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Mit Dem Wind
Elizabeth Johns
Schon längst heimlich verheiratet, entscheidet sich die dritte Drillingsschwester dazu, über das Meer zu reisen, um ihren vermissten Ehemann zu suchen. Die Reise und die geheimen Nachforschungen liefern schmerzvolle Überraschungen. Wird der Kapitän des Schiffes der Rückkehr ihrer verlorenen Liebe im Weg stehen?
Fünf Jahre sind vergangen seit Lady Anjou Winslow, eine der Drillingsschwestern des Marquess Ashbury, zusehen musste, wie ihre große Liebe, Lieutenant Gardiner, nach Amerika in den Krieg zog. Vor seiner Abreise hatten sie heimlich geheiratet und obwohl das Kriegsministerium ihn für tot erklärt hatte, weigert sie sich daran zu glauben. Von ihm selbst fehlt jede Spur.
Lord Ashbury hatte Privatdetektive beauftragt, aber auch sie hatten keinerlei Erfolg bei der Suche. Einer inneren Stimme folgend weigert sich Anjoy an den Tod ihres Ehemanns zu glauben. Obwohl sie große Angst vor dem Ozean hat, überzeugt sie ihren Bruder davon, sie auf ihre lange Reise nach Amerika zu begleiten.
Captain Edward Harris, der ruppige Kapitän der Wind, will sie nicht auf seinem Schiff haben. Auf ihre verzweifelten Bitten hin gestattet er ihr dennoch die Überfahrt. Während Anjou und Charles nach Lieutenant Gardiner suchen, kommen Dinge ans Tageslicht, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Wird Edward der Rückkehr ihrer verlorenen Liebe irgendwie im Wege stehen?


Mit dem Wind
Mit dem Wind
Elizabeth Johns
Copyright © Elizabeth Johns, 2016
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung Wilette Youkey
Lektorat Tessa Shapcott
und Heather King, historische Inhalte
Deutsche Übersetzung: Sabine Weiten
Deutsches Lektorat: Petra Milde
Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Urheberrechtsinhabers vervielfältigt, gespeichert, kopiert oder übertragen werden.
Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Orte und Begebenheiten sind entweder das Ergebnis der Vorstellungskraft der Autorin oder sind willkürlich und ohne jeglichen besonderen Grund gewählt worden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen (tot oder lebendig), Geschäften, Vorkommnissen oder Örtlichkeiten sind rein zufällig.

Inhalt
Ohne Titel (#u0e3fc7e2-eba2-533a-856f-ca7c1b8bc23d)
Prolog (#u4a0d06cf-a272-579e-9ec7-b90ad0cdcac3)
Ohne Titel (#u45b9a60c-7613-5825-adda-33e0edb18179)
Kapitel Zwei (#ua5f0fb93-6710-5414-b63e-7cd84f05fed4)
Kapitel Drei (#u2a3d83a7-5905-5a30-87b3-759d56d465bb)
Kapitel Vier (#u1a6c521a-ca3a-5d01-b3ff-79912eb7af61)
Kapitel Fünf (#u64dca13c-8703-5ac2-8b64-2af8823d7002)
Kapitel Sechs (#ua535ff8d-b155-5e92-8809-22bcf993b2ba)
Kapitel Sieben (#u6dd9475c-bac2-5a3b-90b3-2927477f13ac)
Kapitel Acht (#u963300e3-388d-526f-ac56-fa0130507ae3)
Kapitel Neun (#u49c8bc07-253f-5577-8afc-5ed5bfa00fae)
Kapitel Zehn (#u807bc51d-fe5c-5ce1-a5d1-4b9cdef840b6)
Kapitel Elf (#ua510d3b9-9647-57bc-9327-58d2bd6dcc3a)
Kapitel Zwölf (#u4d3ea9dc-f8ac-5258-a330-c74a6840bbeb)
Kapitel Dreizehn (#u619d4f5c-e337-5f78-bef2-5e18030a1636)
Kapitel Vierzehn (#ub54e07a6-256a-5ca2-9570-485fb38df79e)
Kapitel Fünfzehn (#u92ad11b3-b21e-5726-a972-2f41f6651d2c)
Kapitel Siebzehn (#u18ef18bd-79cb-5c5a-9c85-02efb97f84dc)
Kapitel Achtzehn (#u86f61d32-f5b3-5dda-abc4-7613f2b02050)
Kapitel Neunzehn (#ucd6cae15-33db-546e-b689-d5b59fcf59d3)
Kapitel Zwanzig (#u7255a643-ffc5-5159-9166-d43e7e3eea70)
Kapitel Einundzwanzig (#u7d2dab95-673c-585d-8f62-3712776f54eb)
Kapitel Zweiundzwanzig (#u376dbd24-d18d-57b2-aa18-4eea353d60fd)
Epilog (#u4d24df60-4e74-523f-93de-bcd463ca53bd)
Vorschau auf Nach dem Regen ... (#u5ab1c2f3-647b-58d7-ba73-232f9a1b9d70)
Nachwort (#u329e6c41-bb7b-5a7f-b1da-405c8675c99b)
Über die Autorin (#ude4733c1-e545-5621-8961-a32e9030aa1c)
Danksagungen (#u8f808ee0-0dbc-5c1e-b1cc-26f8c09167af)

Ohne Titel
Für Jill, Julie und Rebekah, die viel zu jung lernen mussten, was Verlust bedeutet.

Prolog
„Das ist das erste Mal, dass wir getrennt sein werden“, sagte Beaujolais traurig zu ihren Drillingsschwestern, die auf dem großen Himmelbett in ihrem Londoner Stadthaus saßen. Sie liebten das abendliche Ritual, sich in Margaux‘ Zimmer zu treffen. Anjou, Beaujolais und Margaux waren die drei wunderschönen Töchter, eineiige Drillinge, des Marquess Ashbury und seiner französischen Marchioness.
„Es ist nicht für immer, meine Liebe“, sagte Margaux tröstend, als sie die langen, ebenholzfarbenen Haare ihrer Schwester bürstete und ihnen einen seidigen Glanz verlieh. „Wir werden wieder zusammen sein. Dann gibt es Hauspartys und Feiertage ...“
„Früher oder später musste es ja passieren. Ich dachte immer, dass wir jetzt schon alle verheiratet wären. Und dennoch, hier sitzen wir immer noch wie im Regal!“, rief Beaujolais.
„Ich sitze sehr gerne im Regal, wenn das bedeutet, dass ich vom Heiratsmarkt genommen werde! Du musst zugeben, dass ich es verlernt habe, meine Zunge im Zaum zu halten. Wahrscheinlich ist es besser, ich gehe, bevor ich euch alle ruiniere“, sagte Margaux lachend.
„Ja, meine Liebe, das wissen wir. Aber ein Kloster? Glaubst du wirklich, dass Maman das erlauben würde?“, fragte Anjou skeptisch, als sie ihre Schwester mit ihren strahlend blauen Augen ansah.
„Nein. Wenigstens erlauben sie mir, nach Schottland zu gehen, um dort im Waisenhaus zu helfen“, antwortete Margaux, die anscheinend mit ihrem Los zufrieden war.
„Ich wette, dass dich Maman in weniger als drei Monaten wieder zurück zitiert“, neckte Anjou, während sie gedankenverloren eine Haarsträhne um ihren Finger wickelte.
„Wette angenommen.“ Margaux hielt ihr die Hand hin. Eine schwesterliche Herausforderung lehnte sie niemals ab.
„Hört auf, ihr zwei“, sagte Beaujolais angewidert. „Könntest du nicht hier glücklich sein? Könntest du nicht Maman bitten, dass du einfach zu Hause bleibst?“
Margaux schüttelte den Kopf. „Als ob unsere Maman, die aristokratischste Gastgeberin im Königreich, erlauben würde, dass ihre unverheiratete Tochter zuhause verkümmert. Davon abgesehen, wäre es mir nicht genug. Ich brauche Freiheit, meine Liebe. Kannst du das verstehen?“
Beaujolais schossen die Tränen in die Augen, was ihre violette Augenfarbe verdunkelte. „Es tut mir leid, Marg. Ich werde versuchen, mich für dich zu freuen, aber ich kann es nicht verstehen.“
Margaux seufzte. „Du bist dazu geboren, eine Duchess zu sein, Jolie. Ich überlasse euch beiden die großartigen Hochzeiten.“
„Hör auf, mich damit zu necken, dass ich eine Duchess sei. Davon abgesehen, es gibt nur zwei unverheiratete Dukes im Königreich. Einer ist uralt und der andere ein Einsiedler.“
„Hast du Angst, dass wir dich verfluchen?“ Anjou fing nun ebenfalls an, ihre andere Schwester zu necken. Seit sie Kinder waren, war es immer eine Quelle der Freude gewesen, Beaujolais zu necken. Sie hatte immer getan, als sei sie eine Duchess, wenn sie als Kinder gespielt hatten und sich auch meistens so verhalten. Es war nicht unbedingt hilfreich gewesen, dass ihre Mutter sie darin noch bestärkt hatte.
„Du hast bereits mindestens einen Baronet, einen Mister, zwei Earls und einen Marquess abgewiesen“, fügte Margaux hilfreich hinzu.
„Keinen von denen konnte man ernst nehmen! Und ihr beide hattet genauso viele Angebote wie ich“, verteidigte sich Beaujolais.
„Hatte ich nicht“, brüstete sich Anjou.
„Und keiner von uns hat sich bereit erklärt, eine Vernunftehe auch nur in Betracht zu ziehen“, fügte Margaux hinzu.
„Aber auch nur, weil du niemandem erlaubst, dir einen Antrag zu machen“, entgegnete Beaujolais.
„Ich kann keinen anderen in Betracht ziehen“, sagte Anjou und sah zur Seite.
Margaux nahm tröstend ihre Hand. „Es ist jetzt schon Jahre her ohne ein Wort von Aidan, Anj. Meinst du nicht, du solltest ihn langsam vergessen?“, fragte sie freundlich.
Anjou schüttelte den Kopf und ließ es zu, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen. „Ich muss etwas tun. Ich kann nicht länger auf Vaters Nachforschungen warten.“ Sie stieg vom Bett und begann hin und her zu laufen, während sie ihre Tränen fortwischte. Ihre große Liebe, Aidan, war in den amerikanischen Krieg gezogen und sie hatte nach dem Waffenstillstand nichts mehr von ihm gehört.
„Was willst du tun?“, fragte Jolie mit gerunzelter Stirn.
„Ich werde gehen und ihn suchen.“
„Gehen und ihn suchen?“, fragten beide Schwestern ungläubig.
Anjou nickte. „Charles hat eingewilligt, mir zu helfen.“ Ihr Bruder Charles und Aidan waren beste Freunde gewesen.
„Maman und Papa werden das niemals gestatten.“
„Sie haben und sie werden“, antwortete Anjou ruhig, ohne ihre Schwestern dabei anzusehen. „Sobald Vaters Erkundigungen abgeschlossen sind.“
Beaujolais weinte jetzt ernsthaft. „Dann ist es wirklich das letzte Mal, dass wir alle zusammen sind!“
Keine der Schwestern widersprach, aber sie umarmten sich gegenseitig und fragten sich, wie sich das Leben ändern würde, ohne die anderen Teile ihrer selbst.

Ohne Titel
Kapitel Eins
„Maman, Papa“, sagte Anjou zu ihren Eltern, als sie sie allein im Salon gefunden hatte. Sie hatte endlich den Mut aufgebracht, mit ihnen über etwas zu sprechen, zu dem sie sich entschieden hatte.
„Was gibt es, Anjou?“, fragte ihr Vater.
„Ich muss nach Amerika gehen“, platzte es aus ihr heraus.
Ihre Eltern tauschten Blicke aus.
„Ich habe immer noch Untersuchungen laufen, die den Verbleib von Aidan klären sollen, Liebes. Es ist nicht sicher für dich, allein nach Amerika zu reisen“, versuchte ihr Vater ihr zu erklären.
„Aber wie lange denn noch, Papa?“, fragte sie und gab sich keine Mühe, ihre Frustration zu verbergen.
„Solange, bis du davon überzeugt bist, dass er nicht mehr lebt“, antwortete er stirnrunzelnd.
„Charles hat eingewilligt, mit mir zu gehen.“ Sie blieb stehen, während sie ihren Standpunkt verteidigte.
„Hat er?“, fragte ihr Vater mit leicht ärgerlichem Blick. „Ich frage mich, warum er das nicht zuerst mit mir besprochen hat.“
„Papa“, sagte sie leise, „sei nicht böse auf Charles. Ich bin nicht mutig genug, allein zu gehen, und ich habe ihn gefragt, ob er mitkommt, bevor ich zu euch gekommen bin. Ich muss es tun. Ich will es nicht unbedingt, aber ich muss.“
„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, warum wir uns jemals darauf eingelassen haben, was du und Aidan getan habt“, sagte ihre Mutter mit Bedauern.
„Maman, du liebst Aidan genauso sehr wie ich. Ich weiß, dass es nur eine kleine Chance gibt, ihn lebend zu finden, aber ich muss es zumindest versuchen. Ich kann mein Leben nicht weiterleben, wenn ich es nicht mit Sicherheit weiß.“
„Wo willst du denn dort bleiben? Wie willst du dorthin kommen? Bist du dir überhaupt darüber im Klaren, was es heißt, quer über den Ozean in ein anderes Land zu reisen?“, entgegnete ihr Vater ziemlich harsch.
„Charles hat einen Freund, der als Kapitän eines Schiffes regelmäßig hin und zurück fährt. Er wird uns nach Virginia auf die Easton Plantage bringen. Ich hatte gehofft, dass ich mit den Ermittlern in Verbindung treten könnte, um zu erfahren, was sie herausgefunden haben, und wo sie schon überall nach ihm gesucht haben.“ Sie trug ihr Anliegen weiter vor, und ihre Eltern hörten ihren gut überdachten Argumenten aufmerksam zu. „Ich denke, falls er jetzt anders aussieht oder irgendwie verletzt ist, kann ich ihn vermutlich eher erkennen als sie.“
„Du hast dir wirklich sehr viele Gedanken gemacht“, meinte ihr Vater.
„Ich habe an kaum etwas anderes gedacht während der letzten vier Jahre“, sagte sie leise. „Ich habe versucht, mir vorzustellen, dass er tot ist, und andere Anwärter zu berücksichtigen, aber ich kann es nicht.“
Ihre Mutter legte den Kopf in ihre Hände und schüttelte ihn hin und her. „Ich möchte nicht, dass du gehst. Kann Charles nicht allein gehen? Er war sein bester Freund - er könnte ihn doch bestimmt wiedererkennen.“
„Aber ich bin seine Ehefrau.“
„Niemand weiß das, Anjou“, protestierte ihre Mutter.
Ihr Vater seufzte laut. „Eine Fehlentscheidung, die ich immer noch bedaure. Du brauchst unsere Genehmigung nicht, um zu gehen.“
„Ich würde sie aber dennoch lieber haben.“
Ihr Vater schwieg einen Moment, und sie dachte schon, er würde sich weigern. Dann nickte er ihr, wenn auch widerstrebend, zu.


