war nicht unbedingt hilfreich gewesen, dass ihre Mutter sie darin noch bestärkt hatte.
„Du hast bereits mindestens einen Baronet, einen Mister, zwei Earls und einen Marquess abgewiesen“, fügte Margaux hilfreich hinzu.
„Keinen von denen konnte man ernst nehmen! Und ihr beide hattet genauso viele Angebote wie ich“, verteidigte sich Beaujolais.
„Hatte ich nicht“, brüstete sich Anjou.
„Und keiner von uns hat sich bereit erklärt, eine Vernunftehe auch nur in Betracht zu ziehen“, fügte Margaux hinzu.
„Aber auch nur, weil du niemandem erlaubst, dir einen Antrag zu machen“, entgegnete Beaujolais.
„Ich kann keinen anderen in Betracht ziehen“, sagte Anjou und sah zur Seite.
Margaux nahm tröstend ihre Hand. „Es sind jetzt schon sechs Jahre ohne ein Wort von Aidan, Anj. Meinst du nicht, du solltest ihn langsam vergessen?“, fragte sie freundlich.
Anjou schüttelte den Kopf und ließ es zu, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen. „Ich muss etwas tun. Ich kann nicht länger auf Vaters Nachforschungen warten.“ Sie stieg vom Bett und begann hin und her zu laufen, während sie ihre Tränen fortwischte. Ihre große Liebe, Aidan, war in den amerikanischen Krieg gezogen und sie hatte nach dem Waffenstillstand nichts mehr von ihm gehört.
„Was willst du tun?“, fragte Jolie mit gerunzelter Stirn.
„Ich werde gehen und ihn suchen.“
„Gehen und ihn suchen?“, fragten beide Schwestern ungläubig.
Anjou nickte. „Charles hat eingewilligt, mir zu helfen.“ Ihr Bruder Charles und Aidan waren beste Freunde gewesen.
„Maman und Papa werden das niemals gestatten.“
„Sie haben und sie werden“, antwortete Anjou ruhig, ohne ihre Schwestern dabei anzusehen. „Sobald Vaters Erkundigungen abgeschlossen sind.“
Beaujolais weinte jetzt ernsthaft. „Dann ist es wirklich das letzte Mal, dass wir alle zusammen sind!“
Keine der Schwestern widersprach, aber sie umarmten sich gegenseitig und fragten sich, wie sich das Leben ändern würde, ohne die anderen Teile ihrer selbst.

Eins
„Welcher Mann will schon heiraten, außer, wenn er einen Erben will?“, fragte Benedikt ätzend.
„Es gibt Leute, die eine Freundschaft, wenn nicht sogar Liebe, zu einer Lady finden, Eure Gnaden“, bemerkte Hughes ermunternd, ohne auf den Ton Seiner Gnaden zu achten.
„Ladys sind nur für eine Sache nutze“, schoss Benedict zurück.
„Aber Sie müssen eine heiraten, um einen legitimen Erben zu zeugen.“
„Muss ich?“, fragte er leise mit einer unterschwelligen Herausforderung in der Stimme.
„Der letzte Erbe ist gestorben, Eure Gnaden.“
„Sind Sie sicher?“, fragte er rhetorisch.
„Ziemlich. Ziemlich sicher. Mr. Norton hat umfassend nachgeforscht.“ Der Sekretär hielt die verdammten Neuigkeiten hoch, die er gerade vom Anwalt erhalten hatte.
„Ich verstehe.“
„Es muss geschehen, Eure Gnaden.“
Benedict Stanton, Duke of Yardley, seufzte laut. Er stand jetzt der einzigen Sache gegenüber, von der er sich geschworen hatte, dass er sie nie wieder tun würde: Heiraten. Er schwieg, verdaute die neu aufgetauchten Informationen zusammen mit seiner Steak- und Nierenpastete, die ihm plötzlich sauer aufstieß.
Der Sekretär des Dukes war das Benehmen Seiner Gnaden gewohnt und blieb ruhig stehen, während sein Arbeitgeber eine Entscheidung traf.
Benedikt atmete hörbar aus.
„Ich nehme an, Hughes, dass Sie mir eine Liste gemacht haben?“
„Ja, Eure Gnaden.“ Der stets dienstbeflissene Sekretär präsentierte ihm umgehend eine Liste mit zwölf Namen und Lebensläufen, inklusive Blutlinien, Besitztümern und Aussteuer.
„Wie Sie sehen können, Eure Gnaden, habe ich sie nach Eignung aufgelistet.“ Er schwieg.
Benedikt wischte die Liste fort.
„Sie können mit der ersten auf der Liste in Verhandlungen treten. Ihre sonstigen Qualitäten interessieren mich nicht, nur die Fortpflanzungsfähigkeit.“
Der Sekretär räusperte sich nervös, was eine hochgezogene Augenbraue Seiner Gnaden hervorrief.
„Ich habe mir auch die Freiheit genommen, eine Liste mit denen anzulegen, die unpassend sind.“
Der Sekretär legte die Liste vor dem Duke auf den Tisch.
„Unpassend ist gleichzusetzen mit Idioten, Hughes. Gibt es dafür einen Grund?“
„Vielleicht nicht auf den ersten Blick, Eure Gnaden. Darf ich taktvoll anmerken, dass einige der in Frage kommenden Ladys nicht unbedingt aus dem besten Hause sind, während andere …“, sagte er unter Zuhilfenahme des Vokabulars, das eher in der Pferdezucht angewandt wurde, um den Duke zu überzeugen, der die Gesellschaft von Pferden der von Menschen vorzog.
„Das Aussehen ist mir egal“, gab der Duke zurück.
„Ich glaube, dass Sie besser die Entscheidung treffen sollten, Eure Gnaden. Oder soll ich die Duchess ...“
Seine Gnaden ignorierte den letzten Seitenhieb, seine Mutter ins Spiel zu bringen. „Ich sollte Sie zu Verhandlungen mit …“, er sah auf den ersten Namen der Liste, „… Cohens Tochter, einer Lady Mary, schicken, aber ich nehme an, dass Sie nicht damit einverstanden sind?“
„Lady Mary hat alles, was passend ist, Eure Gnaden, aber sie erinnert stark an Eure besten Araber und sie kichert.“
Der Duke zuckte zusammen. Vielleicht wäre ein Blick auf die Äußerlichkeiten doch hilfreich.
„Haben Sie alle gesehen?“
Der Sekretär wurde rot. „Selbstverständlich, Eure Gnaden.“
Yardley starrte verblüfft seinen normalerweise seriösen Sekretär an, der rot wurde wie ein Jüngling.
„Sehr wohl. Dann machen Sie der ersten, die Sie am Passendsten für meine Bedürfnisse halten, ein Angebot.“
Der Sekretär verbeugte sich und verließ den Raum.
Benedict wollte nichts mit irgendeiner Frau zu tun haben, außer, sie hatte vier Beine. Es war fast zehn Jahre her seit seinem ersten Ehefiasko, und der Geschmack in seinem Mund war noch so bitter wie an dem Tag, an dem es passierte.
Er stand auf, warf seine Serviette auf den Tisch und ging zum Fenster, um hinauszusehen. Der einzige Grund, weshalb er in den letzten zehn Jahren nach London gegangen war, war gewesen, um im Parlament gegen etwas zu wählen, was er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte.
„Ich nehme an, ich muss nach London gehen“, sagte er widerwillig zu sich selbst.
Ich muss nach London gehen. Vor Schmerz schloss er seine Augen. Würde er dazu in der Lage sein? Seit der Sache mit Lillian hatte er sich nicht mehr in der gehobenen Gesellschaft blicken lassen. Der Skandal lag schon lange zurück, aber es würde immer Getuschel geben. Er zweifelte nicht daran, dass dies ein Problem geben würde, wenn es zu einer Eheabsprache käme, aber er hatte kein Interesse daran, sich um die Blicke und das Getuschel zu kümmern. Die Gesellschaft war teilweise verantwortlich für das Scheitern seiner ersten Ehe und er hatte nicht vor, dies ein weiteres Mal zuzulassen. Konnte er London vermeiden und auf dem Postwege verhandeln? Eine schäbige Art, um Geschäfte zu machen, aber er brachte es nicht über sich, jemandem mit vorgeheuchelten Gefühlen den Hof zu machen.
Er hatte seinem langjährigen Freund Lord Easton erzählt, dass er seine preisgekrönte Stute zur Zucht mit einem von Eastons Hengsten vorbeibringen wollte. Dessen Familiensitz war in Sussex, nicht weit von London entfernt. Vielleicht könnte er die Gesellschaft so weit wie möglich vermeiden, falls er schon vorher eine Ehe arrangieren konnte. Er sollte es Hughes gegenüber erwähnen, dass er jemanden finden sollte, die nicht erwartete, in London zu leben oder auch nichts für die Gesellschaft übrighatte. Hughes war sicherlich scharfsinnig genug, um so etwas zu wissen.
Falls Benedict sich großzügig genug fühlte, würde er vielleicht auch seine Mutter und seine Schwester besuchen. Wenn sie nicht in London war, bevorzugte seine Mutter das Anwesen in Langdon an der Küste, in der Nähe von Brighton, was Benedict sehr entgegen kam. Er betete sie an, aber über gewisse Dinge konnten sie sich nie einigen - in erster Linie seine Wiederverheiratung - und es war friedlicher, wenn sie an unterschiedlichen Orten wohnten.
Er ging zu seinem Schreibtisch, um seiner Mutter eine Nachricht zu schreiben und eine weitere an Lord Easton, bevor er nach seinem Diener klingelte, dem er Anweisungen gab, für seine Reise zu packen.


Jolie brachte ihr Pferd zum Stehen, als sie den Rand der Kreidesteinfelsen erreichte, und inhalierte den Geruch des Meeres. So sehr sie auch London mochte, der Ausflug zum Haus ihres Cousins, Lord Easton, war ihr sehr willkommen. Die Saison brachte keinerlei neue Anwärter, die sie ernst nehmen konnte, und ihre Familienangehörigen hatten alle England verlassen, so dass sie sich zum ersten Mal, solange sie sich erinnerte, einsam fühlte.
Sie würde bald mit Lady Easton als ihrer Anstandsdame nach London zurückkehren, aber es gab nicht einen ernsthaften Anwärter, der ihr den Hof machen konnte. Sie würde niemals jemandem, außer ihren Schwestern, gestehen, dass sie Angst hatte, eine alte Jungfer zu werden. Ihre Schwester, Margaux, würde das vorziehen, bevor sie jemanden heiratete, den sie nicht liebte. Aber nicht Jolie. Sie hoffte auf eine gute Partie mit jemandem, den sie respektieren konnte und der ihr ein angenehmes Leben bescheren würde. Sie war nicht so profitsüchtig, dass sie jeden akzeptieren würde. Sie hatte sogar schon so viele Angebote abgelehnt, dass man ihr den Spitznamen „Eis“ gegeben hatte, obwohl nichts weniger passend war, um sie zu beschreiben. Sie hatte lediglich nie die gewünschten Qualitäten in einer Person gefunden. Sie brauchte keinen Titel, auch wenn andere das glaubten. Aber eine Duchess zu sein wäre bestimmt nicht verkehrt, dachte sie und lachte über sich selbst.
Sie trieb das Pferd wieder landeinwärts und freute sich über den befreienden Galopp über die Niederungen, während der Wind mit aller Macht an ihr zerrte. Ihr Cousin hatte eine berühmte Pferdezucht und sie erfreute sich unglaublich an dessen Ergebnissen. Reiten - nein, galoppieren - war das, was sie am meisten vermisste, wenn sie in der Stadt war.
Als sie ins Haus kam, zog sie ihre Reithandschuhe aus und übergab die Gerte dem Butler. Ihr wurde mitgeteilt, dass der Anwalt ihres Vaters in der Bücherei auf ihre Gesellschaft wartete.
