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Daddy Übernimmt Die Zügel
Kelly Dawson
Ein Jockey in der Ausbildung mit Tourettesyndrom. Ein sexy Stallmanager, der zufällig ihr Chef ist. Eine sterbende Schwester. Ein misshandeltes Pferd. Kann sie ihre Ängste überwinden und die Liebe dieses Mannes zulassen? Schafft sie es zu glauben, dass er für immer an ihrer Seite stehen wird? Als sie eine Stelle als Jockey in Ausbildung in einem Rennstall bekommt, will Bianca nicht zulassen, dass ihr Tourettesyndrom verhindert, dass sie ihren Traumjob bekommt. Sie gibt ihr bestes, ihre gelegentlichen Ticks vor ihrem neuen, wahnsinnig gut aussehenden Chef zu verbergen. Doch Clay Lewis lässt sich nicht leicht hinters Licht führen. Schnell lüftet er ihr Geheimnis, und als er dann auch noch ganz nebenbei sagt, dass jemand sie für ihre Täuschung übers Knie legen sollte, rast Biancas Herz wie nie zuvor. Ihre Gefühle für Clay wachsen von Tag zu Tag, doch während sie versucht, ihn bei der Arbeit zu beeindrucken, muss Bianca mit einer tragischen Entwicklung in ihrem Privatleben fertig werden. Der tödliche Krebs hat ihre jüngere Schwester und zeitlebens beste Freundin fest in den Krallen, sodass diese immer abhängiger von der Pflege und Zuwendung ihrer Schwester wird. Schon bald lässt sie Mahlzeiten und Schlaf ausfallen. Clay kann sehen, unter welchem Stress Bianca steht und wie ihr dieser zusetzt. Als sie dann auch noch vor Erschöpfung im Stall zusammenbricht, ist es an Zeit, dass er einschreitet – doch nicht als Boss oder Freund. Was sie braucht, ist ein liebevoller Daddy, der sie tröstet, wenn sie traurig ist und ihr den nackten Hintern versohlt, wie es bei bösen kleinen Mädchen nötig ist, die sich nicht richtig um sich selbst kümmern. Bianca liebt die Aufmerksamkeit, die Clay ihr schenkt, und als er sie in seine Arme nimmt und sie sein macht, verspürt sie eine Befriedigung wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Doch gleichzeitig macht sie sich Sorgen, dass er ihre Seite verlassen könnte, wenn ihre Ticks am schlimmsten sind. Schafft sie es, Clay zu vertrauen, ihm ihr Herz zu schenken und ihren Daddy die Zügel zu übernehmen zu lassen? Hinweis des Verlags: Daddy übernimmt die Zügel ist ein in sich geschlossener Roman und der erste Teil der Serie Daddys aus Neuseeland. Darin enthalten sind Spanking, Sexszenen und Age Play. Wenn Ihnen diese Themen unangenehm sind, kaufen Sie dieses Buch bitte nicht.


Daddy übernimmt die Zügel
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Von
Kelly Dawson
Copyright © 2016 Stormy Night Publications und Kelly Dawson
Übersetzt von Christina Bergmann
Copyright © 2016 Stormy Night Publications und Kelly Dawson
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Art oder auf irgendeine Weise (elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopie, Aufzeichnung oder andere Verfahren) ohne die vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, in einer Datenbank gespeichert oder übertragen werden.
Veröffentlicht durch Stormy Night Publications und Design, LLC.
www.StormyNightPublications.com
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Dawson, Kelly
Daddy übernimmt die Zügel
Cover-Design von Oliviaprodesign
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Dieses Buch ist nur für Erwachsene geeignet. Spanking und andere sexuelle Aktivitäten in diesem Buch sind nur Fantasien für Erwachsene.

Inhaltsverzeichnis
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Copyright-Seite (#ue363744d-880d-5287-99cc-3de75fc99c7a)
Kapitel Eins (#u714729a5-7886-518b-9eb6-baf56e26431a)
Kapitel Zwei (#ub388a54f-8b6c-54ea-b7e8-f0b01bd5210a)
Kapitel Drei (#u9cc9096d-ff67-5592-99c9-75bd3354d6dc)
Kapitel Vier (#uc8977e71-b37b-58e2-8d76-c4cfb6d72355)
Kapitel Fünf (#ua38fc5a9-1689-50a1-bcae-2871519f3c13)
Kapitel Sechs (#u7c342c21-a386-5748-a6da-5127a37a6fdc)
Kapitel Sieben (#u16edd115-c939-5440-bb66-51ad10f86c43)
Kapitel Acht (#ua1417403-52d8-5cc1-8727-5e4aaccc3724)
Kapitel Neun (#u878d1426-1cdb-508b-8e64-b7ac58752a3a)
Kapitel Zehn (#ufc5fd18e-ebe1-5e47-a1a3-699d8efb9f6c)
Kapitel Elf (#ub082333b-3d00-579d-a7d0-0badf167f0f4)
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Kapitel Eins


„Ich hab den Job, Annie!“, rief Bianca triumphierend und stieß die Faust in die Luft, als sie ins Wohnzimmer ihres Elternhauses kam. Dort saß ihre Schwester im ledernen La-Z-Boy-Sessel, eine bunte Strickdecke über den Knien und eine aufgeschlagene Zeitschrift neben sich auf dem Couchtisch. „Ich fange morgen an.“
Annie lächelte zu ihr auf. „Das freut mich“, sagte sie. „Ich wusste, du schaffst es.“
„Ich hab schon gemerkt, dass Mr. Lewis – Tom – mich nur ungern nehmen wollte, wo ich doch ein Mädchen bin und so. Aber er wollte mir wenigstens eine Chance geben, nicht wie die anderen Ställe.“
„Du wirst tolle Arbeit leisten, Bee“, murmelte Annie. „Du hast eine Gabe im Umgang mit Pferden. Denk immer daran. Lass nicht zu, dass dein Tourette dich von deinen Träumen fernhält.“ Sie seufzte leise und sank zurück in den Stuhl; das Sprechen hatte sie ermüdet.
„Sie wissen nichts von meinem Tourette“, gab Bianca zu.
Annie setzte sich abrupt auf. „Was? Du hast es ihnen nicht erzählt? Warum nicht?“
Bianca zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch, wie es ist“, sagte sie. „Niemand macht sich die Mühe, mich zu fragen, wie es bei mir ist. Sie denken, sie wüssten schon alles, weil es die Medien so breit treten.“
Annie nickte leicht. „Das stimmt vermutlich. Aber du musst es ihnen sagen, Bee. Erzähl ihnen, wie es bei dir ist. Sorg dafür, dass sie deine Tics verstehen, dass du unruhig wirst. Vielleicht bemerken sie deine Tics nicht, Bee, aber du musst ihnen davon erzählen.“ In Annies Stimme lag ein drängender Unterton und Bianca wusste, dass sie recht hatte. Es war schon lange her, dass ihr Tourette-Syndrom ihr das Leben schwer gemacht hatte, aber sie wusste auch, wie schnell sich das wieder ändern konnte. Sie seufzte.
„Okay Annie“, stimmte sie zu. „Ich erzähl's ihnen.“ Dann lächelte sie. „Weißt du, ist schon lustig. Du bist doch hier die Kranke und trotzdem beschützt du mich.“ Bianca griff nach der Hand ihrer Schwester und drückte sie sanft. Annies Griff war leicht; sie fühlte sich so zerbrechlich an. Aber ihr Lächeln war warm.
„Wir haben uns immer gegenseitig beschützt, Bee; wir waren schon immer füreinander da.“
„Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll, Annie“, murmelte Bianca leise und in ihrer Stimme lag Traurigkeit. „Ich werde dich so sehr vermissen.“
„Noch bin ich nicht tot, Bee“, sagte Annie entschlossen. Doch beide wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war – Annies Prognose war nicht gut. Vor drei Jahren war bei ihr Krebs im Endstadium diagnostiziert worden, und obwohl sie tapfer gekämpft hatte, lief ihr doch die Zeit davon. Mit gerade mal fünfundzwanzig, und nur fünfzehn Monate jünger als Bianca, war sie nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst. Die früher so lebhafte junge Frau war jetzt kaum mehr als ein kahlköpfiges Skelett. Die unwirksame Chemo hatte ihr erst die Haare geraubt und dann die Kraft, um mehr als ein paar Schritte am Stück zu machen, bevor Schwäche und Übelkeit sie überwältigten.
Bianca legte sich auf das Sofa neben Annies Sessel und machte es sich bequem, um so den Abend mit ihrer Schwester zu verbringen. Jetzt, da die Krankheit schon so weit und so schnell fortgeschritten war, blieb Annie nicht gerne allein und ihr Vater war ein Workaholic, der zweifellos gerade in der Kneipe saß und dort seine Ängste in Alkohol ertränkte. Ihre Mutter hatte sie als Kinder verlassen und hatte halbherzige Versuche gestartet, wieder Teil ihres Lebens zu werden, nachdem sie von Annies Krankheit erfahren hatte, doch Bianca hatte ihre Annäherungsversuche zurückgewiesen. Sie fühlte nur Bitterkeit gegenüber der Frau, die sie als kleine Kinder verlassen und sie bei ihrem Vater gelassen hatte, um ein neues Leben mit einem Yogi zu beginnen, mit dem sie sich angefreundet hatte. Sie wollte sich in Indien ‚selbst finden‘, wie sie es ausdrückte. Bianca hatte keine Ahnung, ob sie ihre Mission erfüllt hatte, doch was sie wusste, war, dass sie dabei ihre zwei Töchter verloren hatte. Annie war versöhnlicher als Bianca, doch auch ihre Toleranz für die alberne, nutzlose Frau hatte ihre Grenzen.
Da ihr Vater so lange arbeitete, war Annies Pflege abends Bianca zugefallen. Verschiedene Damen aus Annies Kirche kamen stundenweise tagsüber vorbei, doch das war alles. Bianca übernahm den Rest. Doch das machte ihr nichts aus – gar nichts. Annie war ihre Schwester, ihre beste Freundin, die wichtigste Person der Welt für sie. Doch manchmal war es anstrengend und sie wusste, dass Annie eher früher als später Hospizpflege brauchte.
Nachdem sie Abendessen gekocht und die Küche aufgeräumt hatte, legte sich Bianca mit Annie in das große Doppelbett in Annies Zimmer. Sie wollte nicht immer bei ihr schlafen, doch heute Nacht, wo sie doch morgen ganz früh losgehen würde, wollte sie die ruhige, gelassene Schwester neben sich fühlen.
* * *