Anjou war angsterfüllt. Sie hatte noch niemals zuvor einen Ozean überquert. Sie war nicht so mutig wie ihre Schwestern, aber sie konnte ihr Leben nicht weiterleben, bis dass sie sich sicher war. Ihr Verstand sagte ihr, dass Aidan nach vier Jahren nicht mehr am Leben sein würde, aber ihr Herz sagte ihr, dass sie nach ihm suchen musste. Sie war noch nie weiter gesegelt als über den Kanal von Frankreich nach England, und sie wollte jetzt auch genauso wenig auf einem Schiff sein wie damals. Wenn ihr Bruder Charles nicht zugestimmt hätte sie zu begleiten, wäre sie jetzt schon wieder umgekehrt.
Sie stand am Pier und sah zu, wie die Ladung auf das Schiff gebracht wurde. Die Isle of Wight, die nur eine kurze Reise entfernt war, machte ihr die Entfernung, die sie plante zurückzulegen, erschreckend deutlich. Die Luft war stickig und heiß, und nur eine gelegentliche Brise verschaffte ihr etwas Erholung von dem Geruch des vergammelten Fisches und des Salzwassers. Sie betete, dass es nicht die ganze Zeit auf der Reise so stinken würde. Charles hatte ihr gesagt, dass keine anderen Frauen außer ihr und ihrer Zofe an Bord wären, daher rechnete sie diesbezüglich mit dem Schlimmsten.
„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“, fragte ein Mann mit der tiefen Stimme eines Gentlemans.
Anjou erschreckte sich, da sie in Gedanken versunken war.
„Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte Sie nicht erschrecken, aber eine Lady sollte nicht allein am Pier stehen.“
Sie sah hoch zu einem unangenehm großen Mann, der sich über sie beugte. Er war wettergegerbt und hatte einen Bart, der einige Tage alt war, aber sie konnte seine Augen nicht sehen, da ihr die Sonne ins Gesicht schien und sie außerdem vom Schatten seines Hutes verborgen waren.
„Ich bin nicht allein. Ich bin hier mit meinem Bruder und meiner Zofe. Er sucht nach jemandem, der unsere Truhen auflädt“, antwortete sie und fühlte sich sehr unwohl in der Gesellschaft dieses Fremden, dem sie nicht vorgestellt worden war.
„Auf die Wind?“, fragte er zweifelnd.
„Ist das der Name des Schiffes?“, fragte sie und aus irgendeinem Grund vergaß sie seine Frage und lächelte.
„Ihr voller Name ist „Mit dem Wind“, aber wir nennen sie einfach nur Wind.“ Seine Augen funkelten amüsiert.
„Dann muss es wohl so sein“, sagte sie, als sie das große, hölzerne Schiff mit all seinen Masten, Segel und Seilen sah, das sich irgendwie aufrecht auf dem Ozean halten sollte. Es machte ihr jetzt weniger Angst, da es ihre Bestimmung war.
„Was muss so sein?“, fragte er misstrauisch.
„Meine Reise nach Amerika.“ Sie betrachtete ihn genauer und fragte sich, was ihn das anginge. Seine Augen hatten eine merkwürdige Farbe, grau-grün, und sie waren sehr beunruhigend, als er sie damit von oben bis unten musterte.
„Darf ich vielleicht fragen, wer ihr Bruder ist?“
„Charles Winslow. Er ist ein Freund des Kapitäns.“
„Ach, ist er das?“
„Stellen Sie sich denn jetzt selbst auch vor?“, fragte sie und wurde bei all seinen Fragen langsam ungeduldig.
„Edward Harris, zu Ihren Diensten.“ Er zog seinen Hut und bot ihr eine vollendete Verbeugung. Er setzte den Hut wieder auf und fuhr fort: „Kapitän der Wind.“
„Ich bin ...“
Er unterbrach sie. „Ich weiß genau, wer Sie sind, mylady, und ich bin überhaupt nicht erfreut darüber.“


Charles kam zurück, nachdem er überwacht hatte, wie ihre Truhen an Bord des Schiffes gebracht wurden. Allerdings wurde er nicht so begrüßt, wie er es normalerweise von einem alten Freund erwartet hätte.
„Winslow. Mir nach, sofort.“ Edward drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon, ohne auf eine Antwort zu waren. Er ging auf das Schiff zu, außer Hörweite von Anjou.
„Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen“, murmelte Charles, als er ihm folgte.
„Was soll das? Du hattest deine Schwester mit keinem Wort erwähnt. Ich meine mich daran zu erinnern, dass du gesagt hattest, der Name des Passagiers sei Andrew. Ich hätte niemals zugestimmt, eine Lady an Bord zu haben“, sagte Captain Harris und hielt an, um sich umzudrehen und Charles anzuschauen.
„Nein. Ich sagte Anjou.“
„Anjou. Andrew“, Harris fluchte, als ihm die Ähnlichkeit bewusst wurde. „Wie auch immer, sie kann nicht mitkommen.“
„Du kannst sie nicht einfach ablehnen, nachdem sie endlich den Mut aufgebracht hat, diese Reise zu unternehmen!“
„Oh, und ob ich das kann. Und ich werde es tun.“ Er setzte sich in Bewegung, um in die Tat umzusetzen, was er gerade angekündigt hatte, aber Charles ergriff seinen Arm und hielt ihn zurück.
„Du verstehst das nicht“, sagte Charles leise.
„Ich verstehe das ganz hervorragend. Hast du eine Ahnung, wie unzüchtig Seemänner werden, wenn sie wochenlang ohne eine Frau sind? Sie an Bord zu haben ist genauso, als ob Satan einen Apfel vor Evas Augen baumeln ließe. Eine verbotene Frucht.“ Er hob seine Hand hoch, als ob er etwas Verführerisches vor Charles‘ Gesicht hielte. „Ich würde meine eigene Schwester dem nicht aussetzen. Von dem Aberglauben, eine Frau an Bord zu haben, einmal ganz zu schweigen. Es bringt Unglück.“
„Willst du damit sagen, dass du deine Männer nicht für sechs Wochen unter Kontrolle halten kannst?“
„Ich führe ein strenges Regiment, aber es ist kein einfaches Leben und dieses Schiff ist sehr klein, wenn du nirgendwo anders hingehen kannst. Die Besatzung ist es nicht gewohnt, Ladys an Bord zu haben, und ich bin mir ziemlich sicher, deine Schwester würde dem nur ungern ausgesetzt sein.“
„Ich werde für sie verantwortlich sein“, sagte Charles abwehrend, als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete.
„Verdammt Recht hast du, aber nur hier in England.“ Er begann sich zu entfernen.
„Aidan“, sagte Charles anstelle einer Erklärung, woraufhin Harris stehen blieb.
„Du meinst Gardiner?“
„Eben diesen. Er ist ihr Ehemann.“
Edward sah für einen Moment in die Ferne, während er diese Information zu verarbeiten schien. „Ein wirklich trauriges Ende für einen feinen Gentleman, aber was hat das mit deiner Schwester zu tun und damit, dass sie nach Amerika reisen will?“
„Er wurde nie gefunden. Sie ist der Meinung, dass sie ihn selbst finden muss, bevor sie ihr Leben weiterleben kann.“
„Hast du überhaupt eine Idee, wie riesig Amerika ist? Wie weitläufig dieser Krieg war? Es ist nicht vergleichbar mit Spanien oder Frankreich. Sie könnte ihn für den Rest ihres Lebens suchen und hätte noch nicht einmal die Hälfte des Gebietes durchsucht“, sagte Edward und schüttelte seinen Kopf.
„Ich weiß das und du weißt das auch, aber sie muss es selbst begreifen. Ich möchte nicht, dass sie alt wird und sich immer noch fragt, was passiert ist. Sie verdient eine Chance und ich werde dafür sorgen, dass sie sie bekommt.“
Edward schüttelte wieder den Kopf und verschränkte seine langen Arme vor der Brust. „Sie wird nach einem anderen Weg suchen müssen. Es ist eine sehr schlechte Idee.“
„Captain Harris?“ Anjous Stimme erklang hinter dem kräftigen Seemann, der aus offensichtlicher Frustration seine Augen schloss. Anjou würde es Edward nicht einfach machen.
Charles fragte sich, wie viel sie gehört hatte.
„Ja, mylady“, sagte Edward, als er sich umdrehte, um sie anzusehen. Selbst aus gut einem Meter Entfernung konnte Charles erkennen, dass ihre strahlend blauen Augen voll ungeweinter Tränen waren.
„Was kann ich sagen, damit Sie Ihre Meinung ändern?“, fragte sie leise.
„Lady Anjou, Sie verstehen nicht, wie das für Sie sein würde. Ein Handelsschiff ist nicht der richtige Ort für eine wohlerzogene Dame aus gutem Hause. Ihr Bruder sollte Ihnen eine Überfahrt auf einem Postschiff organisieren, das dafür ausgelegt ist, auch weibliche Passagiere zu transportieren“, sagte Edward mit überraschender Freundlichkeit, die im Gegensatz zu dem Spott stand, den Charles von ihm erwartet hatte.
„Ich verstehe das, und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen oder Ihren Männern nicht in den Weg kommen werde. Ihr Schiff ist schneller als die Passagierschiffe und ich will so schnell wie nur möglich reisen.“
„Und warum?“, fragte er. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Neugierde mit.
„Ich möchte nicht länger auf dem Schiff verbringen als unbedingt nötig. Bitte gestatten Sie mir die Überfahrt, Sir. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal den Mut aufbringen werde, wenn Sie Nein sagen.“
Edward sah auf das Meer und nahm einen langen, tiefen Atemzug. Er begann davonzugehen, dann blieb er stehen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
„Gehen Sie auf das Schiff, bevor ich meine Meinung ändere.“