„Danke, Barnes.“ Sie lächelte den älteren Butler des Earls an, der ihrem Onkel Wyndham schon vor ihrer Geburt diente. Was würde der Anwalt ihres Vaters von ihr wollen? Es war Anjou, die auf Nachrichten wartete. Vielleicht gab es Neuigkeiten über Aidan, ausgerechnet jetzt, da sich Anjou aufgemacht hatte! Sie ordnete ihr windzerzaustes Haar so gut wie sie konnte und ging durch die Tür. Sie fand ihren Cousin, Mr. Harlow und einen anderen Mann in ein Gespräch und blieb stehen.
„Ah, Jolie. Bitte, gesell dich zu uns“, sagte Lord Easton, als alle Männer aufstanden.
„Lady Beaujolais, darf ich Ihnen Mr. Norton vorstellen? Und Mr. Harlow kennen Sie ja bereits, so habe ich gehört.“
Sie nickte, als sich die Männer verbeugten. Neugierig setzte sie sich und sah zu ihrem Cousin.
„Jolie, Mr. Norton ist hier im Auftrag des Duke of Yardley.“
‚Was hat das mit mir zu tun?‘, fragte sie sich, aber hielt den Mund. Trotzdem beschleunigte sich ihr Puls. Sie hatte von Yardley gehört, dem Duke, dem man nachsagte, er sei kalt und ein Einsiedler, aber sie hatte ihn noch nicht persönlich getroffen.
„Ich lasse Sie erklären, Mr. Norton, wenn Sie so freundlich wären“, sagte ihr Cousin.
„Ihre Ladyschaft, ich fasse mich kurz. Seine Gnaden hat beschlossen zu heiraten und hat Sie ausgewählt.“
Eine unkontrollierbare Welle der Verärgerung fegte über sie hinweg. Schickte der Duke seinen Heiratsantrag über seinen Anwalt ohne die geringste Vorstellung? Wie konnte er es wagen! War er der Meinung, dass er über den allgemeinen Höflichkeiten thronte? Zugegeben, es war in gewisser Weise schmeichelhaft, aber sie würde niemals jemanden heiraten, der so arrogant, so ... so ... Ihr fiel noch nicht einmal ein passendes Wort für eine derartige Dreistigkeit ein! Hatte er sich mit ihrem Vater darauf geeinigt, dass er ihr einen Antrag machen könne? Nein, das würde ihr Vater nie tun. Sie saß still, versuchte ihr Temperament unter Kontrolle zu bekommen und dachte über eine würdevolle Antwort nach. Alles, was aus ihrem Mund kam, war: „Ich verstehe.“
Der Anwalt musste ihr Schweigen als freudigen Schock interpretiert haben, denn er fuhr fort: „Er macht Ihnen ein ausgesprochen großzügiges Angebot, mylady.“
Er gab ihr ein Blatt Papier, auf dem das Angebot festgehalten war. Sie konnte es kaum verhindern, dass ihre Hand mit dem Papier zitterte.
„Sie werden in hohem Stil angesiedelt werden, mit Ihrem eigenen Haus und Anwesen und mehreren tausend Pfund pro Jahr. Und es ist nicht von der Bereitstellung eines Erben abhängig“, sagte der Anwalt, als ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte.
Jolie spürte den Blick ihres Cousins auf sich. Sie sah ihn fragend an und konnte an seinem Gesichtsausdruck ablesen, dass er so geschockt war wie sie selbst. Wie würde ihr Vater damit umgehen? Sie vermutete, dass Easton der Meinung war, dass die Entscheidung bei ihr läge. Jolie musste tief Luft holen, damit sie den Überbringer der Nachricht nicht erwürgte. Sie stand auf und winkte die Männer wieder auf ihre Stühle, während sie zum Fenster ging, ihre Gedanken in Aufruhr.
Nach ein paar Minuten drehte sie sich um und fragte: „Sir, würden Sie so gut sein und Seine Gnaden darüber informieren, dass ich eher in der Hölle schmoren als seinen Antrag annehmen würde.“
Sie riss die Vereinbarung in zwei Teile und warf sie in Nortons Schoß.
„Gentlemen“, sagte sie, und verließ das Zimmer.

Zwei
Jolie ging vom Arbeitszimmer hinaus in den Garten. Das tägliche Füttern der Vögel bereitete ihr große Freude. Sogar wenn sie in der Stadt war, nahm sie sich dafür Zeit. Sie ergriff eine Handvoll Krumen und setzte sich auf eine Bank. Die Vögel begannen zu picken, sobald sie ihnen das Futter auf den Weg warf.
Ihr Cousin Easton folgte ihr nach draußen und lehnte sich an eine Balustrade in der Nähe.
„Vergib mir, falls ich unhöflich war. Habe ich überreagiert?“, fragte Jolie ihren Cousin, ohne aufzublicken.
Easton haderte einen Moment mit der Antwort.
„Nein. Wenn er um Erlaubnis gefragt hätte, um dir seine Aufwartung zu machen, vielleicht. Aber einen Heiratsantrag durch einen Anwalt überbringen zu lassen ist sehr antiquiert und zeugt von schlechtem Geschmack, auch wenn er ein Duke ist.“
Jolie räusperte sich zufrieden. Sie hatte sich wegen ihrer dramatischen Ablehnung vor den beiden Anwälten geschämt. Das hatte sie nicht gut gehandhabt.
„Die Sache ist, ich kenne Yardley seit Eton und ich bin erstaunt“, bemerkte Easton.
„Du kennst diesen einsiedlerischen Duke?“ Jolie sah ihren Cousin an, ohne die Bewunderung in ihrer Stimme zu verbergen.
Easton lächelte. „Sogar sehr gut.“
Jolie war trotzdem beeindruckt. „Stimmt es denn, was man über ihn sagt? Ich muss gestehen, ich weiß nur wenig über ihn, nur das eine oder andere, was ich gehört habe, von einer Scheidung und einem Duell. Ich war ziemlich jung damals und Maman wollte mir nicht alles erzählen. In der Stadt wird er kaum erwähnt außer als der einsiedlerische Duke.“
„Wie oft sind Gerüchte zutreffend?“, antwortete Easton mit einer Gegenfrage.
„Etwas davon entspricht sehr oft der Wahrheit“, entgegnete sie.
„Er ist geschieden, aber seine Frau starb. Es ist nicht alles so, wie die Gesellschaft es dargestellt hat.“
„Habe ich einen Fehler gemacht?“ Jolies Laune sank.
„Nein. Würdest du in einer solchen Beziehung glücklich sein?“ Er hielt seine Hände hoch. „Trotz deiner Proteste?“
Jolie dachte einen Moment nach, bevor sie antwortete. „Nein, vermutlich nicht. Aber ich habe auch nie gedacht, dass ich aus Liebe heiraten würde.“
Easton lachte in sich hinein. „Von allen drei Schwestern bist du diejenige, die ich am meisten für eine Liebesheirat geeignet finde. Wenn du dir nur selbst zusehen könntest, wie du mit Tieren umgehst und dabei dein sanftes Herz sehen, dann würdest du vielleicht anders darüber denken.“
„Gut möglich“, sagte sie zweifelnd. „Ich war immer davon ausgegangen, einmal eine gute Ehe zu führen und meinen Ehemann zu respektieren. Ich denke, das reicht mir.“
„Würdest du Yardley nicht als passenden Partner in Erwägung ziehen?“, fragte Easton mit erhobenen Augenbrauen. „Es würde schwierig sein, eine noch bessere Position in der Gesellschaft zu erhalten.“
„Du überraschst mich, Cousin. Gerade dir sind Status und Gesellschaft unwichtig. Ich habe den Mann noch nicht einmal getroffen.“
„Durchaus zutreffend. Allerdings, dein Vater ist nicht hier und ich versuche mein Bestes, weise Ratschläge zu erteilen.“
Sie lachte. „Du hast recht. Meine Schwestern würden nicht glauben, dass ich einen Duke abgelehnt habe.“
„Man hat dich verspottet und ich glaube, du weißt, dass du ein Minimum an Respekt verdienst. Selbst der Titel einer Duchess wäre es nicht wert, sich selbst zu erniedrigen.“
„Danke, Easton“, sagte Jolie leise, dankbar, dass ihr Cousin sie unterstützte.
„Du solltest dir dennoch alle Möglichkeiten offenhalten. Wenn Yardley eine Frau braucht, wird er über kurz oder lang in Erscheinung treten. Wenn er dich will, dann sorge dafür, dass er dich anständig fragt.“
„Er hat vermutlich seinen Anwalt schon zu der nächsten, glücklichen Lady auf der Liste geschickt.“
„Vielleicht hat er das. Aber ich denke, du solltest dich darauf vorbereiten, ihn zu treffen. Vielleicht änderst du dann deine Meinung.“
„Niemals.“
Jolie entschuldigte sich, da sie ihre Reitsachen ausziehen wollte. Easton sah auf den Kanal in der Ferne und überlegte, wie er mit dieser unerwarteten Entwicklung umgehen sollte. Und auch, ob er sich auf der Seite seiner Cousine oder der seines Freundes einbringen sollte. Solange ihre Eltern in Schottland weilten, war er für Jolie verantwortlich.
„Bedrückt dich etwas, Liebling?“, fragte Lady Easton, die von ihren engen Freunden Elly genannt wurde, als sie sich zu ihrem Ehemann gesellte und sich auf die Balustrade stützte.
Easton lächelte sie an und beugte sich zu ihr, um sie auf den Kopf zu küssen. „Ich überlege, ob ich Jolie sagen soll, dass Yardley zu Besuch kommen wird oder nicht.“
„Weil er ein Duke ist?“, fragte Elly mit schelmischem Gesichtsausdruck. Sie wusste von Jolies angeblichem Wunsch, eine Duchess zu werden.
„Ja und nein.“ Easton erzählte Elly, auf welche Art und Weise Yardley einen Heiratsantrag über seinen Anwalt geschickt hatte.
„Kennen sie sich überhaupt nicht?“
„Nein. Jolie kennt nur seinen Ruf. Ich habe keine Ahnung, was ihn dazu veranlasst hat, ihr das anzubieten.“
„Ich kann nicht glauben, dass er das getan hat“, sagte Elly mit gerunzelter Stirn.
„Ich muss gestehen, ich bin auch sehr überrascht. Allerdings, du bist eine der wenigen Frauen, die er toleriert. Er ist einfach nicht mehr derselbe in Gesellschaftskreisen seit seiner ersten Ehe.“
„Ist das der Grund, warum er seinen Anwalt geschickt hat? Ich kann kaum glauben, dass er sich so verhält, nach allem, was ich von ihm kenne. Ich hätte gedacht, dass er und Jolie gut zusammenpassen.“
„Er ist immer noch verbittert und hat eine schlechte Meinung von den meisten Frauen.“
„Aber Jolie ist eine erstklassige Reiterin und liebt Tiere. Von ihrer Schönheit ganz zu schweigen. Er könnte gar nicht anders, als sie lieben. Wenn er sich die Zeit nehmen würde, um sie kennen zu lernen, natürlich.“
„Ich frage mich, warum er Jolie ausgewählt hatte. Eigentlich frage ich mich, warum er sich überhaupt dazu entschieden hat, wieder zu heiraten. Das passt so gar nicht zu ihm.“ Easton schüttelte den Kopf. „Wie dem auch sei. Er wird bald hier sein und kann diese Fragen beantworten. Soll ich ihn darum bitten, bei seiner Mutter unterzukommen? Ihr Landsitz ist nicht weit entfernt.“
„Lass mich darüber nachdenken“, sagte Elly. „Ich möchte erst mit Jolie darüber sprechen. Ich habe allerdings eine Idee.“
„Sollte ich Angst haben?“, neckte Easton sie.