Sie erreichte die Ställe um genau sechs Uhr früh, wie es Mr. Lewis verlangt hatte. Schon zu so früher Stunde war der Stallbereich hell erleuchtet und viele Leute waren unterwegs.
„Morgen, ich bin Clay. Du musst Bianca sein? Dad sagte mir, dass du kommst.“ Der Mann, der in der offenen Doppeltür zu den Ställen stand, lächelte und hielt ihr die Hand hin.
Was für ein Kerl! Sein Griff war fest, als er ihre Hand schüttelte. Sie ließ ihren Blick schnell über seinen Körper wandern, versuchte aber, ihn möglichst unauffällig abzuchecken. Lange, schlanke Beine, die in Bluejeans steckten und in schwarzen Stiefeln endeten. Er war groß gewachsen, hatte breite Schultern und schlanke Hüften. Die Ärmel seines blau karierten Hemdes hatte er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, sodass seine muskulösen Unterarme zum Vorschein kamen. Doch das Beste an ihm waren die freundlichsten, blauesten Augen, die sie je gesehen hatte, umrahmt vom aschblonden, zotteligen Haar, das ihm ins Gesicht fiel und an seinem Kinn sah sie den Schatten eines Ziegenbartes. Lachfältchen lagen um seine Augen und er war braun gebrannt. Sie schätzte ihn auf Ende zwanzig. Der Job als Auszubildende zum Jockey in Tom Lewis‘ Stall war schon für sich allein genommen toll, doch dieser perfekte Mann, der in der Tür stand und immer noch ihre Hand hielt, würde die Arbeit noch besser machen.
„Äh, ja“, stammelte sie und unterdrückte einen Tic. „Ich bin Bianca.“ Nervosität machte ihre Tics schlimmer und der Druck, der sich in ihrem Gesicht, hinter ihren Augen und in ihrem Kiefer ausbreitete, wollte unbedingt raus. Sie konzentrierte sich darauf, sich zu beherrschen. Sie war noch nicht bereit dafür, dass dieser gut aussehende Fremde jetzt schon diese besondere Seite von ihr zu sehen bekam. Dafür war später noch genug Zeit.
„Also, komm mit. Dad hat mich gebeten, dir zu zeigen, wie hier alles abläuft. Er kommt später dazu.“
Sobald sich Clay von ihr abgewandt hatte, ließ Bianca ihrem Tic, den sie so lange zurückgehalten hatte, freien Lauf: Sie knackte mit ihrem Nacken und Kiefer und hielt die Hände vors Gesicht, als sie die Augen weit aufriss und sie wild in den Höhlen rotierten. Dann rollte sie mit den Schultern im Versuch, die Muskeln wieder zu entspannen, denn sie wusste, dass Ruhe der Schlüssel dazu war, die Tics zu minimieren.
Bianca ließ ihre Tics weiterhin nur zu, solange Clay nicht zu ihr sah, während er ihr die Boxen zeigte, sie den Pferden und dem Personal vorstellte, ihr die morgendliche Routine erklärte und ihr das Schwarze Brett mit den Informationen für die Ritte des Tages zeigte, das vor der Sattelkammer hing.
„Du wirst morgen auf der Reiterliste stehen“, versicherte er ihr. „Wir werden dich heute langsam anfangen lassen. Du kannst die Pferde striegeln und füttern und sie so erst mal kennenlernen.“
„Aha“, murmelte Bianca geistesabwesend. Er hatte einen weit ausgreifenden Schritt und wenn sie so leicht hinter ihm stand, stellte sie fest, wie gut sein fester Hintern seine Jeans ausfüllte. Sogar von hinten sah er gut aus. Sein zotteliges Haar fiel ihm bis in den Nacken und sie wollte ihre Hände ausstrecken und mit den Fingern hindurchfahren.
„Und hier“, er blieb stehen und öffnete eine Tür am Ende des Gebäudes hinter den Boxen. „Das hier ist der Lagerraum für das Futter.“ Mit einem Arm zeigte er auf die Futtersäcke, die in einer Ecke aufgestapelt lagen, die Fässer mit vorgemischtem Getreidefutter und die Vitaminergänzungspulver, die an der hinteren Wand aufgereiht standen. Heunetze hingen über den Fässern und ein halbes Dutzend Heuballen war entlang der Seitenwand unordentlich aufeinandergestapelt.
Jemand hatte achtlos ein Heunetz auf den Boden geworfen. Wie es so dalag, wirkte es vollkommen fehl am Platz im sonst so akribisch organisierten Raum und Clay beugte sich hinunter, um es aufzuheben. Er war ihr so nah, dass sie sein Deo riechen konnte und ein Schauer der Erregung durchfuhr sie, als seine Schulter ihren Brustkorb berührte. Sie hielt den Atem an, als der Blitz durch ihren Körper schoss, ihr Herz schneller schlagen und ihre Nippel hart werden ließ. Hatte er es auch gespürt? Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden, war vollkommen hypnotisiert, als er das Netz auf den Haken hängte, an den es gehörte. Sie war fasziniert davon, wie anmutig er sich bewegte, wie sein Haar seinen Kragen berührte. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, schüttelte sie den Kopf, um wieder klar denken zu können, und zwang sich, aufzupassen. Kein Mann hatte je einen solchen Effekt auf sie gehabt. Was hatte Clay nur an sich? Warum hatte eine einfache Berührung eine solche Wirkung?
Die Tour ging weiter und Bianca war beeindruckt von der Art und Weise, wie der Komplex geführt wurde. Während Clay sie herumführte, stellte er sie auch den anderen Stallburschen vor, denen sie begegneten und die Kameraderie zwischen ihnen war offensichtlich. Die Arbeitsatmosphäre war unbeschwert, fröhlich und witzig und Bianca wusste, dass sie hier gut hineinpassen würde.
Sie folgte ihm den Gang entlang und wich den Schubkarren aus, die am Ende vor den Boxen standen. Ein paar junge Leute waren gerade dabei, die Ställe auszumisten, und Bianca konnte nicht anders, als sich auszumalen, wie Clay wohl beim Schaufeln von Sägemehl aussah. Sie sah das Bild vor sich, wie sich seine Muskeln mit jeder Bewegung des Rechens anspannten und er sich anmutig über den Stallboden bewegte.
„Du kannst hier anfangen und dann zur nächsten gehen.“ Clay nahm den Rechen von der Wand und reichte ihn ihr. „Du hast schon mal eine Box ausgemistet, oder?“, fragte er sie.
Könnte sie denn? Sie schüttelte den Kopf und schaffte es, keine Miene zu verziehen, obwohl sich ein Lächeln auf ihre Lippen schleichen wollte. „Nein“, sagte sie. „Du musst mir zeigen, wie das geht.“
Sie behielt ihr Pokerface bei, als er sie einen Moment lang prüfend ansah. Er glaubte ihr doch nicht wirklich? Nur weil sie zuvor woanders gearbeitet hatte ... Sie hatte schon während ihrer Schulzeit im Stall mitgeholfen und konnte ihn blind ausmisten! Sie spürte, wie sich ein Tic vordrängeln wollte, doch sie zwang ihn zurück, wodurch sie, wie sie wusste, nur noch ernster wirkte. Sie konnte Clay noch nichts von ihrem Tourette-Syndrom erzählen; er würde sie sicherlich feuern lassen. Das war schon früher passiert.
Sie konzentrierte sich darauf, ihr Lächeln zu verbergen, als er die Box betrat und ihr zeigte, wie sie das schmutzige, nasse Sägemehl aufnehmen und es in den Schubkarren werfen musste. Sobald er ihr den Rücken zuwandte, ließ sie den Tic zu, den sie zurückgehalten hatte und ihr Gesicht zuckte und verzerrte sich zu einer Grimasse. Ihr Nacken knackte befriedigend und sie zuckte zusammen, als der scharfe Schmerz vom Nacken in die Schultern schoss. Doch der kurze Stich war besser als der Druck der aufgestauten Tics. Sie rollte mit den Schultern und versuchte, die brennenden Muskeln zu entspannen. Es funktionierte.
Sobald sich ihr Gesicht wieder entspannte, beobachtete sie fasziniert, wie sich Clays geschmeidiger, muskulöser Körper in der großen, luftigen Box bewegte und er mit Leichtigkeit das Sägemehl zur Seite schob, um die feuchten Flecken auf dem Betonboden trocknen zu lassen. Er ist schon ein verdammt gut aussehender Mann! Sie lächelte zufrieden. Es war schon eine ganze Weile her, seit sie etwas so schönes wie Clay gesehen hatte.
Sie unterdrückte ein Kichern, als Clay die letzten Reste des feuchten Sägemehls entfernte und sich dann zu ihr umdrehte. „Glaubst du, du schaffst die Nächste?“ Er hielt ihr wieder den Rechen hin.
Sie schüttelte wieder ihren Kopf, konnte aber ihr Lachen nicht verstecken. „Ich kann nicht glauben, dass du darauf reingefallen bist!“, rief sie. „Ich hab schon im Stall geholfen, als ich noch in der Schule war, bevor ich meine Ausbildung zum Jockey angefangen habe. Natürlich kann ich einen Stall ausmisten!“ Sie lächelte ihn frech an. „Ich wollte nur dir dabei zusehen!“
Er sah sie einen Moment sprachlos an und lachte dann ebenfalls ein tiefes, polterndes Lachen, das von tief drinnen zu kommen schien und sie noch stärker kichern ließ. „Dir sollte der Hintern versohlt werden!“, schimpfte er sie immer noch lachend.
Einen Moment lang war sie schockiert und starrte ihn mit offenem Mund an. Hatte sie das richtig verstanden? Erregung durchfuhr sie. Ihr ganzes Leben lang hatte sie darauf gewartet, dass ein Mann das zu ihr sagte.
Sie stand noch immer da, sprachlos, aber aufgeregt, als er sie angrinste, zwinkerte und ihr den Rechen in die Hand drückte.
Während sie ihm nachsah, fragte sie sich, woher die schmerzende Hitze zwischen ihren Schenkeln kam. Klar war er sexy, aber keiner der anderen Männer, denen sie bisher begegnet war, hatte eine derartige Wirkung auf sie gehabt. Es war die Androhung der Schläge auf den Hintern. Ganz klar!
* * *