Anjou spürte, wie ihr Bruder an ihrem Arm zupfte und sie zum Landungssteg führte. Das Schiff erschien ihr so klein, als sie die vielen derben Seeleute sah, die hin und her liefen. Keiner von ihnen sah so aus, als wisse er, was ein Bad oder ein Rasiermesser waren. Einige glotzten, andere spuckten aus, und wieder andere pfiffen - bis ein scharfes „Schluss jetzt!“ von ihrem Kapitän erklang.
Nach diesem Kommando wurde es still, also ging sie davon aus, dass es aus seinem Mund eine schlimme Drohung war. Sie sah nach oben zu den Unmengen an Seilen und Tauen und den hohen Masten, die hin und her zu schaukeln schienen. Wie sollte so etwas aufrecht im Wasser bleiben?
Sie hatte sich bereits damit abgefunden, dass sie zurückgelassen würde, und jetzt konnte sie nicht klar genug denken, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es war auch nicht besonders hilfreich, dass ihre Beine zitterten. Charles schien ihr Zögern zu verstehen und führte sie schnell zu einer winzigen Kabine mit holzgetäfelten Wänden und nur einer Laterne als Lichtquelle.
Sie konnte spüren, wie das Schiff unter ihren Füßen vibrierte und klammerte sich an den nächstbesten befestigten Pfosten, den sie greifen konnte. Sie schloss ihre Augen und wiederholte leise und immer wieder Aidan, Aidan, Aidan, um sich daran zu erinnern, warum sie diese Entscheidung getroffen hatte. Sie öffnete ihre Augen wieder und sah sich um. Der Raum war kleiner als irgendeiner der Räume der Bediensteten in den Häusern ihrer Eltern. Es gab eine kleine Koje, neben der ihre Truhe stand, und eine Hängematte baumelte an zwei Haken.
Ihr Bruder hielt immer noch ihren anderen Arm fest. „Bist du dir sicher, dass du das kannst? Wenn wir erst einmal die Segel gesetzt haben, gibt es kein Zurück mehr.“
Anjou sah zu ihrem Bruder auf, dessen schwarze Locken und blaue Augen den ihren so ähnlich waren, und der sie mit liebevoller Sorge betrachtete. Sie nickte, während sie ein Taschentuch aus ihrem Beutel zog und über ihre Nase hielt. Der Gestank in der Nähe des Piers war der von vergammeltem Fisch und schmutzigem Wasser. Es war so ähnlich wie in einem feuchten Keller und sie sah sich nach einer Möglichkeit um, etwas frische Luft in den Raum zu bringen.
„Wo ist das Fenster?“, fragte sie.
„Es gibt keine Fenster, außer im Quartier des Kapitäns, aber ihm gehört das Schiff. Du kannst mit Hannah oder mir nach draußen gehen, falls du frische Luft brauchst - aber niemals allein, hast du verstanden? Ich glaube, ich bin bei Edward in der Kabine untergebracht. Kann ich dich für eine Weile allein lassen? Ich muss sichergehen, dass auch meine eigene Truhe ankommt. Ich werde dir Hannah schicken.“
Sie nickte wieder und fiel weinend auf die Knie, sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
„Wie soll ich das nur schaffen? Aber wie könnte ich es nicht tun?“
Sie ergriff ihre Kette mit dem Medaillon, in dem sich ihr dünner Ehering befand und das einzige Bild, das sie von Aidan besaß. Die intensiven, schwarzen Augen in seinem jungen Gesicht sahen zu ihr auf, voller Unschuld und Lebenslust. Es war nun schon ein Jahr her, seit jemand ihn gesehen oder von ihm gehört hatte. Selbst das Kriegsministerium hatte ihn für verschollen erklärt.
Sie presste ihre Augen fest zusammen und versuchte, sich an seinen Duft zu erinnern, seine Berührung, aber sie schaffte es nicht, egal, wie sehr sie sich auch bemühte. In einem Anflug von Panik öffnete sie ihre Truhe und durchwühlte ihre Habseligkeiten nach einer Schachtel. Als sie sie fand, riss sie den Deckel ab und holte einen seiner geliebten Briefe heraus. Sie hob ihn an ihre Nase und versuchte, seinen Duft zu erfassen. Er war schwach, aber deutlich genug, um ihre Nerven zu beruhigen.
„Ja, das ist er“, flüsterte sie.
Sie setzte sich auf die kleine Koje, verbarg ihr Gesicht in den Händen und begann nervös zu lachen.
„Ich werde noch verrückt, bevor wir überhaupt abgelegt haben.“
Sie lag für ein paar Minuten ruhig da, lauschte dem Knarzen und Stöhnen der Wind. Es war lange genug, um sich wieder zu beruhigen, obwohl sie die Besatzung rufen und singen hörte, als sich das Boot zu bewegen begann. Sie hatte einen Tagtraum von dem ersten Mal, als sie Aidan begegnet war. Er war zusammen mit Charles für die Ferien aus der Schule gekommen und sie war, wie immer, Fremden aus dem Weg gegangen. Aber als die Tage vergingen, erwischte sie sich dabei, wie sie ihn neugierig hinter ihrer Bratsche oder einem Buch hervor beobachtete. Er war freundlich und ruhig, was gut zu Anjous scheuer Introvertiertheit passte. Er vermittelte Ruhe und Sicherheit, obwohl er gerade erst den Kinderschuhen entwachsen war, als er in den Krieg zog.
Sie erinnerte sich an das erste Mal, dass sie mit Aidan sprach, als sie am Fluss saß und in ein Buch vertieft war.
Sie blickte auf und sah ihn in seiner Kniehose stehen, strumpflos, und mit einer Forelle, die am Ende seiner Angelschnur baumelte.
Er war sanft, sogar beim Angeln; er zog den Fisch mit Leichtigkeit ans Ufer. Als er sich endlich umdrehte und sie sah, lächelte er freundlich. „Guten Tag, Lady Anjou. Mir war nicht aufgefallen, dass Sie dort lesen. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie gestört habe.“
„Woher wissen Sie, welche Schwester ich bin?“
Er überlegte für einen Moment. „Ich weiß es einfach. Sie sind anders als ihre Schwestern.“
„Das bin ich ...“ Sie ließ ein wenig den Kopf hängen, da sie es als Schwäche empfand.
Mit nur wenigen, ruhigen Schritten durch das Wasser kam er zu ihr. Er kniete sich hin und hob ihr Kinn an.
„Es war als Kompliment gemeint.“
„War es das?“, fragte sie zweifelnd. „Aber meine Schwestern sind wesentlich lebhafter und angenehmer.“
„Nicht für mich“, sagte er leise. „Jeder hat seine eigene Vorstellung von Schönheit.“
Sie errötete und wandte den Blick ab, als sie seinen Fisch bemerkte.
„Warum angeln Sie gerne?“ fragte sie, was sehr ungewöhnlich war, denn normalerweise hatte sie Angst vor Fremden - auch wenn er ein Freund von Charles war.
„Warum lesen Sie gerne?“, fragte er mit spitzbübischem Grinsen, wohl wissend, dass er gerade eine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet hatte.
Sie dachte einen Moment nach, bevor sie antwortete. „Ich möchte lieber entfliehen. Ich brauche nicht diese dauernden Aktivitäten wie meine Schwestern sie anscheinend benötigen. Ich bin gern allein und habe meine Ruhe.“
„Das geht mir beim Angeln genauso.“
„Es erscheint mir sehr langweilig zu sein. Und sind Fische nicht schleimig?“
„Möchten Sie es versuchen?“
Sie konnte ihre Antwort selbst kaum glauben. „Ich ... ich denke schon.“
Er stand auf und hielt ihr die Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
„Sie sollten besser Ihre Röcke hochbinden, es sei denn, dass Sie sie unbedingt nass haben möchten.“
„Oh, das darf nicht passieren! Dann würde meine Mutter wissen, dass ich meinen Unterricht geschwänzt habe!“
„Ich werde auch nicht hinsehen. Versprochen.“
Er drehte ihr den Rücken zu, während sie ihre Röcke in Kniehöhe zusammenband und in das flache Wasser stieg. Er gab ihr eine Rute und der Haken baumelte von einem Stück Schnur.
„Halten Sie das für einen Moment, während ich den Köder hole.“
Als er sich neben sie ins Wasser stellte, hielt er einen Wurm zwischen den Fingern.
Sie starrte nur auf den Wurm.
„Nur zu, nehmen Sie ihn“, sagte er, als er ihn ihr näher hinhielt. Sie schluckte ängstlich, aber wollte ihm nicht zeigen, wie sehr sie sich fürchtete.
Sie nahm den Wurm und versuchte nicht daran zu denken, was sie in ihrer Hand hielt, als dieser sich drehte und wendete.
„Jetzt müssen Sie ihn am Haken festmachen.“
Als er hochblickte und ihr Gesicht sah, verschonte er sie und zeigte ihr, wie es geht.
„Als Nächstes hängen Sie ihn ins Wasser und warten darauf, dass etwas anbeißt.“
Sie gehorchte und sah zu, wie er seinen Köder befestigte und ihn ein gutes Stück von ihr entfernt ins Wasser hing.
Sie standen für eine Weile in Ruhe und Frieden, hörten und spürten, wie das Wasser sanft vorbeifloss.
Nach einigen Minuten, oder vielleicht sogar einer Stunde, spürte sie ein Ziehen an ihrer Schnur.
„Ich glaube, ich habe etwas“, rief sie aus.
„Holen Sie die Leine ein“, wies er sie an.
Als sie zog und das Objekt näherkam, verspürte sie Freude und hatte gleichzeitig das Gefühl, etwas geschafft zu haben.
Unglücklicherweise war der Fisch zu klein, um ihn zu behalten.
Aidan zeigte ihr geduldig, wie sie den Fisch vom Haken nehmen konnte, ohne sich selbst zu verletzen. Sie war zu aufgeregt, um zu bemerken, dass er direkt hinter ihr stand und seine Hände auf ihren lagen.
„Er ist ganz sicher schleimig“, sagte sie, obwohl sie es schaffte.
Er lachte und wurde dann still, als er sie mit einem Blick bedachte, der ihr bewusst machte, dass sie in seinen Augen kein Kind mehr war. Vielleicht sah er in ihr eher eine nervige, jüngere Schwester seines Freundes. Ihr Herz schlug schneller und sie atmete anders. Plötzlich fiel ihr auf, wie verletzlich sie gegenüber diesem Mann war, aber sie hatte keine Angst vor ihm. Sie blickte ihm direkt in die dunklen Augen, als er seine Hand hob, um ihr ein widerspenstiges Haar von der Wange zu wischen.
„Sie sollten besser wieder zum Unterricht gehen“, flüsterte er atemlos.
„Ja, das sollte ich wohl“, sagte sie, als seine Worte sie aus ihrem Traum weckten. „Danke, dass Sie mir gezeigt haben, wie man angelt.“
„Es war mir ein Vergnügen, mylady.“ Er sah sie an und sein Glück verwandelte sich in Traurigkeit.
„Vielleicht können wir noch einmal angeln, bevor Sie wieder nach Oxford gehen?“
„Ich kann morgen wieder mit Ihnen angeln, falls Sie mich hier treffen können.“
Sie nickte voller nervöser Vorfreude, nachdem sie den schönsten Nachmittag verbracht hatte, an den sie sich erinnern konnte, obwohl sie wusste, dass ihre Eltern das nicht gutheißen würden. „Ich werde hier sein.“
Er bückte sich, um ihr Buch und ihre Decke aufzuheben, während sie versuchte, ihre Röcke zu ordnen, dann gab er ihr beides. Ihre Hände berührten sich und sie spürte ein merkwürdiges Gefühl der Freude, das sie noch nie zuvor erlebt hatte. Sie lächelte und ging davon, während sie sich fragte, was das alles bedeutete.
Sie hörte ein Klopfen an der Tür. Bevor sie antwortete, wischte sie sich eine Träne fort, die über ihre Wange geperlt war.
Hannah trat ein und ihre braunen Augen wurden riesig, als sie die Unordnung sah, die Anjou mit der Truhe veranstaltet hatte und als sie die räumliche Enge in Augenschein nahm.
„Gibt es etwas, was Sie benötigen, mylady? Wohin soll ich die Sachen aus Ihrer Truhe packen? Hier kann man sich kaum umdrehen!“
„Ich habe gefunden, was ich wollte. So wie es aussieht, kann man nichts auspacken. Es gibt nur dich, unsere Truhen und mich.“
„Sehr wohl. Ich werde versuchen, zumindest eine Schüssel oder ein wenig Wasser für Sie zum Waschen zu bekommen“, antwortete Hannah, die einen missbilligenden Ausdruck in ihrer sonst sanften Miene zeigte.
Anjou nickte und Charles kam herein, als die Zofe ging.