„Natürlich nicht!“ Elly stieß ihn spielerisch mit dem Ellbogen an, wie sie es bei ihrem Bruder tun würde. „Ich werde dir Bescheid sagen, sobald ich sehe, wie aufgebracht sie ist und dann entscheiden, wie wir am besten mit der Situation umgehen.“
„Sehr wohl. Benedict ist einer meiner ältesten Freunde und ich würde ihn gerne wieder glücklich sehen. Jemanden zu verkuppeln ist wiederum eine vollkommen andere Sache.“
„Wir werden niemanden verkuppeln. Wir werden lediglich eine Gelegenheit anbieten.“
Easton schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass ich das bereuen werde.“
Elly antwortete mit einem Lachen.


Das Abendessen war eine kleinere Angelegenheit als gewöhnlich, da der alte Earl sein Essen in seinen Zimmern einnahm und der Rest der Familie Ashbury abreiste. Die einzigen Gäste beim Abendessen waren Lady Eastons Bruder Andrew und seine Frau Gwen, die nicht als Gäste angesehen wurden, da sie jetzt auf dem Grundstück lebten. Einige Jahre zuvor hatte Lord Easton eine Schule eröffnet, um Waisenkinder in Medizin auszubilden, und sein Cousin Nathaniel, Lord Fairmont, hatte nach Waterloo ein Veteranenheim hinzugefügt. Fairmont hatte in der grauenvollen Schlacht ein Auge und einen Arm verloren.
Sie züchteten ebenfalls Pferde auf dem Anwesen, und es war zu einer Familienangelegenheit für die Familien Loring, Abbott und Trowbridge geworden.
Gwen erwartete im nächsten Monat ein weiteres gesegnetes Ereignis, und sie zog es vor, dass Elly bei ihrer Entbindung bei ihr war. Sie war nicht nur ihre Schwägerin, sondern verfügte auch über medizinisches Wissen.
Aus diesem Grund würde sich Jolies Rückkehr nach London verzögern. Da das Abendessen eine intime Familienangelegenheit war, fühlte sich niemand dazu angehalten, auf seine Wortwahl zu achten. Speziell Elly und Andrew warfen spielerisch mit ihren Wortwitzen um sich und nahmen sich gegenseitig auf den Arm.
„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, so schrecklich lange warten zu müssen, um nach London zurückzukehren", sagte Gwen zu Jolie. „Ich versichere Ihnen, ich bin genauso ungeduldig wie Sie, dass sich der kleine Abbott der Welt vorstellt."
„Es macht mir nichts aus", beruhigte Jolie sie. „Ich genieße diesen Aufschub eher. Ich bin mir nicht sicher, wie unterhaltsam die Ballsaison ohne meine Schwestern sein wird.“
„Ah. Sie müssen sich der Gesellschaft als Einzelne präsentieren“, scherzte Andrew. „Es ist nicht so einfach, wenn man sich nicht hinter jemandem verstecken kann.“
„Und woher wollen Sie das wissen? Für Männer ist es wohl kaum das Gleiche wie für Frauen. Von uns erwartet man, dass wir still an der Seite stehen, bis wir zum Tanz aufgefordert werden. Bitte versuchen Sie sich daran zu erinnern, wann Sie sich jemals verstecken mussten“, beharrte Elly.
„Ich kann mich an einige Male erinnern, bei denen ich mich vor Müttern auf der Jagd verstecken musste, oder vor Großmutter. Meistens vor Großmutter“, sagte Andrew grinsend.
„Also haben Sie niemanden, zu dem sie ungeduldig zurückkehren wollen?“, fragte Gwen höflich.
Jolie, Easton und Elly sahen zur gleichen Zeit hoch. Andrew entging nicht der Blick, den sie untereinander wechselten.
„Sie können es uns ruhig sagen“, fügte Andrew hinzu. „Früher oder später wird es doch ans Licht kommen.“
„Es tut mir leid, wenn ich ein unpassendes Thema gewählt haben sollte“, sagte Gwen entschuldigend. „Ich bin davon ausgegangen, dass es Jolie nicht an Anwärtern mangelt.“
„Nur dumme oder unerträgliche”, murmelte Jolie.
„Ich glaube, die Neugierde sollte befriedigt werden“, sagte Andrew interessiert.
„Jolie hatte heute einen Antrag von Yardley“, sagte Easton.
Andrew sah überrascht aus.
„Nicht von Yardley persönlich, genau genommen - von seinem Anwalt“, erklärte Elly.
„Wann ist die Hochzeit?“ Andrew lächelte.
„Andrew! Jolie hat den Duke noch nicht einmal gesehen“, tadelte Elly ihren Bruder.
„Was hat das damit zu tun? Sie will eine Duchess sein, er ist ein Duke, er hat einen Antrag gemacht. So hat das schon über Jahrhunderte funktioniert. Es gibt nicht viele Dukes, unter denen sie auswählen kann, wenn man es genau nimmt. Davon abgesehen, wir können eine Vorstellung organisieren. Ich meine, ist er nicht ...“
Andrew spürte, wie ihn seine Schwester vors Schienenbein trat und sie ihren Kopf schüttelte.
„Ist er nicht ... charmant?“, fragte Andrew unbeholfen und fragte sich, warum Elly nicht wollte, dass er Yardleys Besuch ansprach.
„Ich will nicht vorgestellt werden, Andrew, trotz meinem Wunsch, eine Duchess zu werden.“ Jolie machte ein missbilligendes Gesicht. „Ich würde einen Ehemann vorziehen, der selbst für sich spricht.“
„Das würdest du nicht“, neckte Elly mit einem Zwinkern zu ihrem Ehemann.
„Heißt das, dass Yardley aus seiner Einsamkeit herauskommt?“, fragte Andrew.
„Er hat mich nicht über seine Absichten informiert. Ich bin genau wie der Rest von Euch über sein Angebot verblüfft. Ich würde nicht sagen, dass er ein Einsiedler war, aber er hielt sich gewiss nicht in der Gesellschaft auf.“
„Ich werde versuchen, höflich zu sein, wenn wir einander vorgestellt werden. Ich möchte nicht, dass Du dich in Gegenwart deines Freundes unbehaglich fühlst“, fügte Jolie anmutig hinzu.
„Die Gefahr besteht nicht. Genau genommen kannst du ihm gerne geradeaus sagen, was du von seinem Angebot hältst“, sagte Easton mit amüsiertem Lächeln.
„Bitte sorgt dafür, dass ich dabei bin, um zuzusehen“, bat Andrew.
Elly warf ihrem Bruder einen verärgerten Blick zu, legte ihre Serviette auf den Tisch und stand auf. „Sollen wir, meine Damen?“
Die Ladys zogen sich in den Drawing Room zurück und machten es sich bequem, während sie auf die Männer warteten.
„Darf ich offen sprechen, Jolie?“, fragte Elly in ihrer geraden Art.
„Natürlich“, versicherte ihr Jolie.
„Warum hast du Yardley direkt abgewiesen? Du hättest doch über eine Vorstellung verhandeln können.“
Jolie sah auf ihre Hände hinab. „Ja, vermutlich, aber es hat mich so wütend gemacht. Ich weiß, dass es dumm aussieht, aber es fühlte sich nicht richtig an.“
„Ich finde es überhaupt nicht dumm“, sagte Gwen. „Ich würde immer nach meinem Gefühl gehen.“
Jolie lächelte sie an.
„Hast du so viele Gerüchte in der Stadt gehört?“, fragte Elly.
„Ich muss gestehen, das hat bestimmt zu meiner Reaktion beigetragen. Man sagt, dass er kaltherzig sei und seine erste Frau sehr schlecht behandelt hatte.“
Gwen stieß einen mitfühlenden Seufzer aus. Elly dachte einen Moment nach.
„Man sagt sogar, dass er einen Mann im Duell getötet hat, obwohl natürlich niemand etwas davon weiß.“
„Ich bitte dich nur um eines.“ Elly ergriff Jolies Hand und drückte sie. „Bilde dir dein eigenes Urteil, wenn du ihm begegnest, und lass dich nicht von Gerüchten beeinflussen. Das würdest du auch nicht für dich wollen.“


Benedikt ritt mit seiner Stute durch die Tore, die zum Anwesen seiner Mutter führten, das hoch über dem Kanal lag. Er hatte versucht, sich auf sie und seine Schwester vorzubereiten, aber kurz nachdem er von Yardley nach Süden abbog, hatte er den Gedanken bereits wieder verworfen. Sein Geist war durch die bevorstehenden Beinfesseln, die er erwerben wollte, abgelenkt worden, und durch die Tatsache, dass die Nachricht von seinem Anwalt über die Siedlungen auf ihn warten würden. Er freute sich auf seinen Freund Easton, wenn ihn auch sonst nichts anderes auf dieser Reise begeisterte.
Er hatte sich entschieden, allein zu reisen, nachdem er sein Gepäck und seinen Kammerdiener vorausgeschickt hatte. Er könnte nie in einer Kutsche reisen, wenn er die Wahl hatte zu reiten. Pferde hatten ihn gerettet, nachdem seine Ehe in einer Katastrophe endete, und er zog sie definitiv den Menschen vor. Benedikt lachte, als er sah, wie seine Mutter aus der Haustür kam und ihm wild zuwinkte, mit einer recht uncharakteristischen Übertreibung. Sie war eine einzigartige Duchess, ein bisschen eigenartig und träge, aber sie war trotzdem eine Duchess. Benedikt konnte nie aufhören, sich für seine Einsiedelei schuldig zu fühlen, da er wusste, wie sehr seine Mutter seine Gegenwart schätzte.
Er zügelte sein Pferd und überreichte dem wartenden Stallburschen die Zügel.
„Mutter“, sagte Benedict, als er die von ihr angebotene Hand küsste.
Sie atmete tief durch und lächelte ihn an. „Jetzt kann ich wieder glücklich sein.“
„Du bist immer glücklich, Liebste“, versicherte er ihr, als sie seinen Arm nahm und begann, ins Haus zu gehen.
„Es ist meine Pflicht, das zu sein. Es ist jedoch nicht dasselbe, wenn du fort bist und in diesem schrecklichen, kalten Haus ganz allein.“
„Ich bin wohl kaum allein, Mutter.“
„Ich weiß nicht, wo deine Schwester ist“, murmelte die Herzogin und schaute sich um. „Vermutlich steckt sie wieder irgendwo mit der Nase in einem Buch.“
„Das wird wohl kaum schaden. Ich werde sie beim Abendessen sehen“, sagte er unbesorgt.
„Sie interessiert sich mehr für ihre Bücher als für mögliche Ehepartner. Vielleicht kannst du sie dazu überreden, nach London zu gehen. Sie hat sich geweigert, dieses Jahr dorthin gebracht zu werden“, erklärte die Duchess, als ob er das nicht schon durch ihre wöchentlichen Briefe wüsste.
„Ich fange an zu glauben, dass meine Schwester mehr Verstand hat, als ich ihr zugestehen wollte“, bemerkte er.
„Du sollst dich nicht mit ihr verbünden! Sie wird achtzehn diesen Sommer“, gab seine Mutter zu bedenken.
„Hallo, Walters“, sagte Benedict, als er dem Butler seinen Hut und den Mantel gab.
„Willkommen, Eure Gnaden. Mr. Norton ist schon seit einiger Zeit hier. Ich habe mir die Freiheit genommen, ihn ins Arbeitszimmer zu geleiten und ihm einen Imbiss zu reichen.“
„An ihn habe ich nicht mehr gedacht. Ich wünschte, du würdest dich nicht den ganzen Tag in deinem Arbeitszimmer verstecken, wenn ich dich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen habe!“, sagte seine Mutter enttäuscht.