„Er ist so toll, Annie!“, erzählte Bianca ihrer Schwester. Sie war zum Mittagessen nach Hause gekommen. Wie in jedem Rennstall waren es der frühe Morgen und der späte Nachmittag und Abend, wo am meisten los war, sodass sie mittags ein paar Stunden für sich hatte, was ihr gut passte, da sie sich so um Annie kümmern konnte.
Annie lächelte schwach zu ihr auf. „Das freut mich“, sagte sie leise. „Ich hoffe, er ist auch nett; du verdienst einen guten Mann.“
„Also noch ist er ja nicht mein Mann“, stellte Bianca fest. Dann drückte sie Annies Hand. „Aber er scheint nett zu sein. Und er liebt Pferde, also fängt das schon gut an.“ Dann lächelte sie und beugte sich näher zu ihrer Schwester. „Und ich glaube, er ist ein Spanker.“
Annies Lächeln erhellte ihr ganzes Gesicht. „Oh, Schwesterherz, ich freu mich so für dich!“, rief sie. „Jetzt kann ich glücklich sterben, wo ich weiß, dass du den perfekten Mann gefunden hast.“ Sie drückte sanft die Hand, die sie hielt und auch diese kleine Anstrengung schien ihre ganze Kraft zu kosten.
„Du kannst mich noch nicht alleine lassen“, flehte Bianca und eine einsame Träne rann ihr übers Gesicht. „Ich kann dich noch nicht gehen lassen.“ Sie griff beide Hände und hielt sie fest in ihren Eigenen.
„Noch nicht“, stimmte Annie zu. „Aber bald. Es wird eine Erleichterung sein, Schwesterchen. Ein Ende der Schmerzen.“
Bianca streckte sich neben ihrer Schwester auf dem Bett aus. Mit Annies Gesundheit ging es schnell bergab. Der Krebs zerstörte ihren Körper; es war eine brutale Art zu sterben.
Viel zu früh schon waren die wenigen Stunden ihrer Pause vorbei und sie musste zurück an die Arbeit. Annie schlief schon fast, lächelte jedoch, als sich Bianca hinunterbeugte und sie sanft auf die Wange küsste, ehe sie leise das Zimmer verließ.
* * *


Clay sah ihr seit einer Viertelstunde bei der Arbeit zu. Er hatte ihr geschickt einen Heuballen aus dem Stapel im Futterlager geholt, der größer war als sie und beobachtete jetzt von der Tür seines Büros aus, wie sie durch den Stall ging und die Heunetze auffüllte. Die einfache, mondäne Arbeit konnte ihre Gedanken nicht fesseln, sodass sie wieder an ihre Schwester dachte. Das Leben war so unfair! Annie war die wundervollste Person, die sie kannte – schön von innen und außen – und sie starb. Sie verdiente es nicht zu sterben.
„Was machst du da mit deinem Gesicht?“
Sie zuckte zusammen. Sie hatte seine näherkommenden Schritte nicht gehört. Dann stöhnte sie. Er hatte es früher bemerkt, als sie gehofft hatte. Ihre Tics mussten schlimmer sein, als sie dachte, dass er sie an ihrem ersten Arbeitstag schon bemerkte.
„Und?“, drängte Clay und klang wütend.
Sie seufzte und senkte den Blick. „Warum?“, fragte sie.
Clay sah sie finster an. „Als dein Vorarbeiter hier im Stall habe ich das Recht, Bescheid zu wissen. Nimmst du Drogen?“
„Nein!“, rief sie aus. „Es hat nichts damit zu tun.“ Mit einem Seitenblick auf ihn stellte sie fest, dass er nicht lockerlassen würde. Sie seufzte. Nicht schon wieder. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gegen das Klischee gearbeitet, das die Medien über das Tourette-Syndrom verbreiteten. Sie hatte gekämpft, um zu beweisen, dass sie so gut wie alle anderen war, auch wenn ihr Gesicht willkürliche, seltsame Verrenkungen machte.
„Also? Ich warte“, knurrte er.
„Ich habe Tourette.“
„Also hast du gelogen.“
„Nein.“ Sie schüttelte heftig ihren Kopf.
„Auf dem Bewerbungsformular wird gefragt, ob du medizinische Beschwerden hast. Du hast ‚nein‘ angekreuzt – ich habs gelesen.“
„Nein, ich wurde gefragt, ob ich medizinische Beschwerden habe, die mich daran hindern würden, meinen Job zu machen“, korrigierte sie ihn. „Hab ich nicht. Ich kann trotzdem meine Arbeit machen.“ Sie sprach mit fester Stimme, leidenschaftlich und hoffentlich klang sie auch überzeugend.
„Also das ganze Herumpöbeln, die Tics, die den ganzen Körper betreffen und einen quasi außer Gefecht setzen und das Wiederholen von Worten ... Das ist alles falsch?“, fragte er zweifelnd und wusste offensichtlich nicht, ob er ihr glauben sollte oder nicht.
Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein, das stimmt schon ... bei manchen Leuten. Die Sache ist die, dass Tourette jeden anders trifft. Die Medien nutzen gerne die extremen Fälle, weil sie sensationsgeil sind, doch die Realität ist, dass nichts davon auf mich zutrifft. Ich habe nur, was du schon gesehen hast: die Gesichtsticks. Ich hatte ein paar vokale Tics als Kind, aber die hatte ich schon seit Jahren nicht mehr. Was du gesehen hast, ist alles.“
„Warum hast du dann nichts zu Paps im Bewerbungsgespräch gesagt?“, fragte er und klang immer noch genervt.
„Weil er mir dann den Job nicht gegeben hätte!“, rief sie. „Schau mal, ich hab das schon erlebt. Die Diskriminierungsgesetze des Landes helfen nicht. Kein Arbeitgeber würde jemanden mit Tourette-Syndrom einstellen, wenn sie noch andere Kandidaten haben. Sie verstehen nicht genug davon, wissen nur das, was sie in den Medien hören und da wird eben nur von den seltenen, extremen Fällen berichtet. Also werde ich nur aufgrund eines Klischees verurteilt.“
Clay kratzte sich am Kinn und schien nachdenklich. „Und was ist, wenn du das machst, während du reitest? Wenn du dein Gesicht so verziehst – das ist eine ganz schön heftige Bewegung. Wenn das passiert, während du gerade über die Bahn galoppierst, könntest du ohne Weiteres das Gleichgewicht verlieren, herunterfallen und dich verletzen – oder sogar sterben. Weißt du, wie viel Papierkram heutzutage bei so einem Arbeitsunfall anfällt?“ Er zwinkerte ihr zu und lächelte leicht über seinen schlechten Witz, doch sie lächelte nicht zurück. Sie konnte nicht – er hatte recht und sie wusste es auch. Einige der Gesichtsticks waren heftige Bewegungen und oft wurden sie von einer Kopfdrehung begleitet, die ihre gesamte Wahrnehmung veränderte und sie aus dem Gleichgewicht brachte.
„Es passiert nicht, wenn ich reite. Oder wenn ich auch nur mit Pferden arbeite. Für mich ist es die beste Therapie. Im Sattel fühle ich mich normal.“
Hinterm Rücken drückte sie fest die Daumen und hoffte, dass er ihr noch eine Chance geben würde. Er wäre nicht der Erste, der sie wegen ihres Tourettes feuerte und ganz sicher wäre er nicht der Letzte. „Wenn du mir eine Chance gibst, verspreche ich, dass du es nicht bereust“, bettelte sie. Sie wollte nicht so verzweifelt klingen, wie sie wirklich war. Kein anderer Stall hatte sie anstellen wollen; die meisten Trainer wollten immer noch männliche Jockeys ausbilden, obwohl heutzutage jeder die gleichen Rechte haben sollte. Und sie brauchte einen Job. Am besten einen mit Arbeitszeiten, die ihr bei Annies Pflege halfen.
Clay sah sie noch einen Moment lang ernst an, bevor sich sein Ausdruck entspannte und sich ein winziges Lächeln auf sein Gesicht stahl. „Du hast Glück – es ist nicht meine Aufgabe, Personal anzustellen oder zu feuern, also bist du erst mal sicher. Ich rede mit Paps und erklärs ihm.“ Dann zwinkerte er ihr zu. „Aber wenn du zu mir gehörtest, würde ich dich übers Knie legen und dir für deine Täuschung den Hintern versohlen!“
„Oh, vielen Dank, Sir!“ Sie war so erleichtert, dass sie sich kaum davon abhalten konnte, vor Freude ihre Arme um ihn zu schlingen.
Erst später, viel später, als sie schon im Bett lag, erinnerte sie sich an den anderen Teil seiner Aussage. Den ‚ich leg dich über mein Knie und versohl dir den Hintern‘-Teil und ein Blitz der Erregung schoss durch sie hindurch, während sie sich erinnerte, wie seine tiefe Stimme diese Worte gesprochen hatte. Davon hatte sie Annie noch nichts erzählt, aber sie wusste, dass Annie es verstehen würde. Sie war einer der wenigen Menschen, die von ihrer Besessenheit mit Spanking wusste. Annie wusste alles über die Webseiten, die sie spät nachts besuchte, um ihre Wünsche zu befriedigen. Und vielleicht würde Annie auch wissen, ob sie zu viel in Clays Worte hinein interpretierte.
Immer noch in Gedanken daran schlief sie ein und fragte sich, wie es sich anfühlen würde, von ihm den Hintern versohlt zu bekommen. Er sah immerhin gut aus und hatte große, starke Hände, die groß genug waren, um ihren Hintern vollkommen abzudecken. Sie stellte sich vor, wie sie auf dem Bauch auf seinem Schoß lag und seine große Handfläche ihren Hintern rot verfärbte, während sie seiner tiefen Stimme zuhörte, die sie wegen irgendeines erfundenen Vergehens schalt. Sie schlief mit einem Lächeln auf dem Gesicht ein und freute sich auf den Morgen, wenn sie den attraktiven Vorarbeiter wieder sehen würde.