Kapitel Zwei
„Wie geht es dir bisher?“, fragte Charles.
Anjou seufzte höhnisch. „Es waren erst zwei Stunden, Charles!“
„Ich wollte lediglich ein wenig Konversation machen.“ Er lachte leise. „Willst du während der ganzen Reise in dieser winzigen Kabine bleiben?“
„Ich glaube, das werde ich. Der Kapitän schätzt meine Anwesenheit offensichtlich nicht an Bord“, sagte sie mit für sie ungewöhnlicher Gereiztheit.
„Mach dir keine Gedanken wegen Edward. Er hatte seit Jahren keinerlei Kontakt zu wirklichen Damen.“
„Das ist vermutlich auch das Beste“, murmelte sie.
„Wie auch immer, du kannst nicht wochenlang in dieser Kabine bleiben.“
„Du solltest von allen Leuten am besten wissen, dass ich kein Problem damit habe, allein zu sein.“
„Stimmt, aber es gibt schon einen Grund dafür, dass es den Begriff „Lagerkoller“ gibt. Du kannst nicht für über einem Monat in einem kleinen, dunklen Zimmer ohne Fenster bleiben.“
Sie verzog ihren Mund. „Vielleicht gehe ich mit dir umher, wenn der Kapitän schläft.“
„Das könnte schwierig werden. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so wenig schläft wie Edward Harris. Wie auch immer, ich werde versuchen, es dir angenehm zu machen. Ich kann nicht behaupten, dass ich dem mit Freuden entgegensehe, nach allem, was er am Ufer gesagt hat, aber er ist im Grunde ein guter Mensch - ich kenne ihn seit der Schule. Er hatte es nicht leicht, daher ist seine schroffe Art schon verständlich.“
„Was meinst du damit?“, fragte Anjou mit unglaublicher Neugierde, was den gutaussehenden Kapitän anging, auch wenn es sie geärgert hatte, wie er sie behandelte. Sie beobachtete Menschen genau, was sie auf ihre schüchterne Art zurückführte. Er war definitiv ein Gentleman, auch wenn er es gut verbarg. Warum hatte sie sich anfangs in seiner Gegenwart wohl gefühlt?
„Ich meine, er kommt aus einer erstklassigen Familie, aber sein nutzloser Vater hat das ganze Vermögen der Familie durchgebracht. Er ging von zuhause fort, um seine Geschwister finanziell zu versorgen, und hat ein beachtliches Vermögen erwirtschaftet. Die meisten Leute meiden ihn deshalb.“
„Die Engländer vielleicht. Die Franzosen würden ihm Beifall klatschen.“
„Falls sie sich die Mühe machten, ihn zu fragen, bevor sie ihm den Kopf abschlagen. Egal, ich werde zurückkommen, sobald Edward ein wenig schläft.“ Charles drehte sich zum Gehen um, aber hielt inne. „Falls du zufälligerweise auf ihn triffst, denk daran, was ich dir gerade gesagt habe.“
„Natürlich. Ich werde mich vermutlich eher ducken und den Mund halten. “
Er lächelte und klopfte zweimal auf die Kabinentür, bevor er sie hinter sich schloss.
Anjou dachte an ihre Unterhaltung mit Lady Easton vor einiger Zeit, als sie zuerst mit der Idee gespielt hatte, sich selbst auf die Suche nach Aidan zu machen.
„Ich muss gestehen, die Reise ist sehr lang“, hatte Lady Easton gesagt. „Wir waren auf einem sehr großen Schiff, dass nicht schnell fuhr. Es gab Tage, an denen wir uns überhaupt nicht bewegten, wie es schien! Ich habe gehört, dass es einige neu entwickelten Schiffe gibt, die die Reise in unter einem Monat schaffen! Ich glaube, sie sind kleiner, aber es wäre eine Überlegung wert. Wir hatten eine kleine Kabine mit einem Wohnzimmer, das der Kapitän normalerweise für seine Familie benutzt, obwohl sie während des Krieges nicht reisten. Ich weiß nicht, wie es auf anderen Schiffen aussieht.“
„Ich kann mir einen ganzen Monat auf einem Schiff nicht vorstellen“, hatte Anjou mit Grauen gesagt. „Ich kann kaum die kurze Fahrt über den Kanal aushalten.“
„Ich finde die Fahrt über den Kanal auch sehr oft unangenehm“, gestand Lady Easton mitleidig. „Es scheint immer raue See zu herrschen. Zum Glück werde ich nicht seekrank. Mein Bruder und meine Schwester hingegen schon, und meine Zofe!“ Sie lachte, als sie sich daran erinnerte. „Armes Ding - sie war fast die ganze Reise über in ihrer Koje.“
„Ich habe mehr Angst als alles andere, glaube ich.“
„Die meisten Menschen finden, dass sie sich daran gewöhnen und es nach einem Tag oder zweien besser geht.“
„Womit kann man sich die Zeit vertreiben?“
„Ich habe den größten Teil der Reise damit verbracht, Lord Eastons Kriegswunden zu versorgen. Ich würde das keinem empfehlen“, scherzte Lady Easton. „Ich würde allerdings Medizin mitnehmen, wenn ich noch einmal ginge, und ich würde meine alte Heimat gerne bald wieder besuchen. Ich würde einige Dinge einpacken, sechs Bücher bestimmt, und jedes mehrere Male lesen. Viele Frauen nähen, spielen Karten, führen Tagebuch oder spielen ein Instrument.“
„Ich lese sehr gerne und ich kann nähen. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, meine Bratsche mitzunehmen.“
„Der Kapitän auf unserem Schiff hatte eine Vorliebe für kulinarische Köstlichkeiten und wir waren gut mit Lebensmitteln ausgestattet. Du musst deine Erwartungen herabschrauben, aber das gleiche Mahl alle drei Tage war schon ermüdend.“
„Ich habe mir über das Essen gar keine Gedanken gemacht. Auf dem Land nimmt man es als gegeben hin.“
„Ja, in der Tat! Ich glaube, frisches Wasser war der größte Luxus, das fehlte mir am meisten. Wohin nach Amerika möchtest du denn gehen?“
Anjou hatte niemandem außer ihren Eltern von ihrer Ehe erzählt, darauf hatten sie bestanden. Sie begründeten es damit, dass Aidan zuerst lebend zurückkehren sollte. Es machte für sie keinerlei Sinn.
„Ich glaube, ich würde gerne nach Washington gehen“, antwortete sie vage.
„In die Hauptstadt? Das ist in der Nähe meiner Heimat, gegenüber dem Fluss in Virginia.“
„Ja, ich habe davon gehört.“
Lady Easton sah nachdenklich aus. „Darf ich fragen, warum du gehen willst, wenn du Angst vor der Überfahrt hast? Du musst mir nicht antworten, wenn ich zu aufdringlich bin.“
Anjou zögerte und hatte Schwierigkeiten, die Fassung zu bewahren.
„Ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich niemandem etwas sage.“
„Dann brauchst du das auch nicht. Wie auch immer, ich bestehe darauf, dass du in meinem Haus bleibst, während du dort bist. Ich werde meiner alten Zofe Josie schreiben, die jetzt dort die Haushälterin ist. Ihr Ehemann, Buffy, war Eastons Offiziersbursche in der Armee. Er ist unser Diener. Sie werden dir gerne mit allem helfen, was du brauchst.“
„Mit allem?“, fragte sie überrascht.
Lady Easton nickte. „Natürlich.“
„Darf ich noch erst mit meinen Eltern reden, bevor Sie einen Brief senden? Ich muss sie davon überzeugen, dass sie mich gehen lassen.“
„Du beabsichtigst aber nicht allein zu gehen, oder?“, fragte Lady Easton mit warnender Stimme.
„Ich hatte vorgehabt, meine Zofe mitzunehmen.“
Lady Easton schüttelte den Kopf. „Kommt nicht in Frage. Du darfst nicht allein gehen. Ich bin nur mit meiner Zofe hergekommen, weil es nicht anders ging. Wir versuchten, einem Krieg zu entkommen, und obwohl ich meine Familie hatte, die mich in England erwartete, waren wir dennoch mit Konsequenzen der Gesellschaft konfrontiert. Ich weiß nicht, warum du gehen möchtest, aber ich nehme an, du hast deine Gründe dafür. Die Amerikaner sind wunderbare Menschen, aber einer Engländerin gegenüber könnten sie misstrauisch sein, speziell einer, die unverheiratet ist und allein reist. Du hast niemanden dort, der dich in Empfang nimmt, und du kannst dich nicht allein in gesellschaftlichen Kreisen bewegen.“
„Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht“, gab Anjou zu.
„Ich war jung, als wir von dort weggingen, und ich bin seitdem nur einmal wieder zurückgekehrt, aber ich gehe davon aus, dass sich diesbezüglich nicht viel verändert hat. Ich war ein ziemlicher Wildfang in jungen Jahren, und wenn mich mein Vater nicht beschützt hätte, hätte ich sehr gelitten. Ich würde vorschlagen, dass du deinen Vater mitnimmst, wenn er sich darauf einlässt.“
„Ich glaube kaum“, flüsterte Anjou niedergeschlagen.
„Vielleicht deinen Bruder?“, schlug Lady Easton vor.
„Vielleicht.“ Bei diesem Vorschlag flackerte ein wenig Hoffnung in ihr auf.
„Darf ich dir etwas im Vertrauen sagen?“, fragte sie.
Anjou nickte.
„Meine Schwester Sarah lebt dort allein. Sie wollte England für eine Zeitlang verlassen.“
„Wird ihr die Störung viel ausmachen?“
„Nein. Es waren schon andere Besucher dort. Das Haus ist groß genug, so dass sie sich zurückziehen kann, wenn sie will.“
„Ich verstehe. Ich selbst bevorzuge es meist allein zu sein.“
Lady Easton nickte. „Das dachte ich mir. Sarah erholt sich von dem gewaltsamen Tod ihres Ehemanns. Es geschah kurz vor Weihnachten.“
„Lady Abernathy?“, fragte Anjou erstaunt, während sie versuchte, sich an die Gerüchte zu erinnern, die sie gehört hatte. Sie war sich der Verbindung nicht bewusst gewesen, obwohl es gut möglich war, dass ihre Mutter es erwähnt hatte.
„Eben diese. Die Einzelheiten des Duells und der schmutzigen Affären sind unglücklicherweise nur zu bekannt.“
„Das tut mir leid zu hören. Ich werde sie nicht belästigen.“
„Ich sage dir das auch nur, damit du ihr keine unnötigen Fragen stellst. Sie würde auch keine passende Anstandsdame sein, da sie sich nicht in der Gesellschaft bewegt.“
„Nein, natürlich nicht“, stimmte Anjou zu.
„Lass es mich wissen, wenn du dich entschieden hast. Es wird einige Zeit dauern, bis ein Brief bei ihnen ankommt.“
„Ich muss meinen Bruder davon überzeugen, mich zu begleiten, und natürlich meine Eltern. Ich fürchte, dass diese Hindernisse einfacher zu überwinden sind als meine eigenen Ängste.“
„Nur Mut, meine Liebe. Du musst darüber nachdenken, was passieren kann, wenn du gehst, und natürlich auch, wenn du nicht gehst.“
„Ja, das werde ich tun. Vielen Dank, Lady Easton.“
„Gern geschehen. Und bitte, nenn mich Elly.“
Elly hatte ihr mehr geholfen, als Anjou sich hätte vorstellen können. Abgesehen von den Worten, die sie letztlich anstachelten, eine Entscheidung zu treffen, hatte sie ihr alle nur denkbaren medizinischen Dinge geliehen, Kleidung, Stiefel, Ingwerkekse und Bücher, die ihr bei der Reise helfen sollten. Anjou hatte auch einige Näharbeiten mitgenommen und ihre Bratsche, um sich die Zeit zu vertreiben. Wenn sie sich einmal an die Bewegungen des Schiffes gewöhnt hatte, war sie sicher dankbar für die ganzen Ratschläge.