„Ich glaube, diese Art von Geschäften würde auf deine Zustimmung treffen“, erwiderte er vage.
Benedict wandte sich dem Arbeitszimmer zu, als seine Mutter protestierte. „Es zeugt von schlechten Manieren, jemanden zu necken!“ Aber sie würde ihn nicht länger ausfragen.
Er lachte in sich hinein und betrat das Arbeitszimmer mit relativ guter Laune, obwohl er wusste, dass sein Schicksal auf ihn warten würde.
„Eure Gnaden!“ Mr. Norton sprang aus dem Lehnstuhl hoch, in dem er geschlafen hatte.
„Setzen Sie sich, Mr. Norton. Ich nehme an, Sie haben Neuigkeiten?“
Der Mann druckste nervös herum und Benedict hatte nur wenig Geduld für Schüchternheit.
„Nun denn, lassen Sie hören. Ich beiße nicht“, sagte Benedict ungeduldig.
„Sehr wohl. Die Lady hat Ihr Angebot abgelehnt, Eure Gnaden“, stieß der Anwalt aus, als ob er von einer schweren Last befreit worden wäre.
„Ich verstehe.“ Benedict brauchte einen Moment, um diese unerwartete Wendung der Ereignisse zu verarbeiten. Als er wieder hochsah, druckste der Anwalt erneut. „Möchten Sie noch etwas sagen?“
„Ich möchte es nicht unbedingt sagen, Eure Gnaden. Aber die Lady gab mir eine Nachricht für Sie mit.“
Benedict hob die Augenbrauen. „Und was für eine Nachricht war das?“
„Dass sie lieber in der Hölle schmoren würde, als Euer Angebot anzunehmen“, murmelte der Anwalt.“
„Und darf ich fragen, welche Lady dieses wunderbare Vokabular benutzte?“, fragte er spöttisch.
„Lord Ashburys Tochter, Eure Gnaden. Soll ich zu dem nächsten Namen auf der Liste gehen?“
„Hat sie genauer gesagt warum?“ Benedict war seltsamerweise interessiert.
„Sie hat es nicht weiter erläutert“, antwortete der Anwalt.
„Das wäre alles für jetzt, Mr. Norton. Ich werde Ihnen Bescheid sagen, wenn ich fortfahren möchte.“
Ein Ausdruck der Überraschung flog über das Gesicht des Anwaltes, bevor er sich verbeugte und das Zimmer verließ.
Benedict saß, starrte aus dem Fenster und überlegte, was er als Nächste tun wollte.

Drei
„Guten Morgen“, begrüßte Jolie ihre Cousins und Cousinen, die den Frühstücksraum betraten, nachdem sie ihren morgendlichen Spaziergang mit den Kindern beendet hatten.
„Du bist heute ein Frühaufsteher“, bemerkte Easton.
„Ich wollte die Klippen im frühen Licht der Morgensonne sehen. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mir eines deiner Reitkostüme ausleihe, Elly? Es sieht aus, als hätte ich bei meinem den Saum aufgerissen und ich habe keinen Ersatz mitgebracht.“
„Aber sicher. Du kannst dir alles borgen, was du möchtest“, sagte Elly, als sie ihren Toast mit Butter bestrich.
„Ich muss zugeben, ich würde sehr gerne einen deiner Hosenröcke ausprobieren“, gab Jolie zu.
„Du wirst nie wieder in einem Damensattel reiten wollen, wenn du ihn einmal anhattest“, sagte Elly grinsend.
„Du könntest Hector ausprobieren, wenn du im normalen Sattel reiten möchtest“, bot Easton an.
„Oh, Adam! Du bist der beste aller Cousins“, rief Jolie aus.
„Du wirst mit ihm zurechtkommen, aber du musst einen Stallburschen mitnehmen. Ich habe einen Freund, der eine Stute zur Zucht mit Hector vorbeibringen wird, und er könnte einen guten Ausritt vertragen, bevor sie ankommt.“ Er lachte in sich hinein.
„Ich werde dafür sorgen, dass er sich gut verausgabt“, sagte sie, als sie aus dem Zimmer eilte.
Nachdem sie gegangen war, sprach Easton Elly auf die Unterhaltung an, die sie am Vortag hatten.
„Wirst du mir jetzt erzählen, was deine Pläne für Yardley und Jolie sind? Er hat eine Nachricht geschickt, dass er heute herkommt.“
„So schnell?“, Elly sah von ihrem Kaffee auf. „Wird er hierbleiben?“
„Er wohnt bei seiner Mutter und seiner Schwester in der Nähe von Rottingdean. Das sind keine acht Meilen“, bemerkte Easton.
„Ich weiß noch nicht, wie ich am besten mit der Situation umgehen soll. Ich glaube, wenn sie die Gelegenheit hätten, sich kennenzulernen, würden sie selbst feststellen, wie gut sie zueinander passen.“
„Yardley wird ihr vielleicht ihre Worte nicht verzeihen, falls dieser Anwalt dumm genug war, sie ihm zu wiederholen“, wies Easton sie hin.
„Vielleicht will sie ihn auch nicht kennenlernen“, antwortete Elly, die sich den Kopf über eine mögliche Lösung zerbracht.
„Wenn sie sich nur beide ohne ihre Titel kennenlernen könnten“, sagte Easton scherzend.
„Vielleicht können wir dafür sorgen.“
„Wie denn? Sie sind beide zu korrekt, als dass sie ohne offizielle Vorstellung miteinander sprechen würden“, sagte er zweifelnd.
„Selbst wenn es im Stall wäre?“
„Das weiß ich nicht. Dazu müsste man die Bediensteten einweihen“, sagte er zögernd. „Und deinen Bruder.“
„Das geht schnell. Yardley zieht es vor, dass man ihn in nicht öffentlichen Situationen nicht mit seinem Titel anspricht“, erklärte sie.
„Aber meinst du nicht, dass sie es merkwürdig findet, wenn wir sie als Jolie vorstellen?“
„Ich vertraue dir. Sag einfach: „Dies ist meine Cousine Jolie Winslow“, und wechsle das Thema.“
„Und was passiert, wenn wir einen Fehler machen?“, fragte er.
„Dann bitten wir um Vergebung für unsere schlechten Manieren und schieben Exzentrik als Ausrede vor.“
Easton seufzte und schüttelte den Kopf. „Leider habe ich nicht den Vorteil, in Amerika gelebt zu haben, um das als Ausrede nehmen zu können.“ Dann wechselte er das Thema, bevor seine Frau etwas erwidern konnte, aber sie knüllte ihre Serviette und warf sie nach ihm. „Vater sagte, dass Livvy nächste Woche aus der Schule kommt. Meinst du, wir sollten sie mit uns nach London nehmen?“
„Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass wir sie im Herbst vorstellen?“
„Ich habe das Gefühl, dass sie uns begleiten möchte, sobald sie herausfindet, dass du Jolies Anstandsdame bist.“
„Ja, vermutlich hast du recht. Hast du mit Vater darüber gesprochen?“, fragte sie.
„Nein. Ich habe Angst, dass er sich dazu verpflichtet fühlt, uns zu begleiten. Und er ist dazu nicht stark genug.“
„Dann, so glaub ich, solltest du ihr das gegenüber erwähnen. Aber wir müssen damit rechnen, dass Livvy ihre Vorstellung verschieben muss, da sie in Trauer ist“, sagte sie sanft.
„Ja, ich fürchte, du hast recht. Dank dir hatten wir so viele zusätzliche Jahre, mehr als wir glaubten.“
Sie ergriff seine Hand. „Dann lass uns beten, dass wir noch viel mehr haben werden.“


Benedict ritt den Weg am Meer entlang, zwischen Rottingdean und dem Wyndham-Anwesen in der Nähe von Seaford. Es war ein wunderschöner später Frühlingsmorgen, und er genoss die Sonne, die auf sein Gesicht schien und den Wind, der gegen ihn peitschte. Das Gefühl von Geschwindigkeit und Freiheit erzeugte immer wieder eine Welle der Aufregung in ihm, die jedes Problem winzig erscheinen ließ.
Er hatte eine Nacht über sein Heiratsantrag-Dilemma geschlafen und beschlossen, sich von seinem ältesten Freund beraten zu lassen. Easton würde ihm die richtige Richtung weisen. Es war viel zu lange her, seit er sich jemand anderem als sich selbst anvertraut hatte.
In der Ferne erspähte er einen anderen Reiter, und der Anblick reichte aus, um ihn dazu zwingen, sich zu konzentrieren und im Sattel zu bleiben und noch zusätzlich seine Stute zu bändigen. Er bog vom Weg ab, um die Aussicht zu bewundern. Er wusste nicht, was er mit dem Anblick anfangen sollte: eine zierliche Frau, die auf einem riesigen Pferd ritt. Sie saß breitbeinig im Sattel und unter ihrem Kastorhut wehte ihr wildes, schwarzes Haar. Sie ritt geradewegs auf ihn zu, tippte an ihren Hut und lächelte ihn strahlen an, als sie vorbeiritt.
Benedict versuchte immer noch einen klaren Gedanken zu fassen, als ein paar Minuten später ein Stallknecht an ihm vorbei ritt, der versuchte, seine Herrin einzuholen. Keine Chance, dachte er bei sich. Als er endlich auf das Wyndham Anwesen ritt, hatte er sich fast davon überzeugt, dass das Mädchen lediglich seiner Fantasie entsprungen war. Er ging direkt in den Stall, weil er vermutete, dass er dort wie gewohnt seinen Freund vorfinden würde. Er konnte es kaum abwarten den Hengst zu sehen, von dem ihm Easton erzählt hatte.
„Benny!“, rief Easton ihn bei seinem Kindheits-Spitznamen und ging auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Er und Andrew hatten ein Pferd eingeritten und noch die Ärmel hochgekrempelt und Schlamm an den Stiefeln. Der Stallmeister nahm Andrew die Zügel ab.
„Easton, Abbot.“ Er begrüßte die Männer gleichermaßen freudig.
„Wo ist der Hengst, von dem ich geträumt habe?“, fragte Benedict und sah sich um.
„Es tut mir leid, aber meine Cousine ist mit ihm ausgeritten. Ich wusste nicht, wann du ankommen würdest und ich wollte, dass Hector sich von seiner besten Seite zeigt, wenn er deine Stute trifft. Ist das die Schöne?“ Easton streckte seine Hand aus, um das weiße Pferd zu grüßen, das wieherte und seine Nase in seine Brust stieß.
„Ja, das ist Dido“, sagte Benedict, als er abstieg und sie in den Stall führte, wo er ihr Heu gab und sie abrieb.
„Sie ist alles, was ich mir gewünscht habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hector ihr widerstehen kann“, sagte Easton fröhlich.
„Möchtest du dich ein wenig auffrischen?“, fragte Andrew.
Benedict sah die anderen Männer an und lachte. „Nein, ich glaube, ich werde mich zu euch gesellen. Ich brauche ein wenig harte Arbeit und ein paar Ratschläge.“
„Ratschläge? Das klingt ernst“, hakte Easton nach.
„Ich wünschte, dem wäre nicht so“, sagte Benedict bedauernd.
„Möchtest du lieber ins Haus gehen?“, Easton sah besorgt aus.
„Nein. Ich bin sicher, dass ich hier draußen besser denken kann.“
„Sehr wohl. Wir reiten gerade ein Jungpferd ein. Wir könnten ein Paar extra Hände gebrauchen“, gab Easton zu.
„Mit uns ist er scheu. Vielleicht wird er dich annehmen“, sagte Andrew.