Kapitel Zwei


In den Ställen war wieder viel los, als sie kurz vor sechs Uhr ankam und sich auf einen Tag voller Arbeit freute. Clay war schon da; seine alte, weiche, zerrissene Jeans hing tief auf seinen Hüften und umfing sexy seine langen, schlanken Beine. Er trug ein schwarzes T-Shirt, das seine breiten Schultern betonte. Die Muskeln seiner Arme arbeiteten, als er einen blauen Plastikeimer voller Wasser in jeder Hand trug. Zusammen mit dem Rest des Teams stand sie vor dem Schwarzen Brett bei der Sattelkammer und schaute nach, welches Pferd sie heute Morgen als erstes reiten würde – sie hatte Big Red bekommen, einen riesigen, kastanienbraunen Wallach, der mit seinen siebzehn Händen vor ihr aufragte; er war mit Leichtigkeit das größte und stärkste Pferd im Stall. Offensichtlich wollten Clay und sein Vater sie testen, nachdem sie ihr Big Red als ihren ersten Ritt in der Ausbildung zum Jockey unter Tom Lewis gaben. Das konnte sie ihnen nicht verdenken – sie wusste schon lange, dass sie sich beweisen musste und dass sie klein war, selbst für eine Frau. Also machte es nur Sinn, dass sie ihr das stärkste Pferd am Anfang gaben. Doch sie brauchte nicht nur physische Stärke, um als Jockey Erfolg zu haben; Mut und mentale Stärke waren ebenfalls notwendig, zusammen mit einer Verbindung mit dem Pferd. Und davon hatte sie jede Menge. Deshalb machte ihr die Herausforderung, das größte, stärkste Pferd zu reiten, überhaupt keine Angst.
Sie nahm, was sie brauchte, um die Box auszumisten, führte den Wallach heraus und band ihn am Putzplatz an. Der sanfte Riese rieb seine Nase freundlich an ihrer Schulter, während sie leise mit ihm sprach und seinen Nacken streichelte, bevor sie den Schubkarren an die Boxentür stellte.
„Ich bin Darren.“ Der junge Mann, der die Box neben ihrer säuberte, hielt ihr seine schmutzige Hand hin und obwohl sie voller Dreck und Staub war, schüttelte sie sie und lächelte schüchtern. Ein bisschen Dreck hatte ihr noch nie etwas ausgemacht. Er war nicht groß; selbst für einen Jockey war er klein. Seine Hand war kaum größer als ihre, doch sein Griff war stark, mit dem er seine schwieligen Finger um ihre schloss.
„Bianca.“ Sie sah ihn an. Er wirkte freundlich, doch leider sah er nicht besonders gut aus, besonders, wenn man ihn mit Clay verglich.
„Wie lang arbeitest du schon hier?“, fragte sie ihn.
„Mittlerweile mehr als fünf Jahre. Tom hat mich als Auszubildenden angenommen.“
„Und du bist jetzt ein lizenzierter Jockey?“
„Jup.“ Das Nicken war klein, aber voller Stolz. „Ich reite heute ein Rennen auf einem meiner Lieblingspferde. Noch ein Gewinner, hoffe ich! Luke bereitet da drüben gerade das Fohlen vor.“ Er zeigte in die Richtung und Bianca sah die Stallgasse hinunter, wo ein Mann, der Clay sehr ähnlich war, eine wunderschöne braune Stute striegelte.
„Luke?“
„Clays Bruder. Von den drei Lewis-Jungs ist Luke der Älteste. Dann Clay und Cody. Du wirst sie noch kennenlernen; sie arbeiten alle hier, obwohl Cody auch viel auf der Farm arbeitet.“
„Clay wirkt nett.“ Das war nur eine Feststellung, doch Darrens Gesicht verdunkelte sich.
„Ja.“ Dann lächelte er. „Was hast du heute Abend vor? Willst du mit mir was trinken gehen? Hier ums Eck bekommt man ein geniales Rippchen-Sandwich.“
„Nein!“ Ihre Absage klang wesentlich entsetzter, als sie geplant hatte; Darrens niedergeschlagener Ausdruck sagte ihr, dass er die Zurückweisung nicht gut aufnahm. „Es tut mir leid. Ich hab nur ...“ Sie hielt inne. Sie konnte ihm nicht von Annie erzählen und dass sie jede freie Minute mit ihrer sterbenden Schwester verbringen wollte. Noch nicht. „Ich hab schon was vor, das ist alles.“
„Egal.“ Sein mürrischer Ausdruck sagte ihr auch, dass er ihr das nicht glaubte. Pech gehabt. Er wandte sich wieder der Arbeit zu, doch sie stand immer noch da auf den Rechen gelehnt und fühlte sich unbehaglich und schuldig. Der Job lief nicht gut. Ihr Tourette hatten sie schon früh erkannt und jetzt hatte sie auch noch jemanden beleidigt. Sie war nicht hier, um sich Feinde zu machen, doch offenbar war das trotzdem der Fall.
Sie sah auf und schob die Gedanken beiseite, als sie Schritte hörte, die auf sie zukamen, bemerkte jedoch nur am Rande, dass es Clay war. Er klopfte geistesabwesend mit der Reitgerte gegen seine Handfläche, als er die breite Stallgasse entlangging. Er blieb stehen und sah sie an. Dann zeigte er als stille Warnung mit der Gerte auf sie.
„Du bist zum Arbeiten hier, nicht zum Träumen.“ Er sah sie streng an; sein wirres Haar fiel ihm ins Gesicht und eine Augenbraue hatte er streng hochgezogen. Ein Außenstehender hätte hier keine Drohung in seiner Anweisung gehört. Doch ihr lief ein Schauer über den Rücken.
Sie nickte verlegen, nahm ihren Rechen und machte sich an die Arbeit und schaute ihm verstohlen nach. Sogar auf die Entfernung konnte sie erkennen, dass er gut gebaut war. Er schien kein Gramm Fett an sich zu haben; er war schlank und muskulös und wirkte unglaublich fit.
Während er sich weiter von ihr entfernte, fragte sie sich, wie es sich wohl anfühlte, wenn er sie mit der Gerte schlug. Würde er nur die kleine Lederlasche an der Spitze verwenden, um ihr einen kleinen, wundervollen Stich zu versetzen? Oder würde er den Stab wie einen Stock schwingen und Striemen auf ihrem Hintern erzeugen?
Da sie seinem Zorn entgehen wollte, mistete sie die Box in Rekordzeit aus und schaffte es, die Schubkarre auf dem Misthaufen auszuleeren, noch bevor Darren fertig war.
Big Red stampfte mit den Hufen auf und machte einen Schritt zur Seite, als sie ihn putzte, doch alles in allem schien er relativ gelassen. Obwohl er ihr so nahe war, ignorierte Darren sie ganz bewusst und sah nicht einmal in ihre Richtung. Den Sattel auf Big Reds Rücken richtig zu platzieren war nicht ganz einfach, da er so groß war, doch sie schaffte es. Als die anderen Reiter aufgesessen waren und auf dem Weg zur Bahn waren, erschien Tom, Clays Vater und Stallbesitzer, neben ihr, um ihr in den Sattel zu helfen.
Big Red bewegte sich wundervoll. Seine langen Beine streckten sich und sie flogen nur so über die Bahn mit seinen geschmeidigen, flüssigen Schritten. Noch hatten sie die Höchstgeschwindigkeit nicht erreicht und die schiere Kraft dieses Pferdes nahm ihr den Atem. Sie konnte spüren, wie sich jeder Muskel in seinem Körper zusammenzog, als seine kraftvollen Hinterbeine sie vorwärtstrieben. Genau deshalb habe ich so hart für diesen Job gekämpft!, jubelte ihre innere Stimme. Das ist so großartig!
Reiten, und besonders schnell reiten, war ihre Lieblingsbeschäftigung. Es war einfach natürlich für sie wieder im Sattel zu sitzen, und während sie sich im Takt mit den Schritten des Wallachs bewegte, entspannte sie sich und genoss die Freiheit, dass sie nicht ticcte. Der Wind rauschte an ihr vorbei und sie warf ihren Kopf zurück und lachte, glücklich darüber, dass sie wieder reiten und das tun konnte, was sie liebte.
Zum Ende des Trainings versuchte sie, Big Red zu bremsen, doch das große Pferd ignorierte sie und galoppierte weiter. Mist, dachte sie. Ich wette, Clay wusste, dass das passieren würde und versucht damit zu beweisen, dass er recht hat! Doch das machte sie nur noch entschlossener. Sie hatte es noch nie ausstehen können, wenn Leute ihr gesagt hatten, dass sie etwas nicht tun konnte, und das war ihr schon einige Male in der Vergangenheit passiert – entweder wegen ihres Tourettes oder weil sie eine kleine Frau war. Sie zog wieder an den Zügeln. Sie hatte schon früher gesehen, wenn Pferde durchgegangen waren, Zäune beschädigt, sich selbst und ihre Reiter verletzt hatten, und das gab ihr die Kraft, die sie brauchte, um das große, starke Pferd zu kontrollieren.
„Ho, mein Großer“, rief sie. „Du musst mir hier schon helfen!“ Sie machte sie schwer in den Steigbügeln, lehnte sich im Sattel zurück und zog so stark sie konnte an den Zügeln, während sie im Wechsel den linken und rechten Zügel zog und mit dem Wallach redete. Langsam begann das große Pferd auf ihre Führung anzusprechen und fiel zuerst in einen leichten Galopp und dann in Trab. „Guter Junge“, lobte sie ihn und streichelte ihm sanft den Nacken, während sie immer noch tief im Sattel saß, um ihm zu zeigen, dass er noch langsamer werden musste. Er schnaubte laut und machte einen Schritt zur Seite. Im Schritt brachte ihn sie ihn zurück zum Stall.
Ha ha, Clay, ich habs geschafft! Ich habe deinen Test bestanden – ich habe Big Red unter Kontrolle bekommen!, rief ihre innere Stimme triumphierend. Ich habs geschafft!
* * *