„So kann man es fast aushalten“, meinte Charles, als er sich bewundernd in der Kapitänskajüte umsah und seine Hand über die Mahagoniverkleidung gleiten ließ, mit der die drei Fensterscheiben eingefasst waren, die nach Achtern hinausgingen. Es fühlte sich schon fast wie zuhause an. „Danke, dass du mich aufgenommen hast.“
„Es ist die meiste Zeit mein Zuhause. Es ist klein, aber ich komme zurecht. Danke, dass du bei der Takelage mitgeholfen hast“, erwiderte Edward, der sah, wie Charles seine wunden Hände rieb.
„Ich sollte keine Gewohnheit daraus machen. Sonst sehe ich hernach noch aus wie du“, scherzte Letzterer.
„Segeln ist nichts für Gentlemen, das steht fest. Du kannst hier schlafen“, sagte Edward und zeigte auf eines von zwei Betten, die an der Wand der Kabine standen. Ein schmaler Schreibtisch und ihre Truhen vervollständigten die Ausstattung. Der angrenzende Raum war ein kleiner Salon, wo der Kapitän und seine Maaten ihre Mahlzeiten einnahmen. Auf der anderen Seite des Schotts lagen zwei kleine Kabinen. In einer waren die Maaten untergebracht und in der anderen Anjou und Hannah. Sie waren noch kleiner als die Hälfte dieser Kajüte, die nicht größer als drei mal drei Meter war, inklusive der Kojen. Die Ladung nahm bei einem Handelsschiff den meisten Platz ein, obwohl einige Schiffe auch luxuriöse Unterkünfte für gut zahlende Passagiere hatten. Unter der Besatzung gab es sogar eine Rotation, da beim Wachwechsel die Hängematten geteilt wurden. Segeln war ein Unternehmen, das vierundzwanzig Stunden dauerte, etwas, was Charles nie so bewusst war, bis er es aus nächster Nähe erlebte. Seit er auf dem Schlachtfeld gewesen war, hatte er sich nicht mehr so verausgabt.
„Ich bin neugierig“, begann Edward, als er es sich bequem gemacht hatte. „Deine Schwester erwähnte, dass sie dieses Schiff ausgesucht hat.“
Charles nickte. „Sie hat sich oft mit Lady Easton über ihre Reise unterhalten. Sie war der Meinung, dass sie es nicht sechs oder mehr Wochen auf See aushalten könnte, daher ging sie die Zeitungen durch und fand dabei dein Schiff.“
„Obwohl es schmeichelhaft ist, kann ich nicht garantieren, dass es eine schnelle Reise wird. Es kommt immer auf das Wetter an, und wenn du meine Männer jetzt fragtest, würden sie dir bestimmt sagen, dass ihre Anwesenheit unsere Reise verflucht.“
„Eine Reise auf dem Postschiff hätte sicherlich länger gedauert und sie hat Angst, auf einem Schiff zu sein.“
„Eine wunderbare Kombination“, sagte Edward bissig. „Ich habe meine Männer gewarnt, damit sie sie in Ruhe lassen.“
„Ich glaube nicht, dass das ein Problem sein wird“, sagte Charles, der sich unsicher war, ob er ihm sagen sollte, dass sie beabsichtigte, ihre Kabine nicht zu verlassen.
„Ich hatte damit gerechnet, dass sie ihre Kabine sieht und mich dann aus meiner wirft, wie es die meisten Damen getan hätten“, spottete er.
„Meine Schwestern sind härter im Nehmen, als es den Anschein hat. Anjou hält sich meist von Fremden fern und wird es jetzt erst recht tun, da sie weiß, dass du mit ihrer Anwesenheit nicht einverstanden bist. Sie wird sich verstecken.“
„Willst du damit sagen, dass sie mich während der ganzen Überfahrt meiden will?“ Edward brach in ein röhrendes Gelächter aus.
„Sie mag schüchtern sein, aber sie ist auch sehr dickköpfig“, erklärte Charles.
„Das könnte unterhaltsamer sein als alles andere der vergangenen Jahre“, sagte Edward und klopfte mit seinem Glas auf die Karte, die auf seinem Schreibtisch lag.
„Nur die Ruhe, Kapitän“, sagte Charles ein wenig verteidigend, als er sich fragte, was sein Freund im Hinblick auf seine Schwester plante.
„Keine Sorge, mein Freund. Ich werde ihr nichts tun. Sie könnte sich verletzen ...“
„Da bin ich aber beruhigt“, sagte Charles mit einem Seitenblick auf seinen Freund.
„Mein Koch konnte auf diese Reise nicht mitkommen, da er sich um einen erkrankten Verwandten kümmern muss. Ich hatte überlegt, ob sie sich vielleicht in der Kombüse nützlich machen könnte. Außer, dir schmeckt, was der Stewart zusammen rührt.“
Charles verzog angewidert das Gesicht. „Ich kann mir vorstellen, dir schmeckt es noch weniger als mir, wenn ich mich an deinen Geschmack richtig erinnere.“
„Mach dir um die Versorgung mit Getränken keine Sorgen - es ist lediglich das Essen, das in genießbare Form gebracht werden sollte.“ Edward nahm eine Flasche Rum aus seinem Schrank und goss etwas davon in zwei Gläser.
„Es beunruhigt mich eher zu wissen, dass der Kapitän des Schiffs sich während der gesamten Reise betrinkt.“
„So schlimm ist es nicht, aber noch bevor die Woche zu Ende ist, wirst du mich um einen Drink bitten“, versicherte ihm Edward und gab ihm sein Glas. „Ich besteche die Mannschaft mit ihren täglichen Rationen. Ich wette, dass auch du darum betteln wirst.
Charles streckte ihm die Hand entgegen, um die Wette anzunehmen.
„Ich würde auch darum wetten, dass ich es schaffe, deine Schwester aus ihrer höllischen Kiste heraus und aufs Wasser zu locken.“
„Abgemacht. Aber bei der Unternehmung werde ich dir nicht helfen.“
„Ich wäre auch sehr enttäuscht, wenn du es tätest“, bemerkte er mit hinterhältigem Grinsen. „Wenn deine Schwester so schüchtern ist, wie in aller Welt hat sie Gardiner dazu gebracht, sie zu heiraten? Im ersten Jahr in Eton hat er doch kaum zehn Worte hervorgebracht.“
„Erstklassig beobachtet“, sagte Charles. „Ich habe mich das auch schon mehrfach gefragt. Allerdings war er oft bei mir in den Ferien.“
„Dieser schlaue Fuchs“, sagte Edward anerkennend, als er an seinem Glas nippte. Er lehnte sich gegen die Wand und stellte sein Bein auf eine der Truhen.
„Vielleicht kannst du diese Information ja selbst aus Anjou herausbekommen, da du dich ja für clever genug hältst, sie herauszulocken“, schlug Charles vor.
„Ich kann von Glück reden, wenn sie mich nicht in kleine Stücke hackt, bevor die Reise vorbei ist.“
„Nicht nur dich allein!“
„Sind deine anderen Schwestern auch so schön?“
„Aye. Sie sind eineiig, das ist wirklich ein Fluch! Wie auch immer, um die beiden lebhafteren können sich meine Eltern kümmern.“
„Wie wirst du mit der verfahren, die du hast?“
„Ich werde mein Bestes geben, damit sie Gardiner findet. Nachdem er vom Kriegsministerium für tot erklärt wurde, sendete mein Vater Privatdetektive aus, die nach ihm suchen sollten. Aber sie kamen mit leeren Händen zurück.“
„Und deine Schwester glaubt, dass sie mehr Erfolg haben wird als sie?“, entgegnete Harris und hob dabei zweifelnd eine Augenbraue.
„Sie glaubt, dass es möglich ist, dass er verletzt wurde und nicht wiederzuerkennen ist.“
„Ich nehme an, das ist im Bereich des Möglichen, wenn auch nur entfernt“, gestand Harris, während er den Alkohol in seinem Glas schwenkte.
„Wir wissen, dass er mit dem gleichen Schiff übersetzte wie Easton.“
„Zu dem Zeitpunkt war der Krieg schon fast beendet“, merkte Edward an.
„Ja, Easton ist während des großen Feuers in Washington City verletzt worden und weiß nicht, was mit Gardiner danach passierte.“
„Also werdet ihr die Suche auf die Region zwischen Baltimore und Alexandria beschränken? Gegen Ende gab es nur wenige Tote an der Ostküste. Weiß man, seit wann er als vermisst gilt?“
„Nur, dass es nach Washington passiert sein musste. Deshalb werden wir auch in River‘s Bend bleiben.“
„River‘s Bend ist schön, besonders jetzt, da es wieder aufgebaut wurde. Vielleicht, eines Tages ...“
„Denkst du darüber nach, die Seefahrt aufzugeben?“, wollte Charles wissen.
„Ursprünglich war sie nur Mittel zum Zweck. Ich habe einige sehr fähige Maaten, denen ich die täglichen Aufgaben überlassen kann. In ihren Briefen fleht mich meine Mutter ständig an, endlich sesshaft zu werden.“
Charles stöhnte mitfühlend. „Wie meine auch. Wir sind doch gerade erst einmal dreißig!“
„Ich kann mir nicht vorstellen, auf Dauer vor Anker zu gehen. Mir graust es vor der Langeweile des Alltags.“
„Ich habe es bislang auch noch nicht geschafft. Ich nehme an, wenn diese Angelegenheit hier erledigt ist, werde ich wohl nach einer sinnvollen Ablenkung suchen müssen.“
„Momentan hast du definitiv eine“, bemerkte Edward.
„Allerdings. Hoffentlich wird es mehr als nur ein schöner Urlaub. Ich fürchte, dass sie irgendwie enttäuscht sein wird.“
„Es gibt nur wenig Hoffnung für ein gutes Ende, Charles. Wenn Aidan noch er selbst wäre, würde er schon vor langer Zeit wieder nach Hause gekommen sein.“
„Ja“, antwortete Charles mit langem Gesicht. „Ich weiß, dass er entweder nicht gefunden werden will, oder aber sich sehr verändert hat. Der Aidan, den wir kannten, hätte Anjou niemals freiwillig im Stich gelassen.“
„Wer würde das schon?“, sagte Edward leise, während er aus dem schmalen Fenster der Kabine sah.

Kapitel Drei
Anjou fühlte sich an diesem Morgen nicht besonders gut. Während der ersten Tage hatte sie tatsächlich unter Seekrankheit gelitten, obwohl es besser geworden war, wie Elly ihr gesagt hatte. Aber die vorherige Nacht war rau gewesen; sie konnte kaum einschlafen, da ihr Körper immer gegen die Wand der Kabine geworfen wurde. Hannah schwang auch in ihrer Hängematte hin und her, und es gab auch diese dauernden Geräusche - es schien, als würde die Arbeit der Seeleute nie enden. Ständig wurden Befehle gebrüllt, die von der Mannschaft wiederholt wurden, gefolgt von einem immerwährenden Singsang, der hin und her ging. Sie hatte schnell gelernt, dass „Hauptsegel einholen“ bedeutete, dass das Schiff bald wenden würde, und sie richtete sich darauf ein, damit sie nicht umhertaumelte, sondern sich festhielt.
Anjou wünschte sich nichts sehnsüchtiger, als aus der Kabine zu laufen und zu sehen, warum sie hin und hergeworfen wurden. Aber ihre Angst würde dadurch nicht geringer werden und sie hätte vermutlich ihrer größten Angst gegenübergestanden, nämlich als Futter für die Monster aus der Tiefe zu enden. Sie hatte von Hannah erfahren, dass ihre Kabine direkt neben der des Kapitäns lag - wo auch ihr Bruder war - und sie zog sich die Decke über den Kopf, anstatt nachzusehen, was passierte.
Nachdem der Sturm vorüber war, fiel sie in einen unbeständigen Schlaf, in dem sie von Aidan träumte. Er war von Gebäuden und Soldaten umgeben, es gab Geschrei und Rauch. Sie konnte sehen, wie jemand ein Gewehr über seinen Kopf hielt ... und in diesem Moment wachte sie auf.
Die vier Tage, in denen sie in der Kabine blieb und nichts außer Haferschleim aß, begannen an ihr zu zehren. Sie betete, dass ihnen der Wind gewogen war und die Reise so schnell wie möglich endete! Sie hatte jedes Schiff, mit dem sie reisen konnte, genauestens studiert und hatte diesen Schoner aufgrund seines Rufes gewählt, einer der schnellsten und windschnittigsten zu sein. Allerdings waren sie immer noch den Gnaden des Wetters ausgesetzt. Sie war entschlossen, sich unter Kontrolle zu halten, aber sie musste bald den Himmel sehen und frische Luft atmen. Wollte dieser nervtötende Kapitän eigentlich nie schlafen? In ihren Gedanken wurde er immer mehr zu einem Unhold, je mehr Zeit verging.
Charles besuchte sie mehrmals am Tag, um mit ihr Karten zu spielen, was die Langeweile ein wenig zerstreute. Aber er hatte noch keine Gelegenheit gefunden, zu der Kapitän Harris schlief und sie wach war. Es kam ihr fast vor, als würde der Kapitän von ihrem Vorhaben wissen und mit Absicht wach bleiben. Sie wusste, dass es albern war, so etwas überhaupt zu denken, aber vielleicht hinterließ diese hölzerne Kiste ohne frische Luft und Tageslicht doch langsam ihre Spuren bei ihr.
Sie ließ den Haferschleim von ihrem Löffel fallen und dachte, sogar ich könnte etwas Besseres kochen. Dennoch, obwohl sie noch nie eine Reise gemacht hatte, bei dem sie einen Ozean überquerte, wurde ihr bewusst, dass es vielleicht nichts anderes gab, was man kochen konnte.
Ihr gelüstete nach einem weichgekochten Ei, knusprigem Speck und frischen, warmen Scones, direkt aus dem Ofen. Sie warf den Löffel in die Schüssel - sie musste aufhören, sich selbst zu quälen. Eine weitere Erinnerung an Aidan stieg in ihr auf - sie hatte ihn an jenem Morgen vor langer Zeit heimlich getroffen, und er hatte ihr nicht nur gezeigt, wie man angelt, sondern auch, wie man den Fisch zubereitet.
„Jetzt nehmen Sie den Fisch bei den Kiemen, damit er sich nicht mehr bewegt, und entfernen vorsichtig den Haken.“
Sie starrte ihn ausdruckslos an.
„Nur zu“, ermutigte er sie.
Sie berührte mit einem zitternden Finger den Fisch, der daraufhin in alle Richtungen zuckte und zappelte, worauf hin sie erschrak.
Aidan lachte leise. „Ich werde es diesmal nicht für Sie tun.“
Anjou verzog frustriert ihr Gesicht, ergriff den Fisch und nahm ihn vom Haken, wie Aidan es ihr gezeigt hatte. Allerdings warf sie ihn danach so schnell wie sie nur konnte angeekelt auf den Boden.
„Immerhin ein Anfang“, sagte er amüsiert. „Jetzt müssen Sie ihn kochen.“
Er nahm einen der Fische, den er gefangen hatte, und zeigte ihr, wie sie ihn vorbereiten musste. Er gab ihr ein Messer und sie folgte seinem Beispiel, obwohl sich ihr Magen regelrecht umdrehte. Sie war entschlossen ihm zu zeigen, dass sie es konnte. Sie wollte nicht, dass er glaubte, sie sei ein Feigling.
Er legte den vorbereiteten Fisch in eine Pfanne und stapelte einige Äste, die er für ein Feuer gesammelt hatte. Er zog Schlagstahl und Zunder aus einem kleinen Beutel und zündete das Holz an. Es gab eine kleine blaue Rauchwolke, gefolgt von winzigen orangefarbenen Flammen, die am Zunder leckten.
„Wo haben Sie das alles gelernt?“, fragte sie.
„Von meinem Großvater. Er war Soldat und davon überzeugt, dass alle Männer wissen sollten, wie man allein zurechtkommt.“
„Ich nehme an, dass das für einen Soldaten wichtig zu wissen ist.“
„Vielleicht auch für die Frau eines Soldaten“, sagte er mit scheuem Lächeln.
Wie sanft und freundlich Aidan doch war. Nicht so ein brutaler Mann wie dieser Kapitän Harris! Wenn man es zusammenzählte, hatte sie weniger als zwei Wochen mit Aidan verbracht. Wie gut hatte sie den Mann, den sie geheiratet hatte, wirklich gekannt? Wie viele ihrer Gefühle waren ein Produkt ihrer eigenen Wünsche und Träume?
Mit ihrem jungen Herzen hatte sie sich nach ihm gesehnt, sie hatte Angst um ihn gehabt, ihn betrauert und beklagt, aber dennoch kannte sie ihn kaum. Würde sie ihn heutzutage überhaupt wiedererkennen?
Sie klammerte sich verzweifelt an die Erinnerungen, in denen sie beide noch Kinder waren - obwohl das auch nur wenige waren. Sie konnte sich nicht länger an sein Gesicht oder seinen Geruch erinnern, ohne dass sie ein Bild von ihm sah, oder seine vier Briefe.
Wie naiv sie doch gewesen war! In den vergangenen vier Jahren hatte sie die gehobene Gesellschaft mit Abstand betrachtet und ihr wurde bewusst, dass sie vollkommen ahnungslos war, als sie geheiratet hatten. Wie auch immer, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätten, sich täglich zu sehen und kennenzulernen, hätten sie es zweifelsohne durchgestanden.
Aber wie würde es sein, wenn sie ihn fände? Hatte er sich bewusst dagegen entschieden, zu ihr zurückzukehren? Etwas tief in ihrem Herzen sagte ihr, dass er nicht tot war, was sie noch mehr fürchtete, als wenn er es wirklich wäre.
Hör auf damit, schimpfte sie mit sich selbst. Du kannst nicht deine eigenen Gedanken gegen ihn vergiften. Dennoch, sagte ihr Verstand, du kannst der Sache auch nicht unvorbereitet entgegentreten. Was, wenn er entstellt oder verkrüppelt ist? Er würde nicht wollen, dass sie ihn so sähe. Vielleicht beging sie einen Fehler, aber es würde nicht richtig sein. Nein, sie musste endlich Frieden in ihrem Herzen haben. Jetzt war es zu spät, um umzukehren - sie war bereits mitten auf dem Ozean.
Anjou war froh, dass niemand wusste, dass sie verheiratet war. Sie war nicht davon überzeugt, dass viele es verstehen würden, falls sie zurückkam und nicht Trauer tragen würde, wo sie doch bereits ihre ganze Jugend mit Tränen und Trauer verbracht hatte. Es war ein Kampf zwischen Schuld und der Qual, den Aufmerksamkeiten charmanter junger Männer zu widerstehen, die ansonsten eine passende Partie für sie wären, während sie sich gleichzeitig fragte, ob es nicht sinnlos sei. Ihre Eltern hatten ihr die Ehe erlaubt, als sie ihnen keine andere Wahl gelassen hatte. Aber sie hatten sie schnell dazu ermutigt, ihr Leben wie gehabt weiterzuführen, als das Kriegsministerium ihn als im Kampf gefallen erklärte; speziell nachdem drei Jahre vergangen waren, in denen es keine Hinweise darauf gab, dass er in Gefangenschaft war.
Es erschien ihr immer noch unwirklich. Einerseits kam sie sich vor wie in einem Märchen aus einem ihrer Tagträume. Andererseits fühlte es sich an, als würde sie immer noch darauf warten, dass er zu ihr zurückkäme.