Die Männer gingen zurück auf die Koppel, die gegenüber den Ställen und auf der anderen Seite der Kutscheneinfahrt lag. Eine große Eiche bewachte das Tor und ein Zaun aus Holzpfosten und Geländern erstreckte sich entlang der Kurve der Einfahrt, um in einer Weißdornhecke zu münden, die mit süß riechenden weißen Blumen bedeckt war. Die Hecke schloss die Weide ein und traf auf der anderen Seite auf die Eiche. Schwaden von wilden Möhren und Butterblumen schmückten die Unterseite der Hecke.
Ein Stallknecht versuchte, das junge Pferd an seiner Trense zu führen, aber jedes Mal, wenn der Mann vorwärts ging und einen leichten Druck auf das Gebiss ausübte, warf der Hengst seinen Kopf hoch und bäumte sich auf. Ein anderer Stallknecht, der ein langes Seil am Kappzaum des Pferdes hielt und in der Mitte eines Kreises stand, schnippte mit einer langen Peitsche in seine Richtung. Das Hengstfohlen, ein hübscher Brauner, bockte und hob fast seinen Halter - einen muskulösen Mann von überdurchschnittlicher Größe - von den Füßen. Das Weiße in den Augen des Pferdes war sichtbar, als es zum Tor schwang und der Stallknecht fluchte. Seine Stiefel rutschten auf dem schlammigen Boden, der durch die trampelnden Hufe verursacht worden war.
„Er ist scheu. Ich habe noch nie ein Pferd getroffen, das vor dir Angst hatte. Hat Elly versucht ihn zu führen?“, fragte Benedict.
„Noch nicht. Das steht als nächstes auf dem Plan, aber ich bin noch nicht bereit aufzugeben.“
„Und die normalen Belohnungen interessieren ihn nicht?“, fragte Benedict, als er beobachtete, wie das Pferd seinen Kopf schüttelte, um das Zaumzeug abzubekommen.
„Nicht genug, um freiwillig her zu kommen.“
„Wir haben ihn vor dem Schlachthof gerettet. Ich habe keine Ahnung, was er durchmachen musste, bevor wir ihn fanden. Irgendwann werde ich ihn schon überreden“, sagte Easton, als er den Stallburschen zusah, wie sie versuchten, den Hengst dazu zu bewegen, ruhig an der Longe zu gehen.
„Lässt er sich nur an einem Halfter oder dem Kappzaum führen?“, fragte Benedict.
„Normalerweise ja.“
„Du solltest vielleicht ein oder zwei Schritte zurückgehen und dann erneut versuchen, sein Vertrauen zu erhalten.“ Nach einer kurzen Pause schlug er vor. „Lass ihn los, während wir entfernt stehen und sehen, ob er sich entspannt.“
„Es ist einen Versuch werde. So wie jetzt kommen wir keinen Schritt weiter“, stimmte Andrew zu und signalisierte den Bediensteten, das Pferd loszulassen.
Andrew und Easton gesellten sich zu Benedict und lehnten sich ebenfalls auf den Zaun. Die Stallknechte befreiten den Hengst schnell vom Geschirr, ließen ihn frei und gingen fort.
„Ich denke, jetzt könnte ich um den Ratschlag bitten, den ich brauche“, sagte Benedict zögernd.
„Ich muss zugeben, ich bin neugierig“, gab Easton zu, während Andrew schwieg und das Pferd beobachtete.
„Ich muss wieder heiraten“, gestand er.
„Ich gehe davon aus, dass nun auch der allerletzte Erbberechtigte gestorben ist?“, fragte Easton zynisch.
„Genau.“
„Das ist wirklich schlimm“, stimmte Andrew zu.
„Ihr zwei könnt euch ruhig lustig machen, aber keiner von euch war mit Lilith, geborene Lillian verheiratet.“
„Stimmt, wir haben beide eine glückliche Ehe.“
„Habt ihr irgendeinen Ratschlag, wie ich jemanden finden kann?“
„Die Art und Weise, wie man eine Frau umwirbt, hat sich nicht geändert.“
„Ich muss es vergessen haben. Ich habe jemandem einen Antrag gemacht und sie hat mich abgelehnt. Und sie hat mich sehr vehement abgelehnt.“
Easton hob seine Augenbrauen. „Vehement?“
„Sie sagte meinem Anwalt, sie würde lieber in der Hölle schmoren, als mein Angebot anzunehmen.“
Andrew klang, als würde er sich verschlucken. Easton räusperte sich.
„Und hat diese Lady Hinweise gegeben, dass sie auf einen Antrag wartete?“
„Ich habe sie nie getroffen“, gestand Benedict.
Easton und Andrew schwiegen.
„Sagt schon“, verlangte Benedict. „Ich kann doch sehen, dass ihr etwas sagen wollt.“
„Warum machst du jemandem einen Antrag, dem du noch nie vorgestellt worden bist?“, wollte Easton wissen.
Benedict ließ einen tiefen Seufzer der Verärgerung hören.
„Zum Teufel, ihr wisst doch warum! Ich will mit Hochzeit und Ehe nichts zu tun haben. Es ist vollkommen unerheblich, wer die Lady ist, solange sie von guter Herkunft ist. Ich will kein Anhängsel haben. In keinster Weise.“ Er wurde deutlicher, „Das wurde auf diese Weise schon seit Jahren so gemacht!“
„Darf ich vorschlagen, dass du dein Anliegen persönlich vorträgst, nachdem ihr euch vorgestellt worden seid?“
Benedict fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich nehme an, das muss ich wohl. Ich habe niemals damit gerechnet, dass mein Antrag abgelehnt werden würde. Das ist fürchterlich arrogant, ich weiß.“
„Das ist verständlich, da bin ich sicher“, sagte Andrew sarkastisch.
„Darf ich fragen, wie du deine zukünftige Braut ausgewählt hast?“ Easton hob eine Augenbraue fragend an.
„Hughes hat das natürlich gemacht. Er hat mir eine Liste gemacht und ich habe ihn darum gebeten, diskret zu sein.“
Easton und Andrew tauschten Blicke aus. „Du weißt überhaupt nichts über die Ladys auf deiner Liste?“
Benedict schüttelte den Kopf. „Nur, dass die erste auf der Liste aussieht wie ein Pferd und kichert.“
„Heilige Mutter Gottes“, sagte Andrew anerkennend. „Ich gehe davon aus, sie ist nicht diejenige, der du den Antrag gemacht hast?“, fragte er nach.
„Nein, aber ich glaube, ich kann sie nicht ausschließen. Ich bin fast versucht, diejenige kennenzulernen, der ich das Angebot gemacht habe. Irgendetwas in mir sagt mir, ich solle mich beweisen, so albern wie sich das anhört. Mein Stolz will ihr zeigen, dass sie Unrecht hat.“
„Und was würdest du tun, um sie zu überzeugen? Möchtest du erreichen, dass sie ihre Entscheidung bereut?“
Er zuckte mit den Schultern, so gar nicht wie ein Edelmann. Dies war einer der wenigen Orte, an denen er seine herzogliche Maske ablegen konnte.
„Kennst du überhaupt ihren Namen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, Hughes sagte, es wäre Ashburys Tochter. Ich bin nicht mit Ashbury bekannt, aber Hughes versichert mir, dass sein Ruf tadellos sei.“ Die ganze Angelegenheit klang geschmacklos, wenn er es jemand anderem erklären musste. Er ärgerte sich und war von sich selbst angewidert. Er war es nicht gewohnt, seine Entscheidungen in Frage zu stellen.
„Ich verstehe, dass du keine Liebesheirat wünschst, aber es wäre angebracht, dass du ein wenig Zeit für die Brautschau aufbringst. Ich werde vermutlich Olivia mit uns zurück in die Stadt nehmen, von daher kann ich mit dir zusammen leiden, falls du uns begleiten möchtest.“
„Charlotte sollte ebenfalls in die Stadt gehen. Aber ich weiß nicht, ob ich das noch einmal durchmachen kann. Was ist, wenn mich dieses Mädchen wegen meines Rufes ablehnt? Es wird nicht besser, wenn die Gerüchte wieder aufkochen.“
„Ich glaube, du machst dir zu viel Gedanken. Deine Einsiedelei schürt die Gerüchte an.“
„Die Leute sehen den Dukes einiges nach“, bemerkte Andrew.
„Nicht, dass es etwas gab, was man hätte übersehen müssen. Der Fehler lag nicht bei dir“, fügte Easton hinzu.
Benedict lachte kurz, zog seinen Mantel und seine Weste aus und rollte sich die Ärmel hoch. „Ich glaube, es gibt keine andere Lösung.“
Er zog einige Karotten aus seiner Tasche, die er noch von der Reise mit sich trug. Er versuchte sich dem Hengstfohlen zu nähern und hielt ihm das süße Angebot auf seiner Hand entgegen. Das junge Pferd war bei einem Fremden noch panischer. Es trat aus und sprang auf der Koppel umher, bevor es auf das Tor zu galoppierte. Seine Hinterbeine rutschten auf dem schlammigen Fleck aus und besprühten Benedict, der hastig zurücksprang. Kalte, nasse Erde klatschte auf Benedicts Gesicht und seine Vorderseite. Auf welch wunderbare Art er sich vor Elly würde verbeugen müssen!
Gelächter dröhnte in seinen Ohren. Er zog ein Taschentuch aus der Tasche, wischte sich den Schlamm aus den Augen und sah Easton und Andrew, die laut lachten. Sie waren es gewohnt, ihn immer tadellos gekleidet zu sehen, daher würden sie sich in dieser Situation zweifelsohne auf seine Kosten gründlich amüsieren.
Er konnte nichts weiter tun, als selbst über den absurden Anblick zu lachen, den er vermutlich gerade bot. Gedemütigt ging er zurück zum Zaun.
„Nun gut“, er hob die Hände hoch. „Ich habe mein Talent verloren.“
„Das haben wir auch, mein Freund. Das haben wir auch.“
„Vielleicht sollten wir Elly um Hilfe bitten. Sie hat ihre eigene Art mit ihnen“, schlug Andrew vor.
Easton seufzte. „Das werden wir wohl müssen.“
Die Männer drehten sich um, als sie Hufe auf dem Rasen hörten und sahen, wie Jolie auf Hector heranritt.
„Wunderschön“, sagte Benedict leise.
„Das Pferd oder meine Cousine?“, neckte ihn Easton.
Benedict gab keine Antwort. Er war so von dem Anblick verzaubert, den die Schönheit des Pferdes und seiner Reiterin ihm bot.
Andrew ging hinüber, um Jolie beim Absteigen zu helfen. Sie lächelte und Benedict konnte noch immer seinen Blick nicht von ihr abwenden. Sie übergab Andrew die Zügel und klopfte sich den Staub ab. Sie ging zu dem Geländer und der schreckhafte Hengst rannte geradewegs auf sie zu. Benedict war auf dem Sprung, da er glaubte, er müsse sie retten, aber der junge Hengst zeigte keinerlei Absicht, sie zu verletzten. Stattdessen tanzte er spielerisch umher und begann sie mit der Nase anzustoßen, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten.
„Hallo mein Hübscher. Sind diese Männer nicht anständig mit dir umgegangen?“, fragte sie, als sie seinen Hals liebevoll streichelte. Die Männer sahen sie mit offenkundiger Bewunderung an.
Benedict nutzte die Gelegenheit, sie unauffällig zu beobachten, während sie sich auf das Pferd konzentrierte. Sie war nicht wie eine Lady angezogen und ganz sicher ritt sie nicht wie eine. Vielleicht war sie eine arme Verwandte. Aber sie konnte mit Tieren umgehen. Ihre wunderschönen violetten Augen ertappten ihn dabei, wie er sie anstarrte, und er errötete fast. Er war aus dem Alter heraus, in dem man rot wird, aber er war sichtlich fasziniert. Er sah fort und ärgerte sich darüber, dass er sich zu dieser Frau hingezogen fühlte. Das letzte Mal, als er das zugelassen hatte, wurde er bloßgestellt. Er sah Easton neugierig an.