Die Arbeit auf der Bahn war wesentlich anstrengender als sie in Erinnerung hatte. Entweder das oder sie war durch die Pause, die sie eingelegt hatte, schlechter in Form, als sie gedacht hatte. Egal wie, sie freute sich auf eine kurze Pause im Aufenthaltsraum mit einer Tasse Kaffee, bevor sie weiter ausmistete.
„Wir bekommen ein neues Pferd“, informierte Clay sie. „Ein Stutfohlen. Sie wurde fürchterlich misshandelt und lässt niemanden an sich heran, aber Paps hat sie trotzdem aufgenommen, um zu sehen, ob wir ihr helfen können. Sie hat einen guten Stammbaum und sollte auch Rennen laufen können, doch das geht nur, wenn wir sie dazu bekommen, ihre Angst zu überwinden. Komm und schau zu, wenn du magst.“
„Wie heißt sie?“
„Rose. Sapphire Rose.“
Sie folgte Clay nach draußen und lehnte sich gegen die hölzerne Umrandung des Round Pens und sah zu, wie Tom den Anhänger dirigierte, um ihn so nah wie möglich an das Tor heranzubekommen. Ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter, als sie das Geräusch von Hufen hörte, die gegen die Seite des Anhängers schlugen und das schrille Wiehern des Pferdes. Das arme Pferd klang vollkommen verängstigt!
„Ich dachte, du hättest gesagt, sie wäre ruhig gestellt?“ Clays tiefe Stimme erklang direkt hinter ihr.
„Es hat nicht gehalten“, schnaubte einer der Fahrer. „Sie ist gefährlich. Ihr seid verrückt, wenn ihr sie aufnehmen wollt. Sie hätte eingeschläfert werden sollen.“
„Hmmm“, machte Clay und es klang wie Zustimmung, als er sich gegen die Umrandung neben ihr lehnte.
„Nein!“, keuchte Bianca. „Sie ist nur verängstigt. Bitte gebt ihr eine Chance!“
Clay klopfte ihr leicht auf die Schulter und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. „Werden wir.“
Bianca sah mit vor Schreck geweiteten Augen zu, wie einer der Männer sich mit einem großen Stock in den Anhänger beugte und das Fohlen die Rampe hinunter und ihn den Round Pen scheuchte. Es kostete sie ihre gesamte Willenskraft, den Mund zu halten, statt ihn anzuschreien; und es war ein Kampf, nicht über den Zaun zu steigen und sich auf ihn zu stürzen. Was war falsch daran, freundlich zu sein? Doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben und nichts zu sagen. Sie konnte nichts sagen, nicht, wenn Tom und Clay zusahen.
Die Stute war wunderschön. Obwohl sie fürchterlich aussah – bis auf die Knochen abgemagert, gebrochen und misshandelt – hielt sie ihren Kopf und Schweif hoch, als sie durch den kleinen Pen stolzierte und laut durch geblähte Nüstern schnaubte. Sie war hellbraun, hatte eine weiße Blässe und drei weiße Socken; sie wirkte kaum älter als zwei Jahre.
Als sie an ihnen vorbeigaloppierte, entdeckte Bianca eine blutende, offene Wunde unter ihrer Stirnlocke und Peitschenstriemen auf ihrem ganzen Körper, von der Flanke bis zur Schulter. Sie keuchte und spürte, wie sich Clay neben ihr versteifte.
Sie beobachtete von außen, wie Tom mit ausgestreckter Hand zwischen ihnen durchschlüpfte, doch die Stute ließ ihn nicht an sich heran. Sobald er den Round Pen betrat, legte sie die Ohren an, zeigte die Zähne und stürmte auf ihn zu und schlug mit den Vorderhufen aus, als sie nahe genug vor ihm war. Sie hörte Clay leise fluchen, als Tom sich wegduckte und geradeso einem Treffer auswich, bevor er sich hinter der Absperrung in Sicherheit brachte.
„Sie wurde brutal behandelt“, bemerkte Clay.
Bianca war übel. Was hatte das arme Pferd nur durchmachen müssen, dass es so reagierte? Wenn man von der Wunde an seinem Kopf ausging, war es offenbar mit einer Art Knüppel geschlagen worden, doch was hatten sie noch mit ihm gemacht? Sie kämpfte eine Welle der Übelkeit nieder, die in ihr aufwallte, als sie daran dachte, was dieses Pferd alles hatte ertragen müssen.
Tom schüttelte traurig den Kopf. „Sie ist noch schlimmer dran, als ich dachte“, stellte er fest. „Ich gehe und rufe jetzt die Besitzer an und dann bestelle ich den Tierarzt für heute Nachmittag, damit er sie einschläfert. Wir können hier kein solches Pferd brauchen; sie könnte jemanden umbringen.“
„Nein!“, rief Bianca. „Bitte, lassen Sie es mich versuchen.“
Tom nickte, doch Clay schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall! Das ist viel zu gefährlich! Du hast doch gesehen, was sie gerade mit Paps gemacht hat!“
Bianca ignorierte Clay, kletterte in den Pen und hielt den Atem an, als sie sich in die Mitte des Round Pens stellte und sich dann nicht mehr bewegte. Sie war sich sehr genau bewusst, was das Fohlen macht, doch sie konzentrierte sich darauf, dass ihre Körpersprache einladend wirkte und hielt den Blick gesenkt, als sie eine Hand nach dem Pferd ausstreckte. Das Fohlen kam langsam, vorsichtig auf sie zu; es schnaubte laut und blähte die Nüstern. Bianca blieb stehen. Behutsam streckte die Stute ihre Nase aus und Bianca rieb sanft die samtweiche Nase.
„Hallo, meine Schöne“, gurrte sie. Die Stute sah sie mit Augen voller Misstrauen an. Ihre Ohren drehten sich ständig vor und zurück und sie zitterte, doch als Bianca weiter mit dem Fohlen sprach und ihre Hand ausgestreckt hielt, entspannte sie sich ein wenig.
Sie konnte sowohl Toms als auch Clays Blicke auf sich fühlen, als sie mit der Stute im Round Pen stand und ihr Herz schwoll an vor Stolz. Annie hatte ihr immer gesagt, dass sie eine Gabe im Umgang mit Pferden hatte, doch bisher hatte sie noch nie die Möglichkeit gehabt zu sehen, wie viel sie wirklich konnte.
„Ruhig, mein Mädchen. Ruhig, Rose.“ Bianca sprach leise, versuchte, das Pferd zu beruhigen, während sie näher kam und ihre Hände über den gebrochenen Körper gleiten ließ. Sie in diesem Zustand zu sehen, den Schrecken, den sie fühlte, brach ihr das Herz. Ihre Ohren bewegten sich unablässig, das Weiße ihrer Augen war zu sehen und sie zitterte noch immer. Wut durchfuhr sie, als sie das Ausmaß des Missbrauchs erkannte, den die Stute erfahren hatte.
Statt in den ruhigen Stunden nach Hause zu fahren, um mehr wertvolle Zeit mit Annie zu verbringen, blieb Bianca mit dem Fohlen im Round Pen, wo sie mit ihr arbeitete, ihr Vertrauen gewann und ein Band mit ihr knüpfte. Als es am Nachmittag Zeit für ihre Stallpflichten wurde, lief die Stute nervös neben Bianca die breite Stallgasse hinunter, bis sie eine der Boxen ganz am Ende erreichten.
Bianca blieb eine Weile bei ihr, lehnte sich über die halbe Tür und beobachtete, wie sich das Fohlen eingewöhnte. Sie sah auf, als sie näher kommende Schritte hörte, und blickte direkt in das Gesicht eines groß gewachsenen, blonden Mannes, der genau wie Clay aussah. Er schien ein oder zwei Jahre jünger zu sein als Clay, doch es war offensichtlich, dass sie Brüder waren. Wie Clay hatte er einen Bartschatten, freundliche Augen und sein Haar war zu lang und wirr und könnte einen Schnitt vertragen. Doch er roch anders als Clay, stellte sie fest, als er näher trat. Er hatte nicht diesen berauschenden Pferdeduft an sich; er roch mehr nach Gras, Getreide, Erde, Hund und noch etwas anderes, das sie nicht identifizieren konnte. Er roch wie ein Farmer.
„Cody.“ Er hielt ihr eine dreckige Hand hin und sie schüttelte sie schüchtern, als seine riesige Hand ihre umfasste. Er war sogar noch größer als Clay und wirkte noch autoritärer, falls das überhaupt möglich war. Sie kannte ihn gar nicht und trotzdem fühlte sie sich zu ihm, zu seiner autoritären Art hingezogen. Er zeigte in Richtung Pferd. „Wer ist das?“
„Das ist Rose. Sie kam heute an. Sie hätte ruhig gestellt sein sollen, aber es hat nicht lange genug angehalten. Als sie hier ankam, kämpfte sie und trat um sich.“ Bianca lächelte stolz bei der Erinnerung. Sie mochte temperamentvolle Pferde. Doch ihr Lächeln verschwand schnell, als sie sich daran erinnerte, warum die Stute hier war. „Sie ist furchtbar missbraucht worden.“
Cody nickte und trat näher und stellte sich neben sie an die Tür. Sofort legte die Stute die Ohren an und raste mit gebleckten Zähnen auf ihn zu. Dieses bösartige, angsteinflößende Verhalten ließ Cody hastig einen Schritt zurücktreten, dann pfiff er leise.
„Sie hat nur Angst“, sagte Bianca sanft. „Alles okay, mein Mädchen“, sagte sie leise zum Pferd, das jetzt ruhig dastand, zitternd und mit bebenden Nüstern.
„Ist sie verrückt?“, fragte Cody.
Bianca schüttelte den Kopf. „Nur verängstigt. Sie ist furchtbar missbraucht worden.“ Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn von oben bis unten an. „Kennen Sie sich nicht mit Pferden aus? Ist es denn nicht offensichtlich, was sie durchgemacht hat?“
„Nö.“ Cody schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Farmer. Wir haben Schafe und Kühe hier, bauen etwas Getreide an und trainieren auch Pferde. Paps kümmert sich um die Pferde, Mas Bruder war immer schon der Farmer – es ist ein Familienbetrieb. Doch seit Onkel Max gestorben ist, kümmere ich mich um die Farm. Mich bekommt man nicht auf eines dieser verrückten Biester – da sind mir Motorräder viel lieber!“
„Oh.” Bianca lächelte, als sie sich fragte, ob Luke, der dritte Bruder, genauso gut aussah wie die beiden, die sie schon getroffen hatte. Und ob er auch nett war ... Es war schon eine ganze Weile her, seit ein gut aussehender Mann ihr Beachtung geschenkt hatte – normalerweise waren sie nicht mehr interessiert, sobald sie von ihren Tics erfuhren.
„Lässt Paps sie bleiben?“ Cody klang skeptisch.
Bianca nickte. „Vorerst.“ Obwohl sie wusste, dass das nicht wirklich stimmte – denn noch hatte Tom seine Meinung noch nicht geändert, das Pferd einschläfern zu lassen. Zumindest nicht so weit sie wusste.
Cody blieb noch ein paar Minuten und beobachtete das Pferd und sie aus dem Augenwinkel. Es war offensichtlich, dass er sie abcheckte, obwohl er versuchte, es zu verstecken, und ein kleiner Schauer der Erregung durchfuhr sie im gleichen Moment wie eine Welle der Panik – ein Tic wollte raus. Der Druck baute sich hinter ihren Augen auf und es wurde schwerer und schwerer, ihn zurückzuhalten.
Sie konnte ihn nicht länger unterdrücken. Sie wandte sich von ihm ab und versuchte, den Tic so gering wie möglich zu halten, doch sie wusste auch, dass er die Bewegung mitbekommen würde, falls er sie beobachtete. Wäre er dann immer noch freundlich zu ihr?
„Alles okay bei dir?“
Sie nickte. „Mir gehts gut.“
„Aber dein Gesicht ...“ Er verstummte, als er ihre Gesichtsverrenkungen kommentierte.
„Es heißt Tourette-Syndrom“, schnappte sie. „Frag Clay danach. Oder noch besser, google es doch einfach. Die Medien erzählen dir alles darüber, was sie glauben, das du wissen musst.“ Ihr Ton war bitter, als sie ihm die Worte entgegenschleuderte, doch das war ihr egal. Die Lewis-Brüder hatten schon genug Gelegenheit, ihr Tourette zu verurteilen.
Cody trat einen Schritt zurück und sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Dann lass ich dich mal allein.“
„Tu das.“ Ihr Herz brannte bei diesen Worten. Sie war schon so oft zurückgewiesen worden, doch jede neue Abfuhr tat wieder weh. Würde sie jemals einen Mann finden, der sie einfach akzeptierte, wie sie war?
* * *


„Schau mal!“ In Annies Stimme klangen Stolz und Aufregung mit, als sie den hellblauen Babybody hochhielt, den sie gerade gestrickt hatte.
Bianca lächelte, doch sie war viel zu müde, um viel zu spüren. Die Erschöpfung war nicht nur körperlich, sie war auch mental vollkommen fertig. Das Fohlen in so einem furchtbaren Zustand zu sehen, war schwierig und ihr Vertrauen zu gewinnen, nicht einfacher gewesen. Und nach all ihrer Arbeit hatte Tom ihre Zukunft nicht garantieren können. Es wollte ihr das Herz zerreißen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie sich neben Annie setzte, um ihr von ihrem Tag zu erzählen.
„Du kannst ihr helfen, Bee; du hast eine Gabe.“
Bianca nickte. „Ich habe schon einiges geschafft heute. Ich hoffe nur, es ist genug.“
Annie lächelte nur. „Das hoffe ich auch.“
* * *


Obwohl sie vollkommen erschöpft ins Bett ging, wälzte sich Bianca die ganze Nacht hin und her. Sie bekam das Bild der traumatisierten Stute nicht aus dem Kopf, konnte ihre entsetzten Schreie nicht vergessen, als sie im Anhänger um sich trat. Das Bild, wie die Männer sie mit einem großen Stock aus dem Anhänger scheuchten, hatte sich eingebrannt. Und sie konnte Annie nicht vergessen, und wie schnell es mit ihr bergab ging. Jeden Tag wurde sie schwächer. Wie viel Zeit hatte sie noch?