„Sie ist wirklich stur. Irgendwann muss ich schlafen“, sagte Edward, ohne dabei jemanden direkt anzusprechen.
„Wer ist stur?“, fragte Charles, obwohl er die Antwort schon wusste.
„Wir hatten jetzt Haferbrei zu jeder Mahlzeit. Wenn das so weiter geht, haben wir alle Skorbut, bevor die Reise zu Ende ist.“
„Dann solltest du meine Schwester um Hilfe bitten, obwohl ich keine Ahnung, wie gut sie sich eignet.“
„Noch nicht.“
„Bist du zufrieden damit, ständig Brei zu essen?“
„Lange genug, um zu sehen, wie du auf dem Boden kriechst.“
Charles lachte. „Das erinnert mich an unsere erste Woche in der Schule. Keiner wollte petzen, daher aßen wir eine Woche lang Haferschleim. Sie hatten es nicht gewagt, uns mehr davon zu geben, da sie Angst hatten, dass unsere Eltern davon Wind bekämen.“
„Damals war es lustig“, sagte Edward. „Ich brauche jetzt vernünftiges Essen.“
„Ich kann mich noch nicht einmal erinnern, was für ein Streich es war ...“, sagte Charles.
„Es war Gardiner. Er hatte Belchers Schubladen ausgeleert, nachdem Belcher ihn wegen eines Papieres schikaniert hatte, das er sich weigerte, für ihn zu schreiben. Und jetzt essen ich wieder seinetwegen eine Woche lang Haferschleim.“
„Tut mir leid, alter Junge, aber das kannst du ihm diesmal nicht anhängen. Das ist deine eigene Dickköpfigkeit.“
Edward grunzte.
„Du verlässt dich ziemlich stark darauf, dass Anjou kochen kann. Was, wenn sie die Küche in Brand setzt?“
„Sie kann kochen. Ich weiß es einfach.“
„Wie du meinst. Ich hoffe, dir fällt etwas ein, bevor die Vorräte schlecht werden.“
„Das hoffe ich auch.“
„Warum legst du dich nicht etwas hin? Du wirkst ausgezehrt.“
„Ich fühlte mich ausgezehrt. Ich glaube, ich werde mich ein wenig ausruhen. Das Meer ist im Moment ruhig genug.“


Anjou hörte ein Klopfen an der Kabinentür.
„Anj? Aufwachen!“, flüsterte Charles laut von der anderen Seite der Vertäfelung.
„Was gibt es, Charles?“, fragte sie, als sie die Tür öffnete, nachdem sie schnell einen Morgenmantel übergeworfen hatte.
„Er schläft endlich. Beeil dich.“
Sie griff nach ihrem Umhang und eilte ihm hinterher über den Niedergang und durch die Luke auf das Deck. Sie atmete so viel frische Luft ein wie nur möglich und streckte ihr Gesicht dem klaren Himmel und der Sonne entgegen.
„Das ist lächerlich“, sagte Charles, als er sie beobachtete.
„Vielleicht. Es ist eine Art Selbstschutz. Man könnte es eher aushalten, wenn es besseres Essen gäbe.“
„Stimmt. Man wartet förmlich darauf, dass es eine Meuterei gibt“, bemerkte er trocken.
„Meinst du, das Monster versteckt das gute Essen vor uns?“
„Ich ... ich ...“, stotterte Charles.
„Wir sollten gehen und nachsehen, solange er schläft“, sagte sie mit schelmischem Grinsen.
„Anjou, nein.“
„Wo ist die Küche“, fragte sie und ignorierte seine Warnungen.
Charles lachte.
„Was amüsiert dich?“, fragte Anjou. Sie sah sich auf dem Deck um und bemerkte die misstrauischen Blicke der Matrosen, die sie beobachteten, als sie in der Nähe des Vorderdecks standen. Sie ignorierte die Blicke und ging weiter, um einen großen Mast herum, stieg über Taue und Haken, hin zur Mitte des Decks.
„Es gibt keine Küche auf einem Schiff.“
„Woher soll ich das wissen? Bring mich zu dem Ort, wo das Essen zubereitet wird und die Nahrungsmittel lagern.“
Charles schenkte ihr ein schwaches Lächeln und wies sie mit dem Kopf an, ihm zu folgen. Das Schiff war größer, als sie es sich vorgestellt hatte, obwohl sich das Deck im Vergleich zu dem endlosen Meer klein anfühlte. Er führte sie eine weitere Leiter hinab, durch einige enge Durchgänge und in einen dunklen Raum, den er als Laderaum bezeichnete. Hier gab es eine unglaubliche Menge an Nahrungsmitteln in Säcken und Fässern und Anjou schnappte irritiert nach Luft.
„Ich kann es kaum glauben“, rief sie aus. „Warum bekommen wir zu jeder Mahlzeit Haferschleim?“
Charles zuckte die Schultern. „Ich nehme an, du könntest ihn das selbst fragen.“
Sie sah ihn an und zog ein albernes Gesicht. „Du bist, wie immer, der hilfreichste Bruder von allen. Du weißt, dass ich mit diesem Grobian nicht sprechen will.“
„Erst war er ein Monster und jetzt ein Grobian, was?“
Sie ignorierte ihn und hielt die Laterne höher. „Das ganze Essen wird schlecht werden, wenn es nicht gegessen wird! Oder füttert er seine Besatzung und ich bin die Einzige, die wie ein Sklave ernährt wird? Kannst du mich zum Koch bringen, Charles?“
Er blickte sie zögernd an.
„Soll ich ihn selbst suchen?“, drohte sie ihm.
„Ich werde dich zur Kombüse bringen. Ich weigere mich, mit dir zu den Unterkünften der Besatzung zu gehen.“
Er ging mit ihr zurück und auf das Zwischendeck des Schiffes.
Ein Schiffsjunge stocherte im Feuer in einem großen Ofen, der mitten im Raum stand und füllte den Kessel auf, der darüber hing. Entlang der Wände standen Schränke und Regale als Stauraum.
Er nahm nervös Haltung an, als er seine Besucher bemerkte.
„Mein Name ist Anjou“, sagte sie freundlich, um den Jungen zu beruhigen.
„Der Name ist Biggs, m‘lady.“
„Sind Sie der Koch, Biggs?“, fragte Anjou.
„Ja“, sagte er unsicher. „Also, nein. Der Koch kam nicht mit auf diese Reise.“
„Ist Haferschleim das Einzige, was Sie zubereiten können?“
„Ja“, antwortete er schüchtern.
Anjou riss die Hände hoch. „Gibt es hier Fisch?“
„Im Meer.“
„Ja, das weiß ich“, sagte sie geduldig. „Gibt es Fisch im Lager?“
„Nein, außer ein paar Heringen im Fass. Wir essen keinen frischen Fisch, bis das Fleisch gegessen ist oder wir eine Flaute haben. Der Käpt’n hält dafür das Schiff nicht an. Aber es gibt genug Fleisch und der Koch bereitet es genauso zu wie den Fisch.“
„Könnten Sie mir dann freundlicherweise etwas Fleisch holen?“
Der Schiffsjunge ging in den Laderaum, wie es ihm Anjou gesagt hatte.
„Was wirst du damit machen?“, fragte Charles.
„Aidan hat mir beigebracht, wie man Fisch brät“, erklärte sie.
„Werden die Wunder niemals aufhören?“, grübelte Charles.
„Du brauchst nicht so überrascht auszusehen“, sagte sie kurzangebunden.
„Zu meiner Verteidigung: Damen gehen nicht oft in die Küche und ich habe niemals gesehen, dass du etwas zubereitet hast.“
„Vielleicht nicht, aber ich habe gelegentlich gesessen und dem Koch zugesehen, vielleicht erinnere ich mich an etwas. Davon abgesehen, wenn du nicht noch weitere Wochen lang Haferschleim essen möchtest, muss ich es zumindest versuchen.“
„Ich nehme an, dass ein Versuch nicht strafbar ist.“
Der Schiffsjunge kam mit einem Fass zurück und hatte einen Sack über den Rücken geworfen. In dem Fass war eine große Hammelhälfte und im Sack Kartoffeln und Möhren. Er stemmte den Deckel auf und schüttete den Inhalt auf den Tisch.
„Das sieht nicht wie Fisch aus“, sagte Anjou, die auf den Berg von Nahrungsmitteln starrte.
„Ich bin das Fleisch holen gegangen und dabei fiel mir ein, dass der Koch dazu Kartoffeln und Möhren gemacht hat, wenn wir welche hatten“, sagte er stolz.
Anjou versuchte, kein angewidertes Gesicht zu ziehen, als sie das rohe Fleisch auf dem Tisch vor ihr sah. Der Fisch war schon furchtbar genug gewesen, aber das hier war noch schlimmer.
„Ich erinnere mich daran, dass unser Koch die Möhren und die Kartoffeln in einen Topf mit dem Hammel für die Dienerschaft gekocht hat, Anjou. Vielleicht könntest du das zusammen in den Topf tun und es auf den Ofen stellen?“, schlug Charles vor.
„Ja, danke, soweit war ich auch schon“, sagte sie zu ihrem Bruder. „Warum hältst du nicht Ausschau nach deinem geliebten Kapitän, damit ich ihm aus dem Weg gehen kann, falls er wach wird?“
„Du meinst, du willst dich verstecken? Willst du ihm nicht sagen, dass du kochen willst?“
„Natürlich nicht! Ich habe nicht vor, mit diesem Mann zu sprechen, wenn ich es vermeiden kann.“
„Wirst du ihm etwas von dem Essen geben?“
„Es ist immer noch sein Schiff. Ich bin mir nicht sicher, wie ich das verhindern könnte. Solange er nicht weiß, dass ich gekocht habe, und glaubt, dass es Biggs hier war, werde ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.“
Charles dachte für einen Moment nach. „Das kann ich unterstützen“, sagte er mit einem listigen Grinsen. „Aber lass uns nichts überstürzen; lass uns erst einmal sehen, wie der Hammeleintopf schmeckt.“
„Du kannst jetzt gehen“, wies sie ihren Bruder mit durchdringendem Blick an. Dann sah sie zu, wie der Schiffsjunge die Möhren schälte und kleinschnitt und schüttelte den Kopf. Offensichtlich war es nur zu viel für ihn gewesen, selbst darauf zu kommen.
Sie nahm ein Messer und fing selbst an zu schälen und zu zerkleinern, was schwerer war, als es aussah, bis dass sie den Topf mit Hammel und Gemüse gefüllt hatten.
Der Schiffsjunge hob den Topf auf den Herd und sie setzte sich erschöpft auf einen kleinen Hocker. Sie verspürte etwas mehr Respekt für den Koch und seine Untergebenen. Sie dachte daran, dass sie mindestens drei warme Mahlzeiten pro Tag gehabt hatten!
Biggs starrte sie an, kratzte sich am Kinn und sah verwirrt aus.
„Was ist los, Briggs?“, fragte sie.
„Ich glaube, der Koch hat noch Gewürze in den Topf getan. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, welche.“
Anjou ging zu ihm hin, wo er auf einige beschriftete Gläser starrte.
„Ich nehme an, es wird nicht schaden, wenn wir einige davon hinzugeben. Ich weiß, dass unser Koch alles gewürzt hat.“
Sie wählte drei Gläser aus. Sie öffnete die Deckel und sah hinein. Sie hatte keine Idee, wieviel sie davon nehmen sollte.
„Wissen Sie, wie viel der Koch genommen hat?“
„Ich habe keine Ahnung“, sagte er und zuckte mit den Schultern.
„Ich denke, wir versuchen heute einige und sehen dann weiter.“ Sie schüttete von jedem Glas etwas in den Topf.
„Wie lange muss es kochen?“
„Lange“, sagte er. „Normalerweise rühre ich jede Stunde um, bis ich die Glocke höre, dass es Zeit für das Essen ist. Die Besatzung isst in Schichten.“
„Das klingt vernünftig.“
„Was rieche ich da?“ Sie hörte eine laute Stimme, gefolgt von lauten Stiefeln auf dem Deck. Anjou duckte sich hinter einen Schrank. Wieso klang er immer so verärgert? Würde er wütend auf Biggs sein?
„Ist dir auf einmal eingefallen, wie man kocht, Biggs?“, fragte der Kapitän, als er sich gegen einen Balken lehnte.
„Aye, aye, Sir“, sagte der junge Seemann, der Haltung angenommen hatte.
„Interessant“, sagte der Kapitän, als er seine Augen zusammenkniff. Anjou hoffte, er würde sich nicht zu gründlich in der kleinen Kombüse umsehen. Sie nutzte die Gelegenheit und sah ihn etwas genauer an. Sie wünschte, er wäre nicht so groß. Er war in Hemdsärmeln, ohne Weste und es wirkte, als würden seine Muskeln gleich den Stoff sprengen. Sie war noch nie in der Nähe eines solchen Mannes gewesen. Gegen ihn wirkten die meisten Männer in ihrem Bekanntenkreis zierlich. Ihr Bruder und ihr Vater waren in Form, aber nicht so groß. Er war rau, was seine Manieren und sein Äußeres anging, mit einem unrasierten Bartwuchs, und er strotzte nur so von Männlichkeit.
Der Kapitän bewegte sich und sie drückte sich näher an den Schrank. Er ging zu dem Topf hinüber und sah hinein. Wenn er hochsah, würde er sie sehen.
„Hammel. Alles ist besser als noch eine weitere Schüssel mit Haferschleim.“
Er nahm einen Löffel voll und schnüffelte.
„Wieviel Salz und Pfeffer hat du da hineingetan?“
„Keine Ahnung, Sir.“
Der Kapitän sah in skeptisch an. „Ich nehme an, wir werden sehen, wie es wird. Danke, dass du es versucht hast, Biggs.“ Er schlug dem Jungen freundlich auf den Rücken, was Anjou überraschte.
Vielleicht mochte er nur keine Frauen. Sie hatte gehört, dass es solche Männer gab.