„Darf ich dir meine Cousine vorstellen, Jolie Winslow? Jolie, das ist mein alter Schulfreund Benedict Stanton“, sagte Easton beiläufig.
Jolie knickste kurz. Benedict nickte ihr kurz zu, als ihre Augen sich trafen. Sie scheint meiner Aufmerksamkeit nicht wert genug zu sein, sonst hätte Easton mich mit meinem Titel vorgestellt, dachte er mit einer Spur des Bedauerns, obwohl sie in der Vergangenheit immer ihre Titel ausgelassen hatten, um nicht verkuppelt zu werden.
Es fiel ihm schwer, seine Augen von ihr abzuwenden, dennoch konnte er sie schlecht anstarren, ohne mit ihr zu sprechen. Er nickte ihr erneut kurz zu und wandte sich dann an Easton. „Dürfte ich die Freude haben und Hector begrüßen?“
Easton versuchte aus irgendeinem Grund nicht zu lachen. „Natürlich“, antwortete er und wandte sich an Jolie. „Ich gehe davon aus, dass er sich gut benehmen wird.“
„Ich habe mein Bestes gegeben, damit er erschöpft ist“, antwortete Jolie.


Jolie wollte am liebsten laut lachen. Mr. Stanton hatte versucht würdevoll zu erscheinen, aber er war so wunderbar von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt, dass sie kaum in der Lage gewesen war, seine bernsteinfarbenen Augen zu erkennen. Sie war sich nicht sicher, ob er ihren eigenen unziemlichen Aufzug anstarrte oder ob er nicht an den Umgang mit Frauen gewöhnt war. Man konnte ihm nicht vorwerfen, dass er geschwätzig war. Vielleicht züchtete er deshalb Pferde, dachte sie. Trotz des Schmutzes war er zweifelsohne gutaussehend. Vermutlich war er der zweitgeborene Sohn, der nicht heiraten wollte und nicht in der Lage war, einer Frau den Lebensstil zu bieten, den sie gewohnt war. Sie erwischte sich dabei, wie sie darüber nachdachte, ob ihr ein einfacheres Leben ohne die Großstadt gefallen würde. Sie liebte die Großstadt, aber auf dem Land gefiel es ihr ebenfalls.
Sie drehte sich um, als sie Elly und die Kinder hörte. Sie rannten direkt in den Stall für ihre täglichen Übungen.
„Cousine Jolie!“, riefen ihr die Kinder im Vorbeilaufen zu. Die Stallburschen führten die Ponys für sie nach draußen und sie konnte sehen, wie die Männer die Stute mit Hector bekannt machten.
„Lass uns beten, dass Hector sich gut benimmt“, bemerkte Elly, als sie die Vorstellung aus der Ferne betrachtete.
Jolie lachte. „Die Kinder sind viel zu beschäftigt, als dass sie etwas bemerken würden.“
Lizzie ritt bereits im Kreis um ihre Brüder herum, während diese noch aufsaßen.
Die Kinder ritten davon, als Elly und Jolie zur Koppel gingen, um die Männer und die Pferde besser beobachten zu können.
„Wurdest du Mr. Stanton vorgestellt?“, fragte Elly mit einem Zwinkern.
„Ich nehme an, man kann es als eine Vorstellung bezeichnen. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt ein Wort gesagt hat.“
„Vielleicht ist er ein wenig zurückhaltend“, überlegte Elly.
„Zurückhaltend? Ist das der Grund? Ich war mir nicht sicher, ob er schüchtern war oder ob ich ihn geschockt hatte. Jedenfalls war er von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt, vielleicht war er sich dessen bewusst.“
„Benedict war schmutzig?“ Elly hielt ihre Hand hoch, um ihre Augen vor der Sonne zu schützen, damit sie dem versprochenen Spektakel zusehen konnte und ging näher zum Zaun. „Tatsache, das ist er. Ich habe ihn noch nie ungepflegt gesehen, höchstens einmal mit einer Falte in seinem Halstuch!“
Jolie sah bewundert zu. „Er ist vollkommen anders als die Männer in der Stadt.“
„Er ist leidenschaftlich, was seine Pferde angeht.“
„Das kann ich nachvollziehen“, bemerkte Jolie.
„Ich glaube, Adam hat erwähnt, dass er nach einer Frau sucht.“ Elly lächelte breit, als sie diesen direkten Hinweis gab.
„Tut er das? Er strahlt es nicht unbedingt aus.“
„Das ist ein Teil seiner Anziehungskraft.“
„Mm“, Jolie klang abgelenkt, als sie ihn mit seiner Stute beobachtete.
„Es ist auch sehr anziehend, einen Mann mit seinem Tier zu beobachten“, meinte Elly, als sie liebevoll zu ihrem Mann sah.
„Allerdings“, sagte Jolie lachend. „Nun gut, ich gebe zu, ich bin neugierig.“
„Ich fragte mich, ob er überredet werden kann, uns beim Tee Gesellschaft zu leisten.“
„Muss ich sonst nichts über ihn wissen?“
„Es wird für dich wesentlich unterhaltsamer sein, wenn du die Dinge selbst entdeckst“, neckte Elly.
„Wird es das?“, fragte Jolie zweifelnd, als sie begann, der anderen Frau ins Haus zu folgen.

Vier
Benedict wurde dazu überredet, zum Tee zu bleiben. Trotz seines Protestes hatte er natürlich erwartet, dass er blieb, wie immer, und hatte deshalb auch Kleidung zum Wechseln mitgebracht. Er nahm ein Bad und als ihm klar wurde, dass er sich zum vollkommenen Dummkopf gemacht hatte, als er mit Schlamm bedeckt war, wünschte er sich nach Birmingham zurück. Er war unerklärlicherweise nervös - oder vielleicht war es gar nicht so unerklärlich. Er war ehrlich genug zu sich selbst sich einzugestehen, dass er Angst hatte, Eastons Cousine zu nahe zu kommen. Bevor er erfahren hatte, dass er heiraten musste, hätte er sie als Schönheit abgetan und hätte sich um seine Sachen gekümmert. Das wollte er jetzt auch. Aber das Bild von ihr auf dem Pferd würde ihm noch lange im Kopf umherschwirren, und er wusste, er würde alle anderen an diesem Bild messen, auch wenn es ungerecht war.
Er musste Hughes sagen, dass er die Liste weiter abarbeiten sollte. Er konnte es nicht ertragen, sich wieder emotional einzubringen. Er zog sein Halstuch ein letztes Mal zurecht und überlegte, wie er Eastons Cousine gegenüber auftreten wollte. Er konnte spüren, wie seine Gefühle wieder zum Leben erwachten und er brauchte alle Selbstkontrolle, derer er habhaft werden konnte, denn er spürte auch, wie sich die seidene Schlinge langsam um seinen Hals zuzog.
Auf dem Weg zum Salon entschloss er sich der Lady gegenüber gleichgültig und höflich aufzutreten. Wie schwer würde es schon sein, einen Tee zu trinken? Es war einfach schon zu lange her, dass er mit irgendeiner unverheirateten Frau in Kontakt gekommen war. Er war nur aus der Übung. Er hoffte, dass Easton und Elly ihn auch weiterhin als Benny ansprachen. Das würde die Spannung lösen. Wenn er bei seinen Freunden nicht bestand, würde er London niemals überleben.
Er betrat den Salon und wurde mit hellblauem Musselin konfrontiert, das um ein zierliches Bündel drapiert war, mit einem blauen Band und einem passenden Haarband, das ihr perfektes Gesicht einrahmte. Sie drehte sich um und plötzlich wünschte er sich, dass er noch den Schlamm hätte, um sich dahinter zu verstecken. Er nahm es allerdings mit etwas Genugtuung hin, dass ihre violetten Augen bei seinem Anblick kurz bewundernd aufleuchteten, bevor sie es wieder verbarg. Sie ließen auch Amüsiertheit und Überraschung erkennen, aber darüber würde er nicht nachdenken. Er bewunderte ebenfalls ihre Erscheinung. Er war sich immer noch nicht über ihre Rolle im Klaren; war sie eine Freundin oder ein Gast?
Er riss sich zusammen und verbeugte sich. „Miss Winslow.“
„Mr. Stanton.“ Sie knickste.
Er blieb in der weit geöffneten Tür stehen und war sich nicht sicher, was er als nächstes tun sollte.
„Ich glaube, es ist akzeptabel für Sie, wenn Sie mir Gesellschaft leisten. Die anderen werden gleich hier sein. Elly ging, um die Kinder zu holen.“
Sie setzte sich auf ein Sofa aus braunrotem Brokat und bedeutete ihm, sich ebenfalls zu setzen. Er sah sich nach einer Möglichkeit um, um sich zu verstecken, aber das Zimmer war zu klein. Er wählte einen Sessel am Kamin, da er sich unwohl dabei fühlte, mit ihr allein zu sein. Bitte lass sich die anderen beeilen, dachte er.
Sie saßen für einige Minuten in schmerzhafter Stille. Dann sprachen beide zur gleichen Zeit.
„Machen Sie ...“
„Sind Sie ...?“
„Ich bitte um Verzeihung, bitte, sprechen Sie zuerst“, sagte er.
„Ich wollte nur ein wenig Konversation machen.“ Sie winkte geringschätzig mit der Hand.
„Es ist ein schöner Tag“, meinte er.
Sie lachte und ihr Lächeln war bezaubernd. „So nun auch wieder nicht. Ich wollte Sie fragen, wo Sie herkommen.“
„Ach, da seid ihr zwei!“, rief Elly, als ob sie überall nach ihnen gesucht hätte. „Habt ihr schon nach dem Tee geklingelt? Die Kinder werden oben bleiben. Sie haben sich auf ihrem Ausritt nicht gut benommen.“
Benedict war überrascht, denn normalerweise waren die Kinder immer beim Tee anwesend. Das war eine der Eigenarten der Eastons. Er applaudierte jedoch der Disziplin, so sehr er sich auch wünschte, sie zu sehen.
„Dann muss ich wohl bald wiederkommen, wenn ich so von meinem Patenkind ferngehalten werde.“
„Du weißt doch, dass wir dich nie fernhalten würden. Du kannst ihn immer sehen, wenn du es wünschst.“
„Ich freue mich, das zu hören.“
„Andrew und Gwen werden uns auch keine Gesellschaft leisten. Sie ist erschöpft, was normal ist in ihrem Zustand“, sagte Elly, als sie sich setzte.
„Ist es bald soweit?“, fragte er höflich.
„Eher als wir dachten, glaube ich. Das wird Jolie freuen. Ich bin sicher, sie langweilt sich mit uns hier auf dem Land und will wieder in die Stadt.“
„Das tue ich nicht“, protestierte Jolie bezaubernd. „Ich würde gerne hierbleiben.“
„Nein, nein. Ich werde dich nicht aufhalten, sobald ich weiß, dass Gwen und das Baby gesund sind“, sagte Elly, während sie nach dem Tee klingelte.
Easton betrat das Zimmer. „Bitte entschuldigt die Verspätung. Ich habe mit Vater gesprochen.“
„Wie geht es Wyndham?“, fragte Benedict liebevoll.
„Er wird jeden Tag schwächer, fürchte ich. Er möchte, dass wir Olivia mit uns nach London nehmen. Ihm ist bewusst, dass sie jetzt in die Gesellschaft eingeführt werden sollte.“
„Ist er stark genug für einen Anstandsbesuch, bevor ich wieder gehe?“, fragte Benedict besorgt.
„Er würde es uns nie verzeihen, wenn wir das ablehnten!“ Easton lachte in sich hinein.