Kapitel Drei


Die morgendlichen Ritte und Stallarbeiten waren schnell erledigt und Bianca war im Stall, wo sie dem Stutfohlen getrocknetes Blut aus dem Fell bürstete, als sie Schritte auf sich zukommen hörte. Ihr Herz machte einen Sprung. Sie hatte ein schlechtes Gefühl im Magen. Das war nicht gut. Einige Sekunden später erschien Tom mit zwei gut gekleideten, professionell aussehenden Pärchen vor der Box, die hier im Stall fürchterlich fehl am Platz wirkten. Doch als sie den Ausdruck auf ihren Gesichtern sah – den schieren Horror, wusste sie sofort, wer sie waren. Offensichtlich waren sie Roses Besitzer. Die Stute begann in der Gegenwart der Männer zu zittern. Sie schnaubte laut durch geblähte Nüstern und stampfte mit den Vorderhufen. Bianca legte ihr beruhigend eine Hand auf den Hals, um sie zu trösten, ihr zu versichern, dass diese Menschen ihr nicht wehtun würden und sie hier sicher war. Sie sah, wie sich die Augen der beiden Frauen mit Tränen füllten.
„Armes Ding“, rief die eine. „Sie ist furchtbar missbraucht worden. Das beste wäre wohl, sie zu erlösen!“
Bianca beobachtete erschrocken, wie alle zustimmend nickten.
„Roger wird dafür bezahlen“, knurrte einer der Männer. „Wie kann er es wagen, einem Pferd so etwas anzutun?“ Er versuchte, die Box zu betreten, doch Rose wollte davon nichts wissen: Sie legte die Ohren an, zeigte ihre Zähne und mit der Schulter schubste sie Bianca zu Boden.
„Alles okay, Bianca?“, fragte Tom, der es nicht wagte, ihr zu Hilfe zu kommen. „Ich habe noch nie so ein traumatisiertes Pferd gesehen“, sagte er traurig. „Ich glaube, sie einzuschläfern wäre das Beste.“
„Nein!“, rief Bianca. „Ihr müsst ihr eine Chance geben! Bitte!“
„Ich glaube nicht, Süße“, sagte die andere Frau. „So ist es besser.“
Sie sprang auf die Füße und klopfte sich umständlich das Sägemehl von der Jeans, bevor sie zur Stute sprang, die sich zurückgezogen hatte und jetzt zitternd in der Ecke der Box stand. Sie stand am Widerrist und streichelte ihr den Hals, sprach sanft mit ihr und langsam entspannte sich Rose.
„Schaut doch!“, argumentierte sie und wusste, dass dies ihre einzige Chance war, um für das Pferd zu kämpfen. „Sie vertraut mir schon!“ Doch sie spürte, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte – der Zweifel stand den Besitzern deutlich ins Gesicht geschrieben.
Clay brachte dann die Tierärztin herein und Bianca blieb mit Rose in der Box, um sie zu beruhigen, damit die Ärztin sie untersuchen konnte. Tom hatte extra nach einer Tierärztin gefragt und Rose hielt still, war jedoch angespannt und zitterte, obwohl Bianca bei ihr stand und sie beruhigte. Der Gesichtsausdruck der Ärztin war finster, als sie das Pferd untersuchte, und als sie aus der Box trat, schüttelte sie noch immer den Kopf.
„Sie ist sehr schwer misshandelt worden“, sagte die Tierärztin. „Sie ist sowohl physisch als auch psychisch verletzt“, sagte sie traurig, als sie die Verletzungen der Stute an den Fingern abzählte. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie wiederhergestellt werden kann. Man könnte es versuchen, aber ich kann nicht garantieren, dass es funktioniert. Das beste wäre wohl, sie einzuschläfern.“
„Nein!“, protestierte Bianca und schlang ihre Arme schützend um die Stute. Erschrocken bäumte sich das Fohlen auf und zog Bianca mit sich in die Luft.
„Ja!“, antwortete einer der Männer. „Sie ist gefährlich. Ein gefährliches Pferd hilft doch niemandem.“ Er wandte sich seinen Begleitern zu, und obwohl sie nicht ausmachen konnte, was sie leise zueinander sagten, wusste sie doch, dass sie beschlossen, das Pferd einzuschläfern.
„Clay!“, rief sie und klang jetzt verzweifelt. Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie wieder vom harten, frisch gefegten Betonboden aufstand. „Sie hat doch nur Angst! Sag es ihnen! Sag ihnen, dass sie sie retten müssen! Ich werde sie in meiner Freizeit trainieren, nur bitte, gebt ihr eine Chance!“ Doch schon als sie die Worte aussprach und sich dieser Sache verschrieb, spürte sie einen Stich im Herz. Würde sie wirklich die Zeit mit ihrer Schwester dafür opfern? Würde Annie es denn verstehen?
Clay stand vor der Boxentür und winkte sie zu sich. Es kostete sie größte Überwindung, sich umzudrehen und von dem Pferd wegzugehen, sie allein ihrem Schicksal zu überlassen, doch sie folgte Clay ein paar Meter weiter in eine leere Box, wo sie relativ ungestört reden konnten.
„Warum willst du sie unbedingt behalten?“, fragte er. „Sie ist gebrochen. Es wäre wohl das beste, sie von ihrem Elend zu erlösen.“ Er lehnte sich lässig gegen die Wand, einen Fuß gegen den anderen Knöchel gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Wenn sie nicht so aufgebracht wäre, hätte sie ihn nur zu gerne beobachtet, so wie er hier vor ihr stand. Er sah so autoritär aus, als hätte er alles unter Kontrolle und sah dabei so unglaublich gut aus.
„Ich kann es nicht erklären“, antwortete sie. „Ich weiß nur, dass ich sie brauche. Es ist so, als ob wir aus einem bestimmten Grund hier sind. Wir sind beide gebrochen. Wir müssen beide heilen und wir beide brauchen eine Chance.“ Sie sah ihn mit großen, runden Augen an und hoffte, dass er sie verstand. „Du hast mir eine Chance gegeben, Clay, bitte gib ihr auch eine!“
Clay sah sie ein paar Minuten lang stumm, gedankenverloren an und nickte dann einmal. „Okay“, sagte er. „Ich versuche es. Ich kann nichts versprechen, aber ich werde es versuchen.“
Als Bianca zurück in die Box trat, um noch etwas mehr Zeit mit dem Fohlen zu verbringen, sprach Clay leise mit seinem Vater und führte dann die Besitzer ins Büro im Halbgeschoss. Sie nahm die Bürste auf und machte sich wieder daran, das Blut aus dem Fell zu bürsten und drückte die Daumen, dass alles gut wurde.
* * *


Annie lag im Bett, als Bianca am Abend nach Hause kam; sie hatte nicht einmal die Kraft gehabt, aufzustehen. Tränen stiegen ihr in die Augen, als Bianca von Rose erzählte und das Schicksal, das sie vermutlich erwartete.
„Du kannst sie retten, Bee“, versicherte Annie ihr. „Wenn irgendjemand dem Pferd helfen kann, dann bist du es.“
„Aber das heißt, dass ich weniger Zeit mit dir verbringen kann“, flüsterte Bianca und die Schuld drohte sie zu ersticken.
Annie lächelte nur schwach. „Ich bin immer bei dir“, flüsterte sie. „In jeder Sekunde eines jeden Tages bin ich an deiner Seite, genau hier, in deinem Herz.“ Der starke Griff, mit dem sie Biancas Hand hielt, täuschte über ihre Schwäche hinweg, doch der Schmerz war deutlich in ihren Augen zu sehen.
„Hast du‘s bequem?“, fragte Bianca, obwohl sie wusste, dass sie es alles andere als gemütlich hatte und dass Bianca auch nichts dagegen tun konnte, um ihr zu helfen. Wenn es möglich wäre, würde sie den Schmerz ihrer Schwester wegzaubern oder ihn zumindest selbst tragen, doch nichts davon war möglich.
„Ich bin okay“, versicherte Annie ihr. „Ich spreche morgen mit den Schwestern, damit sie meine Schmerzmitteldosis erhöhen.“
Bianca zog die Stirn kraus, sagte jedoch nichts. Sie wusste, dass Annie es hasste, wenn sie Wirbel um sie machte, aber es war eben schwer zuzusehen, wie die Person, die man am meisten liebte, Schmerzen hatte.
In dieser Nacht schlief sie wieder in Annies Bett und hielt ihre Schwester, als diese im Schlaf vor Schmerz stöhnte.
Bianca schlief kaum in der Nacht. Sie hörte ihren Vater gegen Mitternacht nach Hause kommen nach einer weiteren Nacht, in der er versucht hatte, seine Sorgen zu ertränken. Die Erkrankung seiner Tochter hatte ihn schwer getroffen – nach all den Jahren, in denen er alleine für sie gesorgt hatte, verlor er jetzt eines seiner kostbaren Mädchen. Und was es noch schlimmer machte, war, dass er absolut nichts dagegen tun konnte. Bianca wusste, wie sehr es ihn schmerzte, dass er Annie nicht helfen konnte und wusste besser als jeder andere, wie hart er dafür gekämpft hatte. Wie viele zusätzliche Therapeuten er aufgesucht, wie viele Onkologen sie besucht und wie oft er sie ins Krankenhaus gefahren hatte. Nichts hatte geholfen. Sie hatte tapfer gekämpft, doch ihre Zeit war bald gekommen, denn ihr Kampf würde bald zu Ende sein.
Sie wischte sich mit der Bettdecke ihrer Schwester die Tränen aus den Augen und schlief leise weinend ein.
* * *