„Ich sage, ich gewinne die Wette“, beharrte Edward, als sie sich auf dem Achterdeck unterhielten.
„Unsinn“, stritt Charles ab. „Du hast sie nicht überredet, sie hat es aus eigenem Willen gemacht.“
„Vielleicht, obwohl, soweit ich mich erinnere, waren die Bedingungen nicht so speziell.“
„Ist es wichtig, wenn du dafür besseres Essen bekommst?“
„Ich bin mir nicht so sicher, ob es besser sein wird. Ich glaube, sie hat ein halbes Glas Salz in den Kessel gekippt. Wenn man den Eintopf essen kann, fress ich meinen Hut.“
Charles lachte. „Sie wird am Boden zerstört sein, wenn es schlecht schmeckt - fast so, wie sie es sein wird, wenn sie erfährt, dass du weißt, dass sie kocht.“
„Meinst du?“, fragte Edward nachdenklich. „Vielleicht sollten wir uns hineinschleichen und es mit etwas verdünnen, man könnte es retten.“
„So etwas wie Bourbon?“, schlug Charles vor. „Würde ich meine Wette verlieren, wenn ich Bourbon in meinem Essen habe?“
Edward starrte seinen Freund an. „Ich werde es in diesem Fall ignorieren, obwohl du mich nicht erwähnen wirst, was das Kochen deiner Schwester angeht.“ Er ging zu der Truhe hinüber, in der er seinen Alkohol aufbewahrte und suchte ein paar Minuten, bis er eine Flasche herauszog. „Das sollte passen. Ist deine Schwester immer noch in der Kombüse?“
„Nein“, Charles schüttelte den Kopf. „Ich habe sie zurück in ihr Quartier geschmuggelt.“
Edward ließ sein dunkles Lachen durch den kleinen Raum dröhnen.
„Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß seit ...“, seine Stimme brach ab. „Egal. Ich werde losgehen und versuchen, das Abendessen zu retten.“
Er ging absichtlich schweren Schrittes, als er sich der Kombüse näherte, für den Fall, dass Lady Anjou zurück war. Er hatte vorher Schwierigkeiten gehabt, sich unter Kontrolle zu halten, als er sah, wie sie sich versteckte. Wenn Sie nur gewusst hätte, dass ihre Röcke an der Seite des Schranks hervorquollen! Und ihre Haare ebenfalls! Er lachte laut. Als er durch die Tür kam, runzelte Edward die Stirn. Niemand war in der Kombüse. Vielleicht war Biggs für eine kurze Pause gegangen, aber er musste jemanden haben, der auf den Herd aufpasste. Das Gefährlichste, was es auf einem Schiff gab, war Feuer. Biggs war ein guter Junge, aber nicht besonders clever. Er würde nicht zu hart mit ihm sein, weil das sein erstes Vergehen war.
„So, wollen wir mal sehen, wie der Eintopf schmeckt“, sagte er und hoffte, dass es nicht so schlecht war, wie er befürchtete. Er nahm die Kelle und probierte ein wenig von der Brühe. Er sprang und spuckte es aus. Der Geschmack war unbeschreiblich. Bei der Menge an Salz, die diese Frau in den Topf gekippt hatte, konnte sie nicht gewusst haben, dass das Fleisch schon von vorneherein gesalzen war! Er sah sich um und suchte nach einer Möglichkeit, um einiges der Flüssigkeit fortzuschütten. Er fand eine leere Schüssel und löffelte so viel heraus, wie er konnte. Dann schüttete er den Wein hinein und gab noch etwas Wasser hinzu.
„Vielleicht hilft es ja“, sagte er zu sich selbst, als er im Topf rührte. Er probierte erneut einen kleinen Schluck mit dem Löffel. „Gar nicht übel“, sagte er zum Kessel. „Es besteht noch Hoffnung.“ Mit einem selbstzufriedenen Grinsen schlich er sich aus der Kombüse. Die Schüssel mit dem versalzenen Stew hatte er dabei hinter einem Sack verborgen, um es heimlich zu entsorgen.

Kapitel Vier
So begann die Scharade, bei der sich Anjou jeden Tag in die Kombüse schlich, um bei den Mahlzeiten zu helfen. Sie verbrachte einige angenehme Tage mit dem Kochen. Solange sie unter Deck blieb, war es nicht allzu schwierig, dem Kapitän aus dem Weg zu gehen. Es sprach sich schnell unter der Besatzung herum - und die Männer fanden es gut, wie ihr Master an der Nase herumgeführt wurde. Sie gewann einen nach dem anderen für sich, vor allem, als sich ihre Kochkünste verbesserten. Das lag daran, dass sie einige Rezepte des Kochs gefunden hatte. Sie war überrascht, dass ihr erster Eintopf essbar war, als ihr auffiel, wieviel Gewürze sie genommen hatte.
Es war erstaunlich, wie sehr sich die Laune besserte, wenn man etwas Anständiges zu essen hatte. Nun, vielleicht nicht unbedingt anständig, aber es war auf alle Fälle besser, als immer und immer wieder das Gleiche zu essen. Sie stellte fest, dass ihr die Arbeit Spaß machte - es lenkte sie von ihren Sorgen ab und von der langweiligen Reise. Erbsensuppe, Sauerkraut mit gesalzenem Rindfleisch und Shepherd‘s Pie waren zwar nicht ihre Lieblingsspeisen, da sie mit einer französischen Mutter und einem französischen Koch groß geworden war, aber sie musste sich mit dem abgeben, was zur Verfügung stand. Im Laderaum, direkt unter der Kombüse, standen Fässer mit gepökeltem Fleisch und Fisch, Kartoffeln und Gerste, Kohl und Erbsen, dazu noch Mehl, Zucker und Schiffszwieback, der von den Männern liebevoll „tack“ genannt wurde. Und das waren nur die Fässer, die sie sehen konnte. Sie waren bis zur Decke gestapelt, oder in Deckhöhe, wie sie es oft von ihnen gehört hatte. Bislang hatte die Besatzung wohl nichts anderes als Haferschleim gegessen, dachte sie, als sie die riesigen Fässer näher begutachtete. Wussten sie, dass das ganze Essen hier stand? Konnte wirklich keiner von ihnen kochen? Vielleicht waren sie auch alle so überarbeitet, dass es ihnen egal war.
Sie fand ein Rezept für einen Rhabarberkuchen, das himmlisch klang. Früher hatte sie zugesehen, wie er gemacht wurde, daher hatte sie die Hoffnung, dass sie es schaffen würde. Sie fand Mehl, Zucker und Butter, aber wo war der Rhabarber? Sie ging ins Lager und sah sich um, aber sie konnte keine Fässer mit Obst finden. Vielleicht gab es irgendwo frische Zutaten, von denen sie nichts wusste. Sie würde Biggs fragen, wenn er zurückgekommen war. Sie entdeckte einen Schrank und begann darauf zuzugehen, als sie ein kratzendes Geräusch hörte. Bevor sie sich umdrehen konnte, lief etwas über ihre Füße und sie schrie auf.
Biggs kam über den Niedergang, die Arme beladen mit Eiern und einem Eimer mit Milch, der überschwappte.
„Was ist los, m‘lady?“
Sie war zu erschrocken, um zu sprechen. Stattdessen zeigte sie in die Ecke und hielt ängstlich eine Hand gegen ihre Brust.
„Hat Sie was erschreckt?“
Sie nickte.
„War vermutlich eine der Ratten. Die Katze wird sie kriegen.“
Sie raffte ihre Röcke und rannte hinter ihm die Leiter hoch, bevor sie es herausfinden konnte. Sie schaffte es bis in die Kombüse und hielt an, um zu Atem zu kommen. Ratten? Würde es auch Läuse und anderes Ungeziefer geben? Sie begann sich zu kratzen, als sie an die Nächte dachte, als sie dem Terror in Frankreich entflohen waren und Ratten, Läuse und alle anderen Arten von Unannehmlichkeiten erdulden mussten. Und jetzt hatte sie sich dem freiwillig ausgesetzt. Sie erschauderte. Die Hoffnung auf angenehme Träume hatte sich gerade in Luft aufgelöst.
„Geht es Ihnen gut, m‘lady?“, fragte Biggs, als er mit den Eiern und der Milch hinter ihr herkam.
„Ja, aber ich kann Nagetiere nicht ausstehen.“
„Der Käpt’n auch nicht. Er hat eine Katze, die sich darum kümmert.“
Eine Tatsache weniger, die sie ihm anlasten konnte, dachte sie, aber vielleicht brauchte er eine zweite Katze.
„Sind das Eier? Und Milch? Wo kommt das her?“
„Na ja, es gibt Ziegen und Hühner“, sagte Biggs mit einem Anflug von Spott. Sie wusste, wo Eier und Milch herkamen, aber sie hatte nicht gewusst, dass Tiere an Bord waren.
Einer der Seeleute stürmte die Treppe hinab und durch die Kombüse an ihnen vorbei, ohne zu nicken oder Hallo zu sagen. Er hatte einen langen, geflochtenen Zopf und eine gestrickte Mütze auf seinem Kopf.
„Er hat Angst, mit Ihnen zu sprechen. Angst, dass er seine Portion Rum verliert“, erklärte Biggs, als sie dem Mann nachstarrte.
„Hat er Ihnen befohlen, nicht mit mir zu sprechen?“
„Nicht direkt. Aber er sagt, dass man mit einer Dame anständig spricht, und die meisten wissen nicht, wie das geht.“
Ihr war aufgefallen, dass die meisten Männer in ihrer Gegenwart scheu waren, genau wie sie, und das reduzierte ihr Misstrauen ihnen gegenüber. Sie mussten durch die Kombüse, um zu ihren Quartieren zu gelangen, aber sie sagten kaum ein Wort zu ihr, obwohl sie hörte, wie sie miteinander sprachen. Sie waren ein derbes Pack, ohne Zweifel, aber sie sah, dass sie sich bemühten, auf ihre Rülpser und ihre Sprache zu achten, wenn sie in der Nähe war - zumindest das, was sie davon verstand. Die meisten Sprachen verstand sie nicht, aber jetzt wusste sie, warum sie sich so benahmen.
Der Kapitän und Charles aßen mit den Maaten im Salon des Kapitäns, und sie aß allein, obwohl man sie eingeladen hatte, sich ihnen anzuschließen. Je weniger Worte sie mit Kapitän Harris wechselte, desto besser.
Sie begann, die Zutaten für den Teig anhand des Rezeptes zu mischen.
„Biggs, wissen Sie, wo der Rhabarber ist?“
Er sah sie ausdruckslos an.
„Wissen Sie, was Rhabarber ist? Ich brauche ihn für den Kuchen.“
Er schüttelte den Kopf. „Der Koch hat nie Kuchen gemacht.“
„Ich habe das Rezept doch hier, also muss er es gemacht haben“, beharrte sie. „Ich brauche Rhabarber. Vielleicht hat der Kapitän ihn an einem speziellen Ort?“
Angst erschien auf dem Gesicht des jungen Mannes.
„Würden Sie bitte gehen und ihn fragen?“ Sie sah ihn bittend an und jeder geringere Mann wäre ihren großen, blauen Augen erlegen, von diesem schlaksigen Jungen ganz abgesehen, der kaum eine Frau sah.
Biggs schluckte hart, nickte und ging davon, um ihrer Bitte Folge zu leisten.