„Sehr wohl. Ich werde dann kurz vorbeigehen.“
Der Butler brachte das Tee-Tablett und Elly deutete Jolie an, die Rolle der Gastgeberin zu übernehmen.
„Wie hat Hector Dido gefallen?“, fragte Elly, als Jolie den Tee ausschenkte und jedem seine Tasse gab.
„Dido schien nicht beeindruckt“, grübelte Benedict.
„Hector war müde!“, protestierte Easton.
„Oha. Ich habe meine Aufgabe zu gut erfüllt“, sagte Jolie entschuldigend.
„Sie machen nur Scherze. Pferde haben ihre eigenen Paarungsriten. Manchmal braucht es seine Zeit“, sagte Elly zuversichtlich.
„Ich muss gestehen, ich weiß nicht viel über Pferdezucht“, gab Jolie zu.
„Dafür kennen Sie sich aber sehr gut mit Pferden aus.“ Benedict war überrascht über sich selbst, als er das sagte. „Den Hengst haben Sie mit Leichtigkeit unter Kontrolle gehabt.“
„Vielen Dank, Mr. Stanton“, antwortete Jolie bescheiden.
Benedict sah Easton an, leicht amüsiert, dass man ihn Mr. Stanton nannte, aber Elly mischte sich ein, bevor er etwas sagen konnte.
„War Charlotte schon in der Stadt?“
„Nein, angeblich zieht sie Bücher den Bällen vor. Meine Mutter verzweifelt. Sie glaubt, es würde sie überzeugen, wenn ich selbst gehe. Ich hatte gehofft, dass mir das erspart bleibt, aber so wie es aussieht, muss ich wohl.“
„Dann könnt ihr wenigstens zu zweit das Übel ertragen“, sagte Elly zu Easton. „Wir sollten eine kleine Gesellschaft geben für Olivia und Charlotte, da es auch das Ende der Saison ist. Zu dieser Zeit wird man sowieso nirgends mehr einen freien Tag finden, nur die engsten Freunde werden anwesend sein.“
Benedict war überzeugt, dass Lady Easton dafür sorgen würde, aber würde es seiner Mutter gefallen?
„Das klingt für mich annehmbar, wenn ich London schon nicht vollkommen umgehen kann“, stimmte er zu.
Er sah zu der Cousine hinüber, um ihre Reaktion zu sehen, aber sie hatte ihr Gesicht abgewandt, als sie ihre Teetasse betrachtete.
„Jolie kann mir helfen, die Liste und die Daten aufzustellen. Ich werde deiner Mutter einen Brief mit den Namen schicken, damit sie dem zustimmen kann.“
„Sicherlich“, stimmte Jolie zu.
„Nun gut“, seufzte er resignierend.
„Es wird besser werden, als du glaubst, alter Freund“, sagte Easton, als er ihm auf die Schulter klopfte. „Soll ich dich zu Vater bringen?“


Jolie beobachtete, wie Mr. Stanton mit ihrem Cousin davonging und versuchte, ihn vor Elly nicht zu offensichtlich zu bewundern. Aber sie war verzaubert. Das war eine vollkommen neue Erfahrung für sie.
„So sieht Benedict normalerweise aus“, erklärte Elly.
„Er sah aus wie ein echter Gentleman“, bemerkte Jolie unschuldig.
„Ich kann mich täuschen, aber du wirst ihn wohl häufiger sehen, wenn wir Olivia und Charlotte zusammen vorstellen wollen." Elly schenkte ihr ein wissendes Lächeln.
„Ich freue mich über Olivias Gesellschaft. Ich war nicht besonders erpicht darauf, nach unserer Rückkehr allein zu sein. Ich habe nicht erwartet, dass du jede freie Minute mit mir verbringst“, antwortete Jolie ausweichend.
„Ich weiß, und es macht mir nichts aus. Ich war nicht der Liebling der Gesellschaft, so wie du.“
„Wenn ich es nur so gut haben könnte wie du", sagte Jolie wehmütig.
„Ich habe keinen Zweifel daran, dass du den Richtigen akzeptieren wirst, wenn du ihm begegnest“, sagte Elly mit einem Zwinkern.
„Langsam fürchte ich, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich habe mir schon oft gewünscht, dass Vater etwas für mich arrangiert, aber er wollte es nicht. Und obgleich ich die Wahl habe, gibt es keinen, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte“, sagte Jolie leicht frustriert.
„Du kannst dich glücklich schätzen, dass du die Wahl hast.“
„So sagt man mir. Aber im Moment tröstet es mich wenig.“
Andrew riss die Tür auf und rannte atemlos ins Zimmer. „Elly, komm mit!“
„Was ist los, Andrew? Ist alles in Ordnung mit Gwen?“, fragte Elly.
„Das Baby!“, rief er anstelle einer Erklärung.
„Ich hatte es nicht so schnell erwartet.“ Sie sprang aus ihrem Sessel, um ihrem Bruder zu folgen.
„Kann ich irgendetwas tun, um zu helfen?“, rief Jolie ihnen nach. „Obwohl ich so gut wie nichts über Geburten weiß.“
„Nein, ich habe jede Menge Hilfe dabei. Mach die Gästeliste für die Party“, schlug Elly vor, als Andrew sie aus dem Zimmer zerrte.
Jolie wünschte, sie hätte besser bei ihrer Mutter oder ihrer Schwester aufgepasst. Diese konnten gut organisieren, und sie hatte gelernt, sich von deren Führung des Haushaltes fernzuhalten. Aber sie ging davon aus, dass sie eine Gästeliste aufsetzen konnte, wenn sie es versuchte. Sie kannte sich gut aus in der ton, der feinen Gesellschaft, und wusste, wer für die Saison anwesend war. Sie wusste nur wenig über Mr. Stanton, aber er schien die Stadt nicht besonders zu schätzen, daher ging sie davon aus, dass es ihm egal wäre, wen sie einlud.
Sie saß an dem kleinen Eichenschreibtisch und fing an, eine Liste der Familien zu machen, von denen sie glaubte, dass sie für Olivias und Charlottes Debüt passend wären. Sie wusste, dass die Leute kommen würden, da die Eastons nur selten in die Stadt gingen oder jemanden einluden. Sie musste zugeben, dass sie sich jetzt mehr darauf freute, zurückzukommen, jetzt, da sie wusste, dass Olivia bei ihr sein würde. Und vielleicht konnte sie sich mit Charlotte anfreunden - natürlich ohne Hintergedanken. Es waren nicht weniger als einhundert Namen, als sie fertig war. Das war, so glaubte sie, noch wenig nach den gängigen Standards der Gesellschaft.
Es gab immer noch keine Nachrichten von Gwen oder dem Baby, daher schlenderte sie ins Musikzimmer, um sich etwas Zeit am Pianoforte zu gönnen. Sie freute sich jetzt etwas mehr darauf, in die Stadt zurückzukehren, und ihre Musikauswahl spiegelte ihre Stimmung wider. Mozart war etwas erhebender und fröhlicher als die gefühlvollen Stücke von Beethoven und Bach, die sie ausgewählt hatte, seit ihre Familie fortgefahren war. Nachdem sie mit der Rondo Alla Turca fertig war, sah sie auf die Uhr und war überrascht, dass sie seit einer Stunde gespielt hatte. Sie stand auf und streckte sich, bevor sie zum Fenster ging, um hinauszuschauen.
Ihr Herz schlug ein wenig schneller, als sie Mr. Stanton beobachtet, der sich in der Auffahrt mit Easton unterhielt. Ein Stallbursche hatte ihm ein anderes Pferd gebracht, da er Dido hierließ. Er sah großartig aus, als der sich mit Leichtigkeit auf das Pferd schwang, einen braunen Wallach, der hervorragend zu ihm passte. Sie erinnerte sich an seine ungewöhnlichen, bernsteinfarbigen Augen, die sie mit vagem Interesse im Salon beobachtet hatten, und seine leicht gewellten, dunkelblonden Haare, die sein Gesicht mit dem markanten Kinn umspielten. Er war nicht so groß wie Easton, aber er war drahtig und kraftvoll. Er tippte sich an den Hut und trieb sein Pferd vorwärts.
Sie wollte mehr über ihn wissen, über seine ruhige Zurückhaltung und sein mysteriöses Benehmen. Warum hatte sie noch nie zuvor von ihm gehört? Sie wollte Elly so gerne ausfragen, aber sie wusste, dass sie ihr nicht viel sagen würde. Sie glaubte, dass Elly sie bei jeder passenden Gelegenheit verkuppeln wollte. Sie wünschte, sie wüsste mehr über diesen Mann, damit sie mit ihren Gefühlen besser umgehen könnte. Was, wenn sie ihn wirklich mögen würde und er nichts zu bieten hatte? Würde sie ihn auch noch dann mögen, wenn er arm wäre? Sie war angenehm überrascht, dass der fehlende Titel seiner Anziehungskraft keinen Abbruch tat.

Fünf
Der nächste Tag brachte durch die Geburt von Henrietta Elizabeth einen Wirbelwind der Aktivitäten mit sich. Ihre ältere Schwester Millicent war in keinster Weise erfreut über den Neuankömmling, und der ganze Haushalt war damit beschäftigt, sie abzulenken, damit sie nicht nach ihrer Mutter jammerte. Ihr Kindermädchen kümmerte sich um das Baby und Jolie bot ihre Hilfe an, da sie keine anderen Aufgaben hatte. Jolie liebte Kinder, aber sie hatte noch nie so schwer daran gearbeitet, ein Kind glücklich zu machen - nicht, dass sie viel Erfahrung damit hatte. Glücklicherweise kam Andrew, um sie von der kleinen Millie zu befreien, bevor sie jedes Spiel, jeden Trick und jedes Lied, das sie kannte, angebracht hatte. Sie konnte sich endlich entspannen und hatte die Füße hochgelegt, als Olivia zur Türe hereingeschossen kam.
„Oh! Jolie. Wo sind denn alle?“, fragte die muntere, junge Dame.
„Schön dich zu sehen, Livvy.“ Jolie stand auf und umarmte ihre Cousine. „Gwen hat heute früh ihr Baby bekommen. Elly und das Kindermädchen waren fast den ganzen Tag bei Gwen, und Andrew hat mich gerade eben erst bei Millie abgelöst. Verzeih mir, aber ich bin völlig erschöpft“, erklärte sie, als sie sich wieder unelegant auf das Sofa warf.
„Ist das Baby gesund?“, wollte Olivia wissen.
„Sie scheint es zu sein, aber ich habe sie nur einen kurzen Moment gesehen“, sagte Jolie.
„Noch ein Mädchen?“
„In der Tat. Sie haben sie Henrietta Elizabeth genannt.“
Olivia lachte. „Oh, der Dowager wird das nicht gefallen. Sie hasst ihren Namen.“
„Ich bin der Meinung, dass es eine wunderbare Ehre ist, wenn jemandem nach einem benannt wird. Meine Mutter gab uns allerdings die Namen ihrer Lieblingsorte in Frankreich“, fügte sie hinzu.
„Zumindest sind eure Namen einzigartig. In der Schule gab es noch zwei weitere Olivias und ein halbes Dutzend Elizabeths.“
„Ja, das kann sein. Wie war die Schule? Gefällt es dir dort?“, fragte Jolie.
„Ich werde meine Freunde natürlich vermissen, aber es ist immer schön, wieder nach Hause zu kommen. Adam sagte, Vater ist schwach und er wünscht, dass ich jetzt nach London gehe“, sagte sie stirnrunzelnd.
„Möchtest du nicht gehen?“
„Ich möchte Vater nicht verlassen. Ich würde es bereuen, wenn ich nicht viel Zeit mit ihm verbringen könnte. Ich wäre aus der Schule zurückgekommen, hätte ich gewusst, dass es ihm wieder schlechter geht“, sagte Olivia traurig.