Am nächsten Morgen waren ihre Tics schlimm. Die Müdigkeit gepaart mit Gefühlschaos sorgte dafür, dass sie fast ständig ticcte. Und um alles noch schlimmer zu machen, waren jetzt auch ihre vokalen Tics wieder da. Das Räuspern war halb so wild – das machte schließlich jeder – aber die Echolalie war ein Problem. Bisher hatte sie die Worte nur lautlos wiederholt, doch sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie Worte laut wiederholen musste, die in ihrer Gegenwart gesprochen wurden, wenn ihre Tics weiter so eskalierten. Was würde Clay dann denken? Würde er ihr den Job lassen? Oder würde er dafür sorgen, dass sie gefeuert wurde? Oder noch besser: Würde er ihr wieder androhen, dass er ihr für ihre Lügen den Hintern versohlen würde? Nicht, dass sie ihn wirklich angelogen hatte. Schließlich hatte sie keine Echolalie gehabt, als Tom Lewis sie angestellt hatte. Doch Clay würde ihr das nur glauben, wenn er das Tourette-Syndrom verstand.
Sie war in Gedanken versunken, als sie Big Red aus seiner Box führte und ihn sicher draußen anband. Sie lächelte, als sie an Clay dachte. Sie hatte viel mit ihm zu tun gehabt, seit sie angefangen hatte im Stall zu arbeiten, doch geflirtet hatten sie nicht mehr. Es hatte auch keine Anzeichen mehr dafür gegeben, dass er ein Spanker war. Er war immer noch sehr dominant – offensichtlich ein Alpha mit angeborener Autorität, der sie nur zu gerne gehorchen würde, wenn auch nur aus dem Grund, um herauszufinden, was passieren würde, doch bisher hatte sich noch keine Möglichkeit dafür ergeben. Er war zwar nicht wirklich ihr Boss, aber als Vorarbeiter im Stall war er schon irgendwie ihr Vorgesetzter. Sie war ihm zwar nicht unterstellt, aber er war für die Qualitätskontrolle zuständig; und sie hatte keinen Zweifel daran, dass er darauf zurückkommen würde, wenn sie ihre Arbeit nicht richtig machte. Doch was würde er dann wirklich machen? Würde er sie nur mit seiner tiefen, sexy Stimme ausschimpfen, bis sie sich wie ein kleines Kind fühlte? Oder würde er wirklich die Reitgerte benutzen, die er ihr so drohend vor die Nase gehalten hatte, als sie hier angefangen hatte? Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal in jemanden verknallt hatte, so lang war das schon her. Und dieses Mal hatte es sie heftig erwischt. Als sie den großen Wallach striegelte, stellte sie sich vor, wie sie von Clay in die Schranken gewiesen wurde, wobei er sie aber nicht nur ausschimpfte, sondern auch ...
„Steh still, Red“, wies Bianca das große Pferd an, als sie sich bückte, um seine Fessel mit der linken Hand zu heben und den Hufkratzer in der Rechten. Red war der letzte Ritt des Morgens und sie freute sich schon darauf, wieder auf seinem Rücken zu sitzen. Seine großen, ausgreifenden Schritte waren ein aufregender Ritt und jetzt, da sie mit ihm eine Bindung aufgebaut hatte, konnte sie ihn am Ende des Trainings mühelos bremsen. Der Wallach war ein sanfter Riese und wurde jetzt schon zu ihrem Lieblingspferd im Stall.
Klatsch! Die Reitgerte landete quer auf ihrem Hintern, als sie gerade vorgebeugt war, um Big Reds Vorderhuf auszukratzen. Sie schrie auf, ließ seinen Huf fallen und richtete sich schnell auf, denn sie wollte den Übeltäter erwischen. Sie war sich sicher, es war Clay. Sie zielte und warf den Hufkratzer, den sie hielt, mit Schwung dem Mann hinterher, der verdächtig wie Clay aussah, aber kürzere und etwas dunklere Haare hatte. Der Hufkratzer traf ihn mitten zwischen den Schulterblättern und er drehte sich auf dem Absatz um und sah sie finster an. Das war nicht Clay. Der älteste Lewis-Bruder lächelte sie breit an und sein finsterer Ausdruck verschwand.
„Sorry, ich konnte einem so perfekten Ziel einfach nicht widerstehen. Ist ja nur Spaß, oder?“ Er grinste und zwinkerte ihr schelmisch zu, als er den Hufkratzer vom Boden aufhob. „Ich bin Luke“, sagte er und warf ihr den Hufkratzer wieder zu. „Ich dachte, du wärst jemand anders, sonst hätte ich das nie gemacht. Alle Frauen, die hierher kommen, sind daran gewöhnt, dass meine Brüder und ich Frauen schon mal auf den Hintern hauen, aber das machen wir sonst nicht bei Neulingen. Ich entschuldige mich.“
Ihr Herz schmolz. So gut aussehend und so höflich! Na ja, höflich war er erst im Nachhinein, aber das war immer noch besser als gar nicht.
„Heißt das, dass ihr das öfter macht?“
Luke zuckte mit den Schultern. „Es arbeiten nicht so viele Frauen hier, aber ... ja. Wenn wir können.“ Er grinste sie breit an. „Sexuelles Geplänkel gibt es wohl in jeder von Männern dominierten Industrie, oder?“ Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, als er wieder ernst wurde. „Aber nicht alle Frauen mögen es, also sag einfach Bescheid, wenn du es nicht magst. Es wird nicht mehr passieren, wenn du etwas dagegen hast. Versprochen.“
Biancas Inneres schlug Purzelbäume. Ihre Fixierung auf Spanking war schon seit Jahren ihr schmutziges, kleines Geheimnis. Wäre es denn wirklich möglich, dass sie endlich jemanden gefunden hatte, der den gleichen Fetisch hatte? Könnte es sein, dass sie endlich nicht mehr im Internet nach der Erfüllung ihrer Fantasien suchen musste?
„Alles klar“, sagte sie schüchtern und rieb sich mit der Hand den Hintern, wo die Gerte sie getroffen hatte, als sie sich wieder Red zuwandte, um ihn weiter für den Ritt vorzubereiten und versuchte, die Aufregung zu verbergen, die sie seit dem Treffer mit der Gerte fühlte. Und sie alle machten es? Sie alle versohlten Frauen den Hintern? Alle drei Brüder? Das war ja noch besser!




Kapitel Vier


„Würstchen.“ Darren flüsterte ihr das Wort ins Ohr, als er an ihr vorbei zur Sattelkammer ging. Es war nur ein einziges geflüstertes Wort, doch mehr brauchte es nicht.
„Würstchen! Würstchen!“, wiederholte sie und gab sich Mühe, leise zu sprechen. Es war schwierig – sie wollte es aus vollem Halse hinausschreien, ihr Gehirn brüllte sie an, das Wort laut zu sagen, doch sie kämpfte dagegen an. „Würstchen, Würstchen, Würstchen.“
„Freak!“, verkündete er, als er einige Minuten später wieder an ihr vorbeiging und sein Gesicht war vor Ekel verzogen, als er bemerkte, dass sie noch immer das Wort wiederholte, dass er ihr zugeflüstert hatte.
Darren hatte das Trigger-Wort zufällig entdeckt, als Mrs. Lewis am Morgen zuvor einen Teller mit heißen Würstchen im Schlafrock vorbeibrachte. Bianca hatte das Wort den ganzen Morgen lang vor sich hingeflüstert und leider hatte Darren es mitbekommen. Und seit diesem Zeitpunkt hatte er ihr bei jeder Gelegenheit ‚Würstchen‘ ins Ohr geflüstert.
Ihre Trigger-Worte waren rein zufällig. Jedes Wort könnte einen Tic auslösen und obwohl sie die meiste Zeit über in Ordnung war, fixierte sich hin und wieder ihr Hirn auf ein Wort und das wars; sie hatte dann keinen Frieden mehr. Sie konnte nur hoffen, dass die Echolalie bald wieder verschwinden würde.
Bianca hatte die ersten zwei Monate in Tom Lewis‘ Stall genossen. Außer mit Darren, der einen Groll gegen sie hegte, seit sie in aus Versehen ziemlich unhöflich abgewiesen hatte, kam sie mit den anderen Arbeitern gut zurecht. Es war ein hart arbeitendes Team, das gerne Spaß hatte und sie passte wunderbar hinein. Und obwohl sie wusste, dass alle ihre Tics bemerkten – sie waren ja weder blind noch taub – sagte keiner etwas dazu. Niemand außer natürlich Darren. Ihm schien es die größte Freude zu machen, neue Trigger-Worte zu finden oder ihre verrückten Gesichtsverrenkungen nachzuahmen, wenn sie zuckte. Wenn sie sich räusperte, räusperte er sich auch. Und wenn sie die Nase hochzog, wie sie es gerne machte, stellte er sich neben sie und schniefte in ihr Ohr.
Sie zwang ihre Tränen zurück. Sie würde nicht weinen. Nie wieder. Sie würde nicht mehr wegen ihres Tourettes weinen. Es half nicht, machte die Situation nicht besser und wenn überhaupt, wurden ihre Tics nur noch schlimmer.
Ignorier ihn einfach, Bee. Auch jetzt konnte sie Annies ermutigende Worte hören. Sie vermisste ihre Schwester. Sie hatte so viel Zeit mit Rose verbracht, um das Band mit ihr zu stärken und die Fitness der Stute zu verbessern, dass sie keine Zeit mehr mit Annie verbringen konnte. Sie kuschelten zwar am Abend, aber dann war Annie immer schon zu müde, schwach und krank, um sich groß zu unterhalten, sodass sie nur ihre Gegenwart genießen konnte.
Sie zuckte zusammen, als sie die sanfte Berührung einer großen Hand auf ihrer Schulter spürte.
„Soll ich mit Darren reden?“, fragte Clay mit leiser Stimme.
Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein, lass ihn einfach. Ich will keinen Ärger machen; ich bin doch noch so neu. Außerdem bin ich schon mit Schlimmerem zurechtgekommen.“
„Okay. Aber sag Bescheid, wenn du deine Meinung änderst.“ Mit einem freundlichen Lächeln tippte er sich an den Hut und ging weiter die Stallgasse entlang.
* * *