Edward sah vom Achterdeck hinab und erspähte Biggs, der sehr nervös aussah. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass dieser jemals hier heraufgekommen wäre. Er musste etwas für die Kombüse brauchen.
„Kann ich dir helfen, Biggs?“
„Aye, Sir.“
„Dann lass hören“, sagte er ermunternd und versuchte, mit dem jungen Mann Geduld zu haben.
„Aye, Sir. Haben Sie vielleicht etwas Rhabarber?“
„Sagtest du Rhabarber, Biggs?“
„Aye, Sir. Ich glaube schon.“
„Was sollte ich mit Rhabarber machen?“
Biggs bekam rote Wangen und verhaspelte sich mit seinen Worten. Edward versuchte, sich nicht zu sehr zu amüsieren.
„Sie, ich meine ich brauche ihn für einen Kuchen, Sir.“
„Kuchen? Gibt es einen besonderen Grund?“
Dies war eindeutig jenseits des Verständnisses des Jungen und seiner Möglichkeit zur Täuschung.
„Ich weiß es nicht, Sir.“
„Ich sag dir was, Biggs. Ich habe keinen Rhabarber. Allerdings glaube ich, dass ich genug Äpfel in meiner Kajüte habe.“
Der Junge stand wie vom Donner gerührt.
„Conners, übernehmen Sie das Ruder“, befahl Edward dem Ersten Maat.
„Aye, aye. Ruder übernehmen, Sir“, rief Connor als Antwort.
Edward führte den Jungen zu seiner Kajüte, wo er einen kleinen Korb mit den restlichen Äpfeln fand. Er hatte keine Ahnung, wie viele Äpfel man für einen oder zwei Kuchen brauchte, aber er wollte die Dame nicht enttäuschen. Er gab Briggs das Körbchen und seufzte ein wenig enttäuscht. Es gab dieses Jahr nicht viele von seinem Landsitz, aber seine Mannschaft würde begeistert sein, wenn es Apfelkuchen als Nachtisch gäbe. Er machte sich im Geiste eine Notiz, dass er beim nächsten Halt Obst für Obstkuchen besorgen musste.
„Biggs, sorgen die Männer für Unruhe in der Kombüse?“
„Nein, Sir. Nur die Ratten.“
„Eine Ratte in der Kombüse?“
„Im Lagerraum, Sir.“
„Ich werde mich darum kümmern. Und falls es irgendwelche ungehörigen Kommentare in Gegenwart der Dame oder ihrer Zofe gibt, will ich es wissen.“
„Aye, aye, Sir.“
„Soll ich helfen, die Äpfel zu tragen?“, fragte Edward, der sich einen Spaß daraus machte, die Reaktion des Jungen zu sehen.
„N-nein, Sir.“, der Junge salutierte und machte sich mit dem Obst davon.
Edward lachte in sich hinein, als Biggs davonstürmte. Diese Reise war bis jetzt die amüsanteste von allen, soweit er sich erinnern konnte. Er hätte nie gedacht, dass Lady Anjou so sehr von ihm eingeschüchtert sein würde, dass sie ihn mied oder störrisch genug, um zu tun, was sie gesagt hatte!
Sogar die Mannschaft hatte ihre Meinung darüber, eine Dame an Bord zu haben, schnell geändert.
Es lag wohl daran, dass Lady Anjou und ihre Zofe sich ihre Anwesenheit mit dem Kochen verdienten, und da ihnen nichts Böses passiert war, glaubten sie nun, dass die Frauen ihre Glücksbringer wären. Es gab niemanden, der so abergläubisch oder launisch war wie Seeleute, überlegte er.
Ein oder zwei Mal, als Edward in die Nähe der Kombüse gegangen war, hatte sich vor ihm eine Mauer aus Männern gebildet, alle mit Entschuldigungen für etwas, um das er sich am anderen Ende des Schiffes kümmern musste, natürlich.
Es war amüsant, wie sie ihre Meinung geändert hatten und jetzt Lady Anjou beschützen wollten. Er war sich nicht sicher, wie lange er diese Scharade noch laufen lassen sollte. Vielleicht so lange wie nichts passierte. Das Wetter war ungewöhnlich gut gewesen, bis auf das eine Mal, und sie hatten die Hälfte der Strecke in nur vierzehn Tagen zurückgelegt. Würde sie in der Lage sein, ihm den Rest der Reise auszuweichen? Er dachte darüber nach, als er sich frisch machte und seine Kajüte verließ. Er hörte, wie die Mannschaft Haul Away Joe mit ihrem üblichen Schwung sang, wie sie es jeden Tag tat, wenn sie die Decks schrubbte und die Takelage hochzog. Gaffney, der Bootsmann, leitete den Shanty, während er über die Leiter aufs Deck kletterte.
Als ich ein kleiner Junge war, sagte meine Mutter zu mir,
Way haul away, we’ll haul away Joe!
Dass, wenn ich die Mädchen nicht küsse, meine Lippen schimmeln.
Way haul away, we’ll haul away Joe!
Und ich segelte auf den Meeren für viele Jahre, ohne zu wissen, was ich versäumte,
Dann setzte ich meine Segel vor den Sturm und begann zu küssen.
„Ich hab noch‘n bess‘ren auf Lager!“, sagte Gaffney fröhlich.
Heute Morgen war es eine neue Melodie, die Edward hörte, weshalb er innehielt, bevor er aufs Deck ging, als Gaffney losgrölte:
Es war mal ein Mädchen mit Namen An-jou
Das schönste Mädchen mit Augen so blau.
Erst fand ich sie viel zu schön
Doch dann lächelte sie beim Abschied
Der Reim war nicht perfekt, aber darum ging es nicht. Bei dem Lied wurde gejubelt und gelacht, und dann kam der zweite Vers, der Edward die Sprache verschlug.
Der Kapitän knurrte, als er die Dame zuerst sah
Und wir fürchteten schon um unsere Rum-Rationen
Aber jetzt grinst er nur und sagt „Ey, Kumpel!
Und ich bin bald auf den Hintern gefallen!
„Mehr! Mehr!“, riefen die Männer.
Sie kocht und sie backt für uns
Und auch wenn es nur die alten Erbsen sind
Auch angebrannt oder halb gar,
Dass sie‘s macht, zwingt einen Mann in die Knie!
Die Männer röhrten vor Gelächter, während sie mit den Füßen trampelten und in die Hände klatschten. Edward hörte zu und musste sich abwenden, um sein Lächeln zu verbergen, für den Fall, dass ihn jemand sehen würde. Es stimmte, dieses winzige Mädchen berührte sein kaum vorhandenes Herz. Er war von ihrer würdevollen Schüchternheit und ihrer ruhigen Beharrlichkeit bezaubert. Jede Faser seines Seins schrie ihn an, sich umzudrehen und fortzulaufen, denn sie sollte Angst vor ihm haben - große Angst. Wenn seine Männer schon erkannt hatten, dass er von ihr angetan war, war es gut, dass sie bald am Ziel der Reise angekommen waren.


Anjou starrte auf den Korb mit Äpfeln. Sie nahm an, dass es rücksichtsvoll vom Kapitän war, ihr sein persönliches Obst zu geben, obwohl er ihr nichts selbst angeboten hatte, dachte sie in einem Ausbruch von Bitterkeit, der für sie untypisch war. Das Rezept allerdings war für Rhabarber, nicht Äpfel, und sie wusste nicht, ob man das eine durch das andere ersetzen konnte. Wo war Hannah? Sie könnte das wissen. Hannah hatte keine Angst vor Männern, und sie war lieber an Deck an der frischen Luft, als drinnen eingesperrt zu sein. Sie sollte bei Anjou bleiben, aber sie war oft draußen und flirtete mit einem der Maaten; ob erster, zweiter oder dritter, daran konnte sich Anjou nicht erinnern.
„Biggs? Könnten Sie bitte meine Zofe Hannah bitten, in die Kombüse zu kommen?“
„Aye, mylady.“
Während sie auf Hannah wartete, spürte sie, wie etwas gegen ihre Beine rieb, und sie hatte Angst, hinzusehen. Wurden Ratten so groß? Sie versuchte nicht zu schreien, sprang zurück und hörte ein Miauen.
Sie seufzte vor Erleichterung. Sie sah nach unten auf eine kräftige, graue Katze, die mit bettelnden, goldenen Augen zu ihr hochsah.
„Also du musst Cat sein“, sagte sie, als sie sich hinkniete, um sie zu begrüßen. An ihrer Hand wurde kurz geschnüffelt und dann rieb die Katze ihren Kopf dagegen. „Du siehst nicht aus wie ein böser Rattenfänger“, überlegte sie. Sie stand auf, als sie ihre Zofe kommen hörte, und die Katze setzte sich zu ihren Füßen.
„Hannah“, fragte sie. „Weißt du, ob man Äpfel anstelle von Rhabarber für einen Kuchen verwenden kann?“
„Ich wüsste nicht, was dagegenspricht, mylady.“
Anjou gab ihr die Liste mit den Zutaten. „Das klingt vernünftig“, sagte Hannah.
„Aber der Herr würde noch Zimt hinzufügen, Miss.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir Zimt an Bord haben.“ Sie sah Biggs an, der in dem Topf mit Erbsensuppe rührte. Sie beschloss, selbst danach zu suchen. Sie öffnete den Schrank, in dem sie die Gewürze gefunden hatte. Dort gab es nicht viel. Trotzdem fand sie kleine Gläser mit Muskatnuss und Zimt, versteckt hinter Salz und Pfeffer.
„Das erstaunt mich jetzt. Brauchen Sie Hilfe beim Teigausrollen, mylady?“
„Ich wusste nicht, dass der Teig ausgerollt werden muss“, gestand Anjou. „Wenn du so freundlich wärst und mir zeigen könntest, wie das geht.“
„Ich habe einige Zeit in der Küche verbracht, als ich jünger war.“
„Jetzt, wo du es sagst, ich wäre sehr dankbar für etwas Hilfe.“
„Ja, mylady. Wenn Sie mir gestatten ...“, sagte die Zofe und sah verärgert aus, weil sie ihre Hilfe nicht früher angeboten hatte.
„Nein, nein. Es macht mir Freude, so bin ich nicht die ganze Zeit in der Kajüte eingesperrt.“
Hannah bearbeitete den Teig und Anjou kümmerte sich um die Äpfel.
„Sie müssen sie schälen, Miss.“
„Natürlich.“ Warum musste alles geschält werden? Es war die Arbeit, die sie am wenigsten mochte von allen.
Als sie in Bergen von Schalen verschwand, begann sie sich wieder an ihre Zeit mit Aidan zu erinnern.
Sie hatten begonnen, sich davon zu schleichen, um Zeit miteinander zu verbringen, während der wenigen Besuche bei ihr zuhause, als er die Ferien bei Charles verbrachte. Er war immer ein perfekter Gentleman gewesen, soweit er es sein konnte, wenn sie allein waren. Er war fast so schüchtern wie sie und hatte es nicht gewagt, sie unhöflich zu behandeln. Eines Tages hatten sie sich gegenseitig durch die Obstgärten gejagt, und als sie endlich angehalten hatten, um sich auszuruhen und Äpfel unter einem der Bäume zu essen, hatte sie bemerkt, dass Aidan ernst geworden war.
„Warum das lange Gesicht? Stimmt etwas nicht?“
Er riss ein paar Grashalme aus und schwieg für eine Weile.
„Werden Sie mir sagen, was los ist?“, fragte sie mit zunehmender Sorge.
„Ich werde nicht nach Oxford zurückkehren.“
„Wie bitte? Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen“, sagte Anjou, die ihm nicht zu nahetreten wollte.
„Ich werde in die Dienste Ihrer Majestät eintreten.“
Anjou schnappte nach Luft. Ihr Bruder hatte ebenfalls davon gesprochen, dass er überlegte, sich für den Krieg einschreiben zu lassen, aber seine Eltern hatten es nicht erlaubt.
„Nein. Ich will nicht, dass Sie fortgehen“, bat sie ihn.
Aidan lehnte sich vor, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und küsste sie sanft auf die Lippen.
„Ich bin nicht gut mit Worten, Anjou, aber ich möchte dich eines Tages heiraten. Wirst du auf mich warten?“
Meinte er, was sie dachte, dass er es tat?
„Wie lange muss ich warten? Die Zeit zwischen deinen Besuchen erscheint mir schon immer wie eine Ewigkeit.“
Er lächelte. „Das geht mir genauso, aber ich habe nicht viel Zeit für dich, bis ich wiederkomme. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Vater meinem Antrag wohlwollend gegenüberstünde. Ich weiß nicht, ob ich zurückkehre und selbst wenn, könnte ich nicht mehr ich selbst sein.“
„Ich möchte deine Frau werden.“
„Ich verspreche dir, wenn der Krieg vorbei ist und du noch immer das Gleiche empfindest, werde ich der deine werden.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“
Sie war selten trotzig, aber wenn sie sich einmal für etwas entschieden hatte, ließ sie nicht locker.
„Wir müssen sofort mit meinen Eltern reden.“
„Anjou. Wir müssen vernünftig sein. Die Armee ist kein Platz für eine Dame.“
„Was ist, wenn du nie mehr zu mir zurückkehrst?“
„Genau darauf will ich hinaus. Möchtest du eine Witwe werden? Was ist, wenn wir ein Kind haben?“
„Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen“, sagte sie und nahm seine Hand.
„Aber das musst du, mein Herz.“
„Dann werde ich die Zeit und das Geschenk des Lebens nutzen, wenn mir nichts anderes übrigbleibt.“
Sie wollte, dass er sie verstünde. Sie zog sein Gesicht zu sich und küsste ihn mit aller Liebe, die ein so junges Herz haben konnte.
Sie hatten mit ihren Eltern gesprochen und sie hatte ihnen erzählt, dass Aidan fortgehen würde und dass sie ihn noch vorher heiraten würde. Obwohl sie nicht geleugnet hatte, dass sie die Ehe bereits vollzogen hatte, schwieg sie sich absichtlich aus. Sie fühlte sich schuldig, dass sie sie betrogen hatte, aber sie wusste, dass es sonst keine andere Möglichkeit gab, ihre Einwilligung zu erhalten. Als Gegenleistung hatte sie ihnen versprochen, ihre Ehe geheim zu halten. Ihr Vater hatte sie immer verwöhnt und hätte früher oder später nachgegeben. Er hatte auch direkt einen katholischen Priester gefunden, der sie für eine nicht unerhebliche Summe verheiraten würde.
Natürlich hatte sie nicht verstanden, was sie sich selbst damit antat. Sie war jung und leichtsinnig, aber vor fünf Jahren schien es für ein siebzehnjähriges Mädchen, das keine Ahnung von der Welt draußen hatte, die richtige Entscheidung zu sein.

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