„Ich verstehe. Ich glaube, sie machen sich Sorgen darum, dass dein Debüt verschoben würde, falls das Schlimmste eintritt“, sagte Jolie liebevoll.
„Wie kann ich darüber nachdenken, wenn dies meine letzten Tage mit Vater sein könnten?“ Ihre honigfarbenen Locken sprangen, als sie den Kopf schüttelte.
„Vielleicht sollte keiner von uns gehen“, überlegte Jolie laut.
„Das wird nicht nötig sein“, sagte Easton, als er das Zimmer betrat und seine Schwester umarmte, die ihm sehr ähnlich sah.
„Warum nicht?“, wollte Olivia wissen.
„Vater besteht darauf, dass du jetzt gehst.“
„Oh je, Adam. Meinst du, dass das das Beste ist?“ Sie sah ihn vorsichtig an.
„Es ist unwichtig, was ich denke. Er hat es sich in den Kopf gesetzt. Wir glauben, dass ihm noch etwas Zeit bleibt, aber genau weiß man das natürlich nicht. Wir hatten uns überlegt, dass wir dich zusammen mit Charlotte auf einer kleinen Party vorstellen werden. Vielleicht kannst du dort ein paar Bekanntschaften knüpfen, die sich entwickeln können, trotz der Umstände.“
„Nun gut. Wenn du das für das Beste hältst, dann tu ich, was du sagst.“
Er lächelte seine kleine Schwester liebevoll an, dann wandte er sich an Jolie. „Ich bekam heute einen Brief von meinem Onkel.“
„Geht es meinen Eltern gut?“
„Sie schreiben, dass sie sicher in Schottland angekommen sind, aber sie wissen noch nicht, wie lange sie bleiben werden. So, wie es aussieht, ist Margaux immer noch fest entschlossen, ihr Vorhaben durchzuziehen.“
„Natürlich ist sie das“, stimmte Jolie zu, die wusste, dass ihre Schwester unglaublich störrisch sein konnte.
„Ich hatte eine Anfrage für mehrere unserer Veteranen, die auf einem Landsitz arbeiten sollen, daher wäre ich erst später in London, aber ich verspreche dir, dass ich zur Party da sein werde.“
„Das sind hervorragende Neuigkeiten“, sagte Jolie.
„Ich werde einen Tanz für dich reservieren, Adam“, sagte Olivia. „Aber jetzt werde ich zu Vater gehen und ihn begrüßen.“


Zwei Tage später erhielt Benedict die Nachricht, dass Mrs. Abbot von einem weiteren, gesunden Mädchen entbunden worden war und der gesamte Easton Haushalt innerhalb einer Woche nach London umziehen würde. Lady Easton hatte Wort gehalten und eine Nachricht für seine Mutter beigelegt.
„Mutter“, sagte Benedict, als er am Frühstückstisch vom Lesen seiner Korrespondenz hochblickte, „Lady Easton hat einen Brief adressiert an dich und Charlotte.“
„Wie reizend von ihr“, sagte die Duchess, als sie den Brief von ihrem Sohn in Empfang nahm und ihren Finger unter das Siegel schob.
Er hatte kein Wort des Planes verlauten lassen, für den Fall, dass sich etwas ändern würde.
Seine Mutter sprach laut vor sich hin, während sie las. „Sie wird Lady Olivia früher vorstellen als geplant und sie hat Charlotte eingeladen, zusammen mit ihr zu debütieren.“
„Das ist sehr entgegenkommend von ihr“, bemerkte Benedict. Der Ausdruck auf dem Gesicht seiner Schwester drückte keine Zustimmung aus.
„Ich halte eine kleine Veranstaltung nicht passend für die Tochter eines Earls oder eines Dukes“, sagte seine Mutter, während sie ein Gesicht zog, das nicht beleidigt war, aber auch nicht erfreut.
„Ich möchte überhaupt nicht debütieren“, mischte sich Charlotte ein.
„Verstehst du jetzt, mit was ich zu kämpfen habe, Benedict? Kannst du ihr bitte erklären, dass sie schon bald ein Mauerblümchen und eine alte Jungfer sein wird? Deine Jugend dauert nicht ewig und was wird dann aus dir?“ Den letzten Satz richtete sie direkt an Charlotte.
Benedict konnte sich gerade noch zurückhalten, und nicht die Hände vor den Kopf schlagen. Am liebsten würde er die ganze Situation ignorieren.
„Charlotte, wieso bist du dagegen zu debütieren? Wenn du zustimmst, dass du zusammen mit Olivia debütierst, wird es eine wesentlich kleinere Angelegenheit sein, als deine Mutter sie planen würde, das kann ich dir versichern. Glücklicherweise“, fügte er leise murmelnd hinzu.
„Das habe ich gehört“, sagte seine Mutter mit ernstem Blick.
„Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt allgemeinen Interesses. Ich bin nicht schön, ich bin nicht schlagfertig, ich bin noch nicht einmal modern. Hast du eine Ahnung, wie meine Figur in der derzeitigen Mode aussieht?“
Benedict sah sie ausdruckslos an. Er wusste, dass es darauf keine passende Antwort gab.
„Wie ein Zelt!“, rief sie aus.
„Ich würde nicht sagen, dass du wie ein Zelt aussiehst, aber wenn du dich in so einem Kleid nicht wohlfühlst, kann dir die modiste doch ein anderes machen“, schlug er vor.
„Aber dann ziehe ich erst recht die Blicke auf mich!“, sagte Charlotte frustriert.
„Lady Easton hat mir versichert, dass es nur eine kleine Gesellschaft sein wird. Als die Tochter eines Dukes kannst du deine eigene Mode präsentieren. Wenn du dich wohl in dem fühlst, was du trägst, gefällt es dir bestimmt besser. Ich werde dich nicht noch einmal fragen, ob du in die Stadt gehst, wenn dir dieser Ausflug so sehr widerstrebt. Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich noch einmal in die Stadt gehen werde, solltest du in der Zukunft eine Begleitung benötigen“, hörte er sich überraschend sagen. Die Rolle als Vermittler gefiel ihm nicht.
„Du gehst in die Stadt?“, fragte seine Mutter erstaunt.
„Das werde ich.“
Er sah, dass seine Schwester mit sich kämpfte. Aber ohne bessere Alternative entschied sie sich dafür, die Aufmerksamkeit lieber zu teilen, als allein im Mittelpunkt zu stehen.
Benedict würde sie nicht zwingen zu heiraten. Er würde für sie sorgen und ihr ihre Unabhängigkeit ermöglichen, wenn sie diese wollte. Seine Mutter bestand darauf, dass sie eine Saison durchstehen müsste, bevor er Charlotte darüber informieren könnte. Charlotte war unmodern und sonderbar, und ein wenig üppiger als es der aktuellen Mode entsprach, aber Benedict glaubte, dass die Gesellschaft sie akzeptieren würde, wenn sie sich endlich einmal darauf einlassen würde. Sie war glücklich genug, diesen Luxus zu haben.
„Ich nehme an, dass ich dann wohl gehen muss, wenn du hier bist. Aber sei nicht enttäuscht, wenn nichts dabei herauskommt“, sagte sie mit einem Anflug von Trotz.
„Gutes Kind. Ich werde dich zu nichts zwingen, Charlotte.“
Die Duchess stand abrupt und mit uncharakteristischem Eifer auf. „Wir müssen uns beeilen!“ Sie ging zur Tür.
„Warum die Eile?“, fragte er kühl.
„Wir müssen sofort nach London aufbrechen und eine modiste bestechen!“, sagte sie ungeduldig, bevor sie das Zimmer verließ und nach ihrer Zofe rief.
„Und so fängt es an“, sagte er mitfühlend zu seiner Schwester. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, wie sehr der Ruf der Familie vor zehn Jahren gelitten hatte? Er hoffte, dass sie es nicht herausfinden würde.


Benedict fuhr noch vor seiner Schwester und seiner Mutter nach London. Letztere suchte frenetisch nach einer passenden Garderobe für ihre Tochter und bekam von allem anderen so gut wie nichts mehr mit. Er war entschlossen, sich von diesem Chaos zu verabschieden und sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Und sich, vielleicht, erst einmal umzuhören, bevor er seine Absichten öffentlich machte - falls es nicht schon in der Stadt die Runde gemacht hatte durch Ashburys Bemerkung. Er war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass jede der Damen auf Hughs Liste seinen Antrag annehmen würde. Bevor er sich noch weiter blamierte, würde er Hughs dazu erst befragen.
Er wollte innerhalb von zwei Wochen auf dem Weg zurück zu seinem Landsitz sein. Er würde Hughs bitten dafür zu sorgen, dass alle Namen auf der Heiratskandidatinnen-Liste eine Einladung zur Debütparty bekämen, sofern Lady Easton damit einverstanden war. Er wollte die Sache so effizient wie nur möglich angehen und seine Anwesenheit in der ton auf ein Minimum reduzieren. Warum sie so ungewöhnlich fasziniert von seiner Familie waren, konnte er sich nicht erklären. Er zog seine Hosen an wie jeder andere Mann auch. Würde es aber auch jemanden wie Miss Winslow interessieren?
Benedict erinnerte sich an die Musik, die er an dem Tag gehört hatte, als er nach Wyndham aufbrach. Er hatte es gewagt, einen vorsichtigen Blick in den Drawing Room zu werfen und fand sie dort vollkommen versunken in Mozarts Musik. Er hätte beim Zuhören ebenfalls versinken können. Sie spielte nicht nur einfach das Piano - sie brachte es zum Leben. Er fühlte sich zu dieser Frau hingezogen und er wusste, dass er sich deshalb auf jeden Fall von ihr fernhalten musste. Das würde eine schwierige Aufgabe werden, da auch sie in die Stadt mitkommen würde. Sie würde überall dort sein, wo die Eastons waren. Er konnte wohl kaum seinen ältesten Freund meiden, und er wollte es auch nicht. Aber er hatte sich zu sehr geschämt, um Easton über sie auszufragen.
Er musste sich mit seinem geschäftlichen Vorhaben beeilen. Wenn er in ihrer Nähe war, würde er sicher einen weiteren Fehltritt begehen und ständig um sie herum sein. Er konnte die Klatschspalten schon jetzt sehen. „Der einsiedlerische Duke hat seine Lektion beim ersten Mal noch nicht gelernt“. Oder es würde eine Karikatur in der Zeitung geben, wie sie ihn an einer Leine hinter sich herzieht, während ihm die Zunge zum Hals heraushängt und er wie ein anhänglicher Hund sabbert, so dass alle Passanten anhalten und über ihn lachen.
Der Klatsch und sein Vater hatten ihn beim ersten Mal davon getrieben. Benedict würde die Erinnerung an diese Karikatur und die Schande niemals aus seinem Gedächtnis löschen können. Es war nicht der ideale Weg gewesen, um herauszufinden, dass seine Frau sich umhertrieb. Sein Vater hatte sich von der Schande nie erholt. Er hatte die Ehe verboten gehabt und kurz darauf dann das Duell und die Scheidung erleben müssen. Das Duell hatte in Frankreich stattgefunden, wo Benedict nach Lillian gesucht und sie dann mit ihrem Liebhaber gefunden hatte. Er hatte den Mann nicht tödlich verwundet, der später dann aber an einer Infektion starb. Benedict hatte sich geweigert, die Ehe weiterzuführen und letztendlich die Scheidung vom Parlament genehmigt bekommen. Lillian starb weniger als ein Jahr später an einer Krankheit. Soll sie doch verrotten, dachte er verbittert.
Seine Mutter hatte ihm versichert, dass der Skandal schon lange vorbei war, aber er war sich dessen nicht so sicher, jetzt, da die Ashbury -Tochter ihn abgelehnt hatte.

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