Clay lehnte sich gegen die obere Abgrenzung des Round Pens und legte seinen Kopf auf seinen gekreuzten Armen ab und sah ihr zu. Sie hatte eine Gabe mit Pferden, das musste er zugeben. Der Fortschritt, den Bianca mit Rose in nur zwei kurzen Monaten erarbeitet hatte, war unglaublich. Ihre Besitzer würden morgen kommen, um sie laufen zu sehen. Und obwohl es erst das zweite Mal war, dass Bianca mit ihr galoppierte, hatte sie keinen Zweifel daran, dass sie es gut machen würden.
Biancas Gesicht war ruhig und entspannt und zeigte keine Spur eines Tics, als sie sich auf das Pferd konzentrierte. Sie kommunizierte auf ihre stille Art mit der Stute und stärkte das Band, das sie mit ihr geknüpft hatte. Er beobachtete sie, bewunderte, wie anmutig sie sich bewegte und wie selbstbewusst sie mit dem Pferd arbeitete. Sie war so hübsch, wenn ihr Gesicht nicht von diesen lächerlichen Zuckungen verzerrt war. Es war eine Schande, dass sie Tourette hatte – sonst wäre sie eine tolle Frau.
Sie sah auf und bemerkte, dass er sie beobachtete und er lächelte. Doch anstatt es zu erwidern, runzelte sie die Stirn und sah schnell weg, bevor sie kurz darauf wieder zu ihm hinsah, immer noch finster schauend.
„Schau mich nicht an“, murmelte sie leise, doch er hörte jedes Wort.
„Warum nicht? Du solltest es doch gewohnt sein, dass Kerle dich ansehen.“
„Oh, das bin ich. Und es sind nicht nur Kerle. Mädchen schauen mich auch an und machen sich dann über mich lustig.“ Ihre Stimme klang bitter, traurig und wehmütig und sofort erkannte er seinen Fehler.
„Moment, das hatte ich nicht gemeint“, protestierte er, doch es war zu spät. Er bemerkte den Ausdruck verbitterter Konzentration, den sie immer hatte, wenn sie versuchte, einen Tic zu unterdrücken. Er hatte sie offenbar schlimmer getroffen, als er gedacht hatte. Idiot!, schimpfte er sich. „Was ich meinte war, dass du wunderschön bist! Du solltest an die Bewunderung gewöhnt sein!“
Sie schnaubte und schüttelte ihren Kopf, aber er sah das kleine Lächeln, das sich trotz ihrer Bemühungen auf ihre Lippen schlich. „Niemand bewundert mich.“
„Ich bin mir sicher, dass es viele gibt.“
„Nicht wirklich, glaub mir.“ Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Pferd zu.
„Ich bewundere dich.“
Sie hielt Rose an, drehte sich um und sah ihn überrascht an. „Warum?“
„Hab ich doch gerade gesagt – du bist wunderschön.“ Seine Stimme war sanft, als er die Worte aussprach, doch es war die Wahrheit. Für ihn war sie schön. Ihre Augen waren immer so traurig und sie schien so verwundbar ... Es war diese Verwundbarkeit, diese Traurigkeit, die ihm unter anderem gefielen und vor allem seinen Beschützerinstinkt weckten.
„Ich bin ein Freak.“ Sie sagte das so nüchtern, als ob sie das wirklich glaubte.
Sein Herz brach bei dieser Aussage. „Du bist kein Freak.“
„Doch, bin ich.“ Dann wandte sie sich wieder Rose zu und ließ sie mit der Hinterhand zurückweichen.
Clay sah noch etwas länger zu, beeindruckt von ihrem reiterlichen Können, mit dem Bianca das Band mit der Stute und dabei noch ihren Körper stärkte. Obwohl die Stute noch nicht voll trainiert war, würde es nicht mehr lange dauern, bis ihre Fitness wieder hergestellt war, jetzt, da Bianca sie täglich ritt.
Je länger er ihr zusah, desto mehr spürte er, wie stark er sich zu ihr hingezogen fühlte. Er musste vollkommen woanders mit den Gedanken gewesen sein, während er ihr zusah, denn schon war sie neben ihm und fummelte mit dem Riegel am Tor herum, während sie Roses Führstrick in einer Hand hielt. Er wollte das Meiste aus diesem Moment machen und streckte deshalb seine Hand aus und berührte sanft ihre Schulter, während er ihr tief in die Augen sah. Zuerst wich sie seinem Blick aus, doch er schaute nicht weg und schlussendlich erwiderte sie seinen Blick, es war eine Herausforderung.
„Du bist kein Freak“, sagte er sanft, aber nachdrücklich. „Wenn du mein wärst, würde ich dich übers Knie legen, weil du so über dich geredet hast“, rügte er sie.
Sie grinste nur. „Dann ist es ja nur gut, dass ich nicht dir gehöre, oder? Denn ich spreche immer so über mich! Ich bin ein Freak – das ist eben ein Teil meines Lebens.“
Er ließ seine Hand auf ihrer Schulter liegen und hielt sie zurück. „Nein“, argumentierte er.
„Doch“, behauptete sie und zuckte mit der Schulter, um seine Hand loszuwerden. „Kann ich jetzt gehen? Ich hab zu tun.“
Er trat zur Seite und ließ sie durch, bevor er den Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht sah. Sie mochte also seine Aufmerksamkeit? Gut. Er mochte sie. Er hatte noch nie eine so mutige, furchtlose und tapfere Frau getroffen, die leider innerlich so gebrochen war. Sein Herz zog sich bei dem Gedanken daran zusammen, welchen Schmerz sie ertragen musste. Er seufzte frustriert auf, während er sich wünschte, sie wäre sein.
* * *


Schon wieder!, dachte Bianca aufgeregt. Er hatte schon wieder gesagt, dass er sie übers Knie legen würde! Es frustrierte sie aber, dass er immer nur darüber sprach, jedoch keine seiner Drohungen wahr machte. Wenn er ihr unbedingt den Hintern versohlen wollte, warum machte er es dann nicht einfach?
Jeden Tag fragte Annie sie, ob sie mit Rose weitergekommen war. Und danach fragte sie, ob sie Fortschritt mit Clay gemacht hatte. Jeden Tag war es die gleiche Antwort: Nein. Clay war nett zu ihr, wie alle Brüder. Und die meisten Leute im Stall. Doch außer dem normalen Small-Talk bei der Arbeit gab sich keiner besondere Mühe, mit ihr zu sprechen. Da könnte sie genauso gut nicht existieren.
Annie. Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken an ihre Schwester zusammen. Unaufgefordert hatte sie das Bild ihrer gebrechlichen Schwester im Kopf. Annie hatte tapfer gekämpft – kämpfte immer noch – doch sie stand auf verlorenem Posten. Bei Krebs gab es einfach keine Gewinner. Nicht am Ende. Am Ende gab es nur Opfer. Opfer verheerender Chemotherapie und Bestrahlung, Opfer der Krankheit, die einen von innen heraus auffraß. Und schlussendlich waren die Opfer auch alle, die zurückblieben und den Verlust ihrer Lieben betrauerten. Annie lief die Zeit weg und statt sie mit ihrer Schwester zu verbringen, entschied sich Bianca dafür, bei einem Pferd zu bleiben. Tränen der Schuld brannten in ihren Augen, als ihr das klar wurde. Sie musste wirklich ihre Prioritäten richtig setzen – die Zeit mit ihrer Schwester war wichtig.
„Oh, Bianca!“, rief Clay, als sie die Stute zurück in ihre Box führte und die Tür schloss. „Roses Besitzer kommen morgen vorbei, um sie laufen zu sehen – auf Zeit, um zu sehen, wie schnell sie ist. Wenn sie schnell genug ist, kann sie bleiben. Wenn nicht ...“, Clays Stimme wurde leiser. Er musste den Satz nicht zu Ende bringen. Beide wussten, welches Schicksal die Stute erwartete, wenn sie nicht schnell genug lief. Die Besitzer hatten schon so viel Geld in die Rettung des Pferdes investiert, dass sie nicht noch mehr zahlen wollten, wenn sich ihre Investition nicht auszahlen würde.
„Sie ist schnell“, insistierte Bianca. „Ich habe ihre Kraft gespürt. Sie ist definitiv schnell.“
Clay nickte nur. „Wir werden sehen.“
* * *


„Du bist spät dran.“ Die anklagende Stimme war das erste, was Bianca hörte, als sie die Haustür öffnete. „Dein Vater ist noch im Pub, betrunken wie immer und du bist heute nicht nach Hause gekommen. Annie hat mir erzählt, dass du die letzten Wochen kaum Zuhause warst. Ist dir deine Schwester nicht mehr wichtig?“
Bianca wirbelte herum, sofort in Angriffsstellung, um die Frau zu konfrontieren, die sich vor Jahren entschlossen hatte, aus ihrem Leben zu verschwinden und jetzt versuchte, sich wieder hineinzudrängen.
„Entschuldigung?“, schrie sie, sobald ein heftiger Tic vorbei war. „Ich habe mich jahrelang um Annie gekümmert, während du durch die Welt gezogen bist und ganz vergessen hast, dass du überhaupt Töchter hast! Wie kannst du es wagen, hier aufzutauchen und mir vorzuwerfen, dass Annie für mich nicht an erster Stelle käme? Annie war schon immer der wichtigste Mensch in meinem Leben und wird es auch immer sein!“
Die beiden Frauen standen im Flur und schrien sich minutenlang an und bewarfen sich mit Beleidigungen. Ihr gemeinsame Wut war genug, um alle Geräusche zu überlagern; keine von ihnen hatte gehört, wie das Auto in die Einfahrt einbog, sich die Haustür öffnete und Biancas Vater die Tür öffnete und die zwei wütenden Frauen ansah. Biancas Mutter wandte sich ihm zu und Bianca nutzte die Chance zur Flucht. Sie stürmte den Gang entlang in das ruhige Zimmer ihrer Schwester.
Annie war hellwach, als Bianca hereinkam; die lauten Stimmen hatten sie geweckt. Tränen rannen ihr über die Wangen und Biancas Herz zog sich zusammen. Annie weinte nicht. Niemals.
„Du musst ihr vergeben, Bee“, flüsterte Annie. „Du kannst sie nicht für immer hassen.“
„Ihr vergeben?“ Bianca war skeptisch. „Niemals! Ich werde ihr nie vergeben, dass sie uns verlassen hatte, als wir sie am meisten gebraucht hätten!“
Annie klopfte auf das Bett neben sich. „Setz dich“, sagte sie leise und mit tränenerstickter Stimme. „Ich habe eine Entscheidung getroffen“, verkündete sie. „Ich gehe morgen ins Hospiz. Ich will keine Last mehr für dich sein.“
„Nein, Annie!“, protestierte Bianca. „Du bist doch keine Last! Ich werde öfter tagsüber nach Hause kommen, versprochen! Und ich werde auch am Abend früher kommen! Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht hab, Annie. Ich geb mir mehr Mühe, aber bitte geh nicht!“
Annie schüttelte nur ihren Kopf. „Du musst dein Leben leben“, sagte sie. „Du musst arbeiten, einen Mann verführen und ein Pferd retten. Da solltest du dir nicht auch noch Sorgen darüber machen müssen, wer sich gerade um mich kümmert.“
„Aber ich will mich doch um dich kümmern!“
„Aber ich will das nicht.“ Annies Stimme war hart und kalt, doch Bianca wusste, dass das nur geschauspielert war. Sie wusste, dass Annie mehr als bereit war, sich selbst zu opfern, um jemanden glücklich zu machen, und dieses Wissen ließ sie zusammenbrechen und weinen.
„Das meinst du doch nicht so, Annie“, sagte sie weinend. „Das weiß ich.“
„Doch“, sagte Annie entschlossen. „Ich habe mich entschieden. Ich gehe morgen ins Hospiz. Mum wird mich am Morgen hinfahren. Dann hab ich mich schon eingewöhnt, wenn du mich nach der Arbeit besuchst.“
Bianca war viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Die ganze Nacht lang hielt sie Annies Hand fest in ihrer und versuchte, ihre schnelle, unregelmäßige Atmung an Annies langsame, rhythmische Atmung anzupassen, aber es wollte nicht klappen. Ihr Magen war verkrampft, sie hatte Kopfschmerzen und schlafen konnte sie auch nicht. Sie hoffte, dass morgen nicht kommen würde. Sie verlor nicht nur mehr Zeit mit ihrer Schwester, sondern vielleicht auch das Pferd, das sie lieben gelernt hatte.